8. November 2023
Kartellrecht 11. GWB-Novelle
Kartellrecht

Deutliche Verschärfung des deutschen Kartellrechts – die 11. GWB-Novelle ist da

Mit Inkrafttreten der Gesetzesnovelle geht eine deutliche Verschärfung des Kartellrechts einher. Das Bundeskartellamt bekommt weitreichende neue Eingriffsinstrumente.

Der Bundestag hat am 6. Juli 2023 in dritter Lesung die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) beschlossen. Angenommen wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Fassung der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses. Der Wirtschaftsausschuss hatte weitere Änderungen an dem vorangegangenen Regierungsentwurf vorgenommen. Am 7. November trat die 11. GWB-Novelle in Kraft.

Die GWB-Novelle sieht die Stärkung der Kartellbehörde in drei Bereichen vor:

  • Das Bundeskartellamt darf direkt nach einer Sektoruntersuchung und unabhängig von konkret festgestellten Kartellrechtsverstößen – sehr weitgehende – Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen ergreifen (sog. „New Competition Tool“). 
  • Weiter wird das Bundeskartellamt in die Lage versetzt, wegen möglicher Verstöße gegen den Digital Markets Act (DMA) zu ermitteln und dafür auch von den ihm bei dem Verdacht von Kartellrechtsverstößen zur Verfügung stehenden Ermittlungsbefugnissen Gebrauch zu machen. 
  • Schließlich wird die behördliche Vorteilsabschöpfung verschärft. 

Daneben behebt der Gesetzgeber Redaktionsfehler bei früheren Novellen und nimmt eine vergaberechtliche Änderung vor.

Bundeswirtschaftsminister Habeck sprach bei den Lesungen zur 11. GWB-Novelle im Bundestag von einer der umfänglichsten und weitreichendsten Novellierungen des GWB der letzten Jahre. Im Einzelnen ändert sich im deutschen Kartellrecht Folgendes: 

1. Neue Eingriffsmöglichkeiten nach Sektoruntersuchungen – ein „New Competition Tool“ für das Bundeskartellamt 

Die Rolle der Sektoruntersuchungen wird durch die GWB-Novelle erheblich aufgewertet.

Bei der Sektoruntersuchung handelt es sich um ein etabliertes Werkzeug der Kartellbehörden, das diesen erlaubt, fundierte Erkenntnisse über die Wettbewerbsverhältnisse auf den untersuchten Märkten zu gewinnen. Dieses Werkzeug hatte bisher jedoch zwei Beschränkungen: Erstens nehmen Sektoruntersuchungen, die eine weitreichende Befragung von Marktteilnehmern und die umfassende Aufklärung der Funktionsweise der Märkte erfordern, regelmäßig eine erhebliche Zeitdauer in Anspruch. Die Aktualität und Verwertbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse konnte daher begrenzt sein. Zweitens konnten die Kartellbehörden auf Grundlage ihrer Erkenntnisse aus den Untersuchungen nicht direkt tätig werden. Um mögliche Missstände auf dem Markt zu beheben, mssten sie – ggf. aufbauend auf den Ergebnissen der Untersuchung – einzelne Verfahren einleiten, Verstöße gegen die kartellrechtlichen Vorschriften feststellen und die dann vorgesehenen Entscheidungen in diesen Verfahren erlassen.

Beide Aspekte hat der Gesetzgeber mit der 11. GWB-Novelle angegangen. Eher ein technisches Detail ist dabei die Begrenzung der als Soll-Frist ausgestalteten Dauer von Sektoruntersuchungen auf 18 Monate, was perspektivisch dadurch gelöst werden soll, dass die Schaffung zusätzlicher Stellen (konkret: acht Stellen) für das Bundeskartellamt vorgesehen ist. Diese sind im Bundeshaushalt allerdings nicht ausgewiesen, sodass das Amt vorerst kein zusätzliches Personal bekommt.

Eine sehr weitreichende Neuerung ist dagegen die Erweiterung der Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts nach Sektoruntersuchungen (§ 32f GWB), die eine echte Revolution im deutschen Kartellrecht darstellt. Das Bundeskartellamt darf jetzt nämlich bereits dann Abhilfemaßnahmen gegen Störungen des Wettbewerbs ergreifen, wenn es eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs festgestellt hat – unabhängig vom Vorliegen eines Verstoßes gegen kartellrechtliche Vorschriften. Eine solche Feststellung der erheblichen und fortwährenden Störung des Wettbewerbs ist dabei nur zulässig, soweit die Anwendung der sonstigen kartellrechtlichen Befugnisse voraussichtlich nicht ausreichend erscheint, um die Störung des Wettbewerbs wirksam und dauerhaft zu beseitigen. Zum Ausdruck kommt damit einerseits der Prognosecharakter der vom Bundeskartellamt vorzunehmenden Prüfung, andererseits die Subsidiarität der neuen Eingriffsinstrumente gegenüber den bisherigen Befugnissen der Kartellbehörde.

