3. Dezember 2020
Crowdwork Arbeitnehmer Plattform
Arbeitsrecht

Crowdworker können Arbeitnehmer sein – so das BAG

Das BAG hat erstmals entschieden, dass ein Crowdworker in einem Arbeitsverhältnis mit dem Plattformbetreiber stehen kann.

Die moderne Arbeitswelt hat viele Gesichter. Spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und dem damit einhergehenden millionenfachen „Umzug“ ins Homeoffice dürfte allgemein bekannt sein, dass sich moderne Arbeitsformen im Zuge der Digitalisierung immer mehr vom klassischen Bürojob mit festen Arbeitszeiten entfernen. 

Eine nicht mehr allzu neue Form der Arbeit, die allerdings noch nicht jedem ein Begriff ist, bildet das sog. Crowdworking. Hierbei lassen Unternehmen (sog. Crowdsourcing-Plattformen) meist kleinteilige Aufgaben von in aller Regel unbekannten Personen (der „Crowd“) ausführen. Die Crowdworker* registrieren sich dabei zunächst per Smartphone bei der jeweiligen Crowdsourcing-Plattform, auf der die zu erledigenden Aufträge angeboten und vom Nutzer übernommen werden können. Nach korrekter Ausführung der Aufgabe wird dem Konto ein festgelegter Geldbetrag gutgeschrieben, den sich der Nutzer z.B. über PayPal auszahlen lassen kann.

Rechtlicher Status der Crowdworker oft unklar

Ein Crowdworker hatte auf diese Weise fast 1.800 Euro monatlich verdient und dabei innerhalb von 11 Monaten knapp dreitausend Aufträge für eine Plattform ausgeführt, zumeist Kontrollaufgaben bezüglich der Warenpräsentation im Einzelhandel. Dann kam es jedoch zu Unstimmigkeiten mit dem Plattformbetreiber, infolge derer dieser ankündigte, den Account zu sperren und keine weiteren Aufträge mehr anzubieten. Dies wollte der Nutzer nicht akzeptieren und forderte – neben seiner Weiterbeschäftigung – insbesondere die Zahlung ausstehender Vergütung. Hierbei machte er geltend, er sei als Arbeitnehmer beschäftigt und könne daher nicht ohne weiteres gekündigt werden. 

Ob Crowdworker tatsächlich Arbeitnehmer sein können oder ob sie nicht eher als Selbstständige einen Dienst-/Werkvertrag nach dem anderen abschließen und ausführen, war bislang gerichtlich nicht geklärt. Aber auch nach der Entscheidung des BAG wird sich die Frage zukünftig nicht immer eindeutig beurteilen lassen.

Bundesarbeitsgericht bejaht Arbeitnehmereigenschaft eines Crowdworkers

In der juristischen Literatur wurde die Qualifikation der Crowdworker als Arbeitnehmer bisher weitgehend abgelehnt und darauf verwiesen, dass es allein der Entscheidung der Crowdworker obliege, ob sie für die Plattform tätig werden wollen, oder nicht. 

Auch die Vorinstanzen in dem Fall, der es jetzt vor das BAG geschafft hat, lehnten eine Arbeitnehmereigenschaft ab. Das ArbG München (Urteil vom 20. Februar 2019 – 19 Ca 6915/18) und das LAG München (Urteil vom 4. Dezember 2019 – 8 Sa 146/19) haben die Klage insofern abgewiesen und darauf abgestellt, dass der Crowdworker kein Arbeitnehmer sei. 

Umso überraschender war es daher, dass das BAG nun am 1. Dezember 2020 entschied, dass der Crowdworker für die Dauer der Vertragsbeziehung mit der Crowdsourcing-Plattform als Arbeitnehmer zu qualifizieren sei (Az. 9 AZR 102/20) und deswegen einen Anspruch auf Gehaltsnachzahlungen habe.

