26. Mai 2011
Ist der neu hier?
Arbeitsrecht

Alles, was neu ist: Dienstleistungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit

Nach der EU-Osterweiterung genießt nun seit dem 01.05.2011 die erste Gruppe der mittel- und osteuropäischen Staaten (sog. MOE-Staaten) vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit. Hierzu gehören Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Slowenien. Für Rumänien und Bulgarien fallen die Beschränkungen frühestens Ende 2011, spätestens Ende 2013.

Seit dem 01. Mai können Unternehmen aus diesen Staaten mit eigenen Arbeitnehmern ohne Beschränkungen Dienstleistungen in Deutschland erbringen. Bürger dieser Staaten benötigen keine Arbeitserlaubnis mehr, um in Deutschland zu arbeiten. Osteuropäische Unternehmen können sich nun unmittelbar um Aufträge bewerben. Auch die Arbeitnehmerüberlassung von Bürgern aus diesen MOE-Staaten ist jetzt möglich. 

Entgegen einiger Stimmen in den Medien ist die neue Dienstleistungsfreiheit jedoch kein Freibrief für die betroffenen osteuropäischen Unternehmen und ihre deutschen Auftraggeber:

Osteuropäische Unternehmen aller Branchen müssen in Deutschland die in § 2 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) aufgeführten zwingenden Mindestarbeitsbedingungen (so z.B. für Höchstarbeitszeiten, Mindestjahresurlaub, Arbeitssicherheit, Mutterschutz u.a.) einhalten, wenn sie Mitarbeiter in Deutschland beschäftigen. 

Darüber hinaus müssen Unternehmen in den vom AEntG erfassten Branchen zusätzlich die nach dem AEntG geltenden branchenspezifischen Mindestarbeitsbedingungen einhalten, § 8 Abs. 1 AEntG. Dies betrifft nach § 4 AEntG das Bauhaupt- und Baunebengewerbe, Gebäudereinigung, Briefdienstleistungen, Sicherheitsdienstleistungen, Bergbauspezialarbeiten, Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft, Abfallwirtschaft mit Straßenreinigung und Winterdienst, Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem SGB II und III sowie die Pflegebranche. Für diese Branchen haftet neben dem (ausländischen) Arbeitgeber  subsidiär auch der deutsche Hauptunternehmer/Auftraggeber gegenüber den Mitarbeitern auf Zahlung des Mindestlohns, § 14 AEntG

Bei Zuwiderhandlungen gegen das AEntG drohen zudem erhebliche Bußgelder (bis zu 500.000,00 Euro), so z.B. dann, wenn ein Auftraggeber Werk- oder Dienstleistungen in erheblichem Umfang ausführen lässt und dafür einen anderen Unternehmer beauftragt, von dem er weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass dieser bei der Erfüllung des Auftrags die verbindlichen Arbeitsbedingungen nicht gewährt, § 23 II, III AEntG. Das Hauptzollamt überwacht die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben. 

Im Bereich der Leiharbeit bleibt es grundsätzlich bei dem alte Grundsatz des „Equal Pay″, d.h. der Pflicht zur Gleichbehandlung von entliehenen Arbeitskräften und Stammarbeitnehmern des Entleihers durch den Verleiher. Von diesem Grundsatz konnte auch bisher schon durch – auch ausländische – Tarifverträge abgewichen werden.

Allerdings sieht das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) seit dem 01.05.2011 in § 3a AÜG nun zur Absicherung der Arbeitnehmer zusätzlich die Einführung einer absoluten Lohnuntergrenze vor, die für die Leiharbeit in allen Branchen gelten soll und eingreift, wenn ein vom Equal-Pay-Grundsatz abweichender Tarifvertrag besteht. Danach haben Leiharbeitnehmer Anspruch mindestens Anspruch auf einen tariflichen Mindestlohn, der durch Rechtsverordnung auf Vorschlag der Tarifparteien verbindlich festgesetzt wird. Einen Tarifvertrag zur Regelung von Mindestarbeitsbedingungen in der Zeitarbeit haben die Tarifparteien DGB, BZA und igZ bereits am 30.4.2010 abgeschlossen. Der Tarifvertrag sieht aktuell eine Lohnuntergrenze von € 7,79 (West) bzw. € 6,89 (Ost) vor, allerdings hat das Bundesarbeitsministeriums noch keine entsprechende Rechtsverordnung erlassen. 

Wenn also der Lohn, der dem osteuropäischen Zeitarbeitnehmer nach einem abweichenden Tarifvertrag seines Heimatlandes zusteht, unterhalb des nach dem AÜG festgesetzten Mindestlohn liegt, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf diesen höheren Lohn nach der Rechtsverordnung. Im Extremfall kann dies dazu führen, dass die absolute Lohnuntergrenze zu Löhnen in der Leiharbeitsbranche führen, die über denen im Entleihbetrieb liegen, wenn dessen Stammarbeitnehmer niedrigere branchenspezifische Löhne erhalten.

Hinzu kommt: Hat der ausländische Verleiher keine deutsche Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nach § 1 AÜG oder wendet der Verleiher einen unwirksamen Tarifvertrag an, drohen dem deutschen Entleiher als gesetzlichen Bürgen gem. § 28e Abs. 2 SGB IV ganz erhebliche Nachforderungen der Sozialversicherungsträger, die ihre Ansprüche auch Basis desjenigen Lohns berechnen, der an sich hätte gezahlt werden müssen.

Für Leiharbeitnehmer, die in vom AEntG erfasste Branchen entsendet werden, müssen auch Zeitarbeitsunternehmen aus osteuropäischen Staaten – ebenso wie deutsche Zeitarbeitsunternehmen – darüber hinaus auch die nach dem AEntG geltenden branchenspezifischen Mindestarbeitsbedingungen einhalten, § 8 Abs. 3 AEntG.

Eine Besonderheit gilt im Baugewerbe: Ein Auftraggeber von Bauleistungen haftet nach dieser Vorschrift zudem noch gegenüber der SOKA und nach §§ 150 SGB V, § 28e SGB IV zusätzlich für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge sowie Beiträge zur Berufsgenossenschaft, die sein Subunternehmer nicht abgeführt hat. Der Auftraggeber kann diese Haftung allerdings vermeiden, wenn der Vertragspartner einen so genannten Präqualifikationsnachweis oder eine (qualifizierte) Unbedenklichkeitsbescheinigung vorgelegt hat.

Tags: Arbeitnehmerfreizügigkeit Arbeitnehmerüberlassung AÜG BZA DGB Dienstleistungsfreiheit Entsendung equal pay igZ Leiharbeit Mindestarbeitsbedingungen Mindestlohn MOE-Staaten Osteuropa Tarifverträge Unbedenklichkeitsbescheinigung