14. Januar 2013
Steuern
Steuerrecht

Gérard, Wladimir und der Vaterlandsverrat – steuerrechtlich alles umsonst?

Lustige Meldungen kommen dieser Tage aus Russland, das eigentlich noch im staatlich verordneten Winterschlaf liegen sollte: Der große Gérard Depardieu, eigentlich französischer Nationalheld, taucht nach lautstarkem Streit mit seinem Heimatstaat zu einem weihnachtlichen Besuch bei seinem Freund Wladimir auf, der ihn an seinem Ferienort Sotschi empfängt und gleich mit einem russischen Pass ausstattet!

Dann noch hübsche Bilder mit Gérard im russischen Kittel vor der absurd trostlosen Szenerie einer Großbaustelle des provinziellen Saransk, wo er sich gleich eine Wohnung in dem Betonsilo aussuchen darf, das aber wohl erst einmal nicht tut. Und all das begleitet mit lautem Geschimpfe in Frankreich, wo der französischste aller Schauspieler plötzlich ein Vaterlandsverräter ist und Unverständnis andernorts für die Elogen, die er plötzlich über seinen Freund Wladimir in jedes Mikrofon spricht. Und das alles nur wegen der Steuern?

Wir haben da so unsere Zweifel.

Sollten tatsächlich nur Steuerfragen der Grund gewesen sein für all den Radau (und nicht vielleicht einfach nur die Lust am Skandal), dann wäre die Geschichte vom neuen Russen Depardieu nicht nur höchstgradig skurril, sondern einfach nur ein großes Missverständnis. Uns gibt sie Anlass, einige Grundprinzipien des internationalen und des russischen Steuerrechts einmal kurz zu rekapitulieren:

Russland bietet mit einem Einkommensteuersatz von 13 % auf das Einkommen eines russischen Steuerresidenten (terminologisch eingedeutscht: der in Russland unbeschränkt steuerpflichtigen Person) einen der niedrigsten persönlichen Steuersätze weltweit. Eine Progression gibt es nicht. Unabhängig von der Höhe des Einkommens gilt der Einheitssatz. Diese Tatsache ist mit der Depardieu-Posse wohl erstmalig der Öffentlichkeit ins Bewusstsein geraten. Insofern war die Geschichte ein echter Publicity-Coup für Russland, und bis hierher ist sie auch gar nicht falsch.

Wo Du wohnst und verdienst, da sollst Du Steuern zahlen

Nur: Der triumphierend in die Höhe gehaltene russische Pass hat mit der Steuerpflicht in Russland rein gar nichts zu tun. Und weiter wirkt er selbstverständlich auch nicht steuerbefreiend dem französischen Fiskus gegenüber. Dafür kommt es nämlich nicht auf die Staatsangehörigkeit, sondern wesentlich auf den tatsächlichen Aufenthaltsort des Steuerpflichtigen und auf den Ort der Einkommensquelle an.

Das Grundprinzip des internationalen Steuerrechts besagt recht simpel, dass eine Person dort steuerpflichtig ist, wo sie ihren Wohnsitz hat. Dieses Kriterium reicht immer aus, wenn diese Person sich nicht weiter bewegt. Reist diese Person jedoch und kommt sie mit weiteren Staaten in Berührung, wird die Situation komplex: Jeder dieser Staaten will dann Steuern von dieser Person erheben. Dem potentiell multiplen Steuerpflichtigen wird dann schnell klar, dass er sich der Besteuerung legal nicht entziehen kann. Lediglich vor einer doppelten Besteuerung kann er sich noch schützen. Dabei helfen die Regeln der zwischenstaatlichen Doppelbesteuerungsabkommen, die letztendlich regeln, welcher Staat das Zugriffsrecht auf das Einkommen des Steuerpflichtigen hat.

Zurück zum neuen Russen Gérard: Der hatte bislang seinen Wohnsitz in Frankreich, gibt diesen aber nach eigenen Verlautbarungen jetzt auf. Mangels Wohnsitzes ist der dauernde Aufenthalt maßgeblich. Kann dieser nicht festgestellt werden, gilt der Ort, an dem der Steuerpflichtige seinen Lebensmittelpunkt hat als Anknüpfungspunkt für die Steuerpflicht.

Von Baustellen und Weingütern in der Provinz

Die Baustelle in Saransk erscheint vor diesem Hintergrund in einem ganz neuen Licht: Dort nämlich liegt der Schlüssel zum russischen Steuerparadies! Nur, wenn unser neuer Russe sich dort (oder eben anderswo in Russland) dauerhaft niederließe, seinen Wohnsitz dort wählte oder wenigstens seinen dauernden Aufenthalt und Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hätte, käme er in den Genuss des niedrigen Steuersatzes. Und auch das gälte nur, wenn er sich physisch mehr als die Hälfte des Jahres (genau: 183 Tage im Jahr) dort tatsächlich aufhielte. Andernfalls wäre er nach russischen Regeln kein Steuerresident. Dann gälte für seine in Russland bezogenen Einkünfte ein erhöhter Einkommenssteuersatz von 30% (statt der inländischen 13%); seine übrigen Einkünfte wären anderswo zu versteuern. Und selbst wenn der Neurusse Gérard all dies auf sich nähme und russischer Steuerresident würde, könnten seine Einkünfte weiterhin eventuell außerhalb Russlands zu versteuern sein – dann nämlich, wenn die Quelle der Einkünfte im (von Russland aus gesehen) Ausland liegt und das Doppelbesteuerungsabkommen dem Staat, in dem sich die Einkunftsquelle befindet, das Besteuerungsrecht zuspricht. Das gälte wohl jedenfalls für das Weingut des Herrn Depardieu im schönen Anjou: Diese Quelle lässt sich nicht von Frankreich lösen; die Besteuerung der Einkünfte daraus erfolgt weiter in Frankreich.

Vielleicht, um sich zu trösten, sollte Gérard den lauten Skandal wenigstens für eine Vermarktungsoffensive für seinen Wein in Russland nutzen: Anders als anderswo auf der Welt ist das Anjou und seine Weine in Russland wohlbekannt – und auch das aus leicht skurrilem – literarischem – Grund: Die drei Musketiere des Herrn Dumas sprechen gerade diesem Wein häufig und gerne zu. Und das weiß der literaturbeflissene Russe noch heute!

Thomas Heidemann & Pavel Vasin

CMS Moskau ist mit über 90 Anwälten eines der großen internationalen Büros vor Ort. CMS berät Mandanten in allen Bereichen des Wirtschaftsrechts. CMS betont auch in Moskau den europäischen Ansatz: Das Team besteht aus russischen, englischen, französischen und deutschen Anwälten und Steuerberatern, die in der Sprache des Mandanten sowie in Russisch arbeiten. Das deutsche Team ist im German Desk organisiert, der deutschsprachige Beratung im russischen Recht durch deutsche und russische Anwälte anbietet, die sprachlich und juristisch in beiden Ländern zu Hause sind. Unser Autor Thomas Heidemann ist Leiter, unser Autor Pavel Vasin Mitglied des German Desk.

In unserer Serie „CMS in Central and Eastern Europe“ berichten unsere Büros aus Mittel- und Osteuropa regelmäßig über aktuelle Themen vor Ort.

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