Lange Zeit standen Abwerbeverbote und Gehaltsabsprachen nicht im Fokus der Kartellbehörden. Das ändert sich zunehmend. Arbeitgeber sollten auf der Hut sein. Haftung droht.
Viele Branchen leiden unter Fachkräftemangel. Das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgebern* und Arbeitnehmern verschiebt sich mehr und mehr zu Gunsten der Beschäftigten. Die Arbeitgeber stehen in einem scharfen Wettbewerb um wenige hochqualifizierte Mitarbeiter. Arbeitnehmer können höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen. Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, könnten Unternehmen auf die Idee kommen, untereinander Abwerbeverbote oder Gehaltsobergrenzen zu vereinbaren – allerdings verstoßen solche Absprachen regelmäßig gegen das Kartellrecht. Mit weitreichenden Folgen:
Vielfach unbemerkt blieb hierzulande das harte Durchgreifen der US-amerikanischen Wettbewerbshüter im Jahr 2015 gegen die Tech-Giganten des Silicon Valleys Adobe, Apple, Google, Intel, Intuit und Pixar. Diese hatten miteinander vereinbart, einander kein Personal abzuwerben und wurden dafür mit insgesamt USD 415 Mio. bebußt. Spätestens seitdem die EU-Kommissarin für Wettbewerb Margrethe Vestager im Oktober 2021 ausdrücklich erklärt hat, dass in Zukunft zwischen Arbeitgebern vereinbarte Gehaltsabsprachen oder Abwerbeverbote – auch bekannt als sog. „no poach agreements“ – verfolgt werden sollten, ist dieses Thema auch für in Europa tätige Unternehmen brisant.
Am 9. Februar 2023 hat die britische Competition and Markets Authority (CMA) eine Leitlinie mit dem Titel „Avoid breaking competition law: Advice for employers“ herausgegeben. Man darf gespannt sein, ob sich auch das Bundeskartellamt entsprechend äußern wird. Insbesondere Personalabteilungen sollten inzwischen ausreichend sensibilisiert sein und keine unbedachten Absprachen treffen. Auch wenn in Deutschland bisher kaum entsprechende Verfahren bekannt sind, ist das Kartellrecht von Arbeitgebern im Wettbewerb um die besten Angestellten zu beachten.
Abwerbeverbote und Gehaltsabsprachen können einen Verstoß gegen das Kartellrecht darstellen
Im Kern betreffen Abwerbeverbote Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern, keine Mitarbeiter eines anderen Unternehmens abzuwerben. Solche Vereinbarungen kollidieren regelmäßig mit den kartellrechtlichen Normen, die dem Schutz des freien, unbeschränkten Wettbewerbs dienen. So verbietet § 1 GWB Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Entsprechendes folgt aus Art. 101 AEUV bei einer Eignung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten.
Wenn Unternehmen miteinander vereinbaren, nicht aktiv auf Arbeitnehmer des jeweils anderen zuzugehen, um diese abzuwerben (sog. „cold calling“), oder wenn sie vereinbaren, Bewerbungen von Arbeitnehmern anderer Unternehmen abzulehnen, beschränken sie den freien Wettbewerb um die Arbeitnehmer.
Kartellrechtlich relevant sind auch Absprachen zwischen Unternehmen hinsichtlich der Zahlung von Vergütungen oder anderer Beschäftigungsbedingungen.
Sowohl Abwerbeverbote als auch die Abstimmung von Gehaltsobergrenzen haben regelmäßig das Potential, den Wettbewerb negativ zu beeinflussen. Es handelt sich um „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkungen, denen nicht der Einwand der fehlenden Spürbarkeit entgegengehalten werden kann. Damit können auch sog. Bagatellfälle verfolgt und geahndet werden.
Unerheblich ist, ob die Absprachen schriftlich oder mündlich getroffen werden – auch sog. „gentlemen agreements“ lösen die kartellrechtlichen Rechtsfolgen aus, ebenso wie der bloße Austausch sensibler Daten, wie etwa über die Höhe von Gehältern oder Boni. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Austausch im Rahmen eines Benchmarking-Prozesses in derart aggregierter Form erfolgt, dass die Daten u.a. nicht mehr einem einzelnen Unternehmen zugeordnet werden können.