Ferner präzisiert § 32f Abs. 3 GWB, dass Adressaten* von Abhilfemaßnahmen solche Unternehmen sein können, die sowohl durch ihr Verhalten als auch ihre Bedeutung für die Marktstruktur zur Störung des Wettbewerbs wesentlich beitragen.

Diese Maßnahmen können für Unternehmen weitreichende verhaltensorientierte oder quasistrukturelle Verpflichtungen, die zur Beseitigung oder Verringerung der Störung des Wettbewerbs erforderlich sind, umfassen. Das Gesetz nennt als solche insbesondere

  • die Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen,
  • Vorgaben zu Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten und auf verschiedenen Marktstufen,
  • die Verpflichtung zur Etablierung transparenter, diskriminierungsfreier und offener Normen und Standards durch Unternehmen,
  • Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen (einschließlich vertraglicher Pflichten zur Informationsoffenlegung),
  • das Verbot der einseitigen Offenlegung von Informationen, die ein Parallelverhalten von Unternehmen begünstigen, und
  • die buchhalterische oder organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen. Als Ultima Ratio kann das Bundeskartellamt sogar eine missbrauchsunabhängige Entflechtung von Unternehmen, die entweder marktbeherrschend sind oder für die bereits eine überragende marktübergreifende Bedeutung nach § 19a GWB festgestellt wurde, anordnen.

Dem Bundeskartellamt steht damit jetzt ein sehr weitreichendes Eingriffsinstrument zur Verfügung, um Märkte auch unterhalb der Schwelle konkreter kartellrechtswidriger Verhaltensweisen aus Sicht des Gesetzgebers „reparieren“ zu können oder – wie es Kartellamtspräsident Andreas Mundt formulierte – „um Wettbewerb und Innovation auf verkrusteten oder vermachteten Märkten wieder zu ermöglichen“. Dieses Eingriffsinstrument entspricht den Überlegungen auf EU-Ebene zur Einführung eines „New Competition Tool“, die 2020 zu Gunsten des (auf digitale Märkte und Gatekeeper beschränkten) Digital Markets Act (DMA) verworfen wurden. Tatsächlich überträgt das deutsche Kartellrecht mit § 32f GWB den Ansatz aus der Digitalwirtschaft, Märkte einer engeren, von konkreten Verstößen gegen das Kartellrecht unabhängigen Regulierung zu unterwerfen (§ 19a GWB, Digital Markets Act), in das allgemeine Kartellrecht.

Dazu passt weiter die Regelung des § 32f Abs. 2 GWB, nach der das Bundeskartellamt Unternehmen durch Verfügung verpflichten kann, jeden Zusammenschluss in einem Zeitraum von jeweils drei Jahren zur Fusionskontrolle anzumelden, wenn der Erwerber einen Umsatz im Inland vom mehr als EUR 50 Mio. und das Zielunternehmen einen Umsatz im Inland von mehr als EUR 1 Mio. erzielte. Der Schwellenwert für das Zielunternehmen wurde im Vergleich zum vorangegangenen Regierungsentwurf verdoppelt, um aus Sicht des Wirtschaftsausschusses eine Balance zwischen dem Schutz des Wettbewerbs einerseits und dem bei den betroffenen Unternehmen sowie dem Bundeskartellamt entstehenden Aufwand andererseits zu wahren. Weiter legt § 32f Abs. 2 S. 4 Hs. 2 GWB fest, dass wiederholte Verlängerungen der Anmeldungspflicht um jeweils drei Jahre maximal dreimal zulässig sind. Daraus folgt, dass nach dreimaliger Verlängerung eine erneute Sektoruntersuchung erforderlich ist, um ein Unternehmen weiterhin zur Anmeldung seiner Zusammenschlüsse verpflichten zu können.

Diese Möglichkeit der Anmeldepflicht stellt eine Extra-Fusionskontrolle weiter unterhalb der regulären Umsatzschwellen der deutschen Fusionskontrolle dar, und ist ebenfalls eine Anleihe aus der Digitalregulierung. 

Durch die Gesetzesnovelle wurde weiterhin  § 32f Abs. 9 GWB in das GWB eingefügt, wonach das BMWK zehn Jahre nach Inkrafttreten der Regelungen zu den Maßnahmen nach einer Sektoruntersuchung dem Deutschen Bundestag sowie dem Bundesrat über die Erfahrungen mit den Regelungen zu berichten hat.

