Wer auf einer Verkaufsplattform zahlreiche verschiedene Waren verkauft, ist nicht unbedingt Unternehmer i. S. d. § 14 BGB – auch nicht bei 600 Transaktionen.
Unternehmer* unterliegen u.a. im E-Commerce zahlreichen rechtlichen Pflichten, die für Verbraucher nicht gelten. Dies gilt sowohl im B2C- als auch im B2B-Geschäft. Die Frage, wer als Unternehmer und wer als Verbraucher anzusehen ist, ist u. a. bei der Formulierung und der Prüfung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), bei der Frage nach dem Bestehen eines Verbraucherwiderrufsrechts und bei den kaufrechtlichen Gewährleistungsrechten (Stichwort: Verbrauchsgüterkauf) maßgeblich. Obwohl das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sowohl den Begriff des Verbrauchers als auch den des Unternehmers gesetzlich definiert, beschäftigt die Abgrenzung nach wie vor die Gerichte. Das OLG Brandenburg entschied jüngst, dass eine (natürliche) Person nicht allein deswegen als Unternehmer anzusehen ist, weil sie an insgesamt 600 Transaktionen auf einer Verkaufsplattform beteiligt war.
Ausgangspunkt: Der Unternehmer nach § 14 BGB
Nach § 14 BGB ist ein Unternehmer eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Eine gewerbliche Tätigkeit setzt ein selbständiges und planmäßiges, auf eine gewisse Dauer angelegtes Anbieten entgeltlicher Leistungen am Markt voraus – Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich. Auf Dauer angelegt und damit planmäßig ist die Tätigkeit, wenn sie nicht bloß gelegentlich erfolgt. Das begriffliche Gegenstück zum Unternehmer ist der Verbraucher. Verbraucher ist gemäß § 13 BGB eine natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Eine natürliche Person kann bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts – z. B. beim Verkauf einer Ware auf einer Online-Plattform – entweder als Verbraucher oder als Unternehmer handeln.
Wie sieht es also aus, wenn jemand ein gebrauchtes Boot verkauft, nachdem er bereits an 600 Transaktionen auf derselben Online-Plattform beteiligt war? Diese Frage beantwortete das OLG Brandenburg mit seinem Urteil vom 4. Februar 2025 (Az.: 6 U 48/24).
600 Transaktionen, ein Boot – und kein Unternehmer
Konkret war Folgendes passiert: Der Kläger bot auf einer Verkaufsplattform ein gebrauchtes Boot zum Verkauf an. Er war bereits seit mehreren Jahren auf der Verkaufsplattform als Verkäufer aktiv; insgesamt war er an ca. 600 Transaktionen beteiligt. Der Beklagte wurde mit dem Kläger handelseinig und kaufte das Boot. Nach Abschluss des Kaufvertrages stellte er erstmals Nachfragen über den Zustand des Bootes. Die Antworten gefielen ihm offenbar nicht – er rügte, das Boot sei mangelhaft, und erklärte den Widerruf des Kaufvertrags.
Ein Vertrag kann jedoch nur dann wirksam widerrufen werden, wenn der Vertragspartei, die den Widerruf erklärt, ein Widerrufsrecht zusteht. Im hiesigen Fall kam allein das Verbraucherwiderrufsrecht nach §§ 312g, 355 BGB in Betracht (Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen i. S. d. § 312c BGB). Voraussetzung für das Bestehen dieses Verbraucherwiderrufsrechts ist u. a., dass der Vertrag zwischen einem Verbraucher auf der einen und einem Unternehmer auf der anderen Seite geschlossen wurde.
Kein Streit bestand insoweit, als der Käufer den Vertrag als Verbraucher geschlossen hatte. Ob er sich durch die Ausübung eines Verbraucherwiderrufsrechts vom Vertrag lösen konnte, hing also entscheidend davon ab, ob der Verkäufer als Unternehmer i. S. d. § 14 BGB gehandelt hatte.
