Eine neue EU-Richtline schafft "kaufrechtsähnliche" Regelungen für alle Verträge über digitale Inhalte und Dienstleistungen – unabhängig vom jeweiligen Vertragstyp.
Die Richtlinie (EU) 2019/770 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (dID-Richtlinie) ist ein wesentlicher Baustein der von der Europäische Union verfolgten „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt″, die darauf abzielt, die nationalen digitalen Märkte innerhalb der EU zu einem gemeinsamen digitalen Markt zusammenzuführen. Durch die dID-Richtlinie werden nun digitale Inhalte und Dienstleistungen in den Blick genommen und sollen in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einen einheitlichen Regelungsgehalt erhalten. Mit der Umsetzung der dID-Richtlinie wird nicht zuletzt eine weitere Stärkung der Verbraucherrechte in der EU verfolgt.
Ziel: Vollharmonisierung
Artikel 4 der dID-Richtlinie sieht eine sog. Vollharmonisierung (auch Maximalharmonisierung genannt) vor. Das bedeutet, dass die EU-Mitgliedstaaten in ihren nationalen Rechtsordnungen in Bereichen, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, weder verbraucherfreundlichere noch -feindlichere Regeln vorsehen dürfen. Gelingt es den Mitgliedstaaten nicht, die Regelungen der Richtlinie bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist am 30. Juni 2021 in ihre nationalen Rechtsordnungen zu integrieren, haften sie dem geschädigten Verbraucher unter Umständen auf Schadensersatz.
Das Konzept der Vollharmonisierung ist dabei nicht unumstritten. Gerade der Bereich der Digitalisierung unterliegt einer rasanten technischen Entwicklung, mit der Folge, dass durch das „starre Korsett″ einer Vollharmonisierung eine rasche Reaktion auf in der Zukunft liegende Geschäftsmodelle im Bereich der Digitalisierung auf nationaler Ebene erschwert werden könnte.
Eine neuer Vertragstyp?
Ein neuer Vertragstyp soll durch die dID-Richtlinie für Verträge über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen nicht geschaffen werden. Somit bleibt die Frage, ob entsprechende Verträge beispielsweise einen Kauf-, Dienstleistungs- oder Mietvertrag oder einen Vertrag sui generis darstellen, dem nationalen Recht überlassen. Die dID-Richtlinie nimmt nicht den Vertragstyp, sondern ausschließlich den Vertragsgegenstand in den Blick und unterscheidet lediglich zwischen einmaligen und laufzeitabhängigen Verträgen.
Gegenstand der dID-Richtlinie sind demnach Verträge zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer, die die Bereitstellung digitaler Inhalte und Daten zum Gegenstand haben und in digitaler Form bereitgestellt werden (z.B. Musik, Online-Videos), Dienstleistungen, die die Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form ermöglichen (z.B. Software‑as‑a‑Service, Cloud-Dienste) sowie Dienstleistungen, die den Austausch von Daten ermöglichen (z. B. soziale Medien wie Facebook, Instagram und Tik‑Tok oder Online‑Games).
Um einen klaren und einfachen Rechtsrahmen für Unternehmer, die digitale Inhalte anbieten, zu erreichen, soll die dID-Richtlinie auf jegliche Form der Datenübermittlung oder der Gewährung des Zugangs zu digitalen Inhalten oder Dienstleistungen Anwendung finden. Hierzu zählt die Übermittlung auf körperlichen Datenträgern wie DVDs, CDs, USB-Sticks und Speicherkarten genauso wie Downloads, Streaming oder die Ermöglichung des Zugangs zu Speicherkapazitäten für digitale Inhalte und die Nutzung von Sozialen Medien (siehe Erwägungsgrund 19 der dID‑Richtlinie).
Abgrenzung zur WKRL und ausgeschlossene Dienstleistungen
Im Unterschied zur dID‑Richtlinie enthält die Richtlinie (EU) 2019/771 (sog. Warenkauf‑Richtlinie – WKRL) Vorschriften über bestimmte Anforderungen an Verträge für den Warenhandel. Darunter fallen zwar auch sog. „Waren mit digitalen Elementen″. Dieser Begriff bezieht sich jedoch nur auf solche Waren, die in einer Weise digitale Inhalte oder Dienstleistungen enthalten oder mit ihnen verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne diese digitalen Inhalte oder Dienstleistungen nicht erfüllen könnten. Zudem müssen die digitalen Inhalte oder Dienstleistungen, die in dieser Weise mit den Waren verbunden sind, für eine Anwendbarkeit der WKRL im Rahmen eines Kaufvertrags über solche Waren bereitgestellt werden (Erwägungsgrund 21 der dID-Richtlinie).
