Aktualisierungspflichten, verlängerte Beweislastumkehr und flexible Verjährung – die dID-Richtlinie belastet insbesondere Unternehmen aus dem digitalen Sektor.
Am 13. Januar 2021 veröffentlichte die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und Dienstleistungen (EU 2019/770 – „dID-Richtlinie“). Die diD‑Richtlinie ist Bestandteil der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt der Europäischen Kommission. Ziel dieser Strategie ist es, die nationalen digitalen Märkte innerhalb der EU zu einem gemeinsamen digitalen Markt zusammenzuführen. Im Rahmen einer digitalen Dekade soll Europa fit für das digitale Zeitalter gemacht werden.
Digitale Produkte sind nach Ansicht der Bundesregierung (siehe Abschnitt A des Gesetzesentwurfs) ein
zunehmend wichtiger Wirtschaftsfaktor und eignen sich insbesondere für einen grenzüberschreitenden Handel.
Das Vertrauen der Verbraucher beim Erwerb digitaler Produkte von Anbietern aus anderen EU‑Mitgliedstaaten soll gestärkt werden. Bisher sah das deutsche Vertragsrecht jedoch keine eigenen Regelungen für Verträge über digitale Produkte vor. Dies wird sich mit Umsetzung der dID‑Richtlinie ändern.
Kein neuer Vertragstyp, sondern neues Mängelrecht
Eine wichtige Erkenntnis vorab: Es wird kein neuer Vertragstyp geschaffen. Kernstück des Gesetzesentwurfs ist vielmehr ein neues Mängelrecht für Verträge über digitale Inhalte oder Dienstleistungen, die zusammen als „digitale Produkte“ bezeichnet werden. Die neuen Vorschriften sind daher auch im Allgemeinen und nicht im besonderen Teil des Schuldrechts verortet (§§ 327ff. BGB‑E – „Verträge über digitale Produkte“).
Die vertragstypologische Einordnung solcher Verträge könne auch weiterhin auf Grundlage der bestehenden Vertragstypen des BGB erfolgen, so die Bundesregierung. Die insofern existierende Rechtsprechung betreffe insbesondere den Vertrieb von Software und sei auch weiterhin heranzuziehen.
Geltung für Verbraucherverträge über digitale Produkte
§ 327 Abs. 1 BGB‑E legt fest, dass die neuen Vorschriften nur für Verbraucherverträge gelten, welche die Bereitstellung digitaler Inhalte oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben:
- Digitale Inhalte sind nach § 327 Abs. 2 S. 1 BGB‑E Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden.
- Digitale Dienstleistungen sind gemäß § 327 Abs. 2 S. 2 BGB‑E solche, die dem Verbraucher
- die Erstellung, die Verarbeitung oder die Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten ermöglichen, oder
- die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstige Interaktionen mit diesen Daten ermöglichen.
Zudem sind sogenannte Paketverträge erfasst, in denen die Bereitstellung digitaler Inhalte mit nicht digitalen Inhalten verbunden ist (§ 327a BGB‑E). Neben Entgeltverträgen fallen auch solche Verträge in den Anwendungsbereich des neuen Mängelrechts, bei denen die Gegenleistung des Verbrauchers in der Bereitstellung personenbezogener Daten zur kommerziellen Nutzung besteht (§ 327 Abs. 3 BGB‑E).
Nicht erfasst sind unter anderem Dienstleistungsverträge, in denen die Diensterbringung nur mit digitalen Hilfsmitteln geschieht, wie beispielsweise freiberufliche Dienstleistungen, Software-Bereitstellung oder Finanzdienstleistungen (§ 327 Abs. 6 BGB‑E).
Mangelbegriff auf digitale Produkte zugeschnitten
Stellt der Unternehmer digitale Produkte nicht oder nicht vertragsgemäß bereit, soll der Verbraucher – ähnlich wie im Kaufrecht – Nacherfüllung verlangen, mindern oder den Vertrag beenden und gegebenenfalls Schadensersatz verlangen können. Das digitale Produkt soll dann frei von „Produktmängeln“ sein, wenn es den subjektiven und objektiven Anforderungen sowie den „Anforderungen an die Integration“ entspricht (§ 327e Abs. 1 BGB‑E). Unter „Integration“ wird die Verbindung und Einbindung des digitalen Produkts mit den oder in die Komponenten der digitalen Umgebung des Verbrauchers verstanden, damit das digitale Produkt ordnungsgemäß genutzt werden kann (§ 327e Abs. 4 BGB‑E).
