6. Oktober 2022
Referentenentwurf zur 11. GWB-Novelle
Kartellrecht

Überarbeitung des Kartellrechts und Stärkung des Bundeskartellamts

Referentenentwurf zur 11. GWB-Novelle: Das BMWK schlägt eine Überarbeitung des Kartellrechts und Stärkung des Bundeskartellamts vor.

Das BMWK hat am 26. September 2022 den Entwurf für die 11. GWB-Novelle, das sog. Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz vorgelegt. Ausgeschrieben soll das künftige Gesetz heißen: Gesetz zur Verbesserung der Wettbewerbsstrukturen und zur Abschöpfung von Vorteilen aus Wettbewerbsverstößen. Der Gesetzgeber soll nach dem Entwurf die Befugnisse der Kartellbehörde in drei Bereichen stärken.

Das Bundeskartellamt soll direkt nach einer Sektoruntersuchung und unabhängig von konkret festgestellten Kartellrechtsverstößen – sehr weitgehende – Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen ergreifen dürfen. Weiter soll das Bundeskartellamt in die Lage versetzt werden, wegen etwaiger Verstöße gegen den Digital Markets Act (DMA) zu ermitteln und dafür auch von den ihm bei dem Verdacht von Kartellrechtsverstößen zur Verfügung stehenden Ermittlungsbefugnissen Gebrauch zu machen. Schließlich soll die behördliche Vorteilsabschöpfung ganz erheblich gestärkt werden. Daneben soll der Gesetzgeber Redaktionsfehler früherer Novellen beheben und eine vergaberechtliche Änderunge vornehmen.

1. Neue Eingriffsmöglichkeiten nach Sektoruntersuchungen – ein „New Competition Tool“ für das Bundeskartellamt 

Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte im Juni ein Kartellrecht mit „Klauen und Zähnen“ angekündigt. Diesen Ankündigungen folgt der Referentenentwurf des BMWK mit Vorschlägen zu einer drastischen Stärkung der Rolle der Sektoruntersuchungen im GWB.

Bei der Sektoruntersuchung handelt es sich um ein etabliertes Werkzeug der Kartellbehörden, das diesen erlaubt, fundierte Erkenntnisse über die Wettbewerbsverhältnisse auf den untersuchten Märkten zu gewinnen. Dieses Werkzeug leidet jedoch unter zwei Beschränkungen: Zum einen nehmen Sektoruntersuchungen, die eine weitreichende Befragung von Marktteilnehmern und die umfassende Aufklärung der Funktionsweise der Märkte erfordern, regelmäßig eine erhebliche Zeitdauer in Anspruch. Zum anderen können die Behörden auf Grundlage ihrer Erkenntnisse aus den Untersuchungen nicht direkt tätig werden; um in den Markt einzugreifen und mögliche Missstände zu beheben, müssen sie – ggf. aufbauend auf den Ergebnissen der Untersuchung – einzelne Verfahren einleiten und Verstöße gegen die kartellrechtlichen Vorschriften feststellen.

Beide Aspekte will das BMWK mit der 11. GWB-Novelle angehen. Eher ein technisches Detail ist dabei die Begrenzung der Dauer von Sektoruntersuchungen auf 18 Monate, was praktisch dadurch gelöst werden soll, dass zusätzliche Stellen (konkret: acht Stellen) für das Bundeskartellamt geschaffen werden sollen. Eine sehr weitreichende Neuerung wäre dagegen die Erweiterung der Eingriffsbefugnisse des Amts nach Sektoruntersuchungen (§ 32f GWB-RefE), die eine echte Revolution im deutschen Kartellrecht bringen würden. Nach dem Referentenentwurf soll das Bundeskartellamt nämlich zukünftig bereits dann Abhilfemaßnahmen gegen Störungen des Wettbewerbs ergreifen, wenn diese erheblich oder andauernd sind oder wiederholt stattfinden – unabhängig vom Vorliegen eines Verstoßes gegen kartellrechtliche Regeln.

Diese Maßnahmen könnten weitreichende verhaltensorientierte oder quasi-strukturelle Verpflichtungen gegenüber Unternehmen umfassen. Der Referentenentwurf nennt insbesondere (i) die Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen, (ii) die Belieferung anderer Unternehmen, (iii) behördliche oder vergleichbare Zulassungen oder Genehmigungen, (iv) Lieferbeziehungen zwischen Unternehmen auf den betroffenen Märkten und auf verschiedenen Marktstufen, (v) gemeinsame Normen und Standards, (vi) Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen (einschließlich Regelungen zur Informationsoffenlegung) und (vii) die organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen. Als ultima ratio soll das Bundeskartellamt sogar eine missbrauchsunabhängige Entflechtung von Unternehmen anordnen können. 

Dem Bundeskartellamt stände damit nach der Novelle ein sehr weitreichendes Eingriffsinstrument zur Verfügung, um Märkte auch unterhalb der Schwelle konkreter kartellrechtswidriger Verhaltensweisen „reparieren“ zu können oder – wie es das BMWK formuliert – um dort tätig zu werden, wo die Marktstruktur dem Wettbewerb entgegensteht. Dies entspricht den Überlegungen auf EU-Ebene zur Einführung eines „New Competition Tools“, die 2020 zu Gunsten des (auf digitale Märkte und Gatekeeper beschränkten) Digital Markets Act verworfen wurden. Tatsächlich würde das deutsche Kartellrecht mit der neuen Vorschrift den Ansatz aus der Digitalwirtschaft, Märkte einer engeren, von konkreten Verstößen gegen das Kartellrecht unabhängigen Regulierung zu unterwerfen (§ 19a GWB, Digital Markets Act), in das allgemeine Kartellrecht transportieren. 

Dazu passt, dass das Bundeskartellamt nach den Vorschlägen des BMWK Unternehmen durch Verfügung verpflichten könnte, in einem Zeitraum von jeweils drei Jahren schon dann zur Fusionskontrolle anzumelden, wenn der Erwerber EUR 50 Mio. Umsatz und das Zielunternehmen EUR 0,5 Mio. Umsatz im Inland erzielte – eine Extra-Fusionskontrolle weiter unterhalb der regulären Umsatzschwellen der deutschen Fusionskontrolle, und auch dies eine Anleihe aus der Digitalregulierung. 

2. Effektive Durchsetzung des DMA – Unterstützung durch das Bundeskartellamt und Private Enforcement 

Mitte Oktober 2022 wird der DMA im Amtsblatt der EU veröffentlicht und 20 Tage später in Kraft treten. Die Rolle der nationalen Kartellbehörden bei der Durchsetzung des DMA ist relativ beschränkt (mit der Forderung nach weitergehenden Kompetenzen konnte sich die Bundesregierung nicht durchsetzen), die Hauptkompetenz liegt bei der Kommission. Allerdingt erlaubt der DMA nationalen Behörden, mögliche Nichteinhaltungen der Gatekeeper-Dos und -Don’ts des DMA in ihrem Hoheitsgebiet zu untersuchen. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür in Deutschland sollen durch die 11. GWB-Novelle geschaffen werden. Das Bundeskartellamt könnte so die Kommission bei der Durchsetzung des DMA tatkräftig unterstützen und praktisch auch die Anwendung von deutschem Spezialkartellrecht für die Aufsicht über Gatekeeper (§ 19a GWB) und die Umsetzung europäischen Rechts koordinieren.  

Darüber hinaus schlägt das BMWK vor, die Erleichterungen im GWB für kartellrechtliche Privatklagen auf Verstöße gegen den DMA zu erweitern. Dies würde das Private Enforcement des DMA in Deutschland erheblich stärken (genauso wie den Gerichtsstandort Deutschland). 

3. Verstärkung der Vorteilsabschöpfung

Nach der Vorstellung des Referentenentwurfs soll schließlich das Instrument der behördlichen Vorteilsausgleichung erheblich gestärkt werden. Dazu soll § 34 GWB in mehrfacher Hinsicht geändert werden. Die Vorschrift geht in dieser Form im Wesentlichen auf die 7. GWB-Novelle von 2005 zurück, jedoch mit einer Vorgängervorschrift mit etwas eingeschränkterem Anwendungsbereich aus der 5. GWB-Novelle von 1989. Keine dieser Vorschriften hat je praktische Bedeutung gewonnen. Es handelte sich um Papiertiger. Diesen sollen jetzt die Krallen geschärft werden. 

Das bisher geltende Erfordernis eines Verschuldens des oder der betroffenen Unternehmen soll entfallen. Der Referentenentwurf begründet dies mit der Funktion des Instruments und vermeintlichen Schwierigkeiten bei der Feststellung des Verschuldens.

Die viel dramatischere Änderung ist jedoch die Einführung einer Vermutung der Erzielung eines Vorteils i.H.v. 1 % der tatbefangenen Umsätze im Inland. Die Vermutung soll zwar widerleglich sein, aber nur durch den Nachweis, dass kein (weltweiter) Konzerngewinn in dieser Höhe erzielt wurde. Darüber hinaus gehend darf die Kartellbehörde die Höhe des Vorteils – wie schon bisher – schätzen, allerdings soll künftig eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Bei 10 % des Vorjahresgesamtumsatzes soll die Abschöpfung gedeckelt sein. Schließlich soll auch noch die bisherige zeitliche Begrenzung der Vorteilsabschöpfung auf fünf Jahre entfallen. Die Zeit, die sich die Kartellbehörde mit der Vorteilsabschöpfung ab Beendigung des Kartellrechtsverstoßes lassen darf, soll nach einer Verlängerung durch die 9. GWB-Novelle von 2017 erneut, und zwar auf zehn Jahre, verlängert werden. 

Die geplanten Änderungen haben das Potential, den Papiertiger der Vorteilsabschöpfung zu einem gefährlichen Raubtier mit überaus spitzen Krallen zu machen. Ob die Kritik des Bundesrechnungshofs an der Nichtanwendung der bisherigen Vorschrift das BMWK zu diesen drastischen Schritten bewogen hat? Bremsen können wird das Raubtier wohl nur die schon bisher vorgesehene Subsidiarität, z.B. gegenüber dem kartellrechtlichen Schadensersatz. 

Wie immer gilt für die Praxis, dass zunächst abgewartet werden muss, was sich in einem Gesetzgebungsverfahren noch ergibt, und sodann, ob die geänderten Vorschriften dem Praxistest standhalten. Wir werden selbstverständlich zu gegebener Zeit berichten.

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