Nicht von der dID-Richtlinie erfasst sind unter anderem freiberufliche Dienstleistungen wie Übersetzungsleistungen, Dienstleistungen von Architekten, juristischen Dienstleistungen oder sonstigen Fachberatungsleistungen (Erwägungsgrund 27). Diese Dienstleistungen werden häufig von Unternehmern persönlich erbracht und zwar unabhängig davon, ob der Unternehmer digitale Mittel einsetzt, um das Ergebnis der Dienstleistung zu erzeugen oder es dem Verbraucher zu übermitteln. Ebenso nicht erfasst sind öffentliche Dienstleistungen wie Dienstleistungen der sozialen Sicherheit oder öffentliche Register, bei denen die digitalen Mittel lediglich genutzt werden, um dem Verbraucher die Dienstleistungen zu übermitteln oder mitzuteilen. Es werden daher nicht sämtliche Leistungen erfasst, die digital bereitgestellt werden.
Personenbezogene Daten als Entgelt
Neben der „klassischen″ Gegenleistung eines monetären Entgelts, findet die dID-Richtlinie auch auf solche Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen Anwendung, bei denen die Gegenleistung des Verbrauchers darin besteht, dem Unternehmer seine personenbezogenen Daten zur kommerziellen Nutzung bereitzustellen. Nicht ausreichend ist nach der dID-Richtlinie allerdings, wenn die personenbezogenen Daten des Verbrauchers ausschließlich zur Bereitstellung der digitalen Inhalte oder Dienstleistungen oder zur Erfüllung von rechtlichen Anforderungen verarbeitet werden und der Unternehmer diese Daten zu keinen anderen Zwecken verarbeitet.
Bei dem Begriff der personenbezogenen Daten bedient sich die dID-Richtlinie der Definition aus Artikel 4 Nr. 1 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Auch im Übrigen darf eine Datenverarbeitung nur im Einklang mit der DSGVO erfolgen (Erwägungsgrund 37). Dadurch soll ein einheitlicher Rechtsrahmen geschaffen werden, in dem ein angemessenes Schutzniveau für den Umgang mit personenbezogenen Daten gewährleistet ist.
Zielkonflikt mit der DSGVO?
Allerdings könnte man gerade im Lichte der DSGVO kritisieren, dass Teile der für die DSGVO geltenden gesetzgeberischen Ziele (z.B. Datensparsamkeit und Datenminimierung) durch die dID-Richtlinie konterkariert werden. So ließe sich argumentieren, dass dem Verbraucher dadurch ein Anreiz zur Preisgabe personenbezogener Daten gesetzt wird, dass ihm im Gegenzug umfassende Gewährleistungsrechte, Garantien und eine weitreichende Haftung des Vertragspartners gewährt werden.
Auf der anderen Seite bildet die dID‑Richtlinie durch solche Regelungen nur die ohnehin schon existierende Lebensrealität ab, dass Unternehmen sich von Verbrauchern mit Daten bezahlen lassen. Dies erfolgt zum Beispiel tagtäglich millionenfach im Rahmen „kostenloser″ Smartphone‑Apps, über die durch den Einsatz sog. Cookies gezielt personalisierte Werbung an den Nutzer ausgespielt wird. Insofern ist zumindest der Ansatz zu begrüßen, die Verbraucherrechte in diesem sehr praxisrelevanten Umfeld zu stärken.
Verbraucherrechte 2.0
Zugunsten des Verbrauchers enthält die dID-Richtlinie insbesondere Regelungen dazu, unter welchen Voraussetzungen digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen als vertragsgemäß anzusehen sind, wer für welche Dauer die Beweislast der Vertragsgemäßheit bzw. Vertragswidrigkeit trägt sowie welche Gewährleistungsrechte dem Verbraucher bei einer Vertragswidrigkeit zustehen. Dabei wird ähnlich dem deutschen Leistungsstörungsrecht zwischen „nicht erfolgter Bereitstellung″ (Nichtleistung) und „Vertragswidrigkeit″ (Schlechtleistung) unterschieden.
