Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft verfolgt einen sog. New Mobility Approach. Nimmt die Mobilität der Zukunft jetzt Fahrt auf?
Deutschland hat zum 1. Juli 2020 die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Einen der Schwerpunkte der Präsidentschaft bildet der sog. New Mobility Approach. Die Bundesregierung will Mobilität in Europa moderner, innovativer und klimafreundlicher gestalten und spricht von einem neuen innovationszentrierten Ansatz in der Verkehrspolitik.
Klimaschutz, Mobilität und Digitalisierung in einem Ansatz
Der New Mobility Approach kombiniert drei rechtspolitische Ziele: Klimaschutz, Mobilität und Digitalisierung. Diese Ziele sollen zusammen – in einem Ansatz – gedacht werden, um den im Dezember 2019 von der Europäischen Kommission proklamierten sog. Green Deal umsetzen. Als nächsten Schritt will die Bundesregierung den New Mobility Approach in die im Arbeitsprogramm 2020 der Europäischen Kommission für das 4. Quartal 2020 angekündigte „Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität“ einfließen lassen.
Drei Schwerpunkte: Datenaustausch, autonomes Fahren, klimafreundliche Mobilität
Der New Mobility Approach hat aktuell drei noch sehr allgemein formulierte Schwerpunkte: Datenaustausch, autonomes Fahren und klimafreundliche Mobilität:
Datenaustausch: Schaffung einer gemeinsamen Plattform/Open Data
Digitale Lösungen sollen die Effizienz der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur steigern. Die Bundesregierung will hierzu eine gemeinsame Plattform schaffen und die in den einzelnen Mitgliedstaaten vorhandenen Daten besser vernetzen. Hiermit sind beispielsweise Mobilitätsangebote im Personenverkehr gemeint, die verschiedene Transportmittel intelligent verknüpfen. Ein Beispiel wäre eine Bahnfahrt mit einem anschließenden lokalen Car-Sharing-Angebot, um die „letzte Meile“ zurückzulegen.
Im Zusammenhang mit dem Schwerpunkt Datenaustausch fällt auch der Begriff „Open Data„, also über offene Schnittstellen zugängliche Datenbestände. Die Deutsche Bahn z. B. stellt bereits jetzt Fahrpläne und auch Zugdaten über eine offene Schnittstelle bereit. Damit keine Insellösungen entstehen (Stichwort: Interoperabilität) könnte dies – rechtspolitisch gedacht – in eine Pflicht für Mobilitätsanbieter münden, ihre Datenbestände und Systeme einander zugänglich zu machen. Dies wäre vergleichbar mit dem „Open Banking„, das die Zahlungsdiensterichtlinie 2 (PSD2) eingeführt hat.
In diesem Zusammenhang steht auch die von der Bundesregierung organisierte Konferenz „Open Data for Smart Mobility in Europe″ zu datenbasierten Mobilitätsinnovationen. Sie soll am 17. November 2020 stattfinden. In ihrem Fokus stehen Innovationen durch offene Mobilitätsdaten in den Mitgliedstaaten, die bereits jetzt möglich sind. Auch will man der Frage nachgehen, wie in Europa multimodale Verkehrsdaten besser verfügbar und nutzbar gemacht werden können. Dies dürfte darauf abzielen, auf gesetzgeberischem Weg interoperable Standards zu schaffen.
Autonomes Fahren: Ausbau der 5G-Netze und Standards für Car2Car-Communication
Die Bundesregierung betont, wie wichtig ihr europaweit flächendeckende 5G‑Netze und entsprechender Glasfaser-Infrastruktur sind, um die Innovationen im Bereich des autonomen Fahrens voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit der Union zu sichern. Sie plant insoweit, 5G-Netze flächendeckend auszubauen, die Akzeptanz der 5G‑Technologie in der Bevölkerung zu steigern sowie einen besseren Austausch von „Echtzeitdaten“ auf EU‑Ebene voranzutreiben. Erwähnt wird auch „kooperative vernetzte automatisierte Mobilität“. Hierunter dürften unter anderem Standards zu verstehen sein, auf deren Grundlage autonome Fahrzeuge untereinander kommunizieren können (Car2Car-Communication). Einen Aktionsplan oder konkrete Schritte hat die Bundesregierung aber noch nicht vorgelegt.
Klimafreundliche Mobilität: Tank- und Ladeinfrastruktur für elektrischen Straßenverkehr und alternative Kraftstoffe
Die Bundesregierung will die Mobilität konsequent auf klima- und umweltfreundliche Technologien ausrichten. Dafür muss die Tank- und Ladeinfrastruktur europaweit aufgebaut werden. Die Infrastruktur soll interoperabel sowie nutzerfreundlich sein. Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller sollen dieselben Ladesäulen nutzen können. Ihre Betreiber sollen unterschiedliche Zahlungsmethoden akzeptieren.