Die drei im Rahmen des Produktmangels relevanten Aspekte (subjektiv, objektiv, Integration) werden in den nachfolgenden Absätzen des § 327e BGB‑E mit Leben gefüllt. So kommt es beispielsweise in subjektiver Hinsicht auf die vereinbarte Beschaffenheit (einschließlich Anforderungen an Menge, Funktionalität, Kompatibilität und Interoperabilität des digitalen Produkts) und objektiv auf die Beschaffenheit einer Testversion an. Auch die Bereitstellung von Aktualisierungen spielt bei der Bestimmung der Produktmangelfreiheit eine Rolle. Die Integration muss in der Regel sachgemäß durchgeführt werden und darf im Falle einer unsachgemäßen Durchführung beispielsweise nicht auf einem Mangel in der vom Unternehmer bereitgestellten Anleitung beruhen.
Unternehmer unterliegt einer Bereitstellungspflicht digitaler Inhalte
Die Leistungspflichten des Unternehmers im Zusammenhang mit der Bereitstellung digitaler Produkte werden durch § 327b BGB‑E konkretisiert. Demnach ist zum Beispiel ein digitaler Inhalt bereitgestellt,
sobald der digitale Inhalt oder die geeigneten Mittel für den Zugang zu diesem oder das Herunterladen des digitalen Inhalts dem Verbraucher unmittelbar oder mittels einer von ihm hierzu bestimmten Einrichtung zur Verfügung gestellt oder zugänglich gemacht worden ist.
In zeitlicher Hinsicht kann der Verbraucher die Bereitstellung des digitalen Produkts unverzüglich verlangen und der Unternehmen kann sie sofort bewirken (sofern nicht anders vereinbart). Die Beweislast für die ordnungsgemäße Bereitstellung trägt der Unternehmer (abweichend von § 363 BGB).
Kommt der Unternehmer seiner Bereitstellungspflicht aus § 327b BGB‑E nicht ordnungsgemäß nach, stehen dem Verbraucher nach § 327c BGB‑E ergänzende Mängelrechte zu. Der Verbraucher kann den Vertrag in diesem Fall beenden und Schadens- oder Aufwendungsersatz verlangen.
Aktualisierungspflicht: Zeitlicher Rahmen bleibt offen
Ein zentraler Aspekt im Rahmen des neuen Mängelrechts für digitale Produkte ist die Aktualisierungspflicht des Unternehmers (§ 327f BGB‑E). Ein digitales Produkt entspricht demnach nur den objektiven Anforderungen an die Beschaffenheit, wenn für einen gewissen Zeitraum Aktualisierungen bereitgestellt werden. Geschuldet ist die Aktualisierung immer dann, wenn sie für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit des digitalen Produkts erforderlich ist. Dies ist insbesondere bei Sicherheitsupdates, kann aber auch bei funktionalen Aktualisierungen der Fall sein. Eine Differenzierung zwischen Upgrades und Updates wird nicht vorgenommen – beides kann eine Aktualisierung darstellen.
Interessant ist die Frage nach dem Zeitraum, für den die Aktualisierung geschuldet ist: Für Produkte, die dauerhaft bereitgestellt werden, müssen über den gesamten Bereitstellungszeitraum Aktualisierungen zur Verfügung gestellt werden. Bei allen anderen digitalen Produkten richtet sich der Zeitraum nach den
von den Umständen und der Art des Vertrages abhängigen Erwartungen des Verbrauchers.
Die berechtigte Erwartungshaltung des Verbrauchers müsse laut Bundesregierung anhand eines objektiven Maßstabs beurteilt werden und der Zeitraum sei nicht auf die Dauer der Gewährleistungsfrist beschränkt. Beispielhaft wird die Unterscheidung zwischen Betriebssystem und Anwendungssoftware angeführt: Ein Betriebssystem für ein mit dem Internet verbundenes Gerät werde wegen seiner zentralen Bedeutung länger mit Aktualisierungen zu versorgen sein als eine Anwendungssoftware, für deren Verwendung keine Verbindung mit dem Internet erforderlich sei.
Zudem seien der Umfang des ohne die Aktualisierung drohenden Risikos sowie die Dauer des Vertriebs des fraglichen Produkts zu berücksichtigen. Darüber hinaus gibt die Bundesregierung an, dass wenn ein digitales Produkt in einer Sache enthalten oder mit dieser verbunden sei, die übliche Nutzungs- und Verwendungsdauer der Sache einen maßgeblichen Einfluss auf die Dauer der Aktualisierungspflicht habe. Dies sei beispielsweise bei Smart‑Home‑Anwendungen oder bei Navigationssystemen und Unterhaltungselektronik in Kraftfahrzeugen zu berücksichtigen.
