25. Januar 2021
Vergabeverfahren Anmietung Immobilie
Vergaberecht

Ausschreibung von Immobiliengeschäften

Mietverträge über zu noch errichtende Gebäude (Anmietung vom Reißbrett) und andere Immobiliengeschäfte können vergaberechtliche Ausschreibungspflichten auslösen.

Am 22. Oktober 2020 hat der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Wiener Wohnen (C-537/19) präzisiert, wann ein Mietvertrag mit der öffentlichen Hand dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterliegt. Für die Praxis ist die Relevanz dieser Schlussanträge nicht zu unterschätzen, da der EuGH im Ergebnis häufig den Ausführungen des Generalanwaltes folgt.

Die Erteilung von Aufträgen durch öffentliche Institutionen oder öffentliche Unternehmen geht stets mit der Frage einher, ob die ausdifferenzierten Regelungen des Vergaberechts Anwendung finden. Nach allgemeiner Verkehrsanschauung würde man die Anmietung von Gebäuden oder Grundstückskaufverträge nicht als „Aufträge“ qualifizieren. Bei solchen Verträgen der öffentlichen Hand ist jedoch besondere Vorsicht geboten. Die Grenzlinie zur Ausschreibungspflicht ist oft kaum erkennbar. Wird diese überschritten, entstehen Risiken für den öffentlichen Auftraggeber, aber auch für dessen Vertragspartner und gegebenenfalls auch deren Finanzierungspartner, die sich auf sichere Vertragsstrukturen verlassen können müssen. Auch Leasing- und andere Finanzierungsstrukturen können in dieser Hinsicht Ausschreibungspflichten auslösen.

Immobiliengeschäfte sind eigentlich nicht ausschreibungspflichtig

§ 107 Abs. 1 Nr. 2 GWB nimmt Immobiliengeschäfte vom Vergaberecht aus. Diese Ausnahme gilt für den Abschluss von Verträgen über

den Erwerb, die Miete oder die Pacht von Grundstücken, vorhandenen Gebäuden oder anderem unbeweglichem Vermögen sowie Rechten daran, ungeachtet ihrer Finanzierung.

Der Wortlaut scheint zunächst einen klaren Rahmen zu ziehen. In der Praxis sehen wir jedoch häufig Konstellationen, die eine schematische Anwendung dieser Ausnahmevorschrift nicht zulassen. Ein klassischer Fall ist die Vermietung vom Reißbrett, also die Anmietung eines noch zu errichtenden Gebäudes durch die öffentliche Hand. Aber auch in einem Bestandsgebäude verlangt der Mieter oft bauliche Anpassungen. Gegenstand solcher Verträge sind dann auch bauliche Maßnahmen und nicht allein die Anmietung. Dies rückt ihn in unmittelbare Nähe zu dem ausschreibungspflichtigen Bauauftrag. 

Miete vom Reißbrett unterliegt nicht zwangsläufig dem Vergaberecht 

Auch wenn ein Miet- oder Kaufvertrag Elemente eines Bauvertrags aufweist, kann die Ausnahme für Immobiliengeschäfte zur Anwendung kommen. Der EuGH hatte dies in den Entscheidungen zu den Messehallen Köln (C-536/07) und in der Rechtssache Pizzarotti (C-213/13) festgestellt. An diese Rechtsprechung knüpfen die Schlussanträge des Generalanwalts in dem nun anhängigen Verfahren gegen die Stadt Wien an. Bereits die Vergabekammer des Bundes hatte sich dieser Linie in einem Ende 2019 ergangenen grundlegenden Beschluss (VK 2-88/19) angeschlossen. 

Das Ergebnis überzeugt und findet auch weitgehend Zustimmung. Anders, als vereinzelte Stimmen in der Literatur und sogar auch die Ausführungen des Generalanwalts andeuten, spricht auch viel dafür, dass diese Sichtweise mit dem Wortlaut der Ausnahmeregelung in Einklang steht. Trotz Bezugnahme auf „vorhandenen“ Gebäude auch die Anmietung zu errichtender Gebäude erfasst. Die Gebäude müssen nicht schon bei Vertragsschluss vorhanden sein. Es genügt, dass sie mit Beginn des Mietverhältnisses vorhanden sind. Auch ein Mietvertrag kann den Beginn der Anmietung für einen späteren Zeitpunkt als den Vertragsschluss vorsehen und tut dies in aller Regel auch. Er kann daher auch auf den Zeitpunkt beziehen, in dem das Gebäude vorhanden sein wird.

