Mit der zunehmenden Verbreitung von Hass und Hetze bei Telegram steigt auch der politische Wille, dagegen vorzugehen. Liegen die rechtlichen Möglichkeiten dafür vor?
Der Messenger-Dienst Telegram hat während der Corona-Pandemie an Aufmerksamkeit gewonnen. In Gruppen mit bis zu 200.000 Mitgliedern und Kanälen, die unbegrenzt viele Abonnenten* haben können, werden immer häufiger Falschinformationen, Hassparolen und Verschwörungstheorien (gerade in Bezug auf Covid-19) verbreitet. Telegram war deshalb in den letzten Wochen immer wieder Teil der politischen Diskussion – mit z.T. erschreckenden Folgen für die Politiker.
In einem Gespräch bei Maybrit Illner forderte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer den neuen Bundesjustizminister Marco Buschmann dazu auf, gegen Hass und Hetze in Telegram-Gruppen vorzugehen. In der darauffolgenden Woche wurden im Messenger-Dienst Morddrohungen gegen Kretschmer verbreitet. Nun äußerte sich auch Innenministerin Nancy Faeser und kündigte an, gegen illegale Inhalte auf Telegram vorgehen zu wollen.
Reine Messenger-Dienste nicht vom Anwendungsbereich des NetzDG erfasst
Ein solches Vorgehen sollte an sich durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz, NetzDG) erleichtert oder ermöglicht werden, das vor über vier Jahren zur Rechtsverfolgung von Straftaten im Internet erlassen wurde.
Doch ist es überhaupt auf Messenger-Dienste wie Telegram anwendbar? Nach § 1 Abs. 1 NetzDG erstreckt sich der Anwendungsbereich des Gesetzes auf „klassische“ Social-Media-Intermediäre wie Facebook, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen (soziale Netzwerke).
Aus den Unterlagen zum Gesetzentwurf geht hervor, dass Individualkommunikation, insbesondere E-Mail-Dienste nicht unter den Anwendungsbereich fallen sollen (BT-Drs. 18/12356, 18). Diese Einschätzung ist auch auf Messenger-Dienste wie z.B. WhatsApp zu übertragen, in denen es grundsätzlich um die individuelle 1:1-Kommunikation mit anderen Personen geht. Telegram würde demnach nicht in den Anwendungsbereich des NetzDG fallen.
Laufende Bußgeldverfahren gegen Telegram wegen Verstößen gegen das NetzDG
Trotzdem führt das Bundesamt für Justiz (BfJ), eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, bereits zwei Bußgeldverfahren gegen Telegram wegen Verstößen gegen das NetzDG durch. Der Messenger-Dienst soll u.a. gegen die Pflicht aus § 3 Abs. 1 S. 2 NetzDG verstoßen haben, wonach den Nutzern ein leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares, leicht bedienbares und ständig verfügbares Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte zur Verfügung stehen muss. Nach Auffassung des BfJ erfüllt Telegram offenbar die Voraussetzungen eines sozialen Netzwerks nach dem NetzDG. Diese Auffassung teilt nun auch Nancy Faeser, indem sie ein Vorgehen gegen den Messenger-Dienst auf Grundlage des NetzDG ankündigte.
Dies ist auch richtig: Plattformen, die ihren Dienst mit einer Funktion ausstatten, die es erlaubt, dass eine hohe Zahl an Mitgliedern in Chatgruppen miteinander kommunizieren (bei Telegram bis zu 200.000 in einer Gruppe), erfüllen genauso wie soziale Netzwerke die Voraussetzung, dass Nutzer beliebige Inhalte der Öffentlichkeit zugänglich machen können. Es handelt sich damit nicht mehr um Individualkommunikation. Auch Telegram fällt somit unter den Anwendungsbereich des NetzDG und muss sich wie soziale Netzwerke an dessen Vorgaben halten.
Telegram wird sich der Rechtsverfolgung nicht dauerhaft entziehen können
Neben der Bereitstellung eines Beschwerdeverfahrens für Nutzer müssen nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt oder der Zugang dazu muss gesperrt werden; gemäß Nr. 3 gilt für andere rechtswidrige Inhalte eine Frist von maximal sieben Tagen. Zuwiderhandlungen stellen bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Begehung eine Ordnungswidrigkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 2, 3 NetzDG dar und können nach Abs. 2 mit einer Geldbuße bis zu EUR 5 Millionen geahndet werden.
Schwierigkeiten könnte die Durchsetzung der Anforderungen mit sich bringen. Telegram, das seinen Unternehmenssitz in Dubai hat, antwortete auf die Schreiben aus den bereits laufenden Bußgeldverfahren nicht. Nach Informationen des Bundesjustizministers Buschmann ist die Zustellung der Bußgeldbescheide noch nicht möglich gewesen. Auf Dauer wird sich Telegram aber seiner Verantwortung nicht entziehen können. Spätestens, wenn auf europäischer Ebene der Digital Services Act umgesetzt wird, ist die Rechtsverfolgung gegen ausländische Plattformen einfacher möglich. So lange aber werden die Opfer der Drohungen, Beleidigungen und der Hetze nicht warten können.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.