31. Juli 2025
Kartellrecht Schadensersatz
Kartellrecht

Folgt auf das Kartell der Schadensersatz?

Wenn das Bundeskartellamt über einen Kartellrechtsverstoß informiert, könnten Geschädigte kartellrechtliche Schadensersatzansprüche haben. Welche Gesichtspunkte dabei eine Rolle spielen, wird im Nachfolgenden dargestellt. 

Das Bundeskartellamt hat gegen Straßenreparatur-Unternehmen Bußgelder wegen Kunden- und Submissionsabsprachen verhängt. Insgesamt müssen die Unternehmen EUR 10,5 Mio. zahlen. Doch bleibt es dabei? In der Regel folgen auf Bußgeldentscheidungen kartellrechtliche Schadensersatzklagen. 

Entscheidende zivilrechtliche Rechtsfolge: Kartellschadensersatz

Verstoßen Unternehmen gegen das Kartellrecht, so können Geschädigte* von ihnen Schadensersatz verlangen. Es handelt sich dabei um das sog. „private enforcement“; im Gegensatz zu der öffentlich-rechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts („public enforcement“), v.a. in Bußgeldverfahren. Nach Pressemitteilungen der Kartellbehörden zu möglichen Verstößen gegen das Kartellrecht stellt sich für potenziell Betroffene die Frage, ob sie Schadensersatzansprüche gegenüber den beteiligten Unternehmen geltend machen können. 

Die folgenden Aspekte spielen bei dieser Frage eine Rolle:

Kartellrechtsverstoß

Begehren Geschädigte von den die Kartellbeteiligten vor Gericht Schadensersatz, können die Kartellbeteiligten nicht einwenden, das Bundeskartellamt habe den Sachverhalt fälschlicherweise als Kartellrechtsverstoß gewertet. Das Gericht ist in dem Kartellschadensersatzprozess an die Feststellungen des Bundeskartellamts zu einem Kartellrechtsverstoß in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht gebunden, wenn der Bußgeldbescheid bestandskräftig, d.h. nicht mehr anfechtbar ist. Nach der Pressemitteilung des Bundeskartellamts verständigten sich die bebußten Unternehmen mit dem Bundeskartellamt einvernehmlich auf eine Verfahrensbeendigung. Damit ist davon auszugehen, dass kein Kartellbeteiligter Rechtsmittel gegen den Bußgeldbescheid einlegen wird, sodass dieser bestandskräftig wird.

Betroffenheit der Auftraggeber

Als weiteres Tatbestandsmerkmal eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs müssten die Auftraggeber betroffen sein. Dieses Merkmal ist von den Zivilgerichten in ihrer Entscheidungspraxis sehr weit ausgelegt worden und ist bereits dann erfüllt, wenn der Kläger belegen kann, dass er durch den Kartellrechtsverstoß in seinem wirtschaftlichen Interesse negativ beeinflusst worden ist. Wenn die den Auftrag vergebende öffentliche Stelle kartellrechtlichen Schadensersatz geltend macht, ist dieses Merkmal erfüllt. 

Schadenseintritt

Für den Eintritt eines Schadens aufgrund des Kartellrechtsverstoßes können sich die öffentlichen Auftraggeber – abweichend von den aktuellen Gerichtsverfahren – auf die gesetzliche Vermutung nach § 33a Abs. 2 Satz 1 GWB stützen.  Damit sind die öffentlichen Auftraggeber für den Nachweis ihres Schadenseintritts nicht auf die von der Rechtsprechung entwickelte tatsächliche Vermutung angewiesen. Vielmehr müssen nun die Kartellbeteiligten darlegen und ggf. beweisen, dass der Kartellrechtsverstoß den Auftraggeber nicht geschädigt hat. Diese gesetzliche Vermutung ist zwar ihrer Formulierung nach widerleglich – jedoch wird es den Kartellbeteiligten schwerfallen, diese Vermutung zu widerlegen. Die Vorzeichen bei diesem Tatbestandsmerkmal haben sich gedreht: nicht mehr die Kläger tragen die Darlegungs- und Beweislast für den Schadenseintritt, sondern die Beklagten tragen die Darlegungs- und Beweislast für den mangelnden Schadenseintritt (eine negative Tatsache). Können die Kartellbeteiligten diesen Beweis nicht führen, wird der Schaden im Prozess angenommen.

Der Tendenz nach weisen Gerichte Kartellschadensersatzklagen nur selten mangels Schadenseintritts ab und das obwohl sie sich bislang bei der Feststellung eines Schadenseintritts nicht auf eine gesetzliche Schadensvermutung stützen konnten. Mit Inkrafttreten der gesetzlichen Schadensvermutung dürften die Erfolgsaussichten der Kartellbeteiligten für eine erfolgreiche Verteidigung gegen die Kartellschadensersatzklage eher schlechter als besser geworden sein, denn nun gehen Zweifel in diesem Punkt zu ihren Lasten.

