23. April 2019
Richtlinie Verbraucherschutz
E-Commerce Recht

EU stärkt Verbraucherschutz beim Warenkauf und Erwerb digitaler Inhalte

Das Europäische Parlament verabschiedet neue Richtlinien zum Verbraucherschutz. Wir stellen Ihnen die wichtigsten Regelungen vor.

Mehr als drei Jahre nach den ersten Diskussionen sind die Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des den Warenhandels (COM (2017) 637) und die Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und Dienstleistungen (COM (2015) 634) nun auf der Zielgeraden. Das EU-Parlament hat die beiden Richtlinien am 26. März 2019 mit großer Mehrheit beschlossen. Die Zustimmung durch den Ministerrat und Veröffentlichung im offiziellen Amtsblatt der EU bleiben den Mitgliedsstaaten zweieinhalb Jahre Zeit zur Umsetzung.

Von einem gemeinsamen europäischen Kaufrecht ist man in der EU zwar noch weit entfernt. Im Bereich der Gewährleistungsrechte wird der digitale Binnenmarkt in Zukunft aber deutlich stärker harmonisiert werden.

Ziel: Einheitliches Gewährleistungsregime im digitalen Binnenmarkt

Beide Richtlinien sind Teil der „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt″ und sollen das Gewährleistungsregime für on- und offline Wareneinkäufe sowie den Erwerb digitaler Inhalte oder Dienste weitgehend harmonisieren. Hiermit sollen Hindernisse im grenzüberschreitenden Handel in der EU beseitigt werden. Denn die bislang bestehende Rechtszersplitterung kann gerade kleinere Händler davor zurückschrecken lassen, ihre (digitalen) Waren und Dienstleistungen auch in anderen europäischen Mitgliedsstaaten anzubieten.

Und auch auf Verbraucherseite führten uneinheitliche Gewährleistungsrechte im B2C-Verhältnis zu Skepsis gegenüber grenzüberschreitenden Einkäufen. Dem will die EU mit den neuen Regelungen nun ein Ende setzen. EU-Bürger sollen einen besseren Zugang zu Waren und Dienstleistung haben und bei mangelhaften Leistungen gleiche Rechtsbehelfe durchsetzen können. Das gilt auch für digitale Inhalte, etwa beim Herunterladen von Musik oder Spielen. Die Richtlinien betreffen grundlegende Themen des Verbraucherschutzes wie die Gewährleistungsfrist, die Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf oder die Frage der Vertragsgemäßheit von Waren, digitalen Inhalten oder Dienstleistungen.

Auch wenn die beiden beschlossenen Richtlinien unterschiedliche Aspekte betreffen, sind sie eng miteinander verzahnt. Die bisher geltende Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (1999/44/EG) wird im Gegenzug aufgehoben.

Verbrauchsgüterkauf 2.0: Die Richtlinie über den Warenhandel

Ob man seinen Staubsauger bei Amazon bestellt oder im örtlichen Elektronikfachmarkt erwirbt, soll im Hinblick auf die vertraglichen Rechte keinen Unterschied machen. Die Richtlinie regelt ein zweistufiges Gewährleistungsrecht sowohl für den Online- als auch den Offline-Warenkauf.

Dem Käufer steht grundsätzlich zunächst der Nacherfüllungsanspruch zu, Sekundärrechte wie Minderung, Rücktritt und Schadensersatz kann er nachrangig geltend machen. Aus Sicht des deutschen Rechts ist das keine Neuerung: Ob man ein Produkt hierzulande im Internet oder im stationären Handel gekauft hat, hat auch bisher für die Gewährleistung keinen Unterschied gemacht.

Hintergrund ist aber, dass nicht alle Mitgliedstaaten ein solches abgestuftes Gewährleistungsrecht kennen, sondern ihren Verbrauchern die freie Wahl zwischen allen Rechtsbehelfen lassen (z.B. Kroatien, Griechenland oder Portugal). Hätte die Richtlinie – wie ursprünglich vorgesehen – nur Online-Käufe erfasst und hier in Form einer Vollharmonisierung ein abgestuftes Gewährleistungsrecht eingeführt, wäre es in diesen Ländern zu einer Rechtszersplitterung zwischen Online- und Offline-Warenhandel gekommen. Aus Sicht des Verbraucherschutzes ein denkbar ungünstiges Ergebnis. Daher hat der EU-Gesetzgeber jetzt ein einheitliches System für alle Absatzkanäle geschaffen.