Wettbewerb um Arbeitnehmer
Leidtragende von wettbewerbsbeschränkenden Absprachen auf dem Arbeitgebermarkt sind zunächst die Arbeitnehmer, die für ihre Leistung nicht die bestmöglichen Konditionen erhalten, aber auch die Unternehmen, die – sofern sie sich an die Vereinbarung halten – potentielle Arbeitnehmer nicht für ihr Unternehmen anwerben können.
Dabei ist es nicht relevant, ob die Arbeitgeber Konkurrenten in einem Produkt- oder Dienstleistungsmarkt sind oder nicht – entscheidend ist vielmehr, dass sie für die gleichen Arbeitnehmer als (potentielle) Arbeitgeber in Betracht gezogen werden, denn Personalmärkte sind Beschaffungsmärkte. Der für die kartellrechtliche Betrachtung relevante Markt ist aus Sicht der Arbeitnehmer zu beurteilen, die ihre Arbeitskraft (potentiell) anbieten. Um den Markt abzugrenzen, ist die Frage zu beantworten, ob die Unternehmen, die die Absprache getroffen haben, für einen Arbeitnehmer in sachlicher wie räumlicher Hinsicht austauschbar sind. Vereinfacht formuliert trifft dies zu, wenn der Arbeitnehmer sich auf beide Jobs bewerben würde.
Für die sachliche Austauschbarkeit ist insbesondere die vom Arbeitgeber geforderte Qualifikation entscheidend. Die Märkte können sehr weit, aber auch sehr eng sein: So ist für Buchhalter das vom Arbeitgeber vertriebene Endprodukt regelmäßig beliebig austauschbar; für Chefärzte in der Herzchirurgie umfasst der Markt mit sachlich vergleichbaren Stellen hingegen nur die wenigen Stellen in der Herzchirurgie.
Bei der räumlichen Austauschbarkeit ist zu differenzieren: Die Märkte werden insbesondere für gut verdienende Fachkräfte durch die zunehmende Globalisierung und Entwicklungen wie das Homeoffice i.d.R. weiter. Während für einfache Tätigkeiten meist der Wohnort nicht aufgegeben wird und damit Arbeitgeber im Radius von bis zu ca. einer Stunde Fahrtzeit miteinander konkurrieren dürften, sind Fachkräfte häufig bereit, sich überregional zu bewerben und notfalls auch umzuziehen.
Letztlich verbieten sich hier pauschale Betrachtungen, vielmehr bedarf es einer Betrachtung jedes Einzelfalls. Dennoch dürften vereinbarte „no poach agreements“ regelmäßig ein erstes Indiz dafür sein, dass die an der Absprache beteiligten Arbeitgeber für dieselben Arbeitnehmer interessant sein könnten, da solche Abreden sonst keinen Sinn hätten.
Abwerbeverbote können in Einzelfällen zulässig sein
Das Verbot der Vereinbarungen von Abwerbeverboten gilt jedoch nicht uneingeschränkt: In manchen Situationen, etwa bei Zusammenschlussvorhaben, Joint Ventures, Produktionsvereinbarungen und bei Kooperationen im Vertrieb oder im Bereich von Forschung und Entwicklung können Abwerbeverbote erforderlich sein, um den kartellrechtsneutralen Hauptzweck nicht zu gefährden. Das Zusammenwirken der Unternehmen kann in den genannten Fällen aus kartellrechtlicher Sicht zulässig sein, da es sich bei einer Gesamtbetrachtung um wettbewerbsfördernde Handlungen handelt, die aus ökonomischer Sicht insgesamt zu einem Mehrwert führen. In diesen Konstellationen kann der kartellrechtlich neutrale Hauptzweck der Vereinbarung einzelne wettbewerbsbeschränkende Abreden rechtfertigen, sofern diese dafür erforderlich sind.
Wenn Unternehmen, wie vorstehend beschrieben, eng miteinander zusammenarbeiten, gelangen die eigenen Mitarbeiter mit dem kooperierenden Unternehmen rein faktisch in besonders engen Kontakt. Letzteres erhält dadurch eine Vielzahl an Informationen über die Beschäftigten des anderen Unternehmens. In einer Arbeitswelt, in der die Arbeitnehmer mit ihren Qualifikationen häufig einen der wertvollsten Bestandteile eines Unternehmens darstellen, kann es legitim sein, dass dieses Humankapital besonders geschützt wird. In solchen Konstellationen können Abwerbeverbote gerechtfertigt sein, da Unternehmen sich auf diese Weise dagegen schützen können, Mitarbeiter während der Zusammenarbeit an die Konkurrenz zu verlieren.
