11. April 2022
Ukraine Vergabe öffentlicher Auftrag
Vergaberecht

Steigende Rohstoffpreise und Lieferengpässe im Kontext des Ukrainekrieges – Teil 2: Auswirkungen auf die Vergabe öffentlicher Aufträge

Auch das Vergaberecht steht vor Umbrüchen – die nachträgliche Anpassung öffentlicher Aufträge wird erleichtert.

In Teil 1 haben wir uns mit den bauvertraglichen Auswirkungen der steigenden Rohstoffpreise und von Lieferengpässen im Kontext der Ukrainekrise befasst. Im hier folgenden Teil 2 setzen wir uns spezifisch mit den Auswirkungen auf die Vergabe öffentlicher Aufträge auseinander, womit zu den vertragsrechtlichen auch noch vergaberechtliche Aspekte hinzutreten. Die Erlasse der Bundesministerien für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) und für Digitales und Verkehr (BMDV) vom 25. März 2022 verdeutlichen, dass gerade der Umgang mit öffentlichen Aufträgen im Fokus der Aufmerksamkeit steht und die öffentliche Hand in ihrer Funktion als Auftraggeber hier eine Leitfunktion ausübt.

Die öffentliche Hand ist dabei genauso wie die Bieterunternehmen im Wesentlichen mit drei Konstellationen konfrontiert, die nachfolgend behandelt werden:

  • Die erste Situation ist diejenige, dass der Vertrag bereits rechtswirksam abgeschlossen ist, d. h., hier geht es um die Behandlung von Altfällen und die vergaberechtlichen Anforderungen an die Änderung öffentlicher Aufträge. 
  • Eine weitere Konstellation besteht darin, dass ein öffentlicher Auftrag noch vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine ausgeschrieben wurde und die rasante Preisentwicklung während des Vergabeverfahrens und noch vor Zuschlagserteilung eingetreten ist. Hier stellt sich die Frage, wie die Bieter auch in dieser Phase eine Nachjustierung ihres Angebots erreichen können oder wie der Auftraggeber mit Angeboten umgeht, die die Unwägbarkeiten bereits einkalkuliert haben und daher weit oberhalb des Budgets liegen. 
  • Die letzte Konstellation bezieht sich vorwärtsgerichtet auf die Konzeption künftiger Vergabeverfahren und mithin auf die Frage, wie auf die ungewöhnliche Markt- und Preisentwicklung in rechtsgestaltender Weise zu reagieren ist.

Anpassung bereits geschlossener Verträge an dem vergaberechtlichen Maßstab des § 132 GWB

Wie schon in Teil 1 unseres Beitrags erläutert, stellt sich die Frage der Anpassung bereits geschlossener Verträge in erster Linie als vertragsrechtliche Thematik dar, die u.a. unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls bzw. der Anpassung der Geschäftsgrundlage zu behandeln ist. Das Ansinnen einer nachträglichen Preisanpassung hat aber auch eine vergaberechtliche Seite. Denn sie stellt eine Vertragsänderung dar, die hinsichtlich ihrer vergaberechtlichen Zulässigkeit an § 132 GWB zu messen ist. Diese Norm befasst sich explizit mit der Zulässigkeit von nachträglichen Vertragsänderungen bei geschlossenen öffentlichen Aufträgen und damit, inwieweit dies ohne erneute Ausschreibung möglich ist. Die Norm gilt für EU-weite Vergabeverfahren, ist allerdings in § 22 VOB/A mit identischem Wortlaut für unterschwellige Bauvergaben übernommen worden, ebenso für unterschwellige Liefer- und Dienstleistungen aufgrund der Verweisnorm in § 47 UVgO.

§ 132 GWB regelt unterschiedliche Fallgruppen der nachträglichen Vertragsänderung, in erster Linie Änderungen auf der Leistungsseite, bspw. den im Bauwesen sehr relevanten Fall der Leistungsänderung oder -erweiterung – also des Nachtragsmanagements –, zudem etwa auch Änderungen in der Rechtsperson des Auftragnehmers. 

Mit Blick auf die rasante Preisentwicklung relevant ist hingegen die Anpassung der Gegenleistung, die die Norm ebenfalls behandelt, indem in § 132 Abs. 1 Nr. 2 GWB die Regelung getroffen wird, dass mit der Änderung des Vertrags das wirtschaftliche Gleichgewicht des öffentlichen Auftrags zugunsten des Auftragnehmers nicht in einer Weise verschoben werden darf, die im ursprünglichen Auftrag nicht vorgesehen war. 

