23. März 2012
Presserecht

Der Staatsanwalt als isoliertes Wesen? Denn ihn küsst und interviewt man besser nicht…

Die Vertreter der Staatsanwaltschaft sind oft imposante Erscheinungen: Ernste Miene, Träger kleidsamer Roben – und Träger umfassender Informationen. Die Staatsanwaltschaft kennt ihre Fälle, ihre Angeklagten und den Hintergrund der den Angeklagten vorgeworfenen Taten. Diese Informationen sind nicht nur in Form von blutigen Details für den Boulevard von Interesse. Auch eher trockene Informationspartikel aus komplexen Verfahren können für die Presse interessant sein. So statuieren die Pressegesetze der Länder auch nicht umsonst eine generelle Verpflichtung von Behörden (und somit der Staatsanwaltschaft), der Presse Auskünfte zu erteilen (vgl. z.B. § 3 I 1 HPresseG). Doch in welchem Umfang darf sich die Staatsanwaltschaft äußern?

Der Arzt eines Universitätsklinikums war im Frühjahr 2004 in den Fokus der Staatsanwaltschaft gelangt. In seiner Klinikabteilung habe es Behandlungen an Patienten gegeben, die primär nicht der Heilung der Patienten gedient hätten, sondern primär zum Zwecke der Veröffentlichung oder der Promotion oder der Habilitation von Mitarbeitern durchgeführt worden seien. Behandlungen also, die im strafrechtlichen Sinne den Tatvorwurf der Körperverletzung rechtfertigen könnten. Mitte 2005 wurden allerdings die Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 170 II StPO eingestellt.

Das Thema kam im „Doktortitel-Diskussions-Jahr″ 2011 in der Regionalpresse aber wieder aus den Archiven hoch. Was ist wissenschaftliches Arbeiten wert, wenn es möglichweise auf Studien beruht, die unter fragwürdigen Umständen entstanden sind? In diesen Kontext ging eine Tageszeitung den Vorwürfen gegenüber dem Arzt des Universitätsklinikums nochmals nach. Dazu befragte die Tageszeitung auch einen inzwischen pensionierten Oberstaatsanwalt, der im Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens Pressesprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft war. „Wir waren uns sicher, dass an der Sache etwas dran war.″ – so äußerste sich der pensionierte Oberstaatsanwalt in einem publizierten Interview viele Jahre nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens.

Diese neuerliche „Aufwärmen″ der Tatvorwürfe wollte sich der Arzt nicht gefallen lassen. Nachdem eine Abmahnung erfolglos geblieben war, verfolgt er auf dem Klageweg die Unterlassung persönlichkeitsrechtsverletzender Äußerungen. Mit Erfolg: Das VG Gießen verpasste dem auskunftsfreudigen Staatsanwalt im Nachgang einen „Maulkorb″ (Urteil vom 27.02.2012, 4 K 2152/11.GI).

Dem allgemeinen presserechtlichen Auskunftsanspruch nach § 3 I 1 HPresseG sei durch § 3 I 2 Nr. 2 HPresseG eine Grenze gesetzt: Auskünfte über persönliche Angelegenheiten einzelner dürfen danach auch durch Behörden verweigert werden, wenn an der öffentlichen Bekanntgabe der Auskünfte kein berechtigtes Interesse besteht.

Die Äußerung des pensionierten Oberstaatsanwalts „Wir waren uns sicher, dass an der Sache etwas dran war.″ beurteilte das VG Gießen als überwiegend wertende Einschätzung. Solche wertende Einschätzungen in Bezug auf Ermittlungsverfahren, die nach § 170 II StPO eingestellt wurden, seien nur zulässig, wenn das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen werden könnte und nicht die Verfolgungsverjährung gemäß §§ 78 ff. StGB dem dauernd entgegenstünde. Denn bei einer eingetretenen Verfolgungsverjährung überwiege das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen eine rein spekulative Thematisierung des Vorliegens oder des Nichtvorliegens oder der Nachweisbarkeit einer Straftat: Selbst wenn der Beschuldigte die Straftat begangen habe, könnte dies nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden. Insofern sei ein überwiegendes öffentliches Interesse nicht mehr denkbar.

Aus der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ergab sich, dass die Ermittlungen gegen den Arzt wegen des Verdachts der Körperverletzung geführt worden waren. Gemäß § 232 I StGB in Verbindung mit § 78 III Nr. 4 StGB war somit von einer fünfjährigen Verjährungsfrist auszugehen. Zum Zeitpunkt des Interviews war Verfolgungsverjährung bereits eingetreten. Die Staatsanwaltschaft hätte sich somit nicht mehr mit wertenden Aussagen hinsichtlich der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegenüber der Presse äußern dürfen. Staatsanwälte interviewt man eben nicht (immer rechtskonform).

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