Auch Produkte mit integrierten digitalen Elementen fallen unter die Richtlinie über den Warenhandel, beispielsweise der Smart TV oder die Smart Watch. Nicht erfasst sind hingegen körperliche Datenträger mit digitalen Inhalten, etwa eine CD, sowie digitale Inhalte und Dienstleistungen selbst. Hierfür gilt allein die Richtlinie über digitale Inhalte.

Die Richtlinie über den Warenhandel regelt auch, wann Waren überhaupt vertragsgemäß sind. Neu hinzugekommen ist, dass Produkte im Hinblick auf ihre Haltbarkeit dem entsprechen müssen, was bei Waren der gleichen Art üblich ist.

Erweiterung der Beweislastumkehr auf ein Jahr

Die vor allem aus Händlersicht weitreichendste Änderung ist sicherlich die Erweiterung der Regelung zur Beweislastumkehr auf ein Jahr. Treten Mängel innerhalb eines Jahres nach Lieferdatum auf, wird vermutet, dass sie bereits zu diesem Zeitpunkt vorhanden waren – es obliegt dann dem Verkäufer, das Gegenteil zu beweisen.

Bisher sah der auf der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie basierende § 477 BGB lediglich eine Beweislastumkehr für die ersten sechs Monate nach Gefahrübergang vor. Was auf den ersten Blick wie eine deutliche Verschärfung klingen mag, ist eigentlich bereits ein Kompromiss: Denn ursprünglich hatte die EU-Kommission sogar eine zweijährige Beweislastumkehr vorgesehen.

Eine Ausnahme gilt für Waren mit integrierten digitalen Elementen. Für den digitalen Inhalt oder die digitale Dienstleistung, die fortlaufend geliefert werden, gilt die Beweislastumkehr über den gesamten Vertragszeitraum.

Verbraucher haben Recht auf Updates

Künftig werden Verkäufer auch Sorge dafür tragen müssen, dass sie ihre Kunden stets auf den neuesten Stand bringen. Die Richtlinie über den Warenhandel führt ein sog. Update-Recht ein: Käufer von Waren mit integrierten digitalen Elementen haben ein Recht darauf, vom Verkäufer innerhalb eines angemessenen Zeitraums über notwendige Updates informiert zu werden und diese zu erhalten. Die Frist soll von der Art und dem Zweck der konkreten Ware und ihrer digitalen Funktionen abhängig sein.

In der Praxis wird diese Regelung vor allem im Hinblick auf Sicherheitsupdates an Bedeutung gewinnen. Stellt der Verkäufer diese nicht rechtzeitig zur Verfügung, liegt hierin ein Mangel.

Gewährleistungsfrist

Die Gewährleistungsfrist soll künftig europaweit zwei Jahre betragen. Die Mitgliedsstaaten können aber längere Fristen vorsehen. Im Hinblick auf Waren mit integrierten digitalen Inhalten oder Dienstleistungen haftet der Verkäufer allerdings so lange für Mängel des digitalen Elements, wie der Vertrag läuft. Bei gebrauchten Waren soll es weiterhin möglich sein, vertraglich kürzere Gewährleistungs- bzw. Verjährungsfristen zu vereinbaren, jedoch nicht unter einem Jahr.

Apps, Musik oder Spiele: Die Richtlinie über digitale Inhalte

Die zweite Richtlinie regelt die vertragliche Gestaltung von digitalen Inhalten und Dienstleistungen. Bisher gab es in der EU hierfür keinen einheitlichen vertragsrechtlichen Rahmen. In Großbritannien werden digitale Inhalte seit 2015 in einem spezifischen Consumer Rights Act geregelt, das deutsche Recht hingegen ordnet diese je nach Ausgestaltung den verschiedenen Vertragstypen zu (z.B. Kaufvertrag, Mietvertrag oder Werkvertrag). Die neue Regelung soll einen besseren Verbraucherschutz garantieren, wenn Verkäufer etwa fehlerhafte digitale Inhalte liefern. Das betrifft u.a. B2C-Verträge über Software (Ausnahme: Open Source), Apps, Videos, Audios, Musik, digitale Spiele oder eBooks. Daneben sind auch digitale Dienstleistungen erfasst, etwa Cloud Computing, Hosting, Soziale Medien oder Software-as-a-Service. Auf die Art der Datenübermittlung kommt es dabei nicht an – vom klassischen Download bis zum Streaming ist alles erfasst.

