Nach aktuellem Vorschlag der EU sollen zukünftig alle Online-Shops einen Widerrufs-Button einrichten müssen. Dabei sind Hintergründe und Auswirkungen mehr als fragwürdig.
Es begann am 11. Mai 2022 mit einem Vorschlag der EU-Kommission, durch den die Regelungen für im Fernabsatz geschlossene Finanzdienstleistungsverträge geändert und in die allgemeine Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU) überführt werden sollten (bislang sind diese in der separaten Richtlinie 2002/65/EG geregelt, die nach dem Vorschlag aufgehoben werden sollte). Hintergrund waren verschiedene Erhebungen und Expertenmeinungen zum Änderungsbedarf von online abgeschlossenen Finanzdienstleistungsverträgen. Unter anderem sah dieser Vorschlag vor, dass für solche Verträge eine Schaltfläche für den Widerruf eingerichtet werden müsste (vgl. Art. 16b des Kommissionsvorschlags). Diese Pflicht betraf wohlgemerkt nur Finanzdienstleistungsverträge.
Plötzlich Ausweitung auf den gesamten E-Commerce
Entsprechend überraschend war dann der Kompromissvorschlag des Ausschusses der Ständigen Vertreter vom 24. Februar 2023. Neben einigen technischen Änderungen an der Gestaltung des besagten Widerrufs-Buttons wurde nun insbesondere entschieden, dass der Widerrufs-Button nicht nur für Finanzdienstleistungen gelten solle, sondern vielmehr für sämtliche über „Online-Benutzeroberflächen″ geschlossene Verbraucherverträge. Diese massive Ausweitung begründet der Kompromissvorschlag knapp wie folgt (vgl. dort S. 5):
Durch eine Schaltfläche für den Widerruf oder eine ähnliche Funktion werden die Verbraucher* stärker für ihr Recht auf Widerruf und die Möglichkeiten des Rücktritts von einem Vertrag sensibilisiert. Bei Fernabsatzverträgen ist es generell wichtig, dass es nicht aufwändiger ist, von dem Vertrag zurückzutreten, als ihn zu schließen. Um den Verbraucherschutz weiter zu stärken, wird im Kompromisstext vorgeschlagen, die Anwendung der Schaltfläche für den Widerruf nicht nur auf Finanzdienstleistungen zu beschränken. Stattdessen sollen die einschlägigen Bestimmungen in dem allgemeinen Kapitel der Richtlinie über die Rechte der Verbraucher aufgenommen und soll damit ein horizontaler Anwendungsbereich für im Fernabsatz geschlossene Verträge geschaffen werden.
Nicht weniger überraschend war, dass der Rat der Europäischen Union diesen Kompromissvorschlag innerhalb von nur wenigen Tagen am 2. März 2023 ohne diesbezügliche Änderungen und (naturgemäß ohne weitere Erläuterungen) annahm.
Was genau soll zum Widerrufs-Button gelten?
Nach dem vom Rat angenommenen Kompromissvorschlag müssen Betreiber digitaler Plattformen sicherstellen, dass Verbraucher über eine „Online-Benutzeroberfläche″ geschlossene Verträge mittels einer Schaltfläche oder einer ähnlichen Funktion auf derselben Online-Benutzeroberfläche widerrufen können. Eine Definition des Begriffs „Online-Benutzeroberfläche″ hält der Kompromissvorschlag nicht bereit. Einem eher beiläufig eingefügten Klammerzusatz in Erwägungsgrund 25 kann man aber entnehmen, dass damit ganz allgemein Websites und Anwendungen gemeint sind. Damit würde die Pflicht zum Widerrufs-Button für sämtliche Online-Shops gelten. Ausgeschlossen wären wohl nur Verträge, die per E-Mail oder ähnliche Kommunikationsmittel geschlossen werden (was stark an die Ausnahme aus der E-Commerce-Richtline erinnert, vgl. Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 200/31/EG). Die besagte Schaltfläche oder ähnliche Funktion soll dabei lesbar mit den Worten „Vertrag widerrufen″ oder einer entsprechenden eindeutigen Formulierung und auf der Online-Benutzeroberfläche hervorgehoben platziert sowie leicht zugänglich sein (vgl. Art. 11a Abs. 1 des Kompromissvorschlags). Der Verbraucher soll seine Widerrufserklärung über diese Schaltfläche bzw. ähnliche Funktion abgeben können, indem folgende Informationen vom ihm bereitgestellt oder bestätigt werden: (a) Name des Verbrauchers, (b) Bezeichnung des Vertrags und (c) Angaben zum elektronischen Kommunikationsmittel, mit dem die Bestätigung des Widerrufs dem Verbraucher übermittelt wird (Abs. 2). Zur Übermittlung der Widerrufserklärung soll der Verbraucher dann einen weiteren Button oder eine ähnliche Funktion nutzen, die lesbar mit „Jetzt widerrufen″ oder einer entsprechenden eindeutigen Formulierung gekennzeichnet ist (Abs. 3). Nach dieser Bestätigung durch den Verbraucher muss der Unternehmer die Übermittlung der Widerrufserklärung automatisch mit Datum und Uhrzeit bestätigen (Abs. 4). Außerdem muss der Unternehmer den Inhalt der Widerrufserklärung nebst Datum und Uhrzeit des Eingangs auf einem dauerhaften Datenträger bestätigen (Abs. 5).
