7. Mai 2025
Koalitionsvertrag 48-Stunden-Woche
Koalitionsvertrag 2025 Arbeitsrecht

Arbeitszeit im Fokus – eine Einordung der Pläne im Koalitionsvertrag

Wochenhöchstarbeitszeit, digitale Zeiterfassung und steuerfreie Überstundenzuschläge – alles zu den Plänen rund ums Thema Arbeitszeit.

Nach jahrelangen Debatten um die Flexibilisierung der Arbeitshöchstzeit, wollen CDU/CSU und SPD nun Abschied nehmen von den zeitlichen Begrenzungen der täglichen Arbeitszeit. Stattdessen soll künftig nur noch die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden maßgeblich sein. Dies ist nicht nur längst europäischer Standard, sondern auch in Deutschland – durch die Übergangsregelungen während der Coronapandemie – zumindest teilweise erprobt. 

Die konkrete Ausgestaltung der Neuregelung soll im Dialog mit den Sozialpartnern erfolgen. Das kann bedeuten, dass das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) nach Rücksprache mit Arbeitnehmer*- und Arbeitgebervertretern geändert und eine Wochenarbeitszeit eingeführt wird. Denkbar – und in diesem Kontext nicht unwahrscheinlich – ist aber auch, dass im ArbZG lediglich eine Öffnungsklausel ergänzt wird, wonach durch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen statt einer täglichen eine wöchentliche Arbeitshöchstzeit eingeführt werden kann. Betriebe ohne Tarifbindung und Betriebsrat müssten dann weiterhin mit dem Satus Quo arbeiten.

Arbeitszeitflexibilisierung: 48-Stunden-Woche statt starrer Acht-Stunden-Tag

So oder so sind die Eckpunkte einer Neuregelung aber klar. Maßgeblich wird weiterhin die Arbeitszeitrichtlinie der EU (2003/88/EG) sein, welche die Mitgliedstaaten verpflichtet, die durchschnittliche Arbeitszeit in einem Sieben-Tage-Zeitraum auf 48 Stunden (inklusive Überstunden) zu begrenzen. 

Orientiert man sich, wie von der Koalition geplant, nur noch an dieser Vorgabe, werden in Zukunft tägliche Arbeitszeiten möglich sein, die heute noch streng verboten sind, nämlich mehr als zehn Stunden am Tag. 

Entscheidend ist dann nur noch, dass der dem Arbeitnehmer an anderer Stelle zu gewährende Zeitausgleich so groß ist, dass er im Durchschnitt nicht mehr als 48 Wochenstunden arbeitet. Die EU-Arbeitszeitrichtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten, den Referenzzeitraum zur Berechnung des durchschnittlichen Arbeitszeitvolumens flexibel zu gestalten – in der Regel über vier, sechs oder zwölf Monate, abhängig von nationalen Vorschriften oder tariflichen Regelungen. § 7 ArbZG sieht bereits jetzt vor, dass durch Tarifverträge von der täglichen Höchstarbeitszeit abgewichen werden kann, sofern im Durchschnitt bestimmte Höchstgrenzen eingehalten werden. Zur Bestimmung dieses Durchschnitts sind Zeiträume von sechs bzw. zwölf Monaten zulässig. Es ist daher naheliegend, dass sich auch die geplante Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit an diesen bereits etablierten Zeiträumen orientieren wird.

Von zentraler Bedeutung wird zudem sein, dass trotz der erweiterten Flexibilität die arbeitszeitrechtlichen Schutzvorschriften, insbesondere zu Ruhezeiten (§ 5 ArbZG) und Ruhepausen (§ 4 ArbZG), weiterhin gewahrt bleiben müssen. 

Mit der geplanten Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung dürfte die Einhaltung dieser Vorgaben künftig noch besser überprüfbar sein. Arbeitgeber sind daher gut beraten, bereits jetzt zu analysieren, ob Ruhepausen und -zeiten im Unternehmen bereits gewahrt werden. Etwaige Abweichungen sollten frühzeitig korrigiert werden, um künftigen Betriebsprüfungen oder behördlichen Kontrollen entspannt entgegensehen zu können.

Digitale Zeiterfassung kommt – Vertrauensarbeitszeit bleibt

Dem Motto, mehr Flexibilität für Unternehmen und Arbeitnehmer zu ermöglichen, sollen auch die geplanten Neuerungen zur Arbeitszeiterfassung gerecht werden. 

Zwar soll die digitale Arbeitszeiterfassung kommen – Vertrauensarbeitszeit aber ausdrücklich möglich bleiben. 

Die Erfassung von Arbeitszeiten ist an sich keine Neuheit. Schon 2019 stellte der EuGH klar, dass Arbeitgeber eine verlässliche und zugängliche Zeiterfassung sicherstellen müssen (EuGH, Urteil v. 14. Mai 2019 – Az. C-55/18). Bislang hatten Arbeitgeber laut der Rechtsprechung des BAG nur die Pflicht, Beginn, Ende, Dauer und Lage der Arbeitszeit zu erfassen, ohne dass es konkrete Vorgaben zur Art der Erfassung gab (BAG, Beschluss v. 13. September 2022 – Az. 1 ABR 22/21). Dies soll nun anders werden und die elektronische Arbeitszeiterfassung verpflichtend werden. 

Geplant ist, die elektronische Erfassung von Arbeitszeiten „unbürokratisch″ zu regeln und dabei für kleine und mittlere Unternehmen angemessene Übergangsregeln zu schaffen. Es wird spannend zu beobachten sein, wie das in bestehenden bürokratischen Strukturen umgesetzt wird. Zwar ist ein zentrales Ziel von CDU/CSU und SPD in der neuen Legislaturperiode, Bürokratie abzubauen – doch die bloße Ankündigung eines „unbürokratischen“ Verfahrens dürfte erfahrungsgemäß nicht ausreichen, um neue administrative Belastungen zu vermeiden.

Zudem stellt sich die Frage, ob und wie das als zulässig angesehene Modell der Vertrauensarbeitszeit in der Praxis wirklich umgesetzt werden kann. Einen gangbaren Weg, wie der offensichtliche Widerspruch zwischen Vertrauensarbeitszeit und einer verpflichtenden minutiösen Zeiterfassung aufgelöst werden kann, zeigt der Koalitionsvertrag erwartungsgemäß nicht auf.

Steuerfreie Überstundenzuschläge 

Um die Bereitschaft zu Überstunden zu erhöhen, plant die neue Regierung steuerfreie Zuschläge für Mehrarbeit – allerdings ausschließlich für Vollzeitbeschäftigte. Doch was als „Vollzeit“ gilt, wird abhängig von der Tarifbindung unterschiedlich beantwortet: Bei nicht tariflich geregelten Arbeitsverhältnissen soll eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden maßgeblich sein, bei Geltung eines Tarifvertrags „mindestens 34 Stunden″. Brisant ist: Auch wenn im Arbeitsvertrag oder im Betrieb eine geringere Wochenarbeitszeit – etwa 38 Stunden – als Vollzeit gilt, sollen die steuerfreien Zuschläge erst ab der 41. Stunde greifen. Bei einer tariflich festgelegten 38-Stunden-Wochen wären Zuschläge hingegen ab der ersten Überstunde steuerfrei.

Zudem steht die geplante Regelung unter europarechtlichem Druck. Der Europäische Gerichtshof (Urteil v. 19. Oktober 2023 – C-660/20; Urteil v. 29. Juli 2024 – C-184/22, C-185/22) sowie das Bundesarbeitsgericht (Urteil v. 5. Dezember 2024 – 8 AZR 370/20) haben bereits entschieden, dass Regelungen, die für Überstundenzuschläge pauschal das Überschreiten einer Vollzeitgrenze voraussetzen, eine mittelbare Diskriminierung von Frauen darstellen und zudem gegen das Benachteiligungsverbot von Teilzeitkräften verstoßen. Zuschläge müssen daher schon ab der ersten Überstunde gezahlt werden. Diese Diskriminierungsverbote sind unionsrechtlich verankert und binden auch den nationalen Gesetzgeber. Die zentrale Frage lautet daher: Darf der Gesetzgeber Regelungen schaffen, die den Tarifparteien verboten sind? Eine gerichtliche Klärung erscheint wahrscheinlich – die rechtliche Entwicklung bleibt mit Spannung zu verfolgen.

Unser Tipp: Abwarten statt Aktionismus

Arbeitgeber, die bereits Arbeitszeiten dokumentieren, sollten sich auf gesetzliche Änderungen einstellen und ggf. Budget für die Umstellung einplanen. Dennoch ist zurückhaltendes Handeln geboten: Solange die gesetzlichen Anforderungen an die elektronische Zeiterfassung nicht im Detail feststehen, besteht das Risiko, dass vorschnelle Investitionen in neue Systeme nicht den kommenden Vorgaben entsprechen – und somit erneute Kosten verursachen.

Unsere Empfehlung daher: Keine voreiligen Entscheidungen treffen, Entwicklungen beobachten und Systeme erst dann umstellen, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen klar sind bzw. wenn die zuständige Behörde die Einführung einer Zeiterfassung anordnet, denn eine entsprechende Anordnung ist rechtsverbindlich (VG Hamburg, Urteil v. 21. August 2024 – 15 K 964/24) und ein Nichtbefolgen kann ein Bußgeld nach sich ziehen.

Fazit: Viel Potenzial – entscheidend wird die Umsetzung

Die geplanten Neuregelungen bergen Potenzial. Sie können Unternehmen die dringend benötigte Flexibilität bieten und einen Schritt hin zu einer modernen, praxisnahen Arbeitszeitgestaltung bedeuten. Ob die angekündigte Flexibilisierung jedoch tatsächlich eine spürbare Entlastung bringt, hängt maßgeblich von der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung und ihrer praktischen Umsetzbarkeit ab. Dass ambitionierte Koalitionsvorhaben in der Umsetzung scheitern oder nur unzureichend realisiert werden, ist keineswegs ein Novum, sondern gelebte Praxis. Entscheidend wird sein, ob es diesmal gelingt, rechtssichere und zugleich praxistaugliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

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*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: 48-Stunden-Woche Arbeitsrecht Koalitionsvertrag 2025 Zeitarbeit