Koalitionsvertrag 2025: Die Einhaltung von Tarifverträgen wird zur Bedingung in der öffentlichen Vergabepraxis.
Bereits die Ampel-Regierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die Einhaltung von Tarifverträgen zur Bedingung bei der öffentlichen Auftragsvergabe zu machen. Solche „Tariftreuegesetze“ existieren auf Länderebene bereits in allen Bundesländern außer Bayern und Sachsen. Aufgrund des vorzeitigen Bruchs der Ampel-Regierung kam es jedoch nicht zur Umsetzung des Gesetzesvorhabens.

Der aktuelle Koalitionsvertrag sieht ebenfalls die Verabschiedung eines Tariftreuegesetzes vor (Zeilen 553-556 des Koalitionsvertrags).
Ziel des Bundestariftreuegesetzes (BTTG) soll es sein, die Tariftreue und Tarifautonomie zu stärken und „faire Löhne“ in Deutschland zu gewährleisten. Außerdem soll hiermit Art. 9 der Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union (RL [EU] 2022/2041) umgesetzt werden (weitergehend hierzu: Flächendeckende Tarifbindung durch die Hintertür?). Die Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie ist bereits am 15. November 2024 abgelaufen.
Da der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD keine ausführlichen Angaben zur Ausgestaltung des Gesetzes beinhaltet, orientiert sich dieser Beitrag insbesondere am damaligen Arbeitsentwurf (BTTG-E) der Ampel-Regierung unter Berücksichtigung der nun vereinzelt neu vereinbarten Bedingungen.
Neue Bedingungen für Aufträge ab einem Auftragswert von 50.000,- EUR
Die Vergabebedingungen sollten nach dem damaligen Entwurf Anwendung für Aufträge gelten, deren Auftragswert sich ohne Umsatzsteuer auf mindestens 10.000,- EUR beläuft. Auf Druck der Union haben sich die Koalitionäre nun geeinigt, den Auftragswert auf 50.000,- EUR anzuheben (bei Start-Ups in den ersten vier Jahren nach Gründung 100.000,- EUR) (Zeilen 554 f. des Koalitionsvertrags).
Kernstück des Bundestariftreuegesetzes ist das „Tariftreueversprechen“
Das Tariftreueversprechen wird voraussichtlich beinhalten, dass Bundesauftraggeber einem Auftragnehmer verbindlich vorzugeben haben, dass der Auftragnehmer ebenso wie seine Nachunternehmer und beauftragte Verleiher den Arbeitnehmern* für die Dauer ihrer Mitwirkung an der Leistungserbringung mindestens die Arbeitsbedingungen gewähren, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zuvor durch Rechtsverordnung festgelegt hat.
§ 4 BTTG-E räumt dem Arbeitnehmer außerdem einen eigenen unmittelbaren Anspruch auf Gewährung der festgesetzten Arbeitsbedingungen gegen seinen Arbeitgeber ein. Unabhängig von den zugrunde liegenden vertraglichen Bedingungen kann der Arbeitnehmer daher gegenüber seinem Arbeitgeber diese Arbeitsbedingungen geltend machen und einklagen.
Zu den festzusetzenden Arbeitsbedingungen gehören die Entlohnung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1; § 2a AEntG), der bezahlte Mindestjahresurlaub (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AEntG) sowie die Höchstarbeits-, Mindestruhe- und Pausenzeiten (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 AEntG).
Die Festsetzung der einschlägigen Tarifverträge und der zu beachtenden Arbeitsbedingungen erfolgt nach § 5 BTTG-E auf Antrag einer Gewerkschaft oder einer Arbeitgebervereinigung.
Es ist davon auszugehen, dass insoweit keine Änderungen an dem damaligen Arbeitsentwurf vorgenommen werden.
Die Vergabestellen der Bundesauftraggeber kontrollieren stichprobenartig, ob ein Auftragnehmer sein Tariftreueversprechen wahrt und Arbeitgeber ihre Pflichten erfüllen.
Die Erfüllung ihrer Pflichten haben Auftragnehmer und Nachunternehmer nachzuweisen und zu dokumentieren, wobei Kontrollen und Nachweispflichten auf ein notwendiges Minimum begrenzt werden sollen. Verstößt der
- Auftragnehmer schuldhaft gegen sein Tariftreueversprechen,
- Auftragnehmer/Nachunternehmer gegen seine Nachweis- und Dokumentationspflicht,
- Arbeitgeber schuldhaft gegen seine Verpflichtung zur Einhaltung der Arbeitsbedingungen,
stellt der Bundesauftraggeber dies durch Verwaltungsakt fest. Der Verwaltungsakt kann in einem Verwaltungs- (gerichtlichen) Verfahren angegriffen werden. Die Feststellung kann zum Ausschluss von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren für einen Zeitraum von bis zu drei Jahre führen.
