Entgelttransparenzrichtlinie: Der Abschlussbericht ist da! Was bedeutet er für Ihr Unternehmen.
Die Entgelttransparenzrichtlinie (ETRL) (EU) 2023/970 muss bis zum 7. Juni 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden. Der inzwischen vorliegende Abschlussbericht der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission bietet wertvolle Orientierung, wie der Gesetzgeber die Richtlinie (europa)rechtskonform umsetzen kann. Die Kommission versucht, die strengen Anforderungen der Richtlinie in Einklang zu bringen mit dem Bestreben, die Umsetzung ohne übermäßige Bürokratie zu ermöglichen.
Tarifgebundene und tarifanwendende Unternehmen
Der Abschlussbericht der Kommission befasst sich ausführlich mit der Frage, inwieweit tarifgebundene und tarifanwendende Unternehmen bei der Umsetzung der Entgelttransparenz-Richtlinie (ETRL) privilegiert werden sollen. Die Kommission gelangt zu dem Ergebnis, dass Tarifverträge keinen automatischen Schutz vor dem Vorwurf der Entgeltdiskriminierung bieten. Auch tarifgebundene Arbeitgeber* müssen nachweisen, dass bestehende Entgeltunterschiede geschlechtsneutral und objektiv begründet sind.
Entsprechend der Vorgaben der ETRL müssen sich auch tarifliche Entgeltgruppen an den unionsrechtlichen Kriterien messen lassen. Entgeltunterschiede bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit bedürfen somit auch in tariflich geregelten Vergütungssystemen einer systematischen, objektiven und geschlechtsneutralen Begründung.
Die Kommission schlägt allerdings die gesetzliche Einführung einer Angemessenheitsvermutung vor: Das Auskunftsersuchen soll daher zunächst auf die tarifliche Entgeltgruppe des Auskunftssuchenden beschränkt werden. Eine Korrektur soll nur erforderlich werden, wenn nachgewiesen wird, dass die tarifliche Gruppenbildung nicht den Anforderungen von Art. 4 Abs. 4 ETRL entspricht, also nicht auf objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien beruht. Tarifanwendende Unternehmen sollen dabei ebenso behandelt werden wie tarifgebundene Unternehmen.
Darüber hinaus empfiehlt die Kommission, tarifgebundenen und tarifanwendenden Arbeitgebern verlängerte Fristen für die Beantwortung von Auskunftsersuchen einzuräumen, um eine Abstimmung mit den jeweils zuständigen Arbeitgeberverbänden zu ermöglichen. Tarifliche Regelungen, die gegen Art. 157 Abs. 1 AEUV verstoßen, sollen künftig nur hinsichtlich der diskriminierenden Norm außer Kraft gesetzt werden, nicht jedoch den gesamten Tarifvertrag betreffen.
Die Kommission verdeutlicht also, dass weder Tarifbindung noch Tarifanwendung automatisch die Einhaltung der Entgeltgleichheit gewährleisten. Unternehmen müssen weiterhin nachvollziehbare, systematische und geschlechtsneutrale Bewertungsmaßstäbe bei der Entgeltgestaltung anwenden, um Transparenz, Rechtssicherheit und Entgeltgleichheit sicherzustellen.
Berichtspflichten und Relevanz des Ist-Gehalts
Unternehmen ab 100 Beschäftigten sollen regelmäßig Entgelttransparenzberichte erstellen, die geschlechtsspezifische Entgeltunterschiede offenlegen. Die Kommission betont, dass sich diese Berichte auf das Ist-Gehalt (nicht das Ziel-Gehalt) der Beschäftigten beziehen sollte – also auf tatsächlich gezahlte Vergütungen einschließlich Grundgehalt, Zulagen und regelmäßig gewährter sonstiger Bestandteile. Dies schafft verbindliche Transparenz und ermöglicht eine objektive Vergleichbarkeit.
Zur Reduzierung des bürokratischen Aufwands empfiehlt die Kommission eine Öffnungsklausel für variable und ergänzende Entgeltbestandteile. Arbeitgeber sollen diese entweder als Summe oder in inhaltlich sinnvollen zusammengefassten Gruppen ausweisen können. Geringwertige Sachleistungen oder nicht vom Arbeitgeber gewährte Aktienoptionen sollten von der Berichtspflicht ausgenommen werden.
Automatisierte Berechnungen der Kennzahlen sollen den Aufwand minimieren und objektive Vergleichsdatengewährleisten. Die konsolidierte Berichterstattung für Unternehmensgruppen wurde diskutiert, aber keine abschließende Empfehlung gegeben.
Auskunftsrecht und Abhilfeverfahren
Zentrales Ziel der ETRL ist es, die Durchsetzung des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ zu stärken. Dazu erhalten Beschäftigte ein umfassendes Auskunftsrecht, das Transparenz über die Entgeltstruktur im Unternehmen schaffen soll.
Beschäftigte sollen insbesondere informiert werden über:
- ihr individuelles Entgelt,
- das durchschnittliche Entgelt von Kolleginnen und Kollegen in gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit sowie
- die maßgeblichen Entgeltbestandteile und -kriterien.
