Gewerkschaften können einen Anspruch auf Unterlassung des Einsatzes von Zeitarbeitnehmern während konkret laufender oder beabsichtigter Arbeitskämpfe haben.
Der Einsatz von Zeitarbeitnehmern* im Arbeitskampf ist nach einer umfänglichen Anpassung von § 11 Abs. 5 AÜG mit Wirkung zum 1. April 2017 grundsätzlich verboten. Danach darf der Entleiher Zeitarbeitnehmer nicht tätig werden lassen, wenn sein Betrieb unmittelbar von einem Arbeitskampf betroffen ist.
Die Regelung klingt nach ihrem Wortlaut eindeutig, dennoch sind in Zusammenhang mit dem gesetzlichen Streikeinsatzverbot zahlreiche Fragen ungeklärt und umstritten. Gerichtliche Entscheidungen sind nicht bekannt, so dass ein Urteil des ArbG Köln für die Praxis von nicht unerheblicher Bedeutung ist, in dem sich ein Gericht – soweit bekannt – erstmals mit § 11 Abs. 5 AÜG in der seit dem 1. April 2017 geltenden Fassung auseinandersetzen musste (Urteil v. 13. Dezember 2024 – 19 Ga 86/24).
Die Parteien streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über die Zulässigkeit der Beschäftigung von Zeitarbeitnehmern während einer Tarifauseinandersetzung.
Gewerkschaft führt Verfügungsverfahren gegen ein Unternehmen, das Zeitarbeitnehmer während eines Arbeitskampfes einsetzte
Die streikführende Gewerkschaft (hier: ver.di) hat ein nicht tarifgebundenes Unternehmen zur Aufnahme von Tarifverhandlungen aufgefordert. Gegenstand der Verhandlungen sollte dabei der Abschluss eines Haustarifvertrags sein.
Nachdem die Verfügungsbeklagte die Aufnahme von Tarifverhandlungen ablehnte, kam es an über 100 Tagen zu Arbeitskampfmaßnahmen. Das Unternehmen hat sich gegen die Streikmaßnahmen weder gerichtlich gewehrt noch sog. „tradierte“ arbeitgeberseitige Maßnahmen, wie Aