4. Januar 2024
Private Enforcement DMA
Kartellrecht

Private Enforcement des Digital Markets Act

Private Enforcement des DMA– Der deutsche Gesetzgeber greift in den Werkzeugkasten des Kartellschadensersatz.

Der Digital Markets Act (kurz und im Folgenden: DMA) ist seit November 2022 in Kraft. Die Europäische Kommission hat im September erste sog. Gatekeeper und ihre Core Platform Services benannt, und ab dem 6. März 2024 müssen diese die „Dos und Don’ts“ aus den Artt. 5, 6 und 7 DMA einhalten. Die verwaltungsrechtliche Durchsetzung des DMA ist der Europäischen Kommission vorbehalten (Public Enforcement). 

Der DMA enthält jedoch nicht nur öffentlich-rechtliche Verbote und Gebote für die Gatekeeper, sondern gewährt im Ergebnis den von einem möglichen DMA-Verstoß betroffenen Unternehmen oder Personen zivilrechtliche Ansprüche (Private Enforcement). Diese zivilrechtlichen Ansprüche sollen vor den mitgliedstaatlichen Gerichten durchgesetzt werden. Damit werden die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Private Enforcement Kompetenzen haben, die ihnen im Bereich des Public Enforcement fehlen, trotz vehementer Forderungen einiger Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Nachfolgend wird dargestellt, welche zivilrechtrechtlichen Ansprüche bei einem DMA-Verstoß in Frage kommen und wie diese Ansprüche durchgesetzt werden könnten. Dabei wird insbesondere auf die Neuerungen der am 6. November 2023 in Kraft getretenen 11. GWB-Novelle eingegangen, die die Erleichterungen des Private Enforcements im Kartellrecht auf DMA-Ansprüche übertragen. 

Die 11. GWB-Novelle schafft Rahmenbedingungen für die Durchsetzung zivilrechtlicher DMA-Ansprüche in Deutschland 

Für das Private Enforcement in Kartellsachen enthält das GWB verschiedene Sonderregelunten. Der DMA ist jedoch kein Kartellrecht; um das Private Enforcement bei DMA-Verstößen dem Private Enforcement bei Kartellrechtsverstößen anzugleichen, werden mit der 11. GWB-Novelle einige dieser Regelungen auf DMA-Verstöße übertragen. Zudem werden einige der für kartellrechtliche Zivilklagen geltenden Erleichterungen auf DMA-Ansprüche erstreckt. 

Konkret hat die 11. GWB-Novelle die folgenden Regelungen eingeführt:

  1. Die zivilrechtliche Anspruchsgrundlage bei Kartellrechtsverstößen gegen ist § 33 Abs. 1 GWB; in diese Vorschrift wurden DMA-Verstöße nach Artt. 5, 6 und 7 DMA aufgenommen. Damit werden DMA-Verstöße Grundlage eines Beseitigungsanspruchs. In Verbindung mit § 33a GWB können DMA-Verstöße auch kartellrechtliche Schadensersatzansprüche auslösen.
  2. § 33b GWB regelt die Bindungswirkung von Entscheidungen einer Wettbewerbsbehörde für zivilrechtliche Gerichtsverfahren. In diese Vorschrift wurden (i) der Benennungsbeschluss der Europäischen Kommission als Gatekeeper (Art. 3 DMA), sowie (ii) Verfügungen der Europäischen Kommission mit denen ein Verstoß gegen die Pflichten aus den Artt. 5, 6 oder 7 DMA aufgenommen. Diese Verfügungen der Europäischen Kommission werden künftig Feststellungswirkung in Kartellschadensersatzprozessen bei DMA-Verstößen haben. Gerichte sind in einem Zivilprozess dann an die Feststellungen der Europäischen Kommission gebunden und dürfen von diesen Feststellungen in ihrer Entscheidung nicht abweichen. 
  3. § 33h GWB enthält Regelungen zur Verjährung bei kartellrechtlichen Ansprüchen, unter anderem insbesondere zur Hemmung der Verjährung während kartellbehördlicher Ermittlungen (§ 33h Abs. 6 GWB). Mit der 11. GWB-Novelle wurden nun Verfahren der Europäischen Kommission zur Feststellung von Verstößen gegen Artt. 5, 6 und 7 DMA in § 33h Abs. 6 GWB aufgenommen. Solange ein Verwaltungsverfahren vor der Europäischen Kommission und ggf. ein anschließendes Gerichtsverfahren vor den Europäischen Gerichten andauert, ist der Lauf der Verjährung der kartellrechtlichen Ansprüche gehemmt. 

Welche Ansprüche können bei einem DMA-Verstoß von wem geltend gemacht werden?

