25. März 2025
Say on Climate
Corporate Governance & Risk Compliance (ESG)

Say on Climate – quo vadis?

Aktuelle Ergänzungen der Abstimmungsrichtlinien für Hauptversammlungen zu Say on Climate - Ein Blick auf die Praxistauglichkeit dieser Beschlüsse.

Klimaschutz durchdringt längst als fester Bestandteil der Unternehmensstrategie alle Bereiche der Corporate Governance – nicht nur aufgrund regulatorischer Anforderungen, sondern auch zur langfristigen Sicherung der Unternehmensresilienz und Rentabilität. Gesetzgeber, Investoren* und Kunden legen verstärkt Wert auf eine transparente und nachhaltige Klimastrategie von Unternehmen, auch wenn weltweit aktuell auch gegenläufige Entwicklungen zu beobachten sind, die das Thema Klimaschutz mit geringer Priorität behandeln wollen.

Eine Möglichkeit zur Abstimmung und Koordination dieser Strategie (teilweise auch als Klimaplan oder Klimafahrplan bezeichnet) zwischen einem Unternehmen und seinen Investoren können, insbesondere in großen, börsennotierten Kapitalgesellschaften, Say on Climate-Beschlüsse in der Hauptversammlung darstellen.

Was ist ein Say on Climate?

Der Begriff des Say on Climate ist bislang nicht legal definiert, bedeutet jedoch im Grunde ein Mitspracherecht der Aktionäre bei den Klimaschutzbemühungen ihres Unternehmens. Die Ausgestaltungen dieses Mitspracherecht sind grundsätzlich vielfältig, in Deutschland wurde es bisher allerdings nur als konsultatives Votum der Hauptversammlung (HV) praktiziert:

Werden entsprechende Initiativen von der Aktionärsseite ergriffen, besteht etwa die Möglichkeit, dass Aktionäre spezifische Nachhaltigkeitsinformationen von ihrem Unternehmen verlangen. So forderten beispielsweise 2022 in der Hauptversammlung eines großen deutschen im DAX gelisteten Autobauers Aktionäre über eine beantragte Satzungsänderung die Einführung einer Berichtspflicht des Vorstands über klimapolitische Aktivitäten. Auch wenn der Antrag gerichtlich als Kompetenzüberschreitung der Hauptversammlung zurückgewiesen wurde, ging der betroffene Autobauer mit dem im Mai 2023 veröffentlichen Association Climate Review teilweise auf die Forderungen der Aktionäre ein. Über ein Informationsverlangen hinausgehend können Aktionäre auch den Versuch unternehmen, dem Unternehmen einen eigenen Klimaplan vorzuschlagen – so begehrten beispielsweise 2022 Aktionäre eines großen deutschen im DAX gelisteten Energieversorgers (im Ergebnis erfolglos) die Abspaltung des emissionsintensiven Kohlegeschäfts.

Doch auch Unternehmen selbst können ihren Klimaplan der Hauptversammlung zur Billigung vorlegen. In Deutschland wurden bisher erst zwei solcher Say on Climate-Beschlüsse im engeren Sinne durchgeführt (2023 durch ein inzwischen im SDAX gelistetes Chemieunternehmen und 2024 durch einen im MDAX gelisteten Maschinenhersteller). Ob in der bevorstehenden HV-Saison 2025 weitere von Unternehmensseite initiierte Say on Climate-Beschlüsse hinzukommen werden, bleibt abzuwarten.

Die Position von Stimmrechtsberatern und institutionellen Investoren

Die deutschen Stimmrechtsberater BVI und Deka haben in ihren aktuellen Abstimmungsricht­linien für die HV-Saison 2025 erstmals eigene Abschnitte zu Say on Climate aufgenommen. Sie legen dabei einen Schwerpunkt auf von den Unternehmen initiierte Berichte zur Klimastrategie und deren Umsetzung, insbesondere in emissionsintensiven Branchen:

  • BVI betont in den Analyse Leitlinien für Hauptversammlungen 2025 (Ziffer 8.3), dass Ak­tionären regelmäßig Berichte zur Klimastrategie zur Abstimmung vorgelegt werden soll­ten. Kritische Faktoren für eine positive Bewertung sind dabei (i) die fehlende Offenle­gung aller relevanten Treibhausgasemissionen, (ii) keine klar definierten Ziele und Zwi­schenziele zur Emissionsreduktion im Einklang mit dem Pariser Abkommen, und (iii) feh­lende Berichterstattung über Fortschritte der Klimastrategie.
  • Deka erwartet nach den Grundsätzen der Stimmrechtsausübung 2025 (S. 3) ebenfalls, dass Unternehmen regelmäßig Berichte zur Klimastrategie und deren Umsetzung zur kon­sultativen Abstimmung vorlegen. Für eine Zustimmung sind dabei entscheidend (i) die vollständige Offenlegung aller relevanten Treibhausgasemissionen, (ii) eine Klimastrate­gie, die mit dem 1,5-Grad-Szenario der International Energy Agency übereinstimmt, in­klusive klarer Zwischenziele, (iii) eine Bestätigung der Klimastrategie durch die Science Based Targets Initiative, sofern für den Sektor relevant, sowie (iv) mindestens durch­schnittliche oder geringere THG-Intensität im Branchenvergleich.

Auch wenn die großen amerikanischen Stimmrechtsberater in ihren Abstimmungsrichtlinien bereits etablierte Vorgaben zum Umgang mit Say on Climate haben und diese auch für die HV-Saison 2025 weitgehend unverändert ließen, sehen sie Say on Climate-Initiativen heute kritischer. Dies zeigt sich unter anderem in den umfangreichen Anforderungen an diese Initiativen. Obwohl in ihre Analyse einer solchen Initiative eine Vielzahl von Faktoren einfließen, liegt ihr Fokus regelmäßig darauf, wie der entsprechende Vorschlag den Unternehmenswert kurz- oder langfristig steigern oder schützen kann (ISS Continental Europe Proxy Voting Guidelines 2025, S. 30). Von Aktionären initiierte Klimapläne lehnen die amerikanischen Stimmrechtsberater dabei eher ab: Glass Lewis betont insoweit, dass die Unternehmensstrategie langfristig von der Geschäftsleitung bestimmt werden sollte. Aktionären fehle oft das notwendige Wissen, um fundierte Klimapläne zu entwickeln (Glass Lewis 2024 Benchmark Policy Guidelines – Shareholder Proposals & ESG-Related Issues, S. 30). Positiver werden Aktionärsforderungen nach mehr Transparenz in der Klimaberichterstattung gesehen (BlackRock Proxy Voting Guidelines for EMEA securities 2025, S. 23; ISS S. 31; Glass Lewis S. 30). Entscheiden sich Unternehmen freiwillig einen Klimaplan vorzulegen, so ergeht die Stimmrechtsempfehlung von Fall zu Fall, insbesondere unter Berücksichtigung der Vollständigkeit und Detailtiefe des jeweiligen Plans, aber auch weiterer Vorgaben, die zwar vergleichbar aber teilweise weitaus umfassender als die der deutschen Stimmrechtsberater sind (ISS S. 30; Glass Lewis S. 30 f.; BlackRock S. 23).

Planen Unternehmen also ihren Aktionären einen Klimaplan freiwillig vorzulegen, so sollte dies mit Blick auf die Erwartungen der institutionellen Investoren und Stimmrechtsberater an den Inhalt eines solchen Say on Climate sorgfältig vorbereitet werden, um eine negative Abstimmungsempfehlung zu vermeiden.

Ein Say on Climate de lege lata: Möglichkeiten und Grenzen

Ein zentrales Problem der praktischen Durchsetzbarkeit von Aktionärsinitiativen in Deutsch­land besteht darin, dass der Hauptversammlung keine grundsätzliche Beschlusskompetenz über Nachhaltigkeitsfragen zukommt. Die Hauptversammlung hat weder nach dem Gesetz (insbesondere § 119 Abs. 1 AktG, Rechte der Hauptversammlung) noch im Rahmen ungeschriebener Hauptversammlungskompetenzen (sog. Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung) eine Zuständigkeit für Nachhaltigkeitsfragen. Auch im Rahmen von etwaigen Satzungsänderungen, die Nachhaltigkeitsaspekte betreffen, ist die grundsätzliche Kompetenzverteilung der Organe in der Aktiengesellschaft zu beachten, sodass Änderungen z.B. nicht in die Leitungs- und Geschäftsführungsautonomie des Vorstandes eingreifen dürfen.

Für reine „Meinungsbeschlüsse“ auf Initiative von Aktionären fehlt es in Deutschland an Akzeptanz, die herrschende Meinung lehnt diese ab. Weitere Einflussmöglichkeiten der Aktionäre, wie beispielsweise Meinungsäußerungen im Rahmen des Rede- und Auskunftsrechts in der Hauptversammlung oder über die Investor Relations-Abteilung außerhalb der Hauptversammlung, sind allein individuelle Aktionärsrechte und bilden kein kollektives Meinungsbild aller Aktionäre ab. Ebenso entfaltet die Verweigerung der Entlastung oder die Ablehnung der Wiederwahl von Verwaltungsmitgliedern zwar eine starke Signalwirkung, bezieht sich aber immer auf die gesamte Tätigkeit der Verwaltung und bietet Aktionären keine Möglichkeit, zu spezifischen Nachhaltigkeitsaspekten Position zu beziehen.

Beschlüsse der Hauptversammlung über Klimapläne, die von den Unternehmen initiiert werden, können hingegen spezifisch nachhaltigkeitsbezogen und wirkungsstark sein. Wird der Hauptversammlung nämlich durch den Vorstand ein Klimaplan zur verbindlichen Abstim­mung nach § 119 Abs. 2 AktG vorgelegt, so bindet dieser den Vorstand (§ 83 Abs. 2 AktG) und führt zu dessen Haftungsentlastung (§ 93 Abs. 4 Satz 1 AktG). Doch eben diese Bindung des Vorstands hat ein sehr rigides „Klimakonzept“ zur Folge, das nur schwer vereinbar ist mit dem sich aufgrund dynamischer Gesetzesvorhaben und fortschreitender Entwicklung von entsprechenden ESG-Standards rasant entwickelnden Thema der Nachhaltigkeit. Dies führt zu einem Interessenskonflikt: Unternehmen werden, um ihre unternehmerische Anpassungsfähigkeit zu erhalten, flexiblere Konzepte bevorzugen, während die Stimmrechtsberater detaillierte und eher weniger Spielraum bietende Klimapläne fordern und andernfalls mit negativen Stimmempfehlungen drohen.

Vor diesem Hintergrund hat sich in der Praxis bisher vor allem ein Konsultativbeschluss zur Billigung eines Klimaplans auf Initiative des Vorstands als taugliches Instrument erwiesen). Als sog. „Minusmaßnahme“ zu einem Beschluss nach § 119 Abs. 2 AktG ist der Konsultativbeschluss rechtlich unproblematisch zu­lässig. Er ist unverbindlich, kann nicht angefochten werden und führt nicht zu einer Haftungs­entlastung des Vorstands. Dennoch fördert ein Konsultativbeschluss proaktiv die Transparenz und schafft eine Plattform für den offenen Dialog über den Klimaplan mit den Aktionären, sodass deren Meinungsbild erfasst und in die Weiterentwicklung der Unternehmensstrategie durch den Vorstand einfließen kann. Damit ist ein Say on Climate immer auch ein Say on Strategy – es werden nicht nur Nachhaltigkeitsziele diskutiert, sondern es wird auch auf die langfristige Unternehmensausrichtung eingewirkt.

Say on Climate de lege ferenda?

Seit 2018 in Spanien und seit 2022 in der Schweiz sind Unternehmen verpflichtet, ihre nichtfinanzielle Erklärung (mit u.a. Ausführungen zu Klimarisiken) der Hauptversammlung zur Genehmigung vorzulegen. Umfassende nachhaltigkeitsbezogene Berichtspflichten ergeben sich weiter aus der europäischen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die mit großer Wahrscheinlichkeit zeitnah durch die Omnibus-Initiative des europäischen Gesetzgebers einige Anpassungen erfahren wird und deren verspätete Umsetzung in Deutschland in der nächsten Legislaturperiode zu erwarten ist. Allerdings sieht die CSRD eine reine Berichtspflicht und keine Pflicht der Unternehmen vor, ihren Nachhaltigkeitsbericht den Aktionären zur Abstimmung bzw. Genehmigung vorzulegen.

Im Rahmen der letzten Reform des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) im Jahre 2022 wurde von der Wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht e.V. (VGR) vorgeschlagen, eine Anregung in den DCGK aufzunehmen, dass der Vorstand der Hauptversammlung einen Plan zur Reduktion klimaschädlicher Emissionen jedenfalls dann zur Billigung vorlegen sollte, wenn Aktionäre, die mindestens 5 % des Grundkapitals halten oder den anteiligen Betrag von EUR 500.000 erreichen, dies verlangen. Darüber hinaus ging der Vorschlag im Gutachten zum 74. Deutschen Juristentag 2024, ein Say on ESG oder Say on Climate im Aktiengesetz, analog zu den Regelungen des Say on Pay in § 120a AktG, zu verankern – der Vorschlag wurde mit geringer Mehrheit (48:45:5) angenommen.

Fraglich ist allerdings, ob aktuell überhaupt ein derartiger Regelungsbedarf im deutschen Recht besteht. Denn bereits jetzt existiert eine rechtssichere Möglichkeit für den Vorstand, Klimapläne und Berichte freiwillig der Hauptversammlung (insbesondere i.R. eines konsultativen Votums) vorzulegen und so Aktionäre an der Entwicklung der notwendigen und passgenauen Klimastrategie für das Unternehmen mitwirken zu lassen. Es bleibt abzuwarten, ob mit den wachsenden Nachhaltigkeitsanforderungen an Unternehmen und den damit einhergehenden Nachhaltigkeitsberichtsanforderungenmehr Unternehmen die insoweit gesammelten Daten nutzen werden, um ihren Gesellschaftern einen Klimaplanvorzulegen und eine nachhaltige Ausrichtung des Unternehmens auch insoweit zu legitimieren.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Nachhaltigkeit Say on Climate