Für den Straßenverkehr plant die Bundesregierung, die für 2021 von der Europäischen Kommission für 2021 angekündigte Revision der EU‑Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFID-Richtlinie 2014/94/EU) vorzubereiten. Die Richtlinie enthält mehrere Maßnahmepakete, die die EU-Mitgliedstaaten umsetzen müssen. Hierzu zählt gem. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie, im städtischen Raum spätestens bis Ende 2020 eine „angemessene Anzahl von öffentlich zugänglichen Ladepunkten“ für den Straßenverkehr zu errichten. Die Bundesregierung will für die geplante Revision eine „Orientierung“ geben.
Die Bundesregierung organisiert gegenwärtig eine Konferenz am 3. September 2020 zu Tank- und Ladeinfrastruktur für den elektrischen Straßenverkehr („Turning the Page: the next chapter for electric road transport in Europe„), auf der Experten aus europäischen Institutionen, Mitgliedstaaten, europaweiten Interessensverbänden und der Industrie Empfehlungen über die Revision der AFID-Richtlinie diskutieren werden. Schwerpunktmäßig soll es um den elektrischen Straßenverkehr und seinen Anforderungen an eine effiziente und anwenderfreundliche Lade- und Tankinfrastruktur gehen. Daneben stehen u. a. Brennstoffzellen-Pkw auf der Agenda.
Mobilitätspaket I (Straßenverkehr) beschlossen: Verbesserte Arbeitsbedingungen für Kraftfahrer
Am 8. Juli 2020 und damit während der deutschen Ratspräsidentschaft hat das Europäische Parlament das sog. Mobilitätspaket I (Straßenverkehr) beschlossen. Das am 7. April 2020 bereits vom Rat gebilligte Mobilitätspaket soll insbesondere verbesserte Arbeitsbedingungen für Kraftfahrer schaffen. Beispielsweise enthält es neue Regelungen zu Lenk- und Ruhezeiten sowie zum Mindestlohn und Urlaubsanspruch. Zur effizienteren Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten müssen bis spätestens 2025 alle schweren Nutzfahrzeuge (Lastkraftwagen und Busse) mit dem intelligenten Fahrtenschreiber der sogenannten zweiten Version ausgerüstet sein.
Connecting Europe Facility for Transport: Investitionen in die europäische Verkehrsinfrastruktur
Mit dem Programm „Connecting Europe Facility for Transport″ hat die Europäische Union hat ein weiteres Vehikel zur Umsetzung der Ziele der europäischen Infrastrukturpolitik geschaffen. Es soll Investitionen in den Aufbau einer neuen Verkehrsinfrastruktur in Europa und die Sanierung und Modernisierung der bestehenden Infrastruktur unterstützen. Ziel sind grenzüberschreitende Projekte und solche, die Engpässe oder fehlende Verbindungen in der europäischen Verkehrs-Infrastruktur beseitigen. Beispielsweise fördert das Programm Verkehrsmanagementsysteme sowie Innovationen im Verkehrssystem, um die Nutzung der Infrastruktur zu verbessern, die Umweltauswirkungen des Verkehrs zu verringern, die Energieeffizienz zu verbessern und die Sicherheit zu erhöhen. Die Bundesregierung will im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft die derzeit laufenden Verhandlungen für den Finanzrahmen 2021 – 2027 „bestmöglich“ abschließen – und hierbei offenbar auch ihren „New Mobility Approach“ berücksichtigen. Unternehmen dürfen die berechtigten Erwartungen haben, dass die EU der „New Mobility Approach“ künftig insbesondere Projekte fördert, die in einen der drei Schwerpunktbereiche fallen.
„New Mobility Approach“ – innovative Schale, leerer Kern?
„New Mobility Approach“ – das klingt neu und innovativ. Die von der Bundesregierung gesetzten Schwerpunkte sind für die Mobilität der Zukunft in der Tat zentral, wirklich neu sind sie aber nicht. Um endlich Fahrt auf EU-Ebene aufzunehmen gilt es nun, die politischen Absichtserklärungen in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Grenzüberschreitende Mobilitätslösungen erfordern einheitliche Rahmenbedingungen, in denen Innovation und Fortschritt stattfinden können.
Allein mit einem „New Mobility Approach“ wird es nicht getan sein. Er kann nur die grobe Fahrtrichtung bestimmen. Konkrete Maßnahmen oder eine echte Agenda sind noch nicht definiert. Ob der „New Mobility Approach“ ein relevanter Beschleuniger für die Themen der Zukunft in der Mobilität sein wird, muss sich zeigen. Konkreter Gradmesser wird z. B. sein, welche Impulse die Bundesregierung der von der Kommission angestrebten „Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität“ in der Kürze ihrer Ratspräsidentschaft mitgeben kann.