Im Hinblick auf die Frage, wann ein digitaler Inhalt oder eine digitale Dienstleistung vertragsgemäß bzw. vertragswidrig ist, stellt die dID-Richtlinie einen umfassenden Katalog subjektiver (Artikel 7) und objektiver (Artikel 8) Kriterien auf, anhand derer die „Vertragsgemäßheit″ bewertet wird. Entsprechend dem Leitbild der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf bzw. dem nationalen Mängelgewährleistungsrecht soll in erster Linie die vereinbarte Beschaffenheit und in zweiter Linie der vertraglich vorausgesetzte Zweck als Maßstab der Vertragsmäßigkeit gelten. Als ein objektives Kriterium werden unter anderem auch „öffentliche Erklärungen″ des Unternehmers berücksichtigt, womit insbesondere Werbeaussagen in die Beurteilung der „Vertragsgemäßheit″ einfließen sollen.
Die dem Verbraucher zustehenden Gewährleistungsrechte sind „kaufrechtsähnlich″ ausgestaltet, d.h. der Verbraucher hat bei einer „Vertragswidrigkeit″ ein Recht auf Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, auf eine anteilige Preisminderung oder auf Beendigung des Vertrags. Bei einer „nicht erfolgten Bereitstellung″ hat der Verbraucher ebenfalls ein Recht auf Vertragsbeendigung.
Verlängerte Beweislastumkehr und Aktualisierungspflicht
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Beweislast des Unternehmers für die „Vertragsgemäßheit″ des digitalen Inhaltes bzw. der digitalen Dienstleistung. Im Gegensatz zu den grundsätzlichen Beweislastregeln ist es nämlich Sache des Unternehmers zu beweisen, dass seine Leistungen vertragsgemäß sind. Die Beweislastumkehr zulasten des Unternehmers gilt dabei bis zu einem Jahr nach Bereitstellung des digitalen Inhaltes bzw. der Dienstleistung bei einem einmaligen Leistungsaustausch und für die gesamte Dauer bei Dauerschuldverhältnissen, sprich laufzeitabhängigen Verträgen.
Die bisher im deutschen Recht nur im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs anwendbare Frist zur Beweislastumkehr von sechs Monaten nach § 477 BGB muss also vom Gesetzgeber erheblich ausgedehnt und auf sämtliche Verträge über digitale Inhalte und Dienstleistungen mit Verbrauchern erweitert werden. Zudem sieht die dID-Richtlinie künftig über bestimmte Zeiträume eine Pflicht zur Bereitstellung von Softwareaktualisierungen vor, die in einem Folgebeitrag näher beleuchtet werden soll.
Unternehmen sollten Neuregelungen frühzeitig umsetzen
Die EU-Mitgliedsstaaten haben nun bis zum 1. Juli 2021 Zeit, die dID-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Wie und in welcher Form dies im deutschen Recht geschehen wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Klar ist allerdings jetzt schon, dass die richtlinienkonforme Umsetzung für den deutschen Gesetzgeber nicht zuletzt wegen der Komplexität der Materie umfangreich und aufwendig wird.
Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Deutschen Bundestag vom November 2019 (Drucksache 19/15114) ergibt sich, dass zu diesem Zeitpunkt im BMJV an einem Referentenentwurf zur Umsetzung der dID-Richtlinie gearbeitet wurde. Dieser Entwurf sollte den anderen Bundesministerien, den Ländern und Verbänden Anfang 2020 zur Stellungnahme zugeleitet werden. Aktuellere Informationen zum Stand der Umsetzung oder eine veröffentlichte Fassung des Referentenentwurfs stehen derzeit noch nicht zur Verfügung.
Da es sich bei den neu zu schaffenden Regelungen auf nationaler Ebene um zwingendes Recht handeln wird, von dem Unternehmen nicht oder nur in ganz engen Grenzen werden abweichen können, sollten Unternehmen ihr Geschäftsmodell und ihre Verträge mit Verbrauchern frühzeitig auf diese Änderungen hin überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Nur so können insbesondere kostenpflichtige Abmahnungen durch Verbraucherschutzverbände und Wettbewerber vermieden werden.
In unserer Blogserie „Verbraucherverträge im Digitalzeitalter″ zeigen wir auf, wie die Maßnahmenpakete der EU das europäische Verbraucherschutzrecht fit für das Digitalzeitalter machen sollen. Im ersten Teil beschäftigen wir uns mit den hohen Bußgeldern für Unternehmer, im zweiten Teil mit Bußgeldern bei Verletzungen von Verbraucherschutzvorschriften und Lauterkeitsrecht. Anschließend haben wir uns mit den Änderungen im BGB und den neuen Regelungen der Warenkaufrichtlinie beschäftigt. Zuletzt sind wir auf Personalized Pricing und Dual Quality Verbot eingegangen.