25. März 2019
Muster-Widerrufsformular
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EuGH entscheidet zu Informationspflichten beim Widerrufsrecht

Der EuGH hat entschieden: Im Einzelfall müssen die Widerrufsbelehrung und das Muster-Widerrufsformular nicht zeitgleich zur Verfügung gestellt werden.

Damit in der Europäischen Union ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleistet werden kann, steht dem Verbraucher seit 2014 bei Fernabsatzverträgen ein neues Widerrufsrecht zu. Er kann damit binnen 14-Tagen nach Erhalt der Waren den Vertrag ohne Angabe von Gründen widerrufen und sich somit vom Vertrag lösen.

Unter Fernabsatzverträgen sind dabei solche Verträge zu verstehen, die ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems geschlossen werden. Darunter fallen insbesondere Vertragsschlüsse über das Internet, über das Telefon oder das Tablet, wobei das sog. Online-Shopping für Unternehmen immer wichtiger wird. So kauft heute jeder Zweite online auf dem Smartphone ein, wobei es bei den Jugendlichen (14-19 Jahre) sogar 78% sind. Im Vergleich hierzu waren es 2016 lediglich 39%.

Der Unternehmer ist hierbei verpflichtet, den Verbraucher vor Vertragsschluss in Textform über sein Widerrufsrecht zu belehren. Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83 muss die Widerrufsbelehrung transparent gestaltet sein und dem Verbraucher seine wesentlichen Rechte in einer an das benutzte Kommunikationsmittel angepassten Weise deutlich machen. Diese Regelung wurde auf nationaler Ebene in §§ 312 d BGB i.V.m. Art. 246 a EGBGB umgesetzt.

Umfangreiche Informationspflichten – mit Ausnahmeregelung des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83

Art. 8 Abs. 4 der Verbraucherrechte-Richtlinie schränkt die Informationspflichten des Unternehmers in Form einer Ausnahmeregelung ein, sofern auf einem Fernkommunikationsmittel nur begrenzter Raum oder begrenzte Zeit für die Darstellungen der Informationen zur Verfügung steht.

Danach hat der Unternehmer unter bestimmten Voraussetzungen nur ein Mindestmaß an Informationen über das Widerrufsrecht darzustellen, insbesondere die Bedingungen, die Fristen, die Verfahren und – was zwischen den Parteien des Ausgangsverfahren umstritten war – das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B der Richtlinie.

Was jedoch im Einzelfall unter „begrenztem Raum oder begrenzter Zeit“ zu verstehen ist und welche Informationen der Unternehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen dem Verbraucher vor Vertragsschluss übermitteln muss, ergibt sich aus der Richtlinie nicht.

Unternehmen ermöglichte Vertragsschluss durch Postkarte

Die Frage, wie Art. 8 Abs. 4 diesbezüglich auszulegen ist, beschäftigte auch den Bundesgerichtshof, der sich im Rahmen des Vorlageverfahrens an die europäischen Richter wandte. In dem konkreten Fall ging es um einen Unternehmer, der mit Werbeprospekten für wasserfeste Jacken warb. Diese Werbeprospekte erreichten die Verbraucher als Beilage zu Zeitschriften. Das Werbeprospekt enthielt dabei eine herausnehmbare Postkarte, bei der sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite auf das Widerrufsrecht hingewiesen wurde. Auf der Postkarte wurde auch auf die Telefon- und Faxnummer, die Internetadresse und die Postanschrift des Unternehmens hingewiesen. Ein Vordruck des sog. Muster-Widerrufsformulars fehlte jedoch. Stattdessen konnten über eine Internetadresse die fehlenden Angaben zum Widerrufsrecht (Muster-Widerrufsformular, Widerrufsbelehrung) aufgerufen werden.

Ein Wettbewerbsschutzverband erhob hiergegen Klage mit der Begründung, dass die Prospektwerbung unlauter sei, weil es an einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung und an dem Abdruck des Muster-Widerrufsformulars fehlte.

Der werbende Unternehmer berief sich hingegen darauf, dass die Darstellung einer umfassenden Widerrufsbelehrung und des Musterwiderrufsformulars sogar bei einer reduzierten Schriftgröße etwa ein Drittel des Werbemittels eingenommen hätte, womit für die werblichen Informationen nicht genügend Raum verblieben wäre.

Da der begrenzte Raum sowohl objektiv bzw. abstrakt begrenzt sein kann (z.B. auf dem Display eines Mobiltelefons) oder allein durch die vom Unternehmer konkret gewählte Gestaltung (wie der in dem streitgegenständlichen Fall gewählte Prospekt), war bis dato ungeklärt, ob es für die Möglichkeit zur Gewährung der in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 geregelten Erleichterungen bei den Informationspflichten auf die abstrakte oder die konkrete Beschränkung ankommt.

BGH fragt EuGH nach Auslegung der Verbraucherrichtlinie

Der BGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH folgende Fragen vor:

1. Kommt es bei der Anwendung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 für die Frage, ob bei einem Fernkommunikationsmittel (hier: Werbeprospekt mit Bestellpostkarte) für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung steht, darauf an,

a) ob das Fernkommunikationsmittel (abstrakt) seiner Art nach nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung stellt, oder darauf,
b) ob es (konkret) in seiner vom Unternehmer gewählten Gestaltung nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit bietet?

2. Ist es mit Art. 8 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83 vereinbar, die Information über das Widerrufsrecht im Fall begrenzter Darstellungsmöglichkeit im Sinne von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 auf die Information über das Bestehen eines Widerrufsrechts zu beschränken.

Stellt man abstrakt auf die Art des Werbemittels ab, so müssten bei Fernabsatzverträgen die Informationspflichten so angepasst werden, dass den technischen Beschränkungen, denen bestimmte Medien unterworfen sind, Rechnung getragen werden kann. Als Beispiel kann die beschränkte Anzahl der Zeichen auf bestimmten Displays von Mobiltelefonen oder dem Zeitrahmen für Werbespots im Fernsehen genannt werden.

Stellt man dem hingegen auf die konkrete Gestaltung ab, so kann es vorkommen, dass das vom Unternehmer gewählte Medium, beispielsweise ein gedrucktes Werbeprospekt, abstrakt zwar keinen räumlichen oder zeitlichen Beschränkungen unterliegt, die konkrete Ausgestaltung durch den Unternehmer jedoch nicht den Umfang aufweist, der eine hinreichende Widerrufsbelehrung erlaubt.

Gegen die konkrete Auslegung spricht vor allem der Umstand, dass in solch einem Fall die Frage, unter welchen Umständen die in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 vorgesehene Ausnahme anzuwenden ist, in die Hände der Unternehmer gelegt worden und von deren Wahl des für Werbung und Angebote im Fernabsatz eingesetzten Mittels abhängig wäre.

Dies steht im Widerspruch zum Zweck der Regelung in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie. Dieser besteht darin, die Übermittlung sämtlicher in Art. 6 Abs.1 der Richtlinie 2011/83 vorgesehenen Pflichtinformationen an die Verbraucher sicherzustellen, selbst wenn neue Technologien, die von den Unternehmern für Werbung und Angebote im Fernabsatz verwendet werden, deren Übermittlung erschweren. Sie soll dagegen gerade nicht den Unternehmer begünstigen, die Widerrufsinformationen nicht beifügen zu müssen, um damit Platz oder Kosten sparen zu können.

Der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen die Beschränkung der Freiheit des Unternehmers, die mit der Verpflichtung einhergeht, bei der Gestaltung seiner Werbung immer ein Mittel zu wählen, das ausreichend Raum für die vollständige Widerrufsbelehrung bietet ausführlich gegen die Ziele der Richtlinie, insbesondere den Verbraucherschutz, abgewogen.

Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass ein Werbeprospekt in Papierform keinen technischen Beschränkungen unterliege. Der Unternehmer im Ausgangsverfahren hätte die Möglichkeit gehabt, das Prospekt einfach größer zu gestaltet, um sicherzustellen, dass die Informationen „in klarer und verständlicher Weise“ zur Verfügung gestellt werden, wie es Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83 verlangt.

EuGH: Muster-Widerrufsformular kann auch anderweitig Verfügung gestellt werden

Die Antworten des EuGH auf die drei Vorlagefragen gehen von einem engen Anwendungsbereich der in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83 enthaltenen Sonderregel aus und verweisen auf den Verbraucherschutzgedanken (insbesondere Verweis auf Art. 169 AEUV und Art. 38 GRCh), der zu den hier in Rede stehenden Informationsangaben bei jedem Angebot verpflichtet.

Die Frage, ob der vom Unternehmer in dem streitgegenständlichen Fall selbst gewählte enge Raum, die Anwendung der Ausnahmeregelung rechtfertigt, beantwortet der EuGH wie folgt: Es sei

unter Berücksichtigung sämtlicher technischer Eigenschaften der Werbebotschaft des Unternehmers zu beurteilen,

ob eine Erleichterung der Informationspflichten in Betracht komme. Es sei außerdem zu berücksichtigen, ob die Informationen objektiv integriert werden können; die vom Unternehmer getroffenen Entscheidungen hinsichtlich der Aufteilung und Nutzung von Raum und Zeit seien irrelevant.

Sofern eine Prüfung im Einzelfall ergebe, dass nur begrenzter Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung stünde, sei zu prüfen, ob der Unternehmer die erforderlichen Informationen auf andere Weise klar und verständlich erteilt habe.

Der EuGH weist darauf hin, dass die Informationen nicht nur zum Bestehen, sondern auch zu den Umständen (Widerrufsbelehrung) des Widerrufsrechts essentiell seien. Um von dem Widerrufsrecht vollumfänglich profitieren zu können, müsse der Verbraucher im Vorhinein die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts kennen – diese Informationen müssten sich also auch auf begrenztem Raum finden. Das Muster-Widerrufsformular hingegen könne bei begrenztem Raum bzw. begrenzter Zeit auch anderweitig, insbesondere zeitlich versetzt zur Verwendung des Kommunikationsmittels, zur Verfügung gestellt werden.

Fazit: Bereitstellung eines Muster-Widerrufsformulars im Einzelfall zu prüfen

Die Antworten des EuGH sind nur teilweise dazu geeignet, mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Damit es nicht zu einer Abmahnung kommt, muss weiterhin im Einzelfall geprüft werden, ob ein Bereithalten der (vollständigen) Informationen zum Widerrufsrecht tatsächlich (objektiv) nicht möglich ist.

Dies wird in den wenigsten Fällen der Fall sein. Ob dies für den Unternehmer im Einzelfall höheren Gestaltungsaufwand oder höhere Kosten bedeutet, wurde lediglich insofern berücksichtigt, dass ein zeitlich versetztes Bereithalten der Informationen bei begrenztem Raum oder begrenzter Zeit ausnahmsweise zulässig sein kann.

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