Nach neuem BFH-Urteil kann der unterjährige Hinzuerwerb von Anteilen im Rahmen eines Blockerwerbs der Rückwirkungsfiktion des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG unterfallen.
Am 11. Januar 2024 wurde ein neues Urteil des I. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 06. September 2023 zur Thematik des Blockerwerbs von Anteilen im Rahmen von § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG (unterjähriger Hinzuerwerb von Anteilen) veröffentlicht (I R 16/21). Hiernach kann durch einen aus Sicht des Erwerbers wirtschaftlich einheitlichen Vorgang der unterjährige Hinzuerwerb von Anteilen im Rahmen eines Blockerwerbs § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG unterfallen.
Problemaufriss: Unterjähriger Hinzuerwerb von Anteilen
Gewinnanteile (Dividenden) und sonstige Bezüge aus bspw. GmbH-Geschäftsanteilen oder aus beteiligungsähnlichen Genussrechten bleiben bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres (unmittelbar) mindestens 10 % des Grund- oder Stammkapitals betragen hat (sog. Schachtelprivileg, §§ 8b Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 KStG). Für Zwecke des Schachtelprivilegs gilt der Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 % als zu Beginn des Kalenderjahres erfolgt (Rückwirkungsfiktion, § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG). Für Streubesitzanteile sieht § 8b Abs. 4 KStG eine Steuerpflicht für entsprechende Erträge vor.
Für den Fall, dass eine Mitunternehmerschaft zwischen Anteilsinhaber und Gesellschaft zwischengeschalten ist, bestimmt § 8b Abs. 4 Satz 4 HS 1 KStG, dass Beteiligungen über eine Mitunternehmerschaft dem Mitunternehmer anteilig zuzurechnen sind. Eine dem Mitunternehmer nach dieser Vorschrift zugerechnete Beteiligung gilt für die Anwendung dieses Absatzes als unmittelbare Beteiligung (§ 8b Abs. 4 Satz 5 KStG). Die Vorschrift gilt nur für gewerbliche Personengesellschaften (Mitunternehmerschaften). Eine Sonderregelung für vermögensverwaltende Personengesellschaften ist nicht notwendig, da die Anteile den Gesellschaftern gem. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO anteilig zugerechnet werden.
Sachverhalt: Unterjähriger Erwerb von Anteilen
Streitig ist die Behandlung eines unterjährigen Hinzuerwerbs von Anteilen von mehreren Veräußerern im Hinblick auf das körperschaftsteuerliche Schachtelprivileg.
Die Klägerin, eine KG, hielt sämtliche Anteile an der A-GmbH. Persönlich haftende und nicht am Kapital beteiligte Gesellschafterin der Klägerin war die F-GmbH. Die Klägerin übte unstreitig eine gewerbliche Tätigkeit i. S. d. § 15 Abs. 2 EStG und war dementsprechend eine Mitunternehmerschaft. Es bestand zudem eine ertragsteuerliche Organschaft zwischen der Klägerin und der A-GmbH, wonach den Mitunternehmern das Einkommen der A-GmbH anteilig zuzurechnen war. Die E-GmbH erwarb 12,94 % des Kapitals der Klägerin, wobei der Erwerb der E-GmbH von drei Veräußerern zu jeweils 5,21 %, 1,76 % und 5,97 % (d.h. jeweils unter 10 %) in einer notariellen Urkunde erfolgte.
Im Streitjahr flossen der Klägerin aus ihrer Beteiligung an der A-GmbH – neben dem aufgrund der ertragsteuerlichen Organschaft zuzurechnenden Einkommen der Organgesellschaft – auch Mehrabführungen aus vororganschaftlicher Zeit zu, wovon ein Anteil auf die Mitunternehmerin E-GmbH entfiel. Diese wurden im Streitjahr als eine nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG steuerbefreite Ausschüttung behandelt.
Finanzamt lehnte Einspruch ab; Finanzgericht urteilte zugunsten der Klägerin
Dem folgte das Finanzamt nicht. Die besonderen Voraussetzungen des Schachtelprivilegs hätten bei der E-GmbH nicht vorgelegen, weil sie ihre gesellschaftsrechtliche Beteiligung von 12,94 % des Kapitals unterjährig von drei verschiedenen Veräußerern erworben habe, wobei die jeweils erworbenen Teil-Kommanditanteile die Beteiligungsschwelle von 10 % für sich genommen jeweils nicht erreicht hätten. Das Finanzamt verwies hierbei auf Beispiel Nr. 5 in der Rundverfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) Frankfurt am Main vom 16. August 2021 (S 2750a A-027-St 52), worin Folgendes geregelt ist:
Keine Beteiligung zu Beginn des Jahres, Hinzuerwerb von 5 % von Veräußerer 1 und 5 % von Veräußerer 2: Die Regelung des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG ist nicht anzuwenden, da nicht in einem Erwerbsvorgang mindestens 10 % erworben werden.
Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin dagegen Klage vor dem Hessischen Finanzgericht (FG). Das FG gab der Klage mit Urteil vom 15. März 2021 (6 K 1163/17) statt. Hiergegen legte das Finanzamt Revision beim BFH ein.
Revision beim BFH: Blockerwerb von Anteilen kann § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG unterfallen
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück, da die in § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG angeführte Beteiligungsschwelle durch einen aus Sicht des Erwerbers wirtschaftlich einheitlichen Erwerbsvorgang auch dann erreicht werden kann, wenn an diesem Vorgang mehrere Veräußerer beteiligt sind.
Zunächst stellt der BFH in seinem Urteil vorab fest, dass die Norm des § 8b Abs. 4 KStG verfassungskonform ist. Dies hat der Senat bereits mit Urteil vom 18. Dezember 2019 (I R 29/17) entschieden. Die gegen dieses Urteil erhobene Verfassungsbeschwerde war erfolglos (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 8. März 2022 – 2 BvR 1832/20). Zwar liegt der Norm des § 8b Abs. 1 KStG die Intention zu Grunde, dass im System des (damaligen) Halb- beziehungsweise (heutigen) Teileinkünfteverfahrens erwirtschaftete Gewinne nur einmal bei der erwirtschaftenden Körperschaft mit Körperschaftsteuer und erst bei der Ausschüttung an natürliche Personen als Anteilseigner mit Einkommensteuer zu belasten sind (Vermeidung von Kumulations- bzw. Kaskadeneffekten bei Beteiligungsketten). Allerdings erfüllt die Norm auch die verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen qualifizierten Fiskalzweck, soweit sie sinngemäß der Herstellung einer unionsrechtskonformen Rechtslage zur Abgrenzung der Besteuerungshoheiten betroffener Staaten dient.
Weiterhin stellt der BFH fest, dass der Wortlaut der Regelung („der Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 %“) doppelt Singular verwendet („der“ Erwerb „einer“ Beteiligung) und dies dahin gedeutet werden kann, dass in einem einzelnen einheitlichen (Erwerbs-)Vorgang 10 % der Anteile erworben werden müssen und für den Fall des unterjährigen Erwerbs „einer Beteiligung“ auf den Erwerb eines „Anteilspakets“ abzustellen ist. Allerdings wird im Tatbestand des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG ebenfalls von „der Beteiligung“ gesprochen und dort wird nicht danach unterschieden, wann und von wem die entsprechenden Anteile erworben worden sind. Hieraus schließt der BFH, dass es der Wortlaut des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG zulässt, die Frage aus Sicht des Erwerbers zu beurteilen und darauf abzustellen, ob ein wirtschaftlich einheitlicher Erwerbsvorgang vorliegt oder nicht.
Der BFH begründet seine Entscheidung mit der Entstehungsgeschichte und dem Normzweck
Entstehungsgeschichte: Nach Begründung des Finanzausschusses (BR-Drucksache 632/1/12, S. 33) sollte, um Verwerfungen zu vermeiden, der Ersterwerb oder der Hinzuerwerb einer mindestens 10 %igen Beteiligung innerhalb eines Veranlagungszeitraums auf den Beginn des Veranlagungszeitraums zurückbezogen werden, sodass für diesen Zeitraum die Streubesitzregelung keine Anwendung findet. Denn ohne diese Rückbeziehung wäre auf Beteiligungen, die im Laufe eines Veranlagungszeitraums erworben werden, stets die Streubesitzregelung anzuwenden, dies selbst bei unterjährigem Erwerb einer 100 %igen Beteiligung. Hier wird zwar wiederum mehrfach der Singular verwendet („der“ Ersterwerb oder „der“ Hinzuerwerb „einer“ mindestens 10 %igen Beteiligung), allerdings sind Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bezogen auf die Regelung des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG die Vorstellung gehabt haben könnte, dass der Erwerb nur von einem Veräußerer erfolgen dürfe, nicht erkennbar.
Normzweck: Die unterschiedliche Behandlung der Erträge aus Beteiligungen wurde damit gerechtfertigt, dass bei einer Streubesitzbeteiligung – im Gegensatz zu einer Schachtelbeteiligung – diese als Kapitalanlage angesehen wird, da hier häufig auch keine dauerhafte Beteiligung an der Unternehmung angestrebt wird. Dementsprechend könne der Anteilseigner aufgrund der Höhe seiner Beteiligung keinen unternehmerischen Einfluss auf die Entscheidungen bei der Kapitalgesellschaft ausüben, während bei einer Beteiligung von mindestens 10 % regelmäßig ein betriebliches Engagement des Anteilseigners unterstellt werden könne (so BR-Drucksache 632/1/12, S. 33).
Der BFH stellt weiter fest, dass es aus der maßgeblichen Sicht des Erwerbers und angesichts des Ausnahmecharakters des § 8b Abs. 4 KStG keinen Unterschied machen kann, ob der Erwerb von einem Veräußerer oder von mehreren Veräußerern erfolgt, weil entscheidend sein muss, dass durch den Erwerb der Beteiligung von mindestens 10 % ein unternehmerischer Einfluss auf die Entscheidungen bei der Kapitalgesellschaft ausgeübt werden kann oder nicht. Ob ein entscheidender Einfluss ausgeübt werden kann, hängt aber nicht von der Zahl der Veräußerer, sondern allein von der erworbenen Beteiligung ab.
Der BFH stellt hervor, dass dies jedenfalls dann ausreichend sein muss, wenn die maßgebliche Beteiligung von mindestens 10 % aus Erwerbersicht in einem wirtschaftlich einheitlichen Vorgang, damit aufgrund eines einheitlichen Erwerbsentschlusses in kausalem und zeitlichem Zusammenhang, erworben wird. Dass vorliegend die Beteiligung von mehreren Veräußerern aufgrund eines einheitlichen Entschlusses durch ein einheitliches schuldrechtliches Rechtsgeschäft erworben worden ist, da der Erwerb in einer einheitlichen notariellen Urkunde auf einem einheitlichen Erwerbsentschluss beruht, und auf einen einheitlichen Erwerbszeitpunkt erfolgt ist, hat das FG festgestellt und an diese Feststellungen ist der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden.
Aussagekraft des BFH-Urteils über die Besonderheiten des Streitfalls hinaus?
Das BFH-Urteil erging vorliegend im Hinblick auf die Besonderheiten des Streitfalls, namentlich ein einheitlicher Erwerbsentschluss, ein einheitliches schuldrechtliches Rechtsgeschäft, eine einheitliche notarielle Urkunde und ein einheitlicher Erwerbszeitpunkt.
Die Frage zur Anwendbarkeit des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG in sonstigen Fällen von mehreren (Teil‑) Erwerben lässt der BFH offen, da diese vorliegend nicht entscheidungserheblich ist. Eventuell könnte die Aussage des BFH, wonach es nicht zu beanstanden sei,
wenn der Gesetzgeber bezogen auf den unterjährigen Erst- oder Hinzuerwerb einer Beteiligung an die genannte Grenze anknüpft und die den Steuerpflichtigen begünstigende Rückwirkungsregelung in § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG so ausgestaltet, dass auf den einzelnen Erwerb abgestellt wird
insofern als Tendenz zu werten sein.