Die AVMD-Richtlinie wurde überarbeitet. Wir stellen die wichtigsten Änderungen vor.
Am 18. Dezember 2018 trat die lang erwartete Änderungsrichtlinie zur Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) in Kraft. Der europäische Gesetzgeber verfolgte mit der Überarbeitung das Ziel, einen angemessenen Rechtsrahmen für eine sich verändernde Medienlandschaft mit einem im Umbruch begriffenen Konsumentenverhalten zu schaffen.
Insbesondere junge Europäer nutzen traditionelle audiovisuelle Mediendienste wie das Fernsehen immer seltener und greifen vermehrt auf Online-Inhalte zurück, die auch über mobile Endgeräte beliebig abrufbar sind. Zugleich rechnet die Europäische Kommission für 2019 mit einem Anstieg des Anteils von Internetvideos am weltweiten Internetverkehr auf 80%.
Video-Sharing-Plattformen von AVMD-Richtlinie erfasst
Der Anwendungsbereich der Richtlinie wurde auf sog. Video-Sharing-Plattformen (VSP) erweitert. Damit sind Dienste gemeint, deren Hauptzweck oder wesentliche Funktion darin besteht, dass Sendungen oder nutzergenerierte Videos, für die der VSP-Anbieter keine redaktionelle Verantwortung trägt, auf elektronischem Wege für die Allgemeinheit bereitgestellt werden. Der Anbieter einer VSP bestimmt nur ihre Organisation, nicht hingegen die Inhalte. Damit werden neben bedeutenden Diensten wie YouTube auch audiovisuelle Inhalte, die von Nutzern in sozialen Medien wie Facebook oder auf eigenständigen Teilen von Zeitungswebsites verbreitet werden, in den Blick genommen.
Die Anforderungen, die an VSP-Anbieter gestellt werden, bleiben indes überschaubar. Die geänderte AVMD-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, Sorge zu tragen, dass die ihrer Rechtshoheit unterliegenden VSP-Anbieter angemessene Maßnahmen treffen, um die Allgemeinheit etwa vor Inhalten zu schützen, die zu Gewalt oder Hass aufstacheln. Gleiches gilt für den Schutz Minderjähriger vor Inhalten, die ihre körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung beeinträchtigen können. Solche Maßnahmen müssen durchführbar und verhältnismäßig sein und dürfen weder zu Vorab-Prüfpflichten (dies würde im Widerspruch zu § 7 Abs. 2 TMG stehen) noch zur Filterung von Inhalten führen. VSP-Anbieter müssen jedoch unter anderem den Ausschluss solcher Inhalte in ihre Geschäftsbedingungen aufnehmen, ihren Nutzern technisch die Möglichkeit einräumen, solche Inhalte zu melden, und ein Feedback-System für entsprechende Meldungen schaffen.
Auch den Betrieb von Systemen zur Altersverifikation sowie zur Kontrolle durch Eltern in Bezug auf für Minderjährige schädliche Inhalte nennt die Richtlinie als zweckmäßige Maßnahmen. Auf diese Weise wird in dem von Kindern und Jugendlichen besonders frequentierten VSP-Bereich ein Minderjährigenschutz etabliert, den die Richtlinie bislang nur für andere Arten von Diensten gewährleistet hatte.
Zudem etabliert die Änderungsrichtlinie bestimmte Transparenzpflichten in Bezug auf kommerzielle Kommunikation, insbesondere für Fernsehwerbung, Sponsoring, Teleshopping und Produktplatzierungen. Diese muss leicht als solche zu erkennen sein und darf keine Techniken der unterschwelligen Beeinflussung einsetzen. Daneben bestehen verschiedene inhaltliche Anforderungen an kommerzielle Kommunikation. Sie darf weder die Menschenwürde verletzen noch diskriminierend sein oder Verhaltensweisen fördern, welche die Gesundheit, Sicherheit oder den Umweltschutz gefährden. Insgesamt betreffen die Anforderungen maßgeblich die Organisation der VSP. Damit tragen die Regelungen dem Umstand Rechnung, dass VSP-Anbieter in der Regel nur eine begrenzte Kontrolle über die bereitgestellten audiovisuellen Inhalte haben.
Herkunftslandprinzip: Sendung aus einem Mitgliedstaat in andere Mitgliedstaaten möglich
Die AVMD-Richtlinie trägt durch die Anwendung des sog. „Herkunftslandprinzips“ im Kern zur Integration des europäischen Binnenmarktes bei. Das Herkunftslandprinzip sieht vor, dass audiovisuelle Dienste aus einem Mitgliedstaat auch in anderen Mitgliedstaaten erbracht und wahrgenommen werden können, ohne weitere Kontrolle des Rechts des Empfangslandes. Dabei stellt der jeweils ausschließlich zuständige „Sendestaat“ sicher, dass ein Dienst das durch die Richtlinie koordinierte nationale Recht seines Herkunftslandes einhält.
Für die insoweit nötige Zuständigkeitsbestimmung des Herkunftslandes gelten nunmehr neue Regeln. So ist bei in mehreren Mitgliedstaaten tätigen Mediendiensteanbietern neben dem Sitz ihrer Hauptverwaltung künftig in erster Linie darauf abzustellen, wo ein „erheblicher Teil“ des mit den „programmbezogenen Tätigkeiten“ betrauten Personals tätig ist. Maßgeblich ist danach, wo die redaktionellen Entscheidungen getroffen werden. Nach der früheren Regelung war demgegenüber der „wesentliche Teil“ des mit der „Bereitstellung“ betrauten Personals entscheidend.
