Die Arbeitswelt befindet sich in einem grundlegenden Wandel. Rechtlich durchdachte Anpassungen helfen bei dem Kampf um Talente und in Sachen Nachhaltigkeit.
Corona brachte neue Arbeitsformen hervor bzw. hat ihre Einbringung in unseren beruflichen Alltag beschleunigt. Aber: Wie geht es nach der Pandemie weiter? Aus Unternehmenssicht geht es darum, Arbeit zukunftsträchtig, flexibel und innerhalb der rechtlichen Rahmenbedingungen praktikabel zu gestalten. Ein attraktiver Arbeitgeber wird sich zukünftig zunehmend durch ein agiles und innovatives Umfeld auszeichnen müssen, in dem die Beschäftigten selbst über ihren Arbeitsort und die Arbeitszeit bestimmen können. Damit einhergehend wird „Work-Life-Balance“ immer öfter zu „Work-Life-Blending“, also einer bewussten Vermischung von Arbeit und Privatleben.
Das Problem: Häufig hinkt die Gesetzgebung den aktuellen Anforderungen hinterher. Es stellen sich daher insbesondere Fragen zum Einsatz von Zeiterfassungssystemen und der DSGVO-konformen Nutzung von Apps sowie der Einbindung des Betriebsrates in den Erneuerungsprozess der Arbeit.
Worauf sich Unternehmen einstellen müssen und wie sie sich bereits jetzt vorbereiten können, möchten wir in dieser Blog-Serie darstellen.
Notwendigkeit der Anpassung
Bereits seit mehreren Jahren befindet sich unsere Arbeitswelt in einem Wandel. Schlagworte wie Modernes Arbeiten, New Work, Arbeiten 4.0, Workshifting, Jobsharing, Modern Workspace und Arbeiten der Zukunft sind längst keine leeren Hüllen mehr. Vielmehr zeigt sich deutlich: Traditionelle Strukturen und Kulturen, insbesondere feste Arbeitszeiten, feste Arbeitsorte und starre Hierarchien werden in Unternehmen zunehmend aufgebrochen. Stattdessen werden neue Arbeitsformen eingeführt, die ohne solche strengen Vorgaben auskommen und vermehrt auf ein Vertrauen in die Beschäftigten setzen.
Doch stellen Unternehmen oft fest, dass Wunsch und Wirklichkeit nicht immer zusammenpassen. Dies gilt insbesondere für die arbeitsrechtlichen Gegebenheiten. Ein Hindernis für Unternehmen muss dies jedoch keinesfalls sein. Jedenfalls dann nicht, wenn
- die richtigen Schwerpunkte gesetzt,
- zukunftsorientierte Entscheidungen getroffen und
- die aktuellen (arbeits-)rechtlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.
Dank Pandemie ist dezentrales Arbeiten das „neue Normal“
Mit dem Beginn der Corona-Pandemie wurde der Wandel in unserer Arbeitswelt jäh – um nicht zu sagen „über Nacht“ – beschleunigt. Seit März 2020 ist dezentrales Arbeiten für einen Großteil der Beschäftigten in Deutschland das „neue Normal“.
Der tägliche Gang ins Büro? Für viele fast vollständig entfallen. Zeitverlust und Belastung (insbesondere der Nerven) durch lange Anfahrtswege, Stau oder überfüllte, verspätete oder ausgefallene Transportmittel im ÖPNV? Geschichte! Was vor der Pandemie für viele Unternehmen und auch Führungskräfte noch undenkbar war, ist plötzlich Teil unserer Wirklichkeit geworden. So sind mobiles Arbeiten, Homeoffice, Telearbeit und Videokonferenzen, etwa über Skype, Microsoft Teams, Zoom oder Cisco Webex, aus dem Arbeitsalltag vieler Beschäftigter nicht mehr wegzudenken.
Ein Grund hierfür ist sicher die seit Januar 2021 in der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) enthaltene Verpflichtung für Unternehmen, ihren Beschäftigten im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. Sicher auch wegen dieser Verpflichtung haben Ende Januar 2021 rund ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland von zu Hause gearbeitet. Während des ersten Lockdowns im April 2020 arbeiteten sogar rund 30 Prozent von zu Hause aus (Quelle: Statista 2021). Ob sich diese Tendenz nach der Änderung des Infektionsschutzgesetzes, welches seit dem 23. April 2021 eine grundsätzliche Pflicht der Beschäftigten vorsieht, das Angebot auf Erledigung der Arbeitstätigkeit von zu Hause aus anzunehmen, noch einmal intensiviert, wird sich zeigen. Denn die Beschäftigten haben das Angebot des Arbeitgebers nur dann anzunehmen, wenn ihrerseits keine Gründe entgegenstehen.
Moderne Formen wie dezentrales Arbeiten sind in der Arbeitswelt angekommen
Arbeitgeber und Beschäftigte stellen fest, dass es sich bei dezentralem Arbeiten schon lange nicht mehr um ein kurzfristiges Phänomen handelt, nur geschuldet dem Corona-Virus und der Corona-ArbSchV bzw. dem aktuellen Infektionsschutzgesetz. Die gesamte Arbeitswelt entwickelt vielmehr ein neues – vielleicht schon längst überfälliges – Verständnis von modernen Arbeitsformen. Waren die Änderungen in vielen Unternehmen anfangs noch dazu bestimmt, die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen und den Schutz der Gesundheit zu gewährleisten, geht es mittlerweile (zumindest auch) darum, innovativ und „angesagt“ zu sein. Und das kommt nicht von ungefähr. Die letzten Monate haben es für jedermann sichtbar gemacht: Distanzarbeit kann gut funktionieren!