Vorsichtiges Handeln ist an dieser Stelle aber explizit geboten, da zu weitreichende Regelungen nicht nur unwirksam sein, sondern auch weitere Folgen, wie etwa Bußgelder und Schadensersatz, nach sich ziehen können.
Sollte ein Abwerbeverbot ausnahmsweise vereinbart werden dürfen, so ist bei der konkreten Ausgestaltung insbesondere darauf zu achten, dass die Klausel auf das zur Zweckerreichung erforderliche Maß beschränkt wird. Es sollten die konkreten Arbeitnehmer, für die das Abwerbeverbot gelten soll, hinreichend bezeichnet werden. Zudem kann ein Abwerbeverbot nur zeitlich befristet gelten – zwar verbieten sich Pauschalisierungen, jedoch sind Abwerbeverbote, die über das Ende einer Zusammenarbeit hinaus gelten, vielfach problematisch. Einfacher ist die einzelvertragliche Vereinbarung von nachvertraglichen Wettbewerbsverboten zwischen dem Arbeitgeber und seinen Beschäftigten. Dies ist unter Wahrung der handelsrechtlichen Vorschriften, wie etwa der Zahlung einer Karenzentschädigung, stets möglich.
Stets undurchsetzbar sind Einstellungsverbote
Vereinbarungen, nach denen ein Unternehmen sich gegenüber einem anderen Unternehmen verpflichtet, gewisse Personen nicht einzustellen, sind zwar nicht zwingend verboten, aber jedenfalls qua Gesetz nicht bindend und damit in der Praxis wertlos. Dies ergibt sich aus § 75f HGB (ggf. i.V.m. § 110 S. 2 GewO für nicht kaufmännische Arbeitgeber). Diese Einstellungsverbote beschränken das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers noch stärker als bloße Abwerbeverbote, weil auch Bewerbungen auf Initiative des Arbeitnehmers per se abgelehnt werden.
Unwirksamkeit von Abwerbeverboten und Gehaltsobergrenzen, Bußgelder bis hin zu Haftstrafen in den USA
Kommen Unternehmen über ein im Einzelfall nicht gerechtfertigtes Abwerbeverbot oder über eine Gehaltsobergrenze überein, so sind diese Vereinbarungen unwirksam. Keiner der Beteiligten kann also die Einhaltung der Absprache oder eine etwaig vereinbarte Vertragsstrafe durchsetzen. Dies bedeutet im Umkehrschluss auch, dass ein Unternehmen – sofern eine solche Absprache getroffen wurde – nicht an diese Vereinbarungen gebunden ist.
Unternehmen, die an den beschriebenen Kartellrechtsverstößen beteiligt sind, drohen zudem Bußgelder i.H.v. bis zu 10 % des jeweiligen Jahresumsatzes sowie Schadensersatzforderungen.
Im denkbar schlimmsten Fall könnten, sofern eine kartellrechtswidrige Abrede getroffen wurde, die sich auf die Geschäftstätigkeit in den USA auswirkt, beteiligten Einzelpersonen Haftstrafen von bis zu zehn Jahren in den USA drohen, da wegen des sog. „Auswirkungsprinzips“ dort auch Handlungen, die im Ausland erfolgt sind, verfolgt werden können.
Fazit: Abwerbeverbote stets auch kartellrechtlich prüfen
Abwerbeverbote sind zwar nicht stets unzulässig. Aufgrund der erheblichen Risiken, die bei der Vereinbarung von Abwerbeverboten bestehen, sollte bei ihrer Vereinbarung zumindest sehr bedacht agiert werden. Das Bundeskartellamt verfügt übrigens über ein Kronzeugenprogramm, das die zeitlich erste Selbstanzeige mit Bußgeldfreiheit honoriert. Falls also bereits kartellrechtswidrige Absprachen getroffen wurden, sollte diesbezüglich sofort Rechtsrat eingeholt werden, sodass auch in diesem Fall der Schaden überschaubar gehalten werden kann.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.