1. August 2011
Arbeitsrecht Datenschutzrecht

Datenschutz mal anders herum: Wenn der Bewerber sein Innerstes nach außen kehrt

Normalerweise ist die Lage ganz eindeutig: Wer sich um einen Arbeitsplatz bewirbt, ist vor allzu forschen Fragen des potentiellen Arbeitgebers geschützt. Das Fragerecht des Arbeitgebers besteht nur bei einem berechtigten, billigenswerten und schutzwürdigen Interesse an der Beantwortung einer konkreten Frage. Liegt dieses nicht vor, ist die Frage unzulässig und der Bewerber hat ein „Recht zur Lüge″. Manchmal, so lernen wir gerade, muss ein Bewerber aber nicht vor dem Ausforschungsdrang des Arbeitgebers, sondern vor seiner eigenen Mitteilungsbedürftigkeit geschützt werden: In Bewerbungen können Stichworte zu den Themen „Erholen″, „Schlafen″, „Gymnastik″, „Zahnweh″, „Grippe″, „Migräne″, „Sex″, und „Kunst″ unzulässig sein, meint jedenfalls das Landesozialgericht Hamburg.

In einer jüngst veröffentlichten Entscheidung (Details auch hier) bestätigte das Gericht die erstinstanzliche Entscheidung zu einem sozialrechtlichen Verwaltungsakt im Zusammenhang mit einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II. Das Jobcenter hatte einem Arbeitslosen aufgegeben, in seinen Bewerbungen auf die von ihm vorgesehene „Mottoliste″ zu verzichten, in der er Stichworte zu persönlichen und teilweise intimen Anschauungen präsentierte. Diese Schilderungen der in der  in der Intimsphäre angesiedelten Vorlieben des Klägers, so die Behörde, würden potentielle Arbeitgeber abhalten, seiner Bewerbung näherzutreten. Die Beifügung solcher Listen lasse vielmehr den Schluss zu, dass der Kläger eine Einstellung verhindern wolle. Zu Recht, meinte das Landessozialgericht und führte aus:

„Dass die Beifügung der Mottoliste des Klägers mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Scheitern jeglicher Bewerbungsbemühungen führen würde, ergibt sich daraus, dass es den Üblichkeiten von Bewerbungsverfahren offensichtlich widerspricht, Darlegungen über die innersten Einstellungen und Anschauungen zu Sexualität und Geistes- bzw. Gefühlswelt vorzulegen. Dem Leser solcher Darlegungen wird sich der Eindruck aufdrängen, dass es dem Bewerber jedenfalls nicht um die angebotene Stelle, sondern eher um das Erforschen und Umkreisen des eigenen Persönlichkeitskerns geht.″

Praktisch untypisch dürfte der Fall auch aus Sicht des Gesetzgebers sein: Denn in dem aktuell (mit nach wie vor offenem Ergebnis) in Berlin beratenen Entwurf eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes (Details auch hier, hier und hier) findet sich in § 32 Abs. 2 BDSG-E eine ausdrückliche gesetzliche Klarstellung zum Umfang des Fragerechts. Vor allem besondere Arten personenbezogener Daten – etwa zu Weltanschauung, sexueller Identität oder Gesundheit – dürfen nur unter engen Voraussetzungen erhoben werden.

Umgekehrt ergibt sich aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber auch die Befugnis, selbst über die Preisgabe personenbezogener Informationen zu entscheiden. Außerhalb sozialrechtlicher Eingliederungsverfahren kann ein Bewerber ungeachtet der Hamburger Entscheidung seine Intimsphäre durchaus in die Bewerbungsmappe packen – rein rechtlich, wohlgemerkt.

Tags: Eingliederungsvereinbarung Fragerecht des Arbeitgebers informationelle Selbstbestimmung Intimsphäre L 5 AS 357/10 LSG Hamburg Mottolisten