Der Schutzzweck dieser Norm ist offensichtlich: Es soll vermieden werden, dass ein Bieter zunächst günstig im Vergabewettbewerb anbietet und hierdurch den Auftragswettbewerb für sich entscheidet, später dann aber bilateral mit dem Auftraggeber (im schlimmsten Fall in kollusivem Zusammenwirken) eine Preiserhöhung vereinbart, die ihm einen auskömmlichen Gewinn beschert, womit der vorherige Wettbewerb ausgehebelt wird. Die Vorschrift dient also insbesondere dem Wettbewerbs- und dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz als fundamentalen Grundsätzen des Vergaberechts (§ 97 GWB), zugleich der Korruptionsbekämpfung und der Wahrung haushaltsrechtlicher Grundsätze. Eine Erhöhung der Vergütung ohne äquivalente Erweiterung des Leistungsumfangs ist also vergaberechtlich strikt ausgeschlossen, es sei denn, dies war von vornherein vorgesehen (etwa in Form von Preisgleitklauseln oder einem Nachverhandlungsvorbehalt). 

Interessant ist nun die besagte Verfügung der beiden Bundesministerien vom 25. März 2022, hier unter Ziff. IV. 6., die sich ebenfalls mit der Auftragsänderung nach § 132 GWB bzw. § 22 VOB/A befasst. Hier macht der Bund deutlich, dass äquivalent zum Wegfall und zur Anpassung der Geschäftsgrundlage die Preisanpassung keinen Verstoß gegen § 132 GWB darstellt, da die Preisanhebung gerade dazu diene, das Gleichgewicht des Vertrags zu gewährleisten bzw. wiederherzustellen. Selbst wenn die Schwelle zum Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht erreicht werde, sei die Preisanpassung i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB aufgrund nicht vorhersehbarer Umstände erforderlich geworden, nämlich wegen der Kriegsereignisse und der dadurch ausgelösten Verwerfungen der Marktpreise. 

Insbesondere aus Sicht der Auftragnehmer ist diese Auffassung richtig und nachvollziehbar: In der Tat wird durch die Vertragsanpassung die unvorhersehbare und erhebliche Kostensteigerung lediglich ausgeglichen. Aus Auftraggebersicht lässt sich aber auch eine andere Perspektive einnehmen: Tatsache ist, dass der Auftraggeber fortan mehr zahlt, ohne mehr zu erhalten; in dem maßgeblichen Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vollzieht sich somit, indem das klassischerweise vom Auftragnehmer zu tragende Preissteigerungsrisiko auf den Auftraggeber überlagert wird, eben doch eine Verschiebung der finanziellen Risiken und Kosten zulasten des Auftraggebers und zugunsten des Auftragnehmers. Es wird spannend sein zu beobachten, ob sich der großzügigen Betrachtungsweise der Bundesministerien auch etwa die Kommunen flächendeckend anschließen werden, die üblicherweise ebenfalls kein Geld zu verschenken haben. Eine unmittelbare Bindung der Länder und Kommunen vermag das Rundschreiben ohnehin nicht auszulösen. Gut denkbar ist jedoch, dass es entsprechende Folgeerlasse auf Landes- und kommunaler Ebene geben wird. 

Umgang mit gestiegenen Preisen im laufenden Vergabeverfahren

Eine weitere momentan sehr praxisrelevante Situation besteht darin, dass Auftraggeber wie Bieter während eines laufenden Vergabeverfahrens von der Preisentwicklung betroffen werden. Vor Abgabe der Angebote ist dies für die Bieter noch nicht so relevant, da sie darauf noch mit einer Anhebung des Preises reagieren konnten. Interessant ist die Konstellation nach Abgabe der Angebote, insbesondere im offenen und nicht offenen Verfahren, da hier ausdrücklich ein Nachverhandlungsverbot gilt (§ 15 Abs. 3 VOB/A-EU) und daher eine Anpassung während des laufenden Vergabeverfahrens gerade nicht gestattet ist. Wird für ein solches Angebot der Zuschlag erteilt, spricht vieles dafür, die vertragsrechtlichen Grundsätze für die Anpassung geschlossener Verträge auch hier zur Anwendung zu bringen, da der Bieter bereits mit Abgabe seines Angebots unwiderruflich an sein Angebot gebunden war und bleibt. 

Auch dürfte es dem Auftraggeber nicht verwehrt sein, ein (zu) günstig kalkuliertes Angebot noch zu bezuschlagen. Zwar hat der Bundesgerichtshof schon früher entschieden, dass bei krassen und offensichtlichen Kalkulationsirrtümern der Auftraggeber unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) den Zuschlag nicht erteilen darf (BGH, Urteil v. 11. November 2014 – X ZR 32/14). Mit solch extremen Fällen wird man es aber bislang wohl noch nicht zu tun haben; zudem kann gerade der Preisanpassungsanspruch der Vermeidung unbilliger Vertragsverhältnisse dienen.

Fraglich ist auch der weitere Fall – wie vermehrt zu beobachten –, dass die Bieter die (realen oder befürchteten) Kostensteigerungen bereits in ihr Angebot einkalkuliert haben und daher die Angebote, sofern solche überhaupt noch abgegeben werden, erhebliche Preisaufschläge von z. B. 30 oder 40 % gegenüber der ursprünglichen Kostenschätzung des Auftraggebers aufweisen. Hier steht es dem Auftraggeber offen, solche mit einem unangemessen hohen Preis versehenen Angebote gem. § 16d Abs. 1 Nr. 1 VOB/A-EU auszuschließen und – sollte überhaupt kein zuschlagsfähiges Angebot vorliegen – die Ausschreibung gem. § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU aufzuheben. 

Dies setzt allerdings nach ständiger Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte voraus, dass die Kostenschätzung ihrerseits realistisch war und Preissteigerungen etwa in Form von Zuschlägen berücksichtigt hat (vgl. nur BGH, Beschluss v. 20. März 2014 – X ZB 18/13). Gerade wenn die Kostenschätzung die jüngsten Ereignisse noch nicht in den Blick genommen hat, kann also eine retroaktive Nachkalkulation der Kostenschätzung geboten sein, welche die Preisentwicklung aufnimmt. Freilich trifft den Auftraggeber auch kein Kontrahierungszwang; wenn die Budgetmittel schlicht überstiegen sind, kann eine Aufhebung jedenfalls rechtswirksam vorgenommen werden. Schadensersatzpflichten löst die Aufhebung nur aus, wenn die Ereignisse vorhersehbar waren und den Auftraggeber insoweit Versäumnisse treffen (etwa bei Anfertigung der Kostenschätzung), was man in vorliegendem Kontext wohl nur annehmen kann, soweit die Ausschreibung nach Kriegsausbruch gestartet wurde und man trotzdem an bisherigen Kostenstrukturen festgehalten hat. 

An eine erfolgte Aufhebung schließt sich die Frage an, wie die Beschaffungsmaßnahme nun noch umgesetzt werden kann. Neben der Möglichkeit einer schlichten erneuten Ausschreibung (freilich mit einer kaum erwartbaren Verbesserung der Angebotslage und unter Inkaufnahme der damit verbundenen Verzögerung) lässt es § 3a Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 VOB/A-EU zu, unmittelbar in ein Verhandlungsverfahren überzuleiten, wobei die vorgenannte Vorschrift differenzierte Regelungen über den zu beteiligenden Bieterkreis trifft. In dem Verhandlungsverfahren kann versucht werden, durch Nachverhandlung des Preises eine wirtschaftliche(re) Vergabe zu erzielen. Freilich werden sich die Kalkulationsgrundlagen in absehbarer Zeit kaum zum Besseren wenden, sodass auch diese Maßnahme gut überlegt sein will. Alles in allem wird es wohl darauf hinauslaufen, dass die öffentlichen Auftraggeber sich kurz- und mittelfristig auf deutlich höhere Preise einstellen müssen, wollen sie ihre Bau- und sonstigen Vorhaben überhaupt noch verwirklichen.

Über diesen allgemeinen „Instrumentenkasten“ eröffnet der erwähnte Bundeserlass vom 25. März 2022 noch wesentlich weiter gehende Handlungsmöglichkeiten und -pflichten der Auftraggeber (zumindest auf Bundesebene): 

  • Soweit Vergabeverfahren bereits eingeleitet sind, aber die Angebote noch nicht geöffnet wurden, sind die Stoffpreisgleitklauseln nachträglich einzubeziehen; die Angebotsfrist ist ggf. zu verlängern.
  • Entsprechenden Bieteranfragen soll entsprochen werden.
  • Ist die Angebotsöffnung bereits erfolgt, ist das Verfahren zur Vermeidung von Streitigkeiten bei der Ausführung in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, um Stoffpreisgleitklauseln einbeziehen und ggf. Ausführungsfristen verlängern zu können.

Hiermit ist ein sehr weitreichendes Instrumentarium verbunden, das sehr stark auf laufende Vergabeverfahren einwirkt. Die Bundesbehörden sind sichtlich bestrebt, nach Möglichkeit von vornherein Verträge mit Preisgleitklauseln auszustatten und somit spätere Streitigkeiten zu vermeiden.

Auswirkungen auf künftige Vergabeverfahren und die Vertragsgestaltung

Soweit schließlich das betreffende Vergabeverfahren noch nicht gestartet hat, ist die rasante Preisentwicklung bei der Gestaltung der Ausschreibung zu berücksichtigen. Dies dient primär den berechtigten Interessen der Bieter und späteren Auftragnehmer, nicht langfristig an unauskömmlich werdende Preise gebunden zu sein bzw. sich nicht auf ein stets mit Unsicherheiten verbundenes Preisanpassungsverfahren einzulassen; mittelbar dient dies aber den Auftraggebern auch selbst, da sie nur so überhaupt Angebote erhalten werden und ihre Beschaffungsvorhaben umsetzen können.

Zentrales Instrument ist hierbei die erleichterte Implementierung von Preisgleitklauseln. Die bereits behandelten Bundeserlasse vom 25. März 2022 behandeln dies unter Ziff. II. Hiernach ist die Anwendung der Preisgleitklauseln schon dann zulässig und auch geboten, wenn der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Fertigstellung nur einen Monat überschreitet. Da dies bei allen größeren Baumaßnahmen der Fall ist, liegt derzeit also ein ausdrückliches Gebot der Verwendung von Preisgleitklauseln vor, allerdings wie alle Maßnahmen gem. Ziff. V des Erlasses zunächst befristet bis 30. Juni 2022, wobei der Start des Vergabeverfahrens maßgeblich sein dürfte. 

Zudem sollen dem Runderlass zufolge Vertragsfristen der aktuellen Situation angepasst vereinbart werden und sind Vertragsstrafen nur in begründeten Ausnahmefällen zu vereinbaren. 

Fazit: Flexible Handhabung auch von öffentlichen Aufträgen  

Bei öffentlichen Auftragsvergaben kommt besonders deutlich zum Tragen, dass eine partnerschaftlich angelegte Vertragsbeziehung auf die massive Preisentwicklung am Markt reagieren muss. Den öffentlichen Auftraggebern kommt eine Vorreiterrolle dabei zu, von dem umfassenden vergabe- und vertragsrechtlichen Instrumentarium auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Freilich erfordert dies nach wie vor eine Einzelfallprüfung und eine Umsetzung mit Augenmaß, da gerade die öffentliche Hand ihre Steuergelder treuhänderisch verwaltet und dem Steuerzahler verpflichtet ist. 

Den Bieterunternehmen wiederum ist zu empfehlen, ihre Interessenlage, deren Außerachtlassung durchaus existenzbedrohenden Charakter annehmen kann, in jeder Phase, also im Vorfeld, während und nach Abschluss eines Vergabeverfahrens mit Nachdruck geltend zu machen. Der Runderlass des Bundes vom 25. März 2022 bietet hierfür eine gute Grundlage, wird doch damit sogar von Auftraggeberseite der Anpassungsbedarf im Grundsatz anerkannt. Unter anderem sollten die Bieter darauf dringen, Preisgleitklauseln einzuführen, um der Preisentwicklung Rechnung zu tragen. Dies kann auch noch im laufenden Vergabeverfahren geschehen – insoweit muss dann eine Rückversetzung des Vergabeverfahrens veranlasst werden.

Auf längere Sicht sind auch gerichtliche Auseinandersetzungen und Entscheidungen zur „Preisfrage“ kaum zu vermeiden. Wesentlich sinnvoller erscheint es, wenn die Parteien im Einvernehmen zu einer Einigung finden, die der atypischen und rein marktbezogenen, von keiner Partei verursachten Preisentwicklung am besten gerecht wird. Der Schlüssel für eine solche Einigung dürfte darin liegen, die konkreten Kalkulationsgrundlagen auf dem ursprünglichen Preisniveau (ggf. in Form einer Urkalkulation) dem nunmehr bestehenden Preisniveau gegenüberzustellen und die Preisanpassung hieran auszurichten, soweit sie eine gewisse Erheblichkeit erreicht hat. Da es sich bei Bauvorhaben häufig um langfristige, mehrjährige Projekte handelt und die längerfristige Preisentwicklung (einschließlich des Szenarios auch wieder fallender Preise) weiterhin schwer prognostizierbar ist, dürfte die Einführung und Anwendung von Preisgleitklauseln von zentraler Bedeutung für die ausgewogene Vertragsgestaltung sein, da mit diesen eine stets marktangemessene, dynamische Preisbildung erreicht wird. 

Tags: öffentlicher Auftrag Ukraine Vergaberecht