Arbeitnehmer sind weisungsgebunden und persönlich abhängig

Zur Begründung dieses Ergebnisses knüpft das BAG (jedenfalls soweit sich dies der Pressemitteilung entnehmen lässt) an die etablierten Abgrenzungskriterien an: Selbstständig ist, wer seine Tätigkeit inhaltlich und zeitlich frei gestaltet. Arbeitnehmer ist dagegen, wer in persönlicher (nicht bloß wirtschaftlicher) Abhängigkeit fremdbestimmt tätig wird, also insbesondere weisungsabhängig ist. Bei der vorzunehmenden Prüfung sind alle Umstände des konkreten Falles zu berücksichtigen und eine Gesamtabwägung vorzunehmen, ohne dass es im Ergebnis darauf ankommt, wie die Parteien ihren Vertrag bezeichnet und welche Regelungen sie dort getroffen haben. Die Arbeitnehmereigenschaft liegt dabei umso näher, je umfassender die Eingliederung in die fremde Organisationsstruktur ist und je stärker auf die Ausführung der Tätigkeiten Einfluss genommen werden kann. 

Bis zur Entscheidung des BAG waren die Argumentationsmuster der Gerichte durchaus zu erwarten und nachvollziehbar: So begründe allein die erstmalige Registrierung des Nutzers auf der Plattform und das Einverständnis mit den Nutzungsbedingungen kein Arbeitsverhältnis, wenn hiermit noch keine Pflicht zur Ausführung von Aufgaben verbunden ist. 

Auch bei der rechtlichen Einordnung der konkreten Auftragsausführung hielt sich das ArbG München nah an den gängigen Abgrenzungsmerkmalen: Der Kläger sei in der Entscheidung, ob und wann er für die Plattform tätig wird, völlig frei gewesen; auch nach Übernahme eines Auftrags habe er diesen jederzeit ohne Konsequenzen abbrechen können. Zudem sei auch eine Weisungsgebundenheit in inhaltlicher Hinsicht nicht gegeben, da es der Crowdworker selbst in der Hand gehabt habe, wie er das vorgegebene Ergebnis herbeiführt. 

Anreiz zur ständigen Angebotsannahme kann zur unselbständigen Tätigkeit des Crowdworkers führen

Das LAG München hatte in der zweiten Instanz festgestellt, dass auch im Laufe der Tätigkeit keine Pflicht zur Übernahme von Aufträgen oder eine damit vergleichbare „Drucksituation“ entstehen dürfe. Das Gericht war aber der Ansicht, dass eine solche nicht bereits aus der Existenz eines Anreizsystems zur fortlaufenden Erledigung von Aufgaben oder einer wirtschaftlichen Zwangslage des Crowdworkers folgt. 

In der bislang allein vorliegenden Pressemitteilung des BAG klingt das anders: Die Struktur der Plattform sei darauf ausgerichtet gewesen, dass registrierte Nutzer fortlaufend Kleinstaufträge annehmen und diese persönlich ausführen. Zur Begründung verweist das BAG darauf, dass mit einer Vielzahl erledigter Aufträge auch höhere Level im Bewertungssystem erreicht werden konnten und erst ein höheres Level die parallele Abarbeitung mehrerer Aufträge ermöglicht habe. Hierdurch sei der Kläger dazu veranlasst worden, kontinuierlich für den Plattform-Betreiber tätig zu werden. 

Insofern habe die Plattform die Zusammenarbeit jedoch derart gesteuert, dass der Kläger seine Tätigkeit nicht mehr habe frei gestalten können und deswegen nicht mehr in selbstständiger Weise tätig geworden sei.

Plattformbetreiber sollten Anreizsysteme und „Drucksituationen“ für die Crowdworker vermeiden

Müssen Plattformbetreiber ihr Geschäftsmodell nun aufgeben, wenn sie nicht auf einen Schlag Arbeitgeber tausender Mitarbeiter werden wollen? Einen solchen Automatismus gibt es sicherlich nicht, denn letzten Endes handelt es sich bei der Frage der Arbeitnehmereigenschaft immer noch um eine Einzelfallentscheidung. 

Zu mehr Rechtssicherheit wird die Entscheidung des BAG aber aller Voraussicht nach nicht beitragen. Sollte sich nach Veröffentlichung der schriftlichen Urteilsgründe herausstellen, dass es die Einordnung als Arbeitsverhältnis maßgeblich an dem vagen Kriterium des „Anreizeffektes“ festgemacht hat, wird die Abgrenzung von Arbeitnehmern und Selbstständigen jedenfalls nicht vereinfacht. Dies wäre aber für alle Beteiligten angesichts der mit einem Arbeitsverhältnis verbundenen Rechten und Pflichten wünschenswert gewesen. 