Schadenshöhe 

Für die Schadenshöhe ist und bleibt der Kläger darlegungs- und beweisbelastet. Zwar dürfen die Gerichte die Schadenshöhe schätzen (§ 287 ZPO). Dabei ist der Tatrichter bei dieser Schätzung sogar besonders frei und das Gericht ist nicht verpflichtet, in jedem Rechtsstreit einen gerichtlichen Sachverständigen für die Begutachtung der Schadenshöhe zu beauftragen. Trotzdem tragen die Kläger am Ende die Gefahr, dass das Gericht im Rahmen der Schätzung zu einem Null-Schaden oder einem niedrigeren als von dem Kläger begehrten Schaden gelangt.

Jedoch dürften vorliegend Schadenspauschalierungs-Klauseln von entscheidender Bedeutung sein. Viele Vergabeordnungen der öffentlichen Hand sehen standardmäßig eine solche Schadenspauschalierung bei Vorliegen eines nicht offengelegten Kartellrechtsverstoßes vor. Eine solche Schadenspauschalierungs-Klausel hat zur Folge, dass eine Kartellschadensersatzklage der öffentliche Auftraggeber in Höhe des pauschalierten Schadensbetrags erfolgreich wäre, ohne dass die öffentlichen Auftraggeber die pauschale Schadenshöhe gerichtlich nachweisen müssten. Es steht dem öffentlichen Auftraggeber jedoch frei, einen über den pauschalierten Schadensbetrag hinausgehenden Schaden geltend zu machen. Für diesen zusätzlichen Schaden ist der öffentliche Auftraggeber jedoch wieder darlegungs- und beweisbelastet.

Der BGH hat bereits entschieden, dass Schadenspauschalierungen im Rahmen von kartellrechtlichen Schadensersatzklagen zulässig seien (auch AGB-rechtlich). Dies gelte jedenfalls so lange, wie dem Beklagten der Nachweis offensteht, dass ein niedrigerer als der pauschalierte Schaden eingetreten ist oder gar kein Schaden entstanden sei. 

Sollten die Auftragsbedingungen der öffentlichen Auftraggeber eine Schadenpauschalierung enthalten, kann sich der öffentliche Auftraggeber zunächst zurücklehnen, denn es ist an den Kartellbeteiligten, darzulegen und zu beweisen, dass dem öffentlichen Auftraggeber kein oder ein niedrigerer Schaden entstanden ist. Das prozessuale Risiko, dass die Höhe des Schadens im Verfahren nicht bestimmbar ist, tragen die Kartellbeteiligten.  

Enthalten die Auftragsbedingungen keine Schadenspauschalierungs-Klausel, bleibt es bei dem bekannten Problem für die Kläger, ausreichende Anknüpfungstatsachen vorzutragen, damit das Gericht den Schaden der Höhe nach schätzen kann.  

Gesamtschuldnerische Haftung 

Zuletzt stellt sich dem öffentlichen Auftraggeber die Frage, welchen Kartellbeteiligten er in Anspruch nehmen soll. Das Kartellschadensersatzrecht gewährt dem öffentlichen Auftraggeber dabei eine Vielzahl von Auswahlmöglichkeiten: Alle Kartellbeteiligten haften für die aus dem Kartellrechtsverstoß resultierenden Schäden. Damit kann der öffentlichen Auftraggeber jeden einzelnen Kartellbeteiligten auf den gesamten Schaden (Gesamtschuld) in Anspruch nehmen. Es steht daher im Belieben des öffentlichen Auftraggebers, welchen Kartellbeteiligten und wie viele der Kartellbeteiligten er in Anspruch nimmt. Ob und wie der in Anspruch genommene Kartellbeteiligte nach den Regeln Gesamtschuldnerausgleichs verantwortlich ist, muss den öffentlichen Auftraggeber nicht interessieren. Es ist Sache jedes gesamtschuldnerisch haftenden Kartellbeteiligten, die anderen Gesamtschuldner für den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch in Regress zu nehmen.

Zahlung von kartellrechtlichem Schadensersatz könnte sogar im Interesse der Schuldner liegen

Ob und wie etwaige kartellrechtliche Schadensersatzansprüche durch die öffentlichen Auftraggeber geltend gemacht werden, hängt von einigen Fragen ab. Kommt der Auftraggeber für sich zu der Überzeugung, dass er einen Kartellschadensersatzanspruch erfolgreich durchsetzen kann, sind Kartellschadensersatzverfahren nicht unwahrscheinlich. Nicht ausgeschlossen ist, dass es zu außergerichtlichen Einigungen zwischen den öffentlichen Auftraggebern und den Kartellbeteiligten kommt. Die Kartellbeteiligten stehen vor dem weiteren Problem, dass der bestandskräftige Kartellrechtsverstoß in das Wettbewerbsregister eingetragen werden kann. Mit einem Eintrag in dem Wettbewerbsregister werden die Kartellbeteiligten automatisch von weiteren Vergabeverfahren von Bauleistungen ausgeschlossen. Dies könnte für die Kartellbeteiligten noch schmerzhafter sein als das Bußgeld oder der Kartellschadensersatz, da eine sehr große Zahl von Bauleistungen von öffentlichen Auftraggebern vergeben werden. Um eine Eintragung in das Wettbewerbsregister zu verhindern oder eine solche Eintragung wieder zu löschen, müssen die Kartellbeteiligten sich selbst reinigen. Hierfür müssen die Kartellbeteiligten bereit sein, Kartellschadensersatz an Geschädigte zu leisten.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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