Die Bemessungsgrundlage für nicht abziehbare Schuldzinsen ist begrenzt auf die Summe der Entnahmen (abzgl. Einlagen) aller vorangegangenen Wirtschaftsjahre.
Dies hat der BFH mit Urteil vom 14. März 2018 (Az. X R 17/16) entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung entschieden (vgl. BMF v. 17. November 2005, BStBl. I 2005, 1019 Rz. 11). Die Entscheidung ist insbesondere für Einzelunternehmer und Personengesellschaften im Bereich des Mittelstands von großer Bedeutung.
Betrieblich veranlasste Schuldzinsen nur begrenzt abziehbar (§ 4 Abs. 4a EStG)
Im Fall sog. Überentnahmen sind betrieblich veranlasste Schuldzinsen nicht vollständig abziehbar, sondern dem Gewinn zum Teil hinzuzurechnen. Eine Überentnahme liegt dann vor, wenn die Entnahmen den Gewinn und die Einlagen eines Wirtschaftsjahres übersteigen.
Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert festgelegt mit 6 % der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren Gewinn und Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen). Es wird demnach nicht nur das einzelne Wirtschaftsjahr, sondern alle Perioden seit Inkrafttreten der Vorschrift im Jahr 1999 bis zum Beurteilungsjahr in Bezug genommen.
Das Abzugsverbot beruht laut BFH auf der gesetzgeberischen Vorstellung, dass der Betriebsinhaber dem Betrieb bei negativem Eigenkapital nicht mehr Mittel entziehen darf als er erwirtschaftet und eingelegt hat. Damit werde insbesondere einer Verlagerung von privat veranlassten Schuldzinsen in die betriebliche Sphäre vorgebeugt.
Im Verlustfall wird die gesetzliche Regelung eingeschränkt verstanden
Der Ratio des Verlustabzugsverbots widerspräche es, wenn Schuldzinsen allein deshalb unter dem Gesichtspunkt der „Überentnahme″ nicht abziehbar wären, weil der Steuerpflichtige einen Verlust erwirtschaftet hat, insbesondere dann, wenn er niemals eine Entnahme getätigt hat. Verluste sollen für sich genommen nicht zu einer Kürzung des Schuldzinsenabzugs führen.
Es ist daher anerkannt, dass in einem Verlustjahr bei isolierter Betrachtung dieses Jahres die Überentnahme nicht höher sein darf als die Entnahme und auch nicht höher als die Differenz zwischen Entnahme und Einlage. Die Überentnahme des aktuellen Wirtschaftsjahres ist demnach auf den Entnahmenüberschuss begrenzt. Übersteigen umgekehrt die Einlagen die Entnahmen, wird der Einlagenüberschuss mit dem Verlust verrechnet, so dass der Verlust die Unterentnahme dieses Jahres ggf. bis auf null mindert.
Addition aller Überentnahmen und Unterentnahmen der Totalperiode geboten …
Die Beschränkung des Schuldzinsenabzugs ist periodenübergreifend angelegt. Schuldzinsen für Überentnahmen sind so lange nicht abziehbar, bis die Überentnahmen durch positive Gewinne und Einlagen wieder ausgeglichen sind. So können Schuldzinsen in einem Wirtschaftsjahr unter Umständen selbst dann nicht abziehbar sein, wenn in diesem Jahr keine Überentnahme zu verzeichnen ist. Da Bemessungsgrundlage der nicht abziehbaren Schuldzinsen die Summe der alljährlich zu ermittelnden Überentnahmen und Unterentnahmen seit Inkrafttreten der Vorschrift im Jahr 1999 bis zum Beurteilungsjahr ist, können die nicht abziehbaren Schuldzinsen auch ausschließlich auf Überentnahmen früherer Jahre beruhen.
Bei der periodenübergreifenden Berechnung der Über- und Unterentnahmen sind laut BFH auch Verluste zu berücksichtigen. Da der Verlust das für Entnahmen zur Verfügung stehende Kapital so aufzehrt wie der Gewinn es mehrt, sei es systemgerecht, ihn bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die nicht abziehbaren Schuldzinsen einzubeziehen. Einer Verrechnung mit einem gesondert fortgeführten Verlust (so bislang die Finanzverwaltung) bedürfe es nicht, da die Verluste in vollem Umfang in die Über- und Unterentnahmen der jeweiligen Jahre eingegangen sind.
… aber Entnahmenüberschuss der Totalperiode deckelt die Bemessungsgrundlage
Da aber ein Verlust für sich genommen keine Überentnahme begründen darf, ist die Bemessungsgrundlage der nicht abziehbaren Schuldzinsen des aktuellen Jahres auf den kumulierten Entnahmenüberschuss der Totalperiode zu begrenzen. Der kumulierte Entnahmenüberschuss errechnet sich aus den Entnahmen der Totalperiode abzüglich der Einlagen der Totalperiode.
Auf diese Weise werde sichergestellt, dass ein in der Totalperiode erwirtschafteter Verlust die Bemessungsgrundlage für die nicht abziehbaren Schuldzinsen nicht erhöht. Gleichzeitig sei es dadurch ohne Bedeutung, zu welchem (zufälligen) Zeitpunkt Gewinne oder Verluste, Entnahmen oder Einlagen zu verzeichnen waren. Insbesondere (gestaltbare) Gewinnverschiebungen hätten damit keinen Einfluss auf die Höhe der nicht abziehbaren Schuldzinsen.
Auffassung der Finanzverwaltung nicht vom Gesetz gedeckt
Die Auffassung der Finanzverwaltung, nach welcher der Verlust gesondert festzuhalten und in Folgejahren als zusätzliche Größe mit den Über- und Unterentnahmen aller maßgebenden Jahre zu verrechnen ist, entbehre einer Rechtsgrundlage. Das Gesetz sehe lediglich die Saldierung einer Reihe von Über- und Unterentnahmen vor, aber nicht die Saldierung mit weiteren Rechengrößen. Dieser Auffassung könne daher nicht – auch nicht im Auslegungswege – gefolgt werden.
Auswirkung für die Praxis: Vorausschauende Planung der Entnahmen auch in Gewinnjahren
Die Auffassung des BFH kann für den Steuerpflichtigen in bestimmten Jahren günstiger, in anderen Jahren aber auch nachteiliger sein als der (bisherige) Verrechnungsmodus der Finanzverwaltung.
Da es gleichgültig ist, in welchem Jahr innerhalb der Totalperiode Gewinne oder Verluste erzielt sowie Entnahmen oder Einlagen getätigt wurden, ist der Steuerpflichtige aber zu einer vorausschauenden Planung seiner Entnahmen auch in Gewinnjahren veranlasst, damit diese sich nicht durch spätere Verluste in steuerschädliche Überentnahmen verwandeln.
Dies verkennt auch der BFH nicht, sondern weist explizit darauf hin. Eine durch einen Gewinn gedeckte und insofern guten Glaubens getätigte Entnahme könne sich durch spätere Verluste ohne weiteres in eine Überentnahme verwandeln. Es sei die freie Entscheidung des Unternehmers, ob er im Vertrauen darauf, dass der einmal erzielte Gewinn nicht zum Ausgleich mit künftigen Verlusten benötigt wird, diesen entnimmt oder aus Gründen der Vorsicht stehen lässt.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Finanzverwaltung zu diesem Urteil stellt.