Problem: Beginn des Mietverhältnisses setzt Bautätigkeit voraus

Das eigentlich Problem entsteht vielmehr daraus, dass der Beginn des Mietverhältnisses eine Bautätigkeit zur Errichtung des Gebäudes voraussetzt. Damit stellt sich die Frage, ob diese Bauarbeiten von dem Mieter beauftragt wurden, der als öffentlicher Auftraggeber ausschreibungspflichtig wäre. Das ist jedoch nicht zwingend, da die Errichtung auch von dessen Vertragspartner in seiner Funktion als Immobilienentwickler und Vermieter beauftragt worden sein kann. Das Vorliegen eines Bauauftrags setzt dreierlei voraus, dass:

  • der Auftraggeber die Erfordernisse des Bauwerks vorgibt
  • dem Auftraggeber die Bauleistung unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt und 
  • der Auftraggeber einen entscheidenden Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung hat. 

Kann das nicht bejaht werden, liegt kein Bauauftrag dieses Auftraggebers vor. Nur wenn die öffentliche Hand in diesem Sinne Auftraggeber von Bauleistungen ist, kann sie zur Ausschreibung verpflichtet sein. Im Hinblick hierauf hat die Rechtsprechung eine Reihe von Kriterien entwickelt. Am Ende muss im Rahmen einer Gesamtschau beurteilt werden, ob ein solcher Bauauftrag vorliegt oder nicht.

Die Schlussanträge des Generalanwaltes vom 22.10.2020 in der Rechtssache Wiener Wohnen liefern wertvolle Hinweise zur Konkretisierung der bestehenden Rechtsprechungslinie. In diesem Fall waren im Zuge der Vertragsverhandlungen Verbindungsbrücken sowie zusätzliche Stockwerke eingeplant worden. Diese Änderungen qualifizierte der Generalanwalt als bedeutende architektonische Erweiterungen, die sich auf die Struktur der Immobilie auswirkten. Nach seiner Ansicht stellten diese Anpassungen dar, die über das hinausgingen, was ein Mieter üblicherweise vom Vermieter bei einem Neubau fordern könne. Hinzu kamen besonderen Kontrollbefugnisse der Stadt Wien gegenüber dem Vermieter, die solchen Befugnissen entsprachen, wie sie üblicherweise einem Bauherrn eingeräumt werden. In einer Gesamtbetrachtung leitet der Generalanwalt aus diesen und anderen Indizien eine entscheidende Einflussnahme ab und stellt einen Verstoß gegen die europarechtlichen Vergabevorschriften fest. 

Immobiliengeschäfte mit der öffentlichen Hand sind stets im Lichte des Vergaberechts zu bewerten

Die Schlussanträge des Generalanwaltes und die sonstige Rechtsprechung zu dieser Fragestellung verdeutlichen, dass gerade die Anmietung von Gebäuden durch öffentliche Institutionen oder öffentliche Unternehmen vergaberechtliche Sprengkraft in sich birgt. Das dürfen auch private Projektentwickler und Investoren nicht aus dem Blick verlieren. Das Risiko kann sich auch bei Leasing- und anderen Finanzierungsstrukturen realisieren. Jeder Einzelfall ist mit seinen konkreten Besonderheiten zu betrachten. Andernfalls droht die Gefahr einer Unwirksamkeit des Vertrages.

Das Verfahren Wiener Wohnen zeigt zudem, dass die Europäische Kommission Verstöße im Zuge des Vertragsverletzungsverfahrens aufgreift und konsequent verfolgt. Dann bieten auch die Ausschlussfristen für Vergabenachprüfungsverfahren keine Sicherheit. 

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