Fehlendes Erfordernis und Nachteile für alle Beteiligten
Insgesamt erscheint der Vorschlag zum Widerrufs-Button für den gesamten E-Commerce äußerst fragwürdig. Die geplanten Regelungen lassen viele Fragen offen und könnten dem Verbraucherschutz letztendlich einen Bärendienst erweisen.
Dabei ist der geplante Widerrufs-Button nicht zu verwechseln mit dem bereits seit dem 1. Juli 2022 geltenden „Kündigungsbutton″ (vgl. § 312k BGB). Dieser wurde unabhängig von europäischen Vorgaben durch das deutsche Gesetz für faire Verbraucherverträge eingeführt, gilt nur für online abgeschlossene Dauerschuldverhältnisse mit Verbrauchern und macht insofern – anders als der Widerrufs-Button – auch Sinn.
Schon der bisherige Gang des Gesetzgebungsprozesses zum Widerrufs-Button ist bezeichnend. Gegenstand der geplanten Richtlinie waren – wie eingangs bereits kurz skizziert – allein die im Fernabsatz geschlossenen Finanzdienstleistungsverträge. Entsprechend wurden – soweit ersichtlich – auch ausschließlich hierzu Experten und Interessenvertreter angehört sowie Studien ausgewertet. Damit fehlt augenscheinlich eine tiefergehende Auseinandersetzung damit, inwieweit ein solcher Widerrufs-Button für den gesamten E-Commerce, und insbesondere für Warenkäufe, überhaupt erforderlich ist und welche Auswirkung das für die Branche – und letztlich auch für die Verbraucher – hätte. Die Annahme durch den Rat innerhalb nur weniger Tage bestärkt diese Feststellung nochmals.
Widerrufs-Button im E-Commerce: Rechtliche und technische Probleme
Dabei ist zunächst nichts dafür ersichtlich, dass die Ausübung des Widerrufsrechts für den Verbraucher aktuell nicht bereits leicht genug gestaltet oder dieser nicht hinreichend informiert ist. Andersherum steht eher zur Diskussion, inwieweit die stetig steigende Anzahl von Rücksendungen im E-Commerce ökologisch und ökonomisch noch vertretbar ist. Der geplante Widerrufs-Button würde den Widerruf – jedenfalls für Warenkäufe – zudem nicht erleichtern. Die meisten Verbraucher schicken die nicht gewollten Waren i.d.R. einfach fristgerecht zurück und/oder widerrufen den Vertrag (zusätzlich) per E-Mail. Ein Verfahren, bei dem der Verbraucher verschiedene Daten eingeben muss, um den Vertrag widerrufen zu können, erscheint da nicht wirklich einfacher.
Zudem stellen sich in diesem Zusammenhang auch wichtige Fragen zum Datenschutz. Bei Bestellungen über Accounts könnte der Widerrufs-Button natürlich noch innerhalb des Accounts implementiert werden. Dieses Beispiel nennt Erwägungsgrund 25 dann auch. Völlig offen ist jedoch, wie das bei Bestellungen über Gast-Accounts umgesetzt werden soll. Diese sind nach (stark umstrittener) Ansicht vieler Datenschutzaufsichtsbehörden zwingend zu ermöglichen. Will man hier die genannten Angaben zum Widerruf ausreichen lassen oder bedarf es nicht vielmehr der Vergabe eines Passworts, ggfs. zusammen mit einer E-Mail-Bestätigung durch den Verbraucher?! Das wäre keinesfalls einfacher.