In diesem Kontext ist auch zu berücksichtigen, dass die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft nicht nur zur Folge haben kann, dass der „freie Mitarbeiter“ weitere Gehaltsnachzahlungen geltend machen kann und rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge abzuführen sind. Vielmehr müssen auch die (vermeintlich) freien Mitarbeiter bedenken, dass sie erhaltene Honorare ggf. (teilweise) zurückzahlen müssen. Denn als Arbeitnehmer haben sie nur einen Anspruch auf die „übliche Vergütung“ nach § 612 Abs. 2 BGB – dies kann u.U. auch zu Rückforderungsansprüchen gegen die „freien Mitarbeiter“ führen.

Unternehmen, die Crowdworker vermitteln, sollten daher künftig darauf verzichten, besondere Vorteile für überdurchschnittlich aktive Nutzer in Aussicht zu stellen oder gar Phasen längerer Inaktivität mit Sanktionen zu verknüpfen. Bei der Übernahme einzelner Aufträge sollten den Crowdworkern bezüglich Zeit, Ort und Art der Ausführung möglichst viele Freiheiten gewährt und die Möglichkeit einer direkten Einflussnahme gerade ausgeschlossen werden. 

Auch der Gesetzgeber plant Regelung des Crowdworkings

Wer Arbeitnehmer ist und wer nicht, lässt sich aufgrund der Vielfältigkeit der Erscheinungsformen von „Arbeit“ nicht gesetzlich festlegen. Vor wenigen Tagen hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales allerdings angekündigt, die Plattformarbeit stärker regulieren zu wollen. 

In einem veröffentlichten Eckpunktepapier ist unter anderem davon die Rede, Crowdworker in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen und die Plattformbetreiber an den anfallenden Beiträgen zu beteiligen. Zudem soll, wenn der Plattformnutzer Anhaltspunkte für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses darlegt, die Crowdsourcing-Plattform verpflichtet sein, das Gegenteil zu beweisen (Beweislastumkehr). 

Welche Vorschläge hier tatsächlich umgesetzt werden, wird sich allerdings erst noch zeigen – bislang liegt kein konkreter Gesetzentwurf vor.

Das BAG lässt u.a. die entscheidende Frage offen, wie sich das Urteil auf Auftraggeber auswirkt 

Trotz der Komplexität der Frage nach der Arbeitnehmereigenschaft sollte schließlich nicht vergessen werden, dass es neben Selbstständigen und abhängig Beschäftigten auch noch die sog. arbeitnehmerähnlichen Personen gibt, die in bestimmten Punkten Arbeitnehmern gleichgestellt sind (Beispiel: Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub). Eine entsprechende Einordnung kommt insbesondere bei solchen Crowdworkern in Betracht, die wirtschaftlich von einer Plattform abhängig sind oder über sie einen Großteil ihres Einkommens erwirtschaften. Um derlei finanzielle Abhängigkeiten gar nicht erst entstehen zu lassen, könnten Crowdsourcing-Anbieter die Verdienstmöglichkeiten etwa nach oben hin deckeln.

Abschließend sei angemerkt, dass es im Verfahren vor dem BAG allein um die Frage der Arbeitgeberstellung des Plattformbetreibers ging. Nicht zu entscheiden hatte das Gericht, ob auch zu den Unternehmen, die die Aufträge an die Plattformen vergeben, arbeitsrechtliche Beziehungen entstehen können. In dieser Hinsicht bestehen also ebenfalls gewisse Risiken. Diese können auch dann nicht ausgeschlossen werden, wenn die Verträge für die einzelnen Aufträge direkt zwischen Plattformbetreiber und Crowdworker geschlossen werden und die eigentlichen Auftraggeber den Nutzern nicht einmal namentlich bekannt sind („mittelbares Crowdworking“).

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Anreiz Crowdwork Drucksituation Plattform

Isabel Meyer-Michaelis