Auch zivilrechtliche Sanktionen sind wahrscheinlich.
Der Bundesauftraggeber hat mit dem Auftragnehmer für Verstöße eine angemessene Vertragsstrafe sowie ein außerordentliches Kündigungsrecht zu vereinbaren.
§ 11 BTTG-E statuiert darüber hinaus eine Nachunternehmerhaftung, bei der ein Auftragnehmer für Verstöße bei der Gewährung des Mindestentgelts durch den Nachunternehmer in Form eines selbstschuldnerischen Bürgen einzustehen hat. Die Nachunternehmerhaftung ist der bereits derzeit geltenden Haftung des Auftraggebers nach § 14 AEntG nachgebildet.
Bußgeldvorschriften sieht das BTTG-E nicht vor. Die Konsequenzen eines Verstoßes liegen in einem möglichen Ausschluss in laufenden/künftigen Vergabeverfahren sowie den zuvor dargestellten zivilrechtlichen Sanktionen. Die Bußgeldvorschriften (insb.) des AEntG bleiben hiervon unberührt.
Das Bundestariftreuegesetz bringt einige Änderungen mit sich, auch wenn sich die Regelungen „nur“ auf die Bedingungen in Vergabeverfahren beziehen
Mit dem Bundestariftreuegesetz wird die Möglichkeit des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ausgeweitet, durch Rechtsverordnung Tarifverträge auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber zu erstrecken. Dies geschieht gleich in zweierlei Hinsicht:
Zum einen gilt dies bereits für eine Reihe von Branchen, für welche das AEntG die Anwendung von Tarifverträgen unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht (§§ 4 Abs. 1; 7 AEntG). Außerdem bedarf es eines gemeinsamen Antrags der Parteien eines Tarifvertrags (§ 7 Abs. 1 S. 1 AEntG).
Künftig entfällt bei Bundesvergabeverfahren die Beschränkung auf diese Branchen – die Tariftreuevorgaben gelten dann für Auftragnehmer aller Branchen. Auch genügt für die Herbeiführung der Verbindlichkeit bereits der Antrag einer der Tarifvertragsparteien – die Hürden sind also geringer als bei einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG.
Während der Vergabeverfahren ist mit einer erhöhten Kontrolldichte zu rechnen
Aktuell wird die Einhaltung der Vorgaben des AEntG ausschließlich durch die Zollverwaltung überwacht. Mit dem Bundestariftreuegesetz würden zusätzlich die Vergabestellen der jeweiligen Bundesauftraggeber in die Pflicht genommen. Der Begriff des Bundesauftraggebers beinhaltet dabei neben dem Bund auch juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts des Bundes. Damit wird die Anzahl der für Kontrollen zuständigen Institutionen erheblich ausgeweitet.
Die Pflichten von Arbeitgebern, die unter einen allgemeinverbindlichen oder erstreckten Tarifvertrag fallen oder selbst tarifgebunden sind, zur Gewährung bestimmter Arbeitsbedingungen (§ 8 AEntG) sowie die Nachunternehmerhaftung (§ 14 AEntG) bleiben unverändert. Bei Bundesvergabeverfahren folgt dies künftig (auch) aus dem BTTG.
Notwendige Umstellung für nicht tarifgebundene Arbeitgeber
Unternehmen, die an Vergabeverfahren teilnehmen (möchten) bzw. von Unternehmen beauftragt werden wollen, die an der öffentlichen Auftragsvergabe mitwirken, sollten sich daher frühzeitig über die einschlägigen Tarifverträge und Arbeitsbedingungen erkundigen und ihre Arbeitsbedingungen für die Dauer der Auftragsumsetzung anpassen, um den Anforderungen der Vergabeverfahren zu genügen. Wichtig wird aber vor allem sein, dass Auftragnehmer bei öffentlichen Aufträgen sicherstellen, dass sie etwaige Verpflichtungen, denen sie bei der Vergabe unterliegen, an ihre Nachunternehmer weitergeben und die Einhaltung auch bei diesen überprüfen. Nur so kann sichergestellt werden, Vertragsstrafen und den Ausschluss von der öffentlichen Auftragsvergabe zu vermeiden. Hierzu sind Compliance-Strukturen für die Auftragsvergabe und Auftragsdurchführung zu schaffen – einschließlich (mindestens stichprobenhafter) Überprüfung der Einhaltung der Verpflichtungen durch die Nachunternehmer.
* Im Folgenden wird zur besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwandt. Ein Ausschluss von Geschlechtern oder sexuellen Identitäten ist nicht beabsichtigt.
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