Zudem haben viele Unternehmen für sich erkannt, dass sich hierdurch ggf. auch Kosten sparen lassen: Etwa durch Anmietung kleinerer Büroflächen, den Entfall des Bedarfs an Firmenwagen und die Einsparung von Reisekosten.
Attraktivität durch flexible Arbeitsgestaltung als langfristige Perspektive für Arbeitgeber
Einer der größten Anbieter von Business- Software weltweit hat dies bereits vor mehreren Jahren erkannt. Bereits seit 2018 können dort die Beschäftigten in Deutschland weitgehend frei entscheiden, von wo aus sie ihre Arbeit erledigen möchten. Sie können weiterhin ins Büro kommen. In Abstimmung mit den Vorgesetzten ist es den Beschäftigten aber auch möglich, von zu Hause, vom Café oder vom Schwimmbad aus zu arbeiten.
Eine ähnliche Regelung gilt seit Kurzem auch bei einem der führenden Getränke- und Nahrungsmittelunternehmen in Deutschland: Hier wurde gemeinsam mit dem Betriebsrat eine „Mobile Working Policy“ für alle Beschäftigten mit Computerarbeitsplatz entwickelt. Diese ermöglicht den Beschäftigten in Deutschland seit Februar 2021 flexibles Arbeiten, von wo sie möchten und bei freier Einteilung der Arbeitszeit. In Deutschland wird hiermit ein neuer Unternehmensstandard geschaffen.
Es geht damit längst nicht mehr um die zeitlich begrenzte Überbrückung der Corona-Pandemie, sondern um langfristige Perspektiven und die Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber.
Forderungen von Beschäftigten nach ausgewogener Arbeitsatmosphäre wächst
Denn viele der Beschäftigten wollen heute in einem agilen und innovativen Umfeld arbeiten. Sie fordern von Unternehmen
- Freiheit,
- Autonomie und
- Wertschätzung.
Feste Arbeitsplätze und vorgegebene Arbeitszeiten sind aus ihrer Sicht rückständig. Sie wollen vielmehr selbst über Arbeitsort und Arbeitszeit bestimmen. Sie verlangen zudem flache Hierarchien. Die Beschäftigten wollen eigenständig Entscheidungen treffen, eigene Ideen und Vorschläge einbringen und diese auch – zeitnah und ohne große Bürokratie – umsetzen können. Für viele sind dies sogar Grundvoraussetzungen für die Aufnahme eines Jobs. Die Höhe der Vergütung hingegen verliert zunehmend an Bedeutung.
„Grüne“ Themen gewinnen an Bedeutung
Auch die zunehmende Sensibilisierung für „grüne“ Themen, wie Schadstoffemission und Nachhaltigkeit, spielt bei dem Umdenken der Arbeitswelt eine große Rolle. Denn diese führt zu Änderungen insbesondere in Bezug auf kurze Besprechungen, die mit einer langen Anreise verbunden sind. Solche finden nicht mehr bzw. kaum noch statt. Insgesamt ist davon auszugehen, dass Dienstreisen auch nach der Corona-Pandemie auf das Notwendigste reduziert und digitale Konferenzen in den Vordergrund rücken bzw. dort bleiben werden.
Arbeitgeber kämpfen mit gelebter Flexibilität um Talente
Der Kampf um qualifizierte und motivierte Talente zwingt Unternehmen, den Wünschen der Beschäftigten so weit wie möglich zu entsprechen. Unternehmen müssen dem Verlangen nach Distanzarbeit und dem Wunsch nach Autonomie in Bezug auf die Arbeitszeit so weit wie möglich nachkommen und in ein ordnungsgemäßes und verantwortungsbewusstes Verhalten ihrer Beschäftigten vertrauen. Auch Hierarchien müssen überprüft und ggf. kritisch hinterfragt werden.
Vermischung von Arbeits- und Privatleben: Work-Life Blending
Mit der flexiblen Distanzarbeit und dem dadurch gewonnenen „Mehr“ an Freizeit einher geht das sogenannte Work-Life-Blending. Die Beschäftigten möchten die Zeit, die sie durch das Ausbleiben des täglichen Wegs ins Büro oder langer Dienstreisen sparen, sinnvoll nutzen. Dies ist aber deutlich besser möglich, wenn keine klare Trennung zwischen Privatleben und Beruf („Work-Life Balance“) besteht. Vielmehr sollen Arbeit und Privatleben bewusst vermischt werden: Denn wo die Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben verschwindet, können persönliche Bedürfnisse besser berücksichtigt werden. Dies jedenfalls dann, wenn hierbei einige Grundsätze berücksichtigt werden und es nicht zu einer vollständigen Entgrenzung kommt.
Rechtliche und technische Herausforderungen beachten
Doch bevor neue Arbeitsformen umgesetzt und eingeführt werden, müssen vorab
- die rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen analysiert,
- insbesondere die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes und das Erfordernis der Arbeitszeiterfassung beachtet sowie
- die Rolle der hierbei relevanten IT-Systeme berücksichtigt werden.
Natürlich sind dabei auch
- die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats und
- der jüngst (am 31. März 2021) vom Bundeskabinett verabschiedete Entwurf eines Betriebsrätemodernisierungsgesetz
zu beachten.
In unserer Blog-Serie „Modernes Arbeiten“ zeigen wir die Hintergründe für den Wandel der Arbeitswelt auf. Zudem beleuchten wir, was für einen gelungenen Start und eine erfolgreiche Umsetzung der modernen Arbeitswelt zu beachten ist.