22. März 2024
nachhaltiges Reisen Arbeitszeit
Arbeitsrecht

Nachhaltig Reisen versus Arbeitszeitgesetz

Umweltfreundliches Reisen ist häufig zeitaufwändig. Wie verträgt sich das mit den strengen Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes?

Nachhaltiges Reisen ist ein zentraler Aspekt auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Gesellschaft. Viele Unternehmen sind inzwischen sensibilisiert und machen sich Gedanken, wie Dienstreisen möglichst klimafreundlich durchgeführt werden können. Doch umweltfreundliches Reisen ist häufig zeitaufwändig. In diesem Punkt hat die Bahn gegenüber dem Flugzeug in der Regel das Nachsehen; dies gilt zumeist auch im Verhältnis des öffentlichen Nahverkehrs zum individuell genutzten PKW.

Um klimafreundlich reisen zu können, trieb es ein Klimawissenschaftler an einem Forschungsinstitut auf die Spitze – verschiedene Medien berichteten dazu. Er untersuchte während eines Zeitraums von sechs Monaten die Auswirkungen des Klimawandels und der Globalisierung auf Gemeinden in Papua-Neuguinea. Als das Institut ihn aufforderte, bis zum 2. Oktober 2023 einen Rückflug ins über 14.000 Kilometer entfernte Deutschland anzutreten, um dort seine Arbeit wieder aufzunehmen, erklärte er, er wolle die Rückreise nach Deutschland auf Frachtschiffen, Fähren, Zügen und Bussen zurücklegen, um Flugemissionen zu sparen. Die Rückreisezeit erstreckte sich dann auf einen Zeitraum von zwei Monaten. Sein Arbeitgeber* kündigte ihm fristlos, obwohl der Forscher angeboten hatte, während seiner Reisezeit zu arbeiten. Ob das dann auch geschehen ist, war zwischen den Parteien streitig. Die Kündigungsschutzklage des Wissenschaftlers wurde jedenfalls vom Arbeitsgericht Kiel abgewiesen.

Reisen, Arbeiten auf Reisen und Arbeitszeitgesetz

Aber wie verhält es sich eigentlich mit dem Reisen, dem Arbeiten auf Reisen und dem Arbeitszeitgesetz? 

Das Arbeitszeitgesetz macht zunächst klare Ansagen: Grundsätzlich darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer*acht Stunden nicht überschreiten; sie kann aber auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden (§ 3 ArbZG). Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit muss eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden eingehalten werden (§ 5 Abs. 1 ArbZG). Darüber hinaus sind Ruhepausen von insgesamt mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs und bis zu neun Stunden sowie Ruhepausen von insgesamt mindestens 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden zu gewähren (§ 4 ArbZG). Zudem dürfen Arbeitnehmer grundsätzlich nicht an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen beschäftigt werden; von diesem Grundsatz enthält das Arbeitszeitgesetz einige Ausnahmen (§§ 9, 10 ArbZG).

Es stellt sich die Frage, ob ein Arbeitnehmer auch beim Reisen an derartige Vorschriften gebunden ist. Was ist, wenn er nach einem Arbeitstag in Berlin die Rückreise mit dem Zug nach Köln antritt? Das Überschreiten der werktäglichen Arbeitszeit ist dann gewiss. Darf er das oder muss er in Berlin übernachten und erst am nächsten Morgen nach Hause reisen? Darf er, wenn er um 22 Uhr zu Hause ankommt, am nächsten Morgen um 8 Uhr schon wieder am Schreibtisch sitzen? Macht es einen Unterschied, ob er im Zug arbeitet oder Serien seines favorisierten Streaminganbieters schaut? Wie verhält es sich mit dem Arbeitszeitgesetz, wenn ein Arbeitnehmer seine Dienstreise schon am Sonntag antreten muss, um Montag früh bei einem Kunden sein zu können?

Um diese Fragen richtig beantworten zu können, muss sich zunächst vergegenwärtigt werden, dass zwischen der arbeitsschutz- und der vergütungsrechtlichen Arbeitszeit zu unterscheiden ist.

Arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeit

Die arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeit ist die tatsächliche Arbeitszeit, die ein Arbeitnehmer arbeitet; die Vergütung spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Die maximale Dauer dieser Arbeitszeit ist durch das Arbeitszeitgesetz geregelt (siehe dazu bereits oben). Dieses Gesetz dient insbesondere der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. Zu diesem Zweck setzt der Staat Arbeitgebern in Deutschland arbeitszeitbezogene Schranken und droht bei Verstößen hohe Bußgelder und Strafen an (§§ 22, 23 ArbZG). Die Frage, die sich hier stellt, ist also, ob der Arbeitnehmer eine bestimmte Arbeitszeit erbringen darf, ohne dass dieser bußgeldbewährte unerlaubte Überstunden leistet.

Vergütungsrechtliche Arbeitszeit

Die vergütungsrechtliche Arbeitszeit richtet sich hingegen nach §§ 611611 a Abs. 2 BGB. Es geht hier um die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit und deren Bezahlung. Die Frage ist also, was genau von der geleisteten Arbeit wie zu vergüten ist.

Die Tarif- oder Arbeitsvertragsparteien können beispielsweise regeln, dass bestimmte Arbeitszeiten, z. B. Dienstreise-, Umkleide-, Bereitschaftsdienst- und Rufbereitschaftszeiten anders, also etwa pauschal, vergütet werden. Zu beachten ist hier, dass das Mindestlohngesetz (MiLoG) der Autonomie der Vertragsparteien bei der Regelung von Pauschalvergütungen bzw. der Beschränkung der Vergütung Grenzen setzt. In Arbeits- oder Tarifverträgen bzw. in Betriebsvereinbarungen kann weiter bestimmt werden, ob und in welchem Umfang Überstunden zu leisten sind und wie diese abgegolten werden.

Wendet man diese Grundsätze auf Dienstreisen an, ergibt sich folgendes Bild:

Arbeitsschutzrechtliche Einordnung von Dienstreisen

Bei der arbeitsschutzrechtlich relevanten Arbeitszeit ist nach der Rechtsprechung des BAG (siehe etwa BAG, Urteil v. 11. Juli 2006 – 9 AZR 519/05) zu differenzieren, ob der Arbeitnehmer verpflichtet ist, während der Dienstreise zu arbeiten, oder ob er über seine Zeit frei verfügen kann (sog. „Beanspruchungstheorie“). Bei einer Dienstreise, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgt, handelt es sich demnach nur dann um relevante Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer während der Dienstreise auf Weisung des Arbeitgebers mit Arbeitsvorgängen beschäftigt ist (E‑Mails, Telefonate etc.). Liest er ein Buch, hört Podcasts oder arbeitet er freiwillig, handelt es sich nicht um Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes. Ein Arbeitstag in Berlin hindert ihn dann nicht an der Rückreise nach Köln am selben Abend. Auch die sonntägliche Anreise bleibt möglich. Das Problem der Einhaltung der Ruhezeit nach einem Reisetag entfällt ebenfalls.

Sitzt der Arbeitnehmer hingegen auf Anweisung seines Arbeitgebers am Steuer eines Kraftfahrzeugs und ist aktiv mit dem Beförderungsvorgang befasst, kann er über seine Zeit nicht frei verfügen. Demnach ist die Reisezeit in diesem Fall grundsätzlich Arbeitszeit. Gleiches gilt, wenn die Durchführung der Reise Teil der Hauptleistungspflicht ist, also etwa bei Berufskraftfahrern oder bei Außendienstmitarbeitern. In diesem Fall wäre also eine Übernachtung in Berlin erforderlich, die Sonntagsanreise problematisch und Ruhezeiten müssten beachtet werden.

Anders verhält es sich nur dann, wenn der Arbeitnehmer mit dem PKW reist, obwohl der Arbeitgeber eine Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln vorgesehen hatte. Die Gründe für die Fahrt mit dem PKW liegen dann im privaten Bereich ‑ es fehlt die betriebliche Veranlassung. Arbeitgeber sollten sich im Zweifel daher gut überlegen, ob sie die Wahl des Verkehrsmittels in die Hände der Arbeitnehmer legen.

Es empfiehlt sich daher, soweit praktikabel, Arbeitnehmer für Dienstreisen auf öffentliche Verkehrsmittel zu verweisen und ihnen im Zweifel die Gestaltung der Reisezeit zu überlassen ‑ zumindest dann, wenn sonst die Höchstgrenzen oder sonstige Schutzvorschriften des Arbeitszeitgesetzes verletzt werden könnten. 

