1. September 2020
Kündigungsfrist Geschäftsführer
Arbeitsrecht

BAG: kürzere Kündigungsfristen für (Fremd-)Geschäftsführer

Nach den Feststellungen des BAG in seiner Entscheidung vom 11. Juni 2020 (2 AZR 374/19) können sich (Fremd-)Geschäftsführer nicht (mehr) auf die verlängerten Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB berufen.

Nach dem BAG gilt für (Fremd-)Geschäftsführer ausschließlich der für die Kündigung von Dienstverhältnissen maßgebliche § 621 BGB.

Ein Tag oder sieben Monate? Erhebliche Unterschiede in den gesetzlich geregelten Kündigungsfristen in § 621 BGB und § 622 BGB!

Nicht selten sehen Anstellungsverträge mit (Fremd-)Geschäftsführern vor, dass diese unter Einhaltung der „gesetzlichen Kündigungsfrist“ ordentlich gekündigt werden können. Oder die Verträge enthalten gar keine Regelungen zur Kündigungsfrist. In beiden Fällen stellt sich die Frage, was die „gesetzlichen Kündigungsfristen“ bzw. welche Kündigungsfristen anwendbar sind: § 622 BGB oder § 621 BGB?

Hierbei ist zu beachten, dass die in diesen beiden Vorschriften enthaltenen Kündigungsfristen erheblich voneinander abweichen: § 621 BGB, der die Kündigungsfristen für Dienstverhältnisse regelt, sieht in Nr. 1 als kürzeste Kündigungsfrist eine Frist von einem Tag (!) vor. Die längste in § 621 BGB enthaltene Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Quartalsende (Nr. 4). Als maßgebliches Kriterium für die Dauer der Kündigungsfrist wird insoweit einzig darauf abgestellt, für welchen Zeitabschnitt die vereinbarte Vergütung bemessen ist; unabhängig von Auszahlungsmodus und Fälligkeit. Damit soll es beiden Vertragsparteien erleichtert werden, sich auf das Ende des Dienstverhältnisses einzustellen. Die Dauer des Dienstverhältnisses spielt hierbei keine Rolle.

Demgegenüber ist im Rahmen des für Arbeitsverhältnisse anwendbaren § 622 BGB die Dauer des Arbeitsverhältnisses von entscheidender Bedeutung. So beträgt die kürzeste Kündigungsfrist (außerhalb einer vereinbarten Probezeit) vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats. Sie ist anwendbar für Arbeitsverhältnisse, die noch nicht zwei Jahre bestanden haben. Sodann verlängert sich die Kündigungsfrist schrittweise, wenn das Arbeitsverhältnis zwei, fünf, acht, zehn, zwölf, 15 oder 20 Jahre bestanden hat. Hat das Arbeitsverhältnis 20 Jahre oder mehr bestanden, ist die längste Kündigungsfrist des § 622 BGB erreicht. Diese beträgt sieben Monate zum Monatsende (§ 622 Abs. 2 Nr. 7). § 622 BGB dient insoweit dem Schutz des Arbeitnehmers. Durch die Einschränkung der Freiheit zur Beendigung des Vertragsverhältnisses soll dem Arbeitnehmer ein Arbeitsplatzwechsel möglichst ohne wirtschaftliche Nachteile ermöglicht werden.

Bisherige Praxis bei fehlender vertraglicher Regelung: Anwendbarkeit von § 622 BGB

Bislang wurde die Frage, welche Kündigungsfristen für Geschäftsführer beim Fehlen konkreter Regelungen im Anstellungsvertrag anwendbar sind, ganz überwiegend dahingehend beantwortet, dass insoweit auf § 622 BGB – mithin auch auf die verlängerten Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB – abzustellen ist.

Besonders geprägt wurde diese Auffassung durch zwei Entscheidungen des BGH aus den Jahren 1981 und 1984 (II ZR 92/80 und II ZR 120/83), die zu § 622 BGB in der vom 1. September 1969 bis zum 14. Oktober 1993 geltenden Fassung ergangen sind. Wenngleich der BGH die Arbeitnehmereigenschaft von Geschäftsführern generell verneint, sind danach die Kündigungsfristen des § 622 BGB (analog) anwendbar. Dies jedenfalls dann, wenn der Geschäftsführer nicht herrschender Gesellschafter und von der Gesellschaft mehr oder weniger wirtschaftlich abhängig ist. Gestützt hat der BGH dies auf

  • eine planwidrige Regelungslücke für Kündigungsfristen im Hinblick auf GmbH-Geschäftsführer,
  • eine Vergleichbarkeit des Fremd-Geschäftsführers mit einem Arbeitnehmer und
  • eine vergleichbare Interessenlage.

Sowohl der Zeitaufwand des Geschäftsführers zur beruflichen Neuorientierung als auch der der Gesellschaft zur Neubesetzung der Geschäftsführerstelle würden durch § 622 BGB sachgerechter berücksichtigt als durch § 621 BGB.

Die Instanzgerichte sind dieser Rechtsprechung des BGH gefolgt. Auch die herrschende Meinung im Schrifttum hat sich dem BGH im Ergebnis und in der Begründung angeschlossen.

BAG: Bei freien Dienstverträgen wie der Geschäftsführeranstellung findet § 621 BGB Anwendung

Zu dieser Praxis hat sich das BAG nunmehr mit seiner Entscheidung vom 11. Juni 2020 ausdrücklich in Widerspruch gesetzt (2 AZR 374/19). Denn der 2. Senat des BAG hält § 622 BGB nur für die Kündigung von Arbeitsverhältnissen anwendbar.

In dem dem BAG vorliegenden Fall war die Klägerin im Jahre 2009 zur Geschäftsführerin einer GmbH bestellt worden, in der sie bereits zuvor, zuletzt seit 1993 als Verwaltungsleiterin, tätig war. Sie übte die Tätigkeit auf der Grundlage eines schriftlichen Anstellungsvertrags aus, nach dem ihr ein Jahresgrundgehalt in Höhe von EUR 100.000,00  zustand. Nach Streitigkeiten mit den Gesellschaftern wurde die Klägerin im Jahr 2018 als Geschäftsführerin abberufen und ihr Anstellungsvertrag ordentlich gekündigt. Gegen diese Kündigung wand sich die Klägerin mit ihrer Klage.

Das BAG hat zunächst festgestellt, dass der zwischen den Parteien geschlossene Anstellungsvertrag nicht als Arbeitsvertrag, sondern als freier Dienstvertrag zu qualifizieren sei. Sodann hat es § 622 Abs. 2 BGB ausdrücklich für nicht anwendbar erklärt. Diese Vorschrift fände – seinem Wortlaut entsprechend – nur auf Arbeitsverträge Anwendung. Wegen der für freie Dienstverhältnisse bestehenden Regelung in § 621 BGB liege auch keine ausfüllungsbedürftige planwidrige Regelungslücke vor. Eine analoge Anwendung von § 622 BGB auf die Kündigung eines Geschäftsführeranstellungsvertrags sei mithin nicht möglich.

Aus diesem Grund sei es auch rechtlich ohne Bedeutung, ob das Fristenregime des § 622 Abs. 1 S. 1 BGB als interessengerechter anzusehen sei als die Kündigungsfrist des § 621 Nr. 3 BGB. Der Gesetzgeber habe mit der ab dem 15. Oktober 1993 geltenden Neufassung des § 622 BGB die Anbindung der Kündigungsfristenregelung an Arbeitsverhältnisse betont. Es sei jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass er die Kündigungsfristenregelung für (Fremd-)Geschäftsführer dort verortet sehen wollte. Wäre dies sein Wille gewesen, hätte die Neuregelung Anlass gegeben, die Rechtsprechung des BGH in eine gesetzliche Regelung zu übernehmen. Dies sei nicht erfolgt. Anhaltspunkte für ein diesbezügliches „Redaktionsversehen” des Gesetzgebers bestünden nicht.

Da die Vergütung in dem vorliegenden Fall als Jahresgehalt bemessen war, war eine Kündigung gemäß § 621 Nr. 4 BGB mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende möglich. Darauf, dass die Klägerin eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren hatte, kam es hingegen nicht an. Sie konnte sich auf die siebenmonatige Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB nicht berufen.

§ 622 BGB aufgrund ausdrücklicher Regelung richtigerweise nur bei Arbeitsverträgen anwendbar

Die Entscheidung des BAG ist richtig. Sie wendet § 621 BGB konsequent an, indem sie der rechtlichen Einordnung des Anstellungsverhältnisses als Dienstverhältnis die passenden rechtlichen Konsequenzen zuordnet. Eine entsprechende Anwendung von § 622 BGB ist aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 621 BGB nicht möglich. 

Bei monatlicher Vergütung kann das Dienstverhältnis am 15. eines Monats zum Schluss des Kalendermonats gekündigt werden

Gerade in Fällen, in denen langjährige Arbeitnehmer zu Geschäftsführern bestellt werden, führt die Anwendung von § 621 BGB zu einer erheblichen Verkürzung der gesetzlichen Kündigungsfristen. Wurde dann auch noch keine Jahresvergütung, sondern eine monatliche Vergütung vereinbart, wird dies noch deutlicher. Beträgt die Kündigungsfrist für Dienstverhältnisse bei Vereinbarung einer Jahresvergütung gemäß § 621 Nr. 4 BGB noch sechs Wochen zum Schluss eines Kalendervierteljahrs, kann das Dienstverhältnis bei einer monatlichen Vergütung gemäß § 621 Nr. 3 BGB spätestens am 15. eines Monats zum Schluss des Kalendermonats gekündigt werden.

Erhebliche Unsicherheiten zu erwarten

Die Entscheidung des BAG wird in der Praxis erhebliche Bedeutung haben sowie zu Unsicherheiten bei der Prozessführung führen. Sind die Gerichte in der Vergangenheit meist dem BGH und der herrschenden Meinung anstandslos gefolgt, wird man zukünftig auch vor den Zivilgerichten im Zweifel sein, ob diese weiterhin der – schon recht alten – BGH-Rechtsprechung folgen, oder sich nunmehr der aktuellen Entscheidung des BAG anschließen werden. Die Arbeitsgerichte, vor die immer mehr Prozesse um die Beendigung von Geschäftsführeranstellungsverträgen getragen werden, werden voraussichtlich ab sofort anstandslos der (zutreffenden) BAG-Rechtsprechung folgen. Dies wird man ab sofort in der Beratungspraxis berücksichtigen müssen.

Tags: BAG Fremdgeschäftsführer Geschäftsführer Kündigungsfrist