2. Effektive Durchsetzung des DMA – Unterstützung der Europäischen Kommission durch das Bundeskartellamt und Private Enforcement 

Seit dem 2. Mai 2023 gelten die Verpflichtungen des DMA und ab etwa März 2024 müssen die von der Europäischen Kommission designierten Gatekeeper sich an die strengen Dos and Don’ts des Gesetzes halten. Die Rolle der Kartellbehörden der EU-Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung des DMA ist relativ beschränkt (mit der Forderung nach weitergehenden Kompetenzen konnte sich die Bundesregierung auf EU-Ebene nicht durchsetzen), die Hauptkompetenz liegt bei der Kommission und – dazu sogleich – womöglich jetzt auch bei den Zivilgerichten. Allerdings erlaubt der DMA den Behörden der EU-Mitgliedstaaten, eine etwaige Missachtung der Gatekeeper-Dos and -Don’ts des DMA in ihrem Hoheitsgebiet zu untersuchen. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür in Deutschland werden mit der11. GWB-Novelle geschaffen (§ 32g GWB). Das Bundeskartellamt kann damit die Kommission bei der Durchsetzung des DMA unterstützen und praktisch auch die Anwendung von deutschem Spezialkartellrecht für die Aufsicht über Gatekeeper (§ 19a GWB) und die Umsetzung europäischen Rechts koordinieren.

Darüber hinaus erstreckt die GWB-Novelle die Erleichterungen im GWB für kartellrechtliche Schadensersatz- und Unterlassungsklagen dort, wo es geboten erscheint, auf Verstöße gegen den DMA. Dies wird das Private Enforcement des DMA in Deutschland erheblich stärken (genauso wie den Gerichtsstandort Deutschland). 

3. Verstärkung der Vorteilsabschöpfung

Schließlich soll die Neuregelung des § 34 Abs. 4 GWB das Instrument der behördlichen Vorteilsausgleichung verstärken. Dazu wurde § 34 GWB in mehrfacher Hinsicht geändert. Die Vorschrift, deren Wurzeln in die 1980er-Jahre zurückreichen, spielte wegen der hohen rechtlichen Hürden in der Praxis bislang keine Rolle. 

Eine drastische Änderung ist die Einführung einer Vermutung der Erzielung eines Vorteils i.H.v. mind. 1 % der tatbefangenen Umsätze im Inland. Die Vermutung ist zwar widerleglich, aber nur durch den Nachweis, dass kein (weltweiter) Konzerngewinn in dieser Höhe erzielt wurde. Sie ist nicht anwendbar, wenn die Erlangung eines Vorteils aufgrund der besonderen Natur des Verstoßes ausgeschlossen ist. Darüber hinausgehend darf die Kartellbehörde die Höhe des Vorteils – wie bisher – schätzen, allerdings reicht jetzt schon eine überwiegende Wahrscheinlichkeit aus. Bei 10 % des Vorjahresgesamtumsatzes ist die Abschöpfung gedeckelt. 

Das Verschuldenserfordernis (§ 34 Abs. 1 GWB) entfällt – entgegen dem ursprünglichen Referentenentwurf – nicht. Es bleibt also bei der bisherigen Beschränkung der Vorteilsabschöpfung auf Fälle schuldhafter Kartellrechtsverstöße. 

Auch die zeitliche Begrenzung der Vorteilsabschöpfung auf fünf Jahre besteht fort. Auch wurde die Zeit, die sich die Kartellbehörde mit der Vorteilsabschöpfung ab Beendigung des Kartellrechtsverstoßes lassen darf, entgegen dem Referentenentwurf nicht verlängert. Es gilt somit jetzt, dass die Vorteilsabschöpfung nur innerhalb einer Frist von bis zu sieben Jahren seit Beendigung der Zuwiderhandlung und längstens für einen Zeitraum von fünf Jahren, den sog. Abschöpfungszeitraum, angeordnet werden kann. Trotz Abschwächungen im Verhältnis zu vorangegangenen, weitergehenden Gesetzesentwürfen hat das Gesetz das Potential, den Papiertiger der Vorteilsabschöpfung zu einem gefährlichen Raubtier mit überaus spitzen Krallen zu machen. Bremsen können wird das Raubtier wohl nur die schon bisher vorgesehene Subsidiarität, z.B. gegenüber dem kartellrechtlichen Schadensersatz.

4. Praxis durch die 11. GWB-Novelle mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert

Wie immer bei Änderungen des Kartellrechts bleibt abzuwarten, ob das, was heiß gekocht wird, auch so heiß gegessen wird oder ob die Realität des Lebens nicht zur Abkühlung führt. So äußerte Kartellamtspräsident Andreas Mundt unmittelbar nach dem Bundestagsbeschluss, dass man sich mit der Anwendung der Vorschriften auf neues Terrain mit vielen neuen Rechtsfragen und sehr komplexen, wohl jahrelangen Verfahren begebe. Es bleibt daher abzuwarten, wie das Bundeskartellamt mit den neuen Eingriffsinstrumenten umgehen wird. 

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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