30. April 2012
ohne Begründung wird die Luft jedenfalls vor Gericht dünn
Arbeitsrecht

Achtung Arbeitgeber: Schweigen ist doch nicht immer Gold!

Seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im August 2006 haben viele Arbeitgeber ihre Bewerbungs- bzw. Einstellungsprozesse umgestellt, um sich nicht der Gefahr der Diskriminierung abgelehnter Bewerber und damit einer Entschädigungspflicht auszusetzen. Dabei sind Arbeitgeber insbesondere dazu übergegangen, abgelehnten Bewerbern „inhaltslose″ Absageschreiben zu schicken, in denen keine Gründe für die Absage angegeben werden.

Am 19.04.2012 entschied der EuGH (Rs. C-415/10, „Galina Meister″), dass die Verweigerung jeglicher Information zum Ausgang eines Bewerbungsverfahrens für das Vorliegen einer Diskriminierung eines abgelehnten Bewerbers sprechen kann. Diese Entscheidung war – aus Arbeitgebersicht – zu befürchten, nachdem der EuGH in der „Kelly″-Entscheidung vom 21.07.2011 (Rs. C-104/10) zwar festgestellt hatte, dass Bewerber keinen Auskunftsanspruch haben, eine Auskunftsverweigerung des Arbeitgebers aber nicht zur Beeinträchtigung des europäischen Diskriminierungsschutzes führen darf. Der Diskriminierungsschutz wird nun so sichergestellt, dass dem Schweigen des Arbeitgebers diskriminierende Bedeutung zukommen kann.

Der aktuelle Fall des EuGH lag folgendermaßen: Die Klägerin, Frau Galina Meister ist 1961 geboren, russischer Herkunft und hatte sich auf eine Stelle als Softwareentwickler/in beworben. Obwohl ihr russisches Diplom als Systemtechnik-Ingenieurin einem deutschen Fachhochschuldiplom gleich steht, wurde ihre Bewerbung abgelehnt, ohne dass sie zuvor zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde und ohne dass ihr die Gründe für die Ablehnung mitgeteilt wurden. Frau Meister erhob daraufhin Klage auf Schadensersatz wegen der Diskriminierung aufgrund des Alters, des Geschlechts und der ethnischen Herkunft. Ferner verlangte sie die Vorlage der Bewerbungsunterlagen des eingestellten Bewerbers, um nachweisen zu können, dass sie besser qualifiziert ist.  Ein Recht auf Einsicht in die Bewerbungsunterlagen anderer Bewerber verneinte der EuGH (erneut), schloss aber nicht aus, dass die Auskunftsverweigerung ein Hinweis auf eine Diskriminierung darstellt, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass Frau Meister für die ausgeschriebene Stelle qualifiziert war und sie dennoch nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Die Bewertung dieser Tatsachen obliegt nun den deutschen Arbeitsgerichten.

Welche Folgen hat diese Rechtsprechung für Arbeitgeber und deren Bewerbungsprozesse? Sicherlich sollten die Urteile des EuGH nicht zum Anlass genommen werden, wieder – wie vor dem Inkrafttreten des AGG nicht unüblich – zu ausführlichen Absageschreiben mit Gründen für die Absage zurückzukehren. Es ist Arbeitgebern nach wie vor zu empfehlen, keine Begründung für die Ablehnung mitzuteilen.

Wer jedoch künftig einen qualifizierten Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch einlädt, begründet ein Indiz für eine Diskriminierung und muss ggf. vor Gericht darlegen und beweisen, weshalb der qualifizierte Bewerber nicht eingeladen bzw. abgelehnt wurde. Wenn er hierfür keine diskriminierungsfreien Gründe anführen kann, muss er mit einer Entschädigungspflicht rechnen.

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