Die grenzüberschreitende Telearbeit stellt nach der Ansicht der Europäischen Kommission eine Entsendung dar. Was bedeutet dies für Workation & Co.?
Das Thema Mobile Work ist nach wie vor ein Dauerbrenner. Die Frage, ob bzw. wie remote im Ausland gearbeitet werden kann, ebenso wie z.B. auch Fragen zum Aufenthaltsrecht.
In der Empfehlung der Europäischen Kommission („Guidance Note on telework“) in der Fassung vom 14. November 2022 gibt es Hinweise zu grenzüberschreitender Telearbeit und der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.
Was bedeuten die Hinweise für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung des mobilen Arbeitens im Ausland?
Empfehlung der EU-Kommission zielt auf europaweit einheitliches Vorgehen im Sozialversicherungsrecht ab
Seit der Pandemie ist das Angebot von mobiler Arbeit (wohlgemerkt in den Bereichen, in denen dies mit Blick auf die Arbeitsabläufe auch möglich ist), häufig kombiniert mit einem hybriden Ansatz, fast schon „Standard“ bei den Unternehmen. Dies weckt Begehrlichkeiten: Der Wunsch nach mobiler Arbeit im Ausland (z.B. „Workation“) ist die logische Folge dieser Entwicklung. Nicht selten stößt ein solcher Wunsch unternehmensseitig auf Zurückhaltung.
Manche Arbeitgeber* stehen der räumlichen Flexibilität aber auch sehr offen gegenüber und gestatten ein zeitweiliges Tätigwerden außerhalb der deutschen Landesgrenzen – vornehmlich innerhalb der EU und beschränkt auf einen bestimmten Zeitraum pro Jahr (der i.d.R. zwischen zwei Wochen und drei Monaten schwanken dürfte). In rechtlicher Hinsicht werden dabei viele Fragestellungen aufgeworfen, insbesondere hinsichtlich des anwendbaren Sozialversicherungsrechts. Konkrete Gestaltungsmöglichkeiten für ein einheitliches Vorgehen können in diesem Bereich (noch) nicht aufgezeigt werden, weil bis dato klare rechtliche Vorgaben auf deutscher bzw. europäischer Ebene fehlen.
Auf europarechtlicher Ebene existiert zwar die VO (EG) Nr. 883/2004, die Regelungen für die Bestimmung des maßgeblichen sozialen Systems in grenzüberschreitenden Fällen vorsieht. Wie sich diese jedoch zu einer grenzüberschreitenden mobilen Arbeit verhalten und welche zeitlichen Grenzen des Einsatzes hierbei zu beachten sind, ist weiterhin offen. Zur Zeit des Erlasses der Verordnung waren mobile Arbeitsformen noch eine absolute Ausnahmeerscheinung.
Die Empfehlung der Europäischen Kommission, für die sie gem. Art. 75 Abs. 3 VO (EG) Nr. 987/2009 zuständig ist, stellt nun fest, dass die „Telearbeit“ auch nach der Pandemie für bestimmte Berufsgruppen eine Arbeitsform bleiben wird und es notwendig sei, die Auswirkungen des bestehenden Rechtsrahmens (in Form der Verordnung) auf die Telearbeit besser zu verstehen und eine gemeinsame Auslegung in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Ziel sei es, die Verordnung mit Blick auf Telearbeit flexibel auszulegen, um die mit der Verordnung verfolgten Zwecke zu erreichen.
Begriff der grenzüberschreitenden „Telearbeit“ i.S.d. EU-Kommission dürfte weit zu verstehen sein
Unter der „grenzüberschreitenden Telearbeit“ versteht die Europäische Kommission zunächst eine Arbeit, die
- außerhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers oder des Ortes, an dem dieselbe Arbeit normalerweise verrichtet wird,
- in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich die Geschäftsräume des Arbeitgebers oder der Arbeitsplatz befindet, und
- unter Nutzung von Informationstechnologie, um mit dem Arbeitsumfeld des Arbeitgebers oder des Unternehmens in Verbindung zu bleiben und die vom Arbeitgeber übertragenen Aufgaben zu erfüllen,
verrichtet wird. Wichtig ist nach den Empfehlungen darüber hinaus, dass es sich
- bei der Arbeit im Ausland um dieselbe Arbeit handelt, die normalerweise in den Geschäftsräumen des Arbeitgebers verrichtet wird, und dass
- die grenzüberschreitende Telearbeit im Rahmen einer Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer, also einvernehmlich, erfolgt.
Nach diesen Kriterien dürfte der Begriff der grenzüberschreitenden Telearbeit weit zu verstehen sein, sodass hierunter auch mobile Arbeitsplätze und nicht nur fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze i.S.d. § 2 Abs. 7 ArbStättV zu verstehen sind. In diese Richtung führt die Europäische Kommission auch aus, dass für das Vorliegen von Telearbeit i.S.d. Empfehlung (im Gegensatz zu anderen Arbeitsformen außerhalb der Räumlichkeiten des Arbeitgebers) entscheidend sei, dass der Arbeitnehmer mit dem Arbeitsumfeld des Arbeitgebers verbunden bleibt und daher auch die Art und Weise der Arbeitsausführung standortunabhängig erfolgen kann – nichts anderes ist im Fall der mobilen Arbeit gegeben.
Workation als Unterfall der Entsendung nach dem Verständnis der EU-Kommission
Eine für die bisherige Diskussion im Zusammenhang mit mobiler Arbeit im Ausland entscheidende Erkenntnis dürfte die Feststellung sein, dass grenzüberschreitende Telearbeit dann ein Fall der Entsendung i.S.d. Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004 ist, wenn sie zufällig bzw. gelegentlich und nicht als Teil eines festen Arbeitsrhythmus erfolgt („random and not part of the habitual working pattern“).
Insbesondere komme es – so die Ausführungen der Kommission – nicht darauf an, in welchem Interesse oder auf wessen Initiative hin die grenzüberschreitende Telearbeit stattfinde. Allein entscheidend sei vielmehr, dass der Arbeitnehmer weiterhin dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterstellt bleibe – eine wichtige Feststellung, die sich mit der bisherigen Einschätzung der Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland (DVKA) deckt.
Sofern das grenzüberschreitende Tätigwerden hingegen als Teil der Arbeitsleistung normalerweise und somit auch regelmäßig erfolgt („telework is normally and usually exercised in more than one Member State“), also z.B. bei Grenzpendlern, die teils im Homeoffice in einem EU-Land und teils im Büro in einem benachbarten EU-Land tätig werden, richtet sich die Bestimmung des anwendbaren Sozialversicherungsrechts lt. den Empfehlungen der Europäischen Kommission nach Art. 13 VO (EG) Nr. 883/2004.
Grenzüberschreitende Telearbeit bis zu 24 Monate
Die Kommission führt aus, dass dann, wenn Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004 für die Telearbeit zur Anwendung komme, das „full package“ der Entsendung gelte: Der Wortlaut des Art. 12 erlaube für den Fall der Telearbeit keine andere bzw. engere Interpretation bzgl. des zulässigen zeitlichen Rahmens. Grenzüberschreitende Telearbeit solle – mit Blick auf die Sozialversicherung – bis zu einer Dauer von 24 Monaten möglich sein, solange die üblichen Kriterien erfüllt seien.
Bedeutung für die mobile Arbeit im Ausland
Wie weitreichend sind die Erläuterungen der Kommission? Die Regelungen sowie die dort benannten Beispiele, die nach der Auslegung der Verordnung durch die Europäische Kommission demnach unter Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004 fallen sollen, deuten darauf hin, dass die Kommission als Ausgangspunkt den Fall der Grenzgänger vor Augen hatte, die regelmäßig nur im Nachbarland arbeiten, aber z.B. aufgrund spontaner Ereignisse zur Telearbeit in ihrem Heimatland „gezwungen“ sind: So nennt sie als Beispiele eine vorübergehende Tätigkeit im Homeoffice wegen Büroschließungen oder Betreuung kranker Kinder. Indes findet sich aber auch als Beispielsfall, dass ein Mitarbeiter im Anschluss an seinen Urlaub noch länger am Urlaubsort verbleibt und dort remote arbeitet. Ob hiervon jedoch jedes flexible und spontane Tätigwerden im EU-Ausland erfasst ist, bleibt (noch) offen. Wichtig ist allerdings: Die Empfehlung stellt eine (erste) wichtige Weichenstellung dar und deutet darauf hin, dass der Begriff der Entsendung i.S.d. VO (EG) Nr. 883/2004 weit zu verstehen ist. Dennoch bedarf es weiterer Konkretisierungen auf europarechtlicher Ebene, insbesondere in Bezug auf die (zulässige) Dauer einer Auslandstätigkeit.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.