LG Cottbus setzte Schwerpunkt auf Zahl der Verkäufe, Alter des Nutzeraccounts und Anzahl und Preis der verkauften Waren
600 Transaktionen auf einer Verkaufsplattform – dies klingt auf den ersten Blick beträchtlich. Eine mittlere dreistellige Zahl von Verkäufen auf einer einzigen Verkaufsplattform werden die meisten Bundesbürger wahrscheinlich nicht in ihrer Freizeit tätigen. Nach Ansicht des Landgerichts Cottbus (LG Cottbus, Urteil v. 4. April 2024 – 2 O 250/22) sprach für die Unternehmereigenschaft des Verkäufers zudem die Tatsache, dass er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses seit ca. fünfzehn Jahren auf der Verkaufsplattform angemeldet war. Die Dauer seiner Plattformaktivität und die Zahl der Verkäufe wertete es als Argumente für ein „selbständiges und planmäßiges, auf eine gewisse Dauer angelegtes Anbieten entgeltlicher Leistungen am Markt“.
Das LG Cottbus hatte daher den Verkäufer noch als Unternehmer i. S. d. § 14 BGB eingeordnet. Der Verkäufer habe beim Abschluss des Kaufvertrags über ein gebrauchtes Boot in Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit gehandelt.
OLG Brandenburg: Anzahl der Verkäufe auf Verkaufsplattform und Account-Alter sind nicht allein maßgeblich
Dieser Ansicht widersprach nun das OLG Brandenburg und änderte das entsprechende Urteil des LG Cottbus ab.
Das LG Cottbus hatte zwar in seiner Urteilsbegründung richtigerweise betont, dass bei der Abgrenzung zwischen Verbraucher und Unternehmer stets die Umstände des Einzelfalls in einer Gesamtschau zu würdigen sind. Die Argumentation des LG Cottbus genügt dem Erfordernis einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls aber nicht, so das OLG Brandenburg.
Interessanterweise spricht nach Ansicht des OLG Brandenburg die Beteiligung an 600 Transaktionen über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren gerade gegen die Einordnung des Verkäufers als Unternehmer. 600 Verkäufe in fünfzehn Jahren entsprechen durchschnittlich drei Verkäufen pro Monat – die Handelsaktivität des Verkäufers sei also tatsächlich eher sporadischer Natur.
Anbieten von Gebraucht- und Sammlerobjekten indiziert selbst bei hohem Warenwert keine gewerbliche Tätigkeit
Während das LG Cottbus dem Verkäufer noch das Anbieten von „wiederkehrenden gleichartigen Waren“ attestiert hatte, konstatierte das OLG Brandenburg, dass der Verkäufer „völlig unterschiedliche Artikel, insbesondere Einzelstücke, angeboten (habe), wie z.B. Uhren und dazugehörige Accessoires, Werkzeug, Schmuck, Autozubehör, Automodelle, Bücher“. Die Heterogenität der in der Vergangenheit verkauften Waren untermauere die Darstellung des Verkäufers, dass er über die Verkaufsplattform Sammler- und Gebrauchtwaren verkaufe, nachdem er sie nicht mehr selbst privat verwenden wolle. Ein professionelles Sortiment, das für eine Unternehmereigenschaft sprechen könnte, habe der Verkäufer gerade nicht angelegt. Der Verkäufer habe seine vielen Verkäufe von hochwertigen Uhren nachvollziehbar damit erklärt, dass er solche Uhren sammelt.
Eigenbezeichnung als „Privatverkäufer“ ist unmaßgeblich
Das OLG Brandenburg bestätigte die Ansicht der Vorinstanz, dass es für die Abgrenzung zwischen Unternehmer und Verbraucher nicht maßgeblich sein könne, ob der Verkäufer sich selbst als „Privatverkäufer“ bezeichnet. Eigenbezeichnungen als Privatverkäufer werden – insbesondere im Online-Handel – häufig aus rechtlicher Unkenntnis vorgenommen, wenn nicht der Verkäufer sogar bewusst versucht, sich durch diese Eigenbezeichnung den Anforderungen des Verbraucherschutzes zu entziehen.