Anders die Einschätzung des VG Lüneburg: Jede Reisezeit ist Arbeitszeit

Anders als das BAG sieht dies übrigens das VG Lüneburg. Es entschied am 2. Mai 2023 – 3 A 146/22, dass nach der europarechtlichen Begriffsbestimmung in der Arbeitszeitrichtlinie allein entscheidend sei, ob der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung stehe und seine Tätigkeit ausübe oder Aufgaben wahrnehme. Auch die mehrstündige An- und Abreise mit der Bahn sei bereits Teil der Leistungserbringung und beschränke die Freiheit der Arbeitnehmer, über ihre Zeit selbst zu bestimmen. Für das Gericht ist es unerheblich, ob dabei gearbeitet oder „gechillt“ wird. Der Sachverhalt wies allerdings die Besonderheit auf, dass es sich um Mitarbeiter eines Speditionsunternehmens handelte, die (nur) die Aufgabe hatten, mit Bahn und Taxi jeweils zu den Abholorten von zu überführenden Fahrzeugen zu fahren. Der Fall lässt sich daher nicht ohne Weiteres auf „klassische“ Dienstreisen übertragen.

Vergütungsrechtliche Einordnung von Dienstreisen

Die Tatsache, dass Reisezeiten unter Umständen arbeitsschutzrechtlich irrelevant sind, heißt aber nicht, dass diese Zeiten nicht zu vergüten sind. Vergütungsrechtlich gilt: Reisen sind, sofern sie im Interesse des Arbeitgebers erfolgen und in untrennbarem Zusammenhang mit der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung stehen, Arbeit und damit zu vergüten (BAG, Urteil vom 17. Oktober 2018 – 5 AZR 553/17). Dies gilt jedenfalls, wenn die Reise innerhalb der regulären Arbeitszeiten stattfindet.

Bei Überstunden im Rahmen von Dienstreisen, also bei Dienstreisen außerhalb der regulären Arbeitszeit, greift § 612 Abs. 1 BGB, nach dem eine Vergütung als stillschweigend vereinbart gilt, wenn die Dienstleistung nach den Umständen nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Um Unklarheiten zu vermeiden, ist es ratsam, eine arbeits- oder tarifvertragliche Regelung zu treffen. Diese können vorsehen, dass die Vergütung für derartige Reisezeiten unter Beachtung des MiLoG abweichend geregelt wird. Auch kann vereinbart werden, dass bei solchen Reisen anfallende Überstunden gutgeschrieben und abgefeiert werden dürfen. Reisezeiten außerhalb der regulären Arbeitszeit vollständig von der Vergütung herauszunehmen, dürfte in Formulararbeitsverträgen indes eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers darstellen (§ 307 Abs. 1, 2 BGB).

Bei leitenden Angestellten i.S.v. 5 Abs. 3 BetrVG sowie bei Arbeitsverhältnissen mit deutlich herausgehobener Vergütung (das ist der Fall, wenn die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschritten wird) dürfte grundsätzlich keine stillschweigende Vergütungserwartung bestehen, so dass diese Personengruppen keine Vergütung der Reisezeiten außerhalb der eigentlichen Arbeitszeiten beanspruchen können.

Nachhaltig Reisen im Einklang mit dem Arbeitszeitgesetz

Nachhaltig Reisen und Arbeitszeitgesetz widersprechen sich nicht zwangsläufig. Legt der Arbeitnehmer innerhalb seiner regulären Arbeitszeit weite Strecken mit der Bahn zurück, kann der Arbeitgeber sogar anordnen, dabei dienstliche Tätigkeiten zu verrichten. Erst wenn die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes oder der individuellen Arbeitszeit überschritten werden, ist es ratsam, dem Arbeitnehmer die Gestaltung der Reisezeit zu überlassen, um Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz bzw. das Anhäufen von Überstunden zu vermeiden. Sollte sich indes die Rechtsauffassung des VG Lüneburg durchsetzen, dürften Reisen mit der Bahn für den Arbeitgeber deutlich an Attraktivität verlieren. 

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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