6. September 2018
Entschädigung Verfahrensdauer
Steuerrecht

Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer vor den Finanzgerichten

Der Steuerpflichtige hat wenig Einfluss auf die Dauer der Steuerverfahren. Aber: bei überlanger Verzögerung vor dem Finanzgericht gibt es eine Entschädigung.

Wenn es darum geht, an das Geld der Steuerpflichtigen zu kommen, kann es dem Finanzamt kaum schnell genug gehen. Der Finanzbeamte hat verschiedene Instrumente in seinem Werkzeugkasten, um die Mitwirkung des Steuerpflichtigen zu befördern:

  • Zunächst besteht die gesetzliche Pflicht des Steuerpflichtigen (bei einer natürlichen Person), eine Steuererklärung bis spätestens Ende Juli des Folgejahres einzureichen, § 149 Abs. 2 Satz 1 AO – soweit die Steuergesetze dies Vorschreiben. Die Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung ergibt sich aus § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG. Diese Pflicht ist für Fälle eingeschränkt, in denen keine Veranlagung vorgenommen wird, siehe § 56 EStDV und § 46 EStG.
  • Bei nicht rechtzeitiger Einreichung der Steuererklärung kann nach § 152 AO ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden (noch einmal verschärft ab 2019).
  • Etwaige Steuernachforderungen werden nach § 233a AO mit 6 % p. a. verzinst, beginnend 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (wobei die Höhe dieser Zinsen ab 2015 verfassungsrechtlich zumindest zweifelhaft ist, siehe BFH, Beschluss vom 25.4.2018 – IX B 21/18).
  • Die Festsetzung von Zwangsgeldern ist möglich (§§ 328 ff., zu beachten ist § 393 Abs. 1 Satz 2 AO).
  • Natürlich kann die Finanzverwaltung bei fehlender Steuererklärung die Besteuerungsgrundlagen auch schätzen (siehe § 162 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AO). Die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung entfällt auch nicht, wenn die Finanzbehörden die Besteuerungsgrundlagen geschätzt haben (§ 149 Abs. 1 Satz 4 AO).
  • Schließlich ist bei Nichtentrichtung der festgesetzten Steuer nach § 240 AO ein Säumniszuschlag zu bezahlen.

Der Steuerpflichtige hat dagegen faktisch nur wenig Einfluss auf die Dauer des Besteuerungsverfahrens. Er erhält bei einer langen Verfahrensdauer aber die Kompensation in Form von Erstattungszinsen, sollte er denn bezahlte Steuern erstattet bekommen.

Entschädigung für überlange Verfahrensdauer vor den Finanzgerichten

Weniger bekannt ist die Regelung, dass man für eine unangemessen lange Verfahrensdauer angemessen zu entschädigen ist. Sie gilt für alle gerichtlichen Verfahren und damit auch für Finanzgerichtsverfahren.

Das Finanzgericht anrufen kann man im Steuerverfahren in der Regel leider erst, wenn die Finanzbehörden über das außergerichtliche Rechtsmittel (Einspruch) entschieden haben, vgl. § 44 Abs. 1 FGO. Frühestens wenn die Finanzbehörden nicht innerhalb von einem halben Jahr über einen eingelegten Einspruch entscheiden, kann man an eine Untätigkeitsklage denken, siehe § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO. Allerdings sind die Finanzgerichte insbesondere bei komplexeren Sachverhalten nur ungern bereit eine Untätigkeitsklage nach sechs Monaten für zulässig zu erklären. Selten ist auch eine Sprungklage ohne außergerichtliches Vorverfahren nach § 45 FGO möglich.

Sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt, ist es möglich, vor Gericht für sein Recht zu streiten. Die übliche Verfahrensdauer vor den Finanzgerichten liegt zwischen ein und zwei Jahren. Beim FG Baden-Württemberg beispielsweise 12,9 Monate im Jahr 2017, wobei die Dauer natürlich von der Komplexität des Streitstoffes abhängt. Lässt sich aber das Finanzgericht unangemessen viel Zeit für die Bearbeitung, muss das Bundesland, in dem das Finanzgericht seinen Sitz hat, Entschädigung bezahlen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Verfahrensdauer von über zwei Jahren in der Regel unangemessen.

Sachverhalt: Klageerhebung im November 2012, Verfahrensende April 2016

Zuletzt hat der BFH mit Urteil vom 29. November 2017 (Az. X K 1/16) über die Entschädigungsklage eines Steuerpflichtigen entschieden. Eine Entschädigungsklage für überlange Verfahrensdauer im Finanzgerichtsverfahren ist direkt beim Bundesfinanzhof zu erheben.

Die Klägerin erhob am 10. Juli 2012 beim FG Köln Klage und begründete diese am 6. September 2012. Das Finanzamt erwiderte auf die Klage mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2012. Am 1. Januar 2013 kam es aufgrund einer Änderung des senatsinternen Geschäftsverteilungsplans zu einem Wechsel des Berichterstatters. Mit weiterem Schriftsatz vom 9. Januar 2013 nahm die Klägerin zur Klagerwiderung des Finanzamts Stellung.

Bereits am 11. Januar 2013 erhob die Klägerin ihre erste Verzögerungsrüge. Es bestehe die Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit, die nach der Rechtsprechung des EGMR regelmäßig ein Jahr betrage, abgeschlossen werde. Das FG antwortete hierauf nicht. Am 14. Februar 2013 nahm das Finanzamt zu weiteren einzelnen Streitpunkten Stellung und wies darauf hin, dass es nun weitere Stellungnahmen für entbehrlich halte. Am 30. August 2013 erhob die Klägerin ihre zweite Verzögerungsrüge. Hierauf erhielt die Klägerin die Antwort der Senatsvorsitzenden, dass aufgrund der erheblichen Belastung des Senats mit älteren und komplexen Verfahren eine kurzfristige Terminierung nicht zu erwarten sei und das Verfahren hoffentlich im Jahr 2014 abgeschlossen werden könne. Eine Verfahrensförderung im Jahr 2014 war allerdings nicht zu erkennen.

Am 01.01.2015 kam es erneut zu einem Wechsel des Berichterstatters. Am 14. Juli 2015 erhob die Klägerin ihre dritte Verzögerungsrüge. Die Berichterstatterin erläuterte hierauf die weiteren Verzögerungen in Bezug auf den Abschluss des Verfahrens und sagte eine kurzfristige Bearbeitung mit dem Ziel der Verfahrensbeilegung im Jahr 2015 zu. Am 4. Dezember 2015 fragte die Berichterstatterin bei allen Beteiligten an, ob ihnen eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 18. Februar 2016 möglich sei. Die für den 18. Februar 2016 terminierte Beweisaufnahme musste allerdings wegen einer Verhinderung verschoben werden. Im Rahmen der nunmehr für den 7. April 2016 terminierten mündlichen Verhandlung einigten sich die Partien auf eine einvernehmliche Lösung der diversen Streitpunkte und erklärten den Rechtsstreit wechselseitig für erledigt. Die Kosten des Verfahrens hatte die Klägerin zu 40 % und das Finanzamt zu 60 % zu tragen.

BFH: volle Entschädigung für den Steuerpflichtigen wegen überlanger Verfahrensdauer

Am 24. Mai 2016 erhob die Klägerin Entschädigungsklage beim BFH. Für ein überlanges Gerichtsverfahren im Umfang von 16 Monaten verlangte sie pro Monat EUR 100,00 Entschädigung, also insgesamt EUR 1.600,00. Das beklagte Land Nordrhein-Westfalen erkannte die Klage in Höhe von EUR 1.000,00 an und beantragte wegen der sofortigen Erledigung der Klägerin die Kosten aufzuerlegen. In Höhe von EUR 600,00 beantragte der Beklagte die Klageabweisung.

Die Klage war vollumfänglich erfolgreich. Sämtliche Kosten mussten durch den Beklagten getragen werden – auch solche, die auf den erledigten Teil entfielen. Der BFH entschied, dass die Dauer des Verfahrens nach § 198 GVG unangemessen war, insgesamt bestand eine Verzögerung von 16 Monaten. Bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, das im Vergleich zu einem typischen in dieser Gerichtsbarkeit zu bearbeitenden Verfahren keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, kann die Vermutung aufgestellt werden, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen. Zudem darf die „dritte″ Phase des Verfahrensablaufs dann nicht für nennenswerte Zeiträume unterbrochen werden, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt. Diese Vermutung gilt dann nicht, wenn der Verfahrensbeteiligte rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise auf Umstände hinweist, aus denen eine besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens resultiert. Hiernach hätte das Gericht zwei Jahre nach Einreichung der Klage, also ab August 2014 das Verfahren vorantreiben müssen. Bereits im Februar 2013 hatte das Finanzamt weitere Stellungnahmen für entbehrlich erklärt. Somit wurde das Verfahren ab August 2014 verzögert. Erst ab Dezember 2015 wurde das Verfahren sachgerecht betrieben, mit dem Ergebnis der Einigung in der Hauptverhandlung am 7. April 2016.

Der Klägerin steht auch für den Zeitraum August 2014 bis Januar 2015 eine Entschädigung für den immateriellen Schaden in Höhe von EUR 600,00 zu. Die Verzögerungsrüge aus Juli 2015 ist nach Ansicht des Senats nicht als verspätet anzusehen. Zwar hat der erkennende Senat die unbeschränkte Rückwirkung der Verzögerungsrüge verneint, da dies nicht dem präventiven Aspekt des Gesetzes entspricht. Vermieden werden sollte ein unzulässiges Dulden und Liquidieren. Daher hat der erkennende Senat für den Regelfall einen Zeitraum von rund sechs Monaten, für den die Verzögerungsrüge zurückwirkt, als angemessen und zumutbar angesehen. Ein solcher Regelfall war allerdings vorliegend nicht gegeben, eine beschränkte Rückwirkung der Verzögerungsrüge nicht gerechtfertigt. Auf die zweite Verzögerungsrüge hatte die Klägerin die Antwort des Senatsvorsitzenden erhalten, dass im Jahr 2014 mit einer Beendigung des Verfahrens zu rechnen sei. Dass man nach Ende der avisierten Bearbeitungszeit noch ein halbes Jahr gewartet habe, bis man eine weitere Rüge erhoben habe, hat der Senat als nachvollziehbares Abwarten angesehen.

Der Senat sah weiterhin keinen Grund, über den beantragten Mindestbetrag der Entschädigung hinauszugehen. Zwar kann das Gericht gemäß § 198 Absatz 2 Satz 4 GVG in Fällen der „Unbilligkeit“ einen höheren oder niedrigeren als den im Gesetz genannten Pauschalbetrag für Nichtvermögensnachteile festsetzen. Soweit die Höhe des Entschädigungsanspruchs hingegen maßgeblich durch die Dauer der Verzögerung bestimmt wird, ist es dem Entschädigungskläger zuzumuten, sich in seinem Klageantrag auf die Annahme einer bestimmten Dauer der Verzögerung festzulegen.

Auch volle Kostentragungslast für den Beklagten

Der Senat stellt weiter fest, dass der Beklagte zwar die Summe in Höhe von EUR 1.000,00 sofort im Sinne von § 93 ZPO anerkannt hat. Grundsätzlich würde die Klägerin damit das Kostenrisiko tragen, wenn sie ohne vorherige außergerichtliche Geltendmachung den Anspruch sofort einklagt. Vorliegend ist allerdings aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls eine Auferlegung der Kosten für die Klägerin als unbillig anzusehen. Denn den Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist in einem anderen Entschädigungsbegehren im Jahr 2012 durch den Vorsitzenden des dort betroffenen Senats schriftlich mitgeteilt worden, ihm werde anheimgestellt, das Entschädigungsbegehren durch Klage beim BFH zu verfolgen. Das Finanzgericht sei für die Festsetzung von Entschädigungen gemäß § 198 GVG nicht zuständig. Es sei daher nichts weiter zu veranlassen.

Auch 2017 hat der Prozessbevollmächtigte noch ein identisches Schreiben erhalten. Bei dem Prozessvertreter der Klägerin konnte aufgrund der klaren Aussage in dem Schreiben aus dem Jahr 2012 der Eindruck entstehen, diese Auffassung sei abgestimmt und werde im FG geteilt. Unter diesen konkreten Umständen des Einzelfalles erschien es dem Senat unbillig, von der Klägerin im Jahr 2016 bei diesem konkreten Gericht erneut eine vorherige Zahlungsaufforderung zu verlangen, um der Kostenpflicht bei einem sofortigen Anerkenntnis zu entgehen.

Fazit: Verzögerungsrüge zum richtigen Zeitpunkt kann zum Erfolg führen

Das Entschädigungsverfahren nach §§ 198 ff. GVG gewährt dem Steuerpflichtigen einen immateriellen Ausgleich für etwaige Nachteile aus einer unangemessen langen Verfahrensdauer, wobei die Höhe der Entschädigung eher als symbolisch betrachtet werden kann. Ein Verschulden ist keine Voraussetzung für die Entschädigung, da es eine Notwendigkeit der Rechtsstaatlichkeit ist, ein funktionierendes Gerichtswesen bereit zu stellen. Dass die Entschädigung nur für das gerichtliche Verfahren greift und nicht auch bereits für das vorgelagerte behördliche Verfahren, ist bedauerlich. Denn die größten Verzögerungen entstehen oft bei der (endgültigen) Festsetzung der Steuer. Auch eine effiziente Verwaltung ist ein Imperativ der Rechtsstaatlichkeit, liegt doch die Ausführung der Gesetze dort.

Für den Steuerpflichtigen ist das Urteil des Bundesfinanzhofs erfreulich. Um jeden Zweifel in Bezug auf die Wirksamkeit der Verzögerungsrüge auszuschließen, ist es ratsam, diese erst nach einem zeitlichen Ablauf von zwei Jahren zu erheben, außer es liegen bereits vorher klare objektive Anhaltspunkte für eine Verzögerung vor. Auch empfiehlt es sich, die Entschädigungszahlung zunächst außergerichtlich gegen den haftenden Rechtsträger (für die Finanzgerichte sind das die jeweiligen Bundesländer) geltend zu machen. Dies kann nach Auffassung des BFH direkt bei dem die Verzögerung zu verantwortenden Senat erfolgen. Ansonsten kann die Auferlegung der Kosten für die Entschädigungsklage drohen.

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