Dokumenationen zum Zeitgeschehen bergen rechtliche Risiken. Das zeigt eine soeben veröffentlichte Entscheidung des OLG Frankfurt zu einer Doku-Serie, die sich mit dem Tod von Uwe Barschel befasste.
Der Tod des früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel, der 1987 leblos in einem Genfer Hotel aufgefunden wurde, ist bis heute ungeklärt. Immer wieder spekulieren Medien über mögliche Hintergründe und Hintermänner.
Äußerungsrechtlich ist das nicht ohne Risiko. Jüngst hat ein Fernsehsender, der eine vierteilige Doku-Reihe zum Tod von Uwe Barschel produziert hatte, vor Gericht Schiffbruch erlitten.
Antragsteller wendet sich gegen Verdachtsberichterstattung
Ziel der Doku-Reihe war es, Theorien und Indizien zu den Umständen und Hintergründen des Todes von Uwe Barschel zu verfilmen. Eine Folge befasste sich auch mit dem Antragsteller, einem Privatdetektiv, der zum Zeitpunkt des Todes von Barschel im gleichen Hotel wohnte.
Nach Auffassung des Antragstellers erweckten verschiedene Passagen des Beitrags in der Zusammenschau den Verdacht, der Antragsteller sei am Tod von Uwe Barschel beteiligt gewesen. Wegen vor allem dieser Verdachtsäußerung nahm der Antragsteller u.a. den produzierenden Sender im Verfügungsverfahren auf Unterlassung in Anspruch.
OLG Frankfurt bemängelt unzureichende Gelegenheit des Betroffenen zur Stellungnahme
Das Landgericht Frankfurt a. M. hat den Antragsgegner antragsgemäß verurteilt (Az.: 2-03 O 654/23). Dessen Berufung beim OLG Frankfurt blieb ohne Erfolg (Az.: 16 U 42/24).
Nach Auffassung des OLG hat der Antragsgegner die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung nicht eingehalten. Dabei hat das OLG offengelassen, ob der erforderliche Mindestbestand an Belegtatsachen vorliegt. Jedenfalls sei die weitere wesentliche Voraussetzung einer zulässigen Verdachtsberichterstattung, nämlich die ausreichende Gelegenheit des Betroffenen zur Stellungnahme, nicht beachtet worden. Der Antragsteller sei zu den konkreten Inhalten des Beitrags nicht angehört worden. Die Anhörung sei nicht entbehrlich gewesen, obwohl der Antragsteller im Vorfeld des Films ein Interview verweigert und bekundet habe, „jede Stellungnahme“ abzulehnen. Dies habe nicht so verstanden werden können, dass der Antragsteller auf eine Stellungnahme zu Inhalten verzichte, die er noch nicht kenne. Der Filmbeitrag sei zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht fertig konzipiert gewesen. Nachdem der Inhalt des Beitrags festgestanden hätte, hätte der Antragsteller daher nochmals konkret konfrontiert werden müssen. Mit der Entscheidung des OLG ist das Verfügungsverfahren beendet. Ob die Parteien im Hauptsacheverfahren weiter streiten, ist nicht bekannt.
Betroffenen sind die Vorwürfe so konkret wie möglich vorzuhalten, bevor publiziert wird
Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist für die journalistische Praxis und die rechtliche Beratung in Pressesachen relevant und lehrreich. Sie unterstreicht die hohe Bedeutung der Pflicht zur Anhörung des Betroffenen* im Vorfeld einer möglichen Verdachtsberichterstattung als Teil der journalistischen Sorgfalt. Auch wenn es mitunter lästig ist, kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass die Betroffenen im Zuge der Recherche so konkret wie möglich zu Vorwürfen, die publiziert werden sollen, angehört werden müssen. Es genügt dabei nicht, den Betroffenen nur die allgemeine Möglichkeit eines Interviews zu geben. Lehnen sie das ab, müssen sie notfalls schriftlich befragt werden. Und auch eine Weigerung, Stellung zu nehmen, darf nicht ohne Weiteres als genereller Verzicht auf jegliche Stellungnahme verstanden werden. Nur wenn ein Betroffener klar zu erkennen gibt, dass er unter keinen Umständen und zu keinem Zeitpunkt bereit ist, Stellung zu nehmen, kann auf eine weitere Befragung verzichtet werden.
Die Besonderheit der Frankfurter Entscheidung liegt nun darin, dass die Weigerung des Antragstellers durchaus als genereller Verzicht auf eine Stellungnahme verstanden werden konnte, allerdings war sie zu einem frühen Zeitpunkt erklärt worden, als der konkrete Inhalt des Beitrags noch nicht feststand. Nicht zuletzt weil der Antragsteller aus der Beteiligung an so manchem Skandal in der Vergangenheit medienerfahren war, hätte man hier durchaus annehmen können, dass seine Aussage, er werde „jede Stellungnahme“ ablehnen, in jeder Hinsicht umfassend gemeint war und auch für spätere Produktionsschritte gelten sollte.
Das OLG Frankfurt hat das anders gesehen, und seine Auffassung ist zumindest vertretbar. Denn entscheidend ist immer, dass der Betroffene wissen muss, welche konkrete Berichterstattung möglicherweise droht. Er muss in Kenntnis der konkreten Vorwürfe, die eventuell erhoben werden, abwägen können, ob es aus seiner Sicht besser ist, Stellung zu nehmen oder darauf zu verzichten. Solange er keine konkrete Kenntnis hat, kann er eine abschließende und fundierte Entscheidung hierzu letztlich nicht treffen.
Gleichwohl sind ausnahmsweise Konstellationen denkbar, in denen eine Pflicht zur Konfrontation eine bloße Förmelei ist, die den Medien nicht zugemutet werden darf. Einen solchen Ausnahmefall mochte das OLG Frankfurt hier aber offenbar nicht annehmen. Letztlich geht es um Details sowohl der Abläufe als auch des Verhaltens des Betroffenen. Damit bleibt der Bereich der Verdachtsberichterstattung ein Feld mit besonderen Risiken, die auch durch kompetente rechtliche Beratung im Vorfeld nur begrenzt, aber nicht hundertprozentig sicher beherrscht werden können.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.