Seit Inkrafttreten der 11. GWB-Novelle können bei einem DMA-Verstoß die folgenden kartellrechtlichen Ansprüche geltend gemacht werden:

  1. Ein Beseitigungsanspruch nach § 33 Abs. 1 GWB: Mit diesem Anspruch kann der Gläubiger verlangen, dass der Gatekeeper den DMA-Verstoß beendet und Fortwirkungen des DMA-Verstoßes beseitigt. 
  2. Ein Unterlassungsanspruch nach § 33 Abs. 1 GWB: Mit diesem Anspruch kann der Gläubiger bereits im Vorfeld eines befürchteten DMA-Verstoßes von dem Gatekeeper verlangen, ein zu einem DMA-Verstoß führendes Verhalten zu unterlassen. Dieser Anspruch setzt voraus, dass die Gefahr eines DMA-Verstoßes besteht oder dass die Gefahr besteht, dass sich ein DMA-Verstoß wiederholt. Der Unterlassungsanspruch kann somit präventiv – d.h. vor einem DMA-Verstoß – geltend gemacht werden.  
  3. Ein kartellrechtlicher Schadensersatzanspruch nach § 33a Abs. 1 GWB: Mit diesem Anspruch kann der Gläubiger die ihm aus einem DMA-Verstoß resultierenden Schäden ersetzt verlangen. 

All diese zivilrechtlichen Ansprüche setzen voraus, dass der Gläubiger von dem DMA-Verstoß betroffen ist. Insoweit dürfte auch bei DMA-Verstößen – wie bei Kartellrechtsverstößen – genügen, dass dem Anspruchsgegner ein DMA-widriges Verhalten anzulasten ist, das geeignet ist, einen Nachteil des Anspruchstellers (des Gläubigers) mittelbar oder unmittelbar zu begründen. 

In Betracht kommt auch die Geltendmachung von Verbandsklagen durch qualifizierte Einrichtungen nach dem Unterlassungsklagegesetz. Solche qualifizierten Einrichtungen können Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche nach § 33 Abs. 1 GWB geltend machen. Mit Inkrafttreten der 11. GWB-Novelle umfasst dies auch Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche bei DMA-Verstößen. 

Zusammenspiel von Entscheidungen der Europäischen Kommission und kartellschadensersatzrechtlichen Ansprüchen

Für die mit der 11. GWB-Novelle neu in den § 33b GWB aufzunehmenden Verfügungen der Europäischen Kommission auf Grundlage des DMA ist auf folgendes hinzuweisen:

  • Mit der Aufnahme der Feststellungswirkung des Benennungsbeschlusses der Europäischen Kommission gegen einen Gatekeeper wird eine neue Art des „Follow-On“-Verfahrens eingefügt. Bei kartellrechtliche Schadensersatzklagen unterscheidet man zwei grundlegende Konstellationen: 
  • Im Fall einer sog. „Stand-Alone“-Klage liegt noch keine bestandskräftige Entscheidung einer Kartellbehörde vor und der Kläger muss den Kartellrechtsverstoß vor Gericht selbst darlegen und beweisen. Hierbei kann er sich nicht auf eine Verfügung einer Kartellbehörde stützen. 
  • Im Fall der sog. „Follow-On“-Klage kann sich der Kläger auf eine bestandskräftige Entscheidung einer Kartellbehörde stützen. Man spricht von einer. Das Gericht ist in diesem Fall an die Feststellung des Kartellrechtsverstoßes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gebunden, sodass der Kartellrechtsverstoß im Zivilprozess feststeht. 
  • Mit der 11. GWB-Novelle wird für den DMA eine Zwischenform zwischen den beiden Fällen eingefügt: Die eingeschränkte Bindungswirkung: Mit dem bestandskräftigen Benennungsbeschluss der Europäischen Kommission steht in einem Verfahren auf Schadensersatz nach § 33a GWB i.V.m. § 33 Abs. 1 GWB gegen einen Gatekeeper fest, dass und an welche Verpflichtungen aus Artt. 5, 6 und 7 DMA der Gatekeeper gebunden ist. Ohne eine zusätzliche bestandskräftige Entscheidung, dass der Gatekeeper gegen eine der Verpflichtungen aus Artt. 5, 6 oder 7 DMA verstoßen hat, steht ein DMA-Verstoß nicht fest. 
  • Zu beachten ist, dass die Feststellungswirkung nach § 33b GWB auch nach der 11. GWB-Novelle nur auf Schadensersatzansprüche nach § 33a GWB, aber nicht auf die Durchsetzung von Beseitigungs- und/oder Unterlassungsansprüche nach § 33 Abs. 1 GWB anwendbar ist. Dies ist aber nur der Blickwinkel des deutschen Rechts. Nach dem DMA sind die mitgliedstaatlichen Gerichte bei Zivilverfahren  nach Art. 39 Abs. 5 DMA an die Feststellungen der Verfügungen der Europäischen Kommission gebunden. Dies entspricht den Regelungen zum Verhältnis von nationalen Gerichten und europäischer Kommission im Kartellrecht. In Art. 39 DMA ist weiterhin eine weitgehende Beteiligung der Europäischen Kommission an Zivilprozessen vor mitgliedstaatlichen Gerichten vorgesehen (z.B. das Recht zur Stellungnahme), auch dies entspricht den Regelungen in der Kartellverfahrensverordnung. 