„Power seller“-Status auf Verkaufsplattform als Anhaltspunkt für gewerbliche Tätigkeit
Zu berücksichtigen sei demgegenüber die Tatsache, dass der Verkäufer auf der Plattform nicht den Status eines „power sellers“ erreicht habe. Der Status als „power seller“ wird, je nach Plattform, durch die Beteiligung an einer gewissen Anzahl an Transaktionen innerhalb eines bestimmten Zeitraums erreicht. Der Status wird also aufgrund von plattformindividuellen, aber im Vorhinein feststehenden Kriterien verliehen. Deshalb könne er einen Hinweis auf eine überdurchschnittliche Aktivität und damit auf ein gewerbliches Handeln bieten. Hat ein Verkäufer hingegen keinen „power seller“-Status, spricht dies gegen ein gewerbliches Handeln.
Zu beachten ist allerdings, dass der „power seller“-Status – sofern er vorliegt – einen Verkäufer nicht zwingend zum Unternehmer macht. Bei der Prüfung des § 14 BGB sind in jedem Fall sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Wertungen des Plattformen-Steuertransparenzgesetzes sind unerheblich i. R. d. § 14 BGB
Das Plattformen-Steuertransparenzgesetz (PStTG) verpflichtet Verkaufsplattformen dazu, Steuerdaten der bei ihnen tätigen Online-Verkäufer an die zuständigen Steuerbehörden weiterzuleiten, sofern die Aktivität des jeweiligen Verkäufers nicht eine Bagatellgrenze von 30 Verkäufen und EUR 2.000,00 Umsatz pro Jahr unterschreitet. Diese Bagatellgrenze legt § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 PStTG fest. Der Käufer hatte vor dem OLG Brandenburg argumentiert, dass die Überschreitung dieser Bagatellgrenze durch den Verkäufer dafür spreche, dass er das gebrauchte Boot als Unternehmer verkauft habe. Dieser Ansicht folgt das OLG Brandenburg nicht: Für die Belange des Zivilrechts – also die Auslegung des § 14 BGB – bedeute die Überschreitung der Bagatellgrenze des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 PStTG nicht, dass notwendigerweise eine planmäßig angelegte berufliche Tätigkeit des Verkäufers anzunehmen sei.
Bedeutung für Online-Plattformen und deren Nutzer
Das Urteil des OLG Brandenburg bietet sowohl Nutzern als auch Betreibern von Online-Plattform Orientierung bei der Beantwortung der Frage, welche Verkäufer auf Online-Plattformen als Unternehmer einzustufen sind. Da das OLG Brandenburg höhere Anforderungen an die Unternehmereigenschaft stellt als die Vorinstanz, ist das Urteil aus Perspektive der Verkäufer und der Betreiber von Online-Plattformen begrüßenswert: Die Unternehmereigenschaft begründet sowohl für die Verkäufer als auch die Betreiber von Online-Plattformen diverse rechtliche Verpflichtungen, die nicht bestehen, sofern es sich bei dem jeweiligen Verkäufer um einen Verbraucher handelt.
Für Kaufinteressenten auf Online-Plattformen empfiehlt es sich, beim Vertragsschluss nicht pauschal davon auszugehen, dass ein Verkäufer mit langer Plattformzugehörigkeit und einer Vielzahl von Transaktionen Unternehmer i. S. d. § 14 BGB sein wird. Denn diverse Verbraucherrechte – u. a. das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen – stehen Verbrauchern nur beim Vertragsschluss mit Unternehmern zu. Beim Einkaufen auf Online-Plattformen gilt also nicht nur bezüglich der Ware, sondern auch bezüglich der Verbraucherrechte: Caveat emptor!
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.