Auch personenbezogene Daten sind eine Gegenleistung

Besonders interessant ist, dass der EU-Gesetzgeber in diesem Zusammenhang auch personenbezogenen Daten ausdrücklich einen Verkehrswert im Sinne einer Gegenleistung zuschreibt. Ein Vertrag über digitale Inhalte liegt also nicht nur dann vor, wenn der Verbraucher einen monetären Preis für den digitalen Inhalt oder die Dienstleistung zahlt, sondern auch dann, wenn die Leistung an sich kostenlos ist, der Verbraucher dem Unternehmer aber seine personenbezogenen Daten zur Verfügung stellt.

Voraussetzung für die Annahme einer Gegenleistung ist aber, dass der Unternehmer diese Daten kommerziell nutzen will, etwa zu Marketingzwecken. Sofern die Daten allein zur Bereitstellung der digitalen Inhalte verwendet werden, findet die Richtlinie keine Anwendung. In Bezug auf die als Gegenleistung bereitzustellenden personenbezogenen Daten ist dabei auch die DSGVO zu beachten.

Gewährleistungsrechtlicher Gleichlauf mit klassischen Gütern

Im Übrigen sind die Regelungen der Richtlinie über digitale Inhalte weitgehend parallel zur Richtlinie über den Warenhandel gestaltet: Auch im Zusammenhang mit digitalen Inhalten und Dienstleistungen steht dem Käufer ein Updaterecht zu. Stellt der Unternehmer relevante Updates nicht zur Verfügung, liegt ein Mangel vor.

Die Richtlinie legt noch weitere, objektive und subjektive Anforderungen an die Vertragsgemäßheit der digitalen Leistung fest. Insbesondere müssen Funktionalität, Kompatibilität, Zugänglichkeit, Kontinuität und Sicherheit dem entsprechen, was bei digitalen Inhalten oder Dienstleistungen derselben Art üblich ist und vom Verbraucher aufgrund der Beschreibung und Werbung erwartet werden kann.

Auch im Hinblick auf die Gewährleistungsrechte gibt es einen Gleichlauf mit analogen Gütern: Weist der digitale Inhalt oder die digitale Dienstleistung einen Mangel auf, besteht zunächst – wie auch im Kaufrecht – ein Nacherfüllungsanspruch. Sekundär hat der Käufer ein Minderungs- oder Rücktrittsrecht, etwa wenn der Verkäufer die Nacherfüllung verweigert oder diese fehlschlägt. Dies entspricht ebenfalls den kaufvertraglichen Regelungen. Tritt der Käufer zurück oder mindert er, hat der Verkäufer den gezahlten Preis innerhalb von 14 Tagen nach Geltendmachung des Gewährleistungsrechts zu erstatten. Sofern die Gegenleistung in personenbezogenen Daten bestand, muss der Verkäufer diese nach den Vorschriften der DSGVO löschen. Im Gegenzug ist der Verbraucher verpflichtet, jede weitere Nutzung der digitalen Inhalte oder Dienstleistungen zu unterlassen. In der Praxis dürfte etwa das Benutzerkonto gesperrt werden.

Die Gewährleistungsfrist soll auch für digitale Inhalte und Dienstleistungen nicht unter zwei Jahren liegen. Ebenso greift die Beweislastumkehr für ein Jahr. Etwas anderes gilt wiederum für Verträge über einen längeren Zeitraum, d.h. Dauerschuldverhältnisse wie etwa ein Streaming-Abo: Gewährleistung und Beweislastumkehr sind hier zeitlich nicht begrenzt, sondern gelten für die gesamte Vertragslaufzeit.

Fazit: Keine wesentlichen Änderungen des Gewährleistungsrechts – jedoch sollten Update-Recht und Beweislastumkehr im Auge behalten werden

Beide Richtlinien enthalten auf den ersten Blick aus deutscher Sicht viel Altbekanntes: An den Grundpfeilern des deutschen Gewährleistungsrechts wird sich hierdurch nichts ändern.

Das gilt auch für digitale Inhalte. Diese unterfallen künftig weitestgehend dem kaufrechtlichen Leistungsstörungsregime. Verkäufer müssen sich jedoch insbesondere auf das neue Update-Recht und die verlängerte Beweislastumkehr von einem Jahr einstellen. Dies dürfte spürbare Konsequenzen in der Praxis nach sich ziehen.

Tags: digitale Inhalte Richtlinie Verbraucherschutz Warenhandel