„Installationspflicht“ für Verbraucher besteht nicht
Eine Pflicht der Verbraucher, die bereitgestellten Aktualisierungen auch zu installieren, besteht nicht. Unterlässt der Verbraucher die Installation und tritt deswegen ein Mangel auf, haftet der Unternehmer nicht, wenn er eine mangelfreie Installationsanleitung zur Verfügung gestellt und den Verbraucher über die Aktualisierung sowie die zu erwartenden Folgen für den Fall der unterlassenen Installation informiert hat (§ 327f Abs. 2 BGB‑E).
Vertragliche Abweichungen sind ausdrücklich zu vereinbaren
Abweichende Vereinbarungen bezüglich der objektiven Anforderungen an die Beschaffenheit, zu denen auch die Aktualisierungspflicht zählt, können nur getroffen werden, wenn der Verbraucher vor Vertragsschluss von den Abweichungen des Produkts in Kenntnis gesetzt wurde. Zudem müssen die Abweichungen im Vertrag „ausdrücklich und gesondert“ vereinbart werden (§ 327h BGB‑E).
Verlängerte Beweislastumkehr und flexibler Verjährungsbeginn
Die bereits für Verbrauchsgüterkäufe geltende Beweislastumkehr von sechs Monaten wird für Verträge über digitale Produkte auf ein Jahr ausgeweitet. Bei dauerhafter Bereitstellung gilt die Vermutung, dass der Mangel bereits bei Bereitstellung vorlag, sogar über die gesamte Laufzeit (§ 327k BGB‑E).
Unternehmer müssen sich zudem auf lange Verjährungsfristen einstellen: Die zweijährige Verjährungsfrist beginnt mit Bereitstellung des digitalen Produkts oder im Falle einer dauerhaften Bereitstellung mit Ablauf des vereinbarten Bereitstellungszeitraums. Für Verletzungen der Aktualisierungspflicht soll die Verjährung zudem erst nach dem Ende des Zeitraums der Aktualisierungspflicht beginnen.
Zudem ist für Mängel, die sich innerhalb der Verjährungsfrist zeigen, vorgesehen, dass diese frühestens zwei Monate nachdem sich der Mangel offenbart hat verjähren (§ 327j BGB‑E).
Neuerungen gelten ab 1. Januar 2022: Umsetzung sollte rasch erfolgen
Die neuen §§ 327ff. BGB‑E sollen ab 1. Januar 2022 gelten und für alle Verbraucherverträge über die Bereitstellung digitaler Produkte anwendbar sein, die ab diesem Datum abgeschlossen werden. Zudem sollen Verträge erfasst sein, die zwar vor dem 1. Januar 2022 abgeschlossen wurden, bei denen die Bereitstellung des digitalen Produkts jedoch erst nach diesem Zeitpunkt erfolgt.
Viel Zeit bleibt also nicht mehr. Es darf damit gerechnet werden, dass im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens keine wesentlichen Änderungen mehr vorgenommen werden. Unternehmen können sich auf dieser Grundlage also auf die zukünftige Rechtspraxis einstellen und mit der Umsetzung der neuen Vorgaben beginnen. Insbesondere Standardverträge und allgemeine Geschäftsbedingungen, die (auch) Verträge über digitale Produkte regeln, müssen überprüft werden. Im Falle eines Verstoßes drohen insbesondere kostenpflichtige Abmahnungen durch Verbraucherschutzverbände und Wettbewerber.
In unserer Blogserie „Verbraucherverträge im Digitalzeitalter″ zeigen wir auf, wie die Maßnahmenpakete der EU das europäische Verbraucherschutzrecht fit für das Digitalzeitalter machen sollen. Im ersten Teil beschäftigen wir uns mit den hohen Bußgeldern für Unternehmer, im zweiten Teil mit Bußgeldern bei Verletzungen von Verbraucherschutzvorschriften und Lauterkeitsrecht. Anschließend haben wir uns mit den Änderungen im BGB und den neuen Regelungen der Warenkaufrichtlinie beschäftigt. Zuletzt sind wir auf Personalized Pricing, das Dual Quality Verbot, die Verbandsklage sowie den Individualschadensersatz eingegangen.
Mit der Einführung von verschiedenen Regelwerken in Deutschland und der EU wird der gesamte Bereich der digitalen Dienste grundlegend reformiert. Vom neuen Rechtsrahmen werden beinahe sämtliche Anbieter von digitalen Diensten erfasst, Adressaten sind insbesondere Plattformen wie Media Platforms, User Interface Provider und Media Intermediaries als auch Market Places. Eine Übersicht über unser Beratungsangebot zum Bereich „Digital Regulation“ finden Sie hier.