Nicht nur die Umsetzung für solche Gast-Accounts, sondern überhaupt dürfte der Aufwand für die Shop-Betreiber enorm sein. Gerade Betreiber kleinerer Online-Shops dürfte das technisch und ökonomisch überlasten. Letzten Endes ginge das auch zulasten des Verbrauchers, der einen entsprechenden Aufpreis erwarten darf. Zudem könnten mit der vorgeschlagenen Änderung weitere Verschlechterungen für die Verbraucher einhergehen. Denn Erwägungsgrund 25 spricht nur davon, dass der Unternehmer bei der Bestellung mehrerer Waren oder Dienstleistungen ein Teilwiderrufsrecht einräumen „kann„, aber nicht muss. Auch das erscheint offensichtlich praxisfern. Gerade in der Bekleidungsbranche geht es schließlich oft darum, verschiedene Größen zu probieren und nur die nicht passenden Waren zurückzuschicken.
Eine weitere ungeklärte Frage betrifft die Vorgabe, wonach der Unternehmer dafür sorgen soll, dass der Widerrufs-Button „während der Widerrufsfrist verfügbar, sichtbar und leicht zugänglich ist″ (vgl. ebenfalls Erwägungsgrund 25). Es ist insbesondere unklar, ob hieraus folgt, dass der Widerrufs-Button ‚erlöschen‘ muss, sobald die Widerrufsfrist abgelaufen ist. Das dürfte aber wohl technisch kaum umsetzbar sein, vor allem im Falle von Warensendungen, bei denen die Frist grds. mit Erhalt der Ware beginnt. Der Unternehmer müsste jeden Erhalt der Ware erfassen, im System zusammenführen und an den Widerrufs-Button knüpfen, um diesen rechtzeitig entfernen (oder ausgrauen) zu können. Tut er dies nicht, könnte das ggfs. eine wettbewerbsrechtliche Irreführung darstellen. Denn Verbraucher könnten – so der denkbare Vorwurf – durch den Widerrufs-Button und dessen Bestätigung davon ausgehen, dass ihnen das jeweilige Widerrufsrecht noch zusteht, obwohl es ggf. schon erloschen ist – was der Händler im Einzelfall prüfen muss. Eine neue ‚Abmahnwelle‘, wie seinerzeit bei der Einführung der Widerrufsbelehrung und dem diesbezüglichen Muster, ist jedenfalls absehbar.
Scharfe Kritik von Verbänden und Unternehmen
Unterm Strich wird klar, dass der Widerrufs-Button ausschließlich für Online-Verträge über Finanzdienstleistungen geplant war und wohl auch nur hier Sinn ergeben kann. Für sonstige Online-Verträge, insbesondere solche über Waren, ist er hingegen nicht erforderlich und schadet letzten Endes mehr, als dass er nützt.
Vor diesem Hintergrund wurde bereits ein verbändeübergreifendes Positionspapier gegen die Einführung eines solchen Widerrufs-Buttons veröffentlicht. Hierin betonen die Verbände vor allem, dass sie die Stärkung des Verbraucherwiderrufsrechts und die diesbezügliche Sensibilisierung der Verbraucher vollumfänglich unterstützen, aber der Widerrufs-Button hierfür als ein „One-size-fits-all″ Ansatz nicht zielführend, sondern vielmehr schädlich ist. Auch der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) sowie große Plattformbetreiber haben bereits scharfe Kritik an dem Kompromissvorschlag geäußert.
Insofern bleibt zu hoffen, dass das Europäische Parlament den Kompromissvorschlag abändern und den Widerrufs-Button – wie ursprünglich vorgesehen – auf im Fernabsatz geschlossene Finanzdienstleistungsverträge beschränken wird. Das Europäische Parlament wird sich voraussichtlich bereits Ende März mit der Thematik befassen. Sollte die vorgeschlagene Richtlinie ohne diese Änderungen erlassen werden, würde die Pflicht zum Widerrufs-Button auch in Deutschland zwei Jahre nach dem Erlass in Kraft treten.
In unserer Blogserie „Verbraucherverträge im Digitalzeitalter“ zeigen wir auf, wie die Maßnahmenpakete der EU das europäische Verbraucherschutzrecht fit für das Digitalzeitalter machen sollen. Im ersten Teil fokussierten wir uns auf die hohen Bußgelder für Unternehmer, im zweiten Teil auf Bußgelder bei Verletzungen von Verbraucherschutzvorschriften und Lauterkeitsrecht. Anschließend haben wir uns mit den Änderungen im BGB und den neuen Regelungen der Warenkaufrichtlinie beschäftigt. Weiter sind wir auf Personalized Pricing, das Dual-Quality-Verbot, die Verbandsklage sowie den Individualschadensersatz und das Mängelrecht bei Verträgen über digitale Produkte eingegangen. Zuletzt haben wir uns mit der Abo-Falle, den Vorgaben für die Werbung mit Preisermäßigungen und den neuen Ordnungswidrigkeitstatbeständen im Wettbewerbs- und Verbrauchervertragsrecht auseinandergesetzt.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.