Welcher Schaden kann bei DMA-Verstößen ersetzt verlangt werden?

Es bleibt noch die Frage, welche Schäden mit einem Schadensersatzanspruch bei einem DMA-Verstoß ersetzt verlangt werden können. Die konkrete Entwicklung des Private Enforcement bei der Durchsetzung von kartellrechtlichem Schadensersatz wegen DMA-Verstößen bleibt abzuwarten. Dies gilt bereits für die Fragen, bei welchen der Gebote und Verbote in den Artt. 5, 6 und 7 DMA-Verstöße auftreten werden und inwiefern Dritte davon betroffen sein werden. Allerdings wird es im Normalfall wohl um den Ersatz von entgangenem Gewinn im Sinne von § 252 BGB gehen. Die aus der Praxis bekannten Preiseffekte, wie sie den kartellrechtlichen Schadensersatzverfahren zugrunde liegen, sind eher nicht naheliegend. Können die betroffenen Unternehmen jedoch nachweisen, dass ihnen wegen des DMA-Verstoßes Umsätze und daraus resultierende Gewinne entgangen sind, muss der Gatekeeper diesen entgangenen Gewinn als Schaden ersetzen. Dabei gilt der Gewinn als entgangen, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Die Kläger müssen den entgangenen Gewinn somit nicht vollständig beweisen. Den Klägern kommt die Erleichterung zugute, dass ein entgangener Gewinn als wahrscheinlich gilt, wenn dieser Gewinn im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb des Klägers eingetreten wäre. Bei der Durchsetzung eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs wegen eines DMA-Verstoßes kommt dem Kläger bei der Darlegung des entgangenen Gewinns somit eine gesetzliche Vermutung zugute. 

Die von dem BGH für Kartellrechtsverstöße angenommene tatsächliche Vermutung für den Eintritt eines Schadens ist wohl nicht auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche bei einem DMA-Verstoß übertragbar. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH eine solche tatsächliche Vermutung auch für DMA-Verstöße annehmen wird. Für Ansprüche wegen entgangenen Gewinns kommt es auf die BGH-Rechtsprechung allerdings nicht an, eine Vermutung des entgangenen Gewinns ergibt sich bereits gesetzlich aus § 252 Satz 2 BGB.  

Informationsherausgabe bei DMA-Verstoß

Wenn die von dem DMA-Verstoß betroffenen Unternehmen oder Personen kartellschadensersatzrechtliche Ansprüche geltend machen, können sie gegen den Rechtsverletzer oder gegen Dritte Ansprüche auf Informationsherausgabe (§ 33g GWB) haben. Voraussetzung dieses Anspruchs ist, dass der Anspruchsgegner über Informationen verfügt, die für die Geltendmachung des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs erforderlich sind. Zudem muss der Gläubiger einen kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch vor Gericht glaubhaft machen. Hierfür muss der Gläubiger darlegen, dass ein DMA-Verstoß zumindest wahrscheinlich vorliegt, der Grundlage des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs sein kann.  

Schaffung eines „Level-Playing-Field“

Ob und wie sich ein Private Enforcement des DMA entwickelt, wird sich zeigen. Die den Zivilgerichten eingeräumten Kompetenzen sprechen dafür, dass das Private Enforcement Bedeutung bei der Durchsetzung des DMA haben wird. Der deutsche Gesetzgeber hat den Ball mit der 11. GWB-Novelle aufgenommen und er hat 

  • die sich aus den bisherigen Kartellschadensersatzverfahren als effektiv erwiesenen Regelungen (Bindungswirkung der kartellbehördlichen Verfügung, Hemmungswirkung der kartellbehördlichen Verfahren) auf die kartellrechtlichen Ansprüche wegen DMA-Verstößen übertragen; 
  • dafür gesorgt, dass die spezialisierten Spruchkörper der deutschen Gerichtsbarkeit für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche auch für solche Ansprüche aufgrund von DMA-Verstößen zuständig sein werden. Hierdurch könnte der Gerichtsstandort Deutschland gestärkt werden.

Somit gelten für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche wegen eines DMA-Verstoßes grundsätzlich dieselben rechtlichen Anforderungen und Vorteile, wie sie bei kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen wegen Kartellrechtsverstößen gelten. Die Voraussetzungen für die Durchsetzung der kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche wegen eines DMA-Verstoßes sind damit geschaffen.   

Tags: DMA Kartellrecht private enforcement