Um festgestellte Entgeltunterschiede wirksam zu beheben, schlägt die Kommission ein zweistufiges Abhilfeverfahren vor:
- Beteiligung der Arbeitnehmervertretung: Der Arbeitgeber informiert die Arbeitnehmervertretung innerhalb von sechs Wochen über die Ergebnisse und hört sie an.
- Fahrplan zur Beseitigung von Ungleichheiten: Können nicht sofort Maßnahmen ergriffen werden, vereinbaren beide Seiten einen konkreten Fahrplan mit Fristen zur Herstellung von Entgeltgleichheit.
Eine zeitliche Begrenzung des Auskunftsanspruchs auf einmal pro Kalenderjahr wird als unionsrechtskonform und praxisgerecht bewertet. Hypothetische oder bereits ausgeschiedene Vergleichspersonen bleiben grundsätzlich ausgeschlossen, um den Anwendungsbereich auf tatsächlich bestehende Beschäftigungsverhältnisse zu beschränken.
Rechtfertigungsgründe für Entgeltunterschiede
Die Kommission empfiehlt die gesetzliche Aufnahme eines umfassenden, aber nicht abschließenden Katalogs an Rechtfertigungsgründen für Entgeltunterschiede – vergleichbar mit § 10 Satz 3 AGG. Dazu zählen sollen auch bestehende Besitzstände, sofern sie vor dem 7. Juni 2026 entstanden sind. Ziel ist, transparente Kriterien für Unterschiede im Entgelt zu definieren und gleichzeitig praxisnahe Flexibilität zu ermöglichen.
Einbindung der Arbeitnehmervertretung
Offene Fragen ergeben sich vor allem hinsichtlich der Zuständigkeit der Arbeitnehmervertretung im Rahmen des Auskunfts- und Abhilfeverfahrens. Nach den Vorschlägen der Kommission soll die Arbeitnehmervertretung in die Prüfung und gegebenenfalls in die Beseitigung von Entgeltunterschieden einbezogen werden. Unklar ist jedoch, wer diese Rolle in Unternehmen ohne Betriebsrat übernehmen soll; dies wird im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu klären sein.
Ebenso stellt sich die Frage, ob in tarifgebundenen Unternehmen alternativ die zuständige Gewerkschaft anstelle einer betrieblichen Interessenvertretung einbezogen werden kann. Auch dies bedarf einer Klärung im weiteren Gesetzgebungsverfahren.
Positiv hervorzuheben ist, dass die Kommission die Einrichtung neuer Arbeitnehmervertretungsorgane ausdrücklich ablehnt, um zusätzliche Bürokratie und Doppelstrukturen zu vermeiden.
Die Kommission legt großen Wert auf praktische Umsetzbarkeit der Entgelttransparenzrichtlinie
Fristen, automatisierte Berechnungen, Öffnungsklauseln und zweistufige Abhilfeverfahren sollen Unternehmen in die Lage versetzen, die Richtlinie effizient und transparent umzusetzen. Die Gleichbehandlung erfolgt geschlechtsneutral – jede Diskriminierung ist zu verhindern, unabhängig davon, ob sie Frauen, Männer oder andere Geschlechter betrifft.
Ausblick: Gesetzgebung und Umsetzung
Die Ausführungen der Kommission sind nicht rechtlich bindend, geben aber eine klare Empfehlung für die Umsetzung der ETRL durch den nationalen Gesetzgeber.
Der Gesetzgeber plant, bis Januar 2026 einen Entwurf vorzulegen. Es bleibt zu hoffen, dass dieser nicht nur die von der Kommission behandelten Themen aufgreift, sondern auch weitere praktische Fragestellungen klärt, um Rechtsunsicherheiten für Unternehmen zu vermeiden. Wie von der Kommission empfohlen, plant das Ministerium, Onlinetools zu entwickeln, die bei der Einordung der Entgeltgruppen unterstützen und Indizes gleichwertiger Arbeit zur Verfügung stellen. Wie diese konkret aussehen werden und insbesondere die konkrete Situation in den Unternehmen einordnen lassen bleibt offen. Mit dem Abschluss der Entwicklungen wird in der zweiten Jahreshälfte 2026 gerechnet.
Fazit: Begrenzte Spielräume bei der Umsetzung der Richtlinie
Der Abschlussbericht der Kommission macht deutlich, dass die Umsetzung der Entgelttransparenz-Richtlinie (ETRL) nur begrenzten nationalen Gestaltungsspielraum lässt. Viele Vorgaben ergeben sich unmittelbar aus dem Richtlinientext, sodass die Kommission – ebenso wie der nationale Gesetzgeber – in mehreren Punkten keine Abhilfe für bestehende Praxisprobleme und Zunahme bürokratischen Aufwands schaffen konnte und wird schaffen können.
Gerade deshalb erfordert die Umsetzung auf Unternehmensebene eine sorgfältige Planung und systematische Vorgehensweise. Unternehmen sollten ihre internen Prozesse überprüfen, Entgeltsysteme konsequent auf geschlechtsneutrale Bewertung ausrichten und Abhilfeverfahren sowie Kennzahlen weitgehend automatisieren, um Diskriminierungen präventiv zu vermeiden und Rechtssicherheit zu gewährleisten.
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* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.