Im Bemühen um mehr Rechtsklarheit hat der Richtliniengeber zudem die Schaffung einer öffentlich zugänglichen Datenbank geregelt, der zu entnehmen sein wird, welcher Staat für welche Anbieter zuständig ist. Für den Fall, dass sich insoweit Unstimmigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten ergeben, sieht die Richtlinie einen geordneten Koordinierungsprozess vor, an dessen Ende ggf. die Kommission entscheidet.
Neue Sendezeitanteile für Werbung
Im Bereich der Werbung wird den Anbietern mehr Flexibilität eingeräumt. Während das bisherige Sendezeitlimit den Anbietern 12 Minuten pro Stunde für Werbung erlaubte, wurden die Bezugszeiträume jetzt ausgedehnt. Künftig gilt ein entsprechender Sendezeitanteil für Werbung von maximal 20% für jeweils mehrstündige Zeiträume (6 – 18 Uhr, 18 – 24 Uhr).
Barrierefreiheit beim Zugang zu audiovisuellen Diensten
Die Änderungsrichtlinie verfolgt auch die Verbesserung des Zugangs zu audiovisuellen Diensten für Menschen mit Behinderungen. Die Mitgliedstaaten sind angehalten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen und sicherzustellen, dass Anbieter den nationalen Behörden über deren Umsetzung regelmäßig Bericht erstatten. Auch im Verhältnis der Mitgliedstaaten zur Kommission wurde eine turnusmäßige Berichterstattungspflicht eingeführt. Schließlich sollen Diensteanbieter zur Erarbeitung von Aktionsplänen für Barrierefreiheit ermutigt werden.
Neue AVMD-Richtlinie setzt auf europäische Inhalte
Video-on-Demand-Dienste müssen neuerdings einen Anteil von mindestens 30% an europäischen Werken in ihren Katalogen sicherstellen. Diese Werke sollen sie zudem in ihren Katalogen herausstellen, beispielsweise durch Banner-Werbung, durch einen speziellen Bereich für europäische Werke oder durch die Möglichkeit, mit einem Suchwerkzeug nach europäischen Werken zu suchen.
Als europäische Werke gelten insbesondere Werke aus den Mitgliedstaaten und solche, die im Rahmen der zwischen der Union und Drittländern im audiovisuellen Bereich geschlossenen Abkommen in Koproduktion hergestellt werden und den in den jeweiligen Abkommen festgelegten Voraussetzungen entsprechen. Dabei kommt es darauf an, dass
- das Werk im Wesentlichen in Zusammenarbeit mit in den Mitgliedstaaten ansässigen Autoren und Arbeitnehmern geschaffen wurde und dass
- der Hersteller in einem Mitgliedstaat ansässig ist, ein dort ansässiger Hersteller die Herstellung überwacht oder dass der Beitrag von Koproduzenten aus den Mitgliedstaaten mehr als die Hälfte der Gesamtproduktionskosten beträgt und
- die Koproduktion nicht von außerhalb dieser Staaten niedergelassenen Herstellern kontrolliert wird.
Mitunter bereits bestehende nationale Quoten werden so teilharmonisiert. Eine Ausnahme von der Quotenregelung besteht für Diensteanbieter mit geringen Umsätzen oder Zuschauerzahlen.
Eine weitere Änderung betrifft die Einführung einer neuen Bestimmung, die als „Netflix-Steuer“ kritisch diskutiert wird. Mitgliedstaaten konnten bereits nach der bisherigen AVMD-Richtlinie die ihrer Rechtshoheit unterworfenen Mediendiensteanbieter dazu verpflichten, finanziell zur Produktion europäischer Werke beizutragen. Dies betraf lediglich die nach den Kriterien des Herkunftslands im jeweiligen Mitgliedstaat ansässigen Anbieter. Die Änderungsrichtlinie weitet diese Befugnis entscheidend aus. Künftig können auch solche Anbieter zu entsprechenden Beiträgen verpflichtet werden, die lediglich auf Zuschauer im Gebiet eines Mitgliedstaates abzielen, aber in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind.
Gruppe europäischer Regulierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste (ERGA)
Mit der sog. ERGA wird eine unabhängige Regulierungsbehörde eingesetzt. Diese soll insbesondere technischen Sachverstand für die Kommission bereitstellen. Zu den weiteren Aufgaben der ERGA zählt die Stellungnahme zu Fragen der rechtlichen Zuständigkeit nach dem Herkunftslandprinzip, wenn insoweit Uneinigkeit zwischen einzelnen Mitgliedstaaten besteht und der bereits erwähnte Koordinierungsprozess ausgelöst wird.
Stärkung des europäischen Binnenmarktes mit kritischem Seitenblick betroffener Anbieter
Das neue Regelungsregime erweitert als größte Umwälzung den Anwendungsbereich der AVMD-Richtlinie auf VSP-Anbieter. Im Verhältnis von audiovisuellen Online-Diensten zu herkömmlichen linearen Diensten kommt es dadurch zu einer teilweisen Angleichung. Im Einzelnen werden an letztere noch immer deutlich höhere Anforderungen gestellt. Diese Anbieter werden mit dem aktualisierten Regelungsregime nur bedingt zufrieden sein. Die Möglichkeit einer sog. „Netflix-Steuer“ für On-Demand-Dienste ist ihrerseits Ausdruck einer zunehmenden Vereinheitlichung des rechtlichen Rahmens. Diese Regelungstendenz dürfte auf Seiten der betroffenen Anbieter daher ebenfalls kritisch verfolgt werden.
Die Mitgliedstaaten haben bis September 2020 Zeit zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie in nationales Recht. Auch der aktualisierte Rechtsrahmen lässt eine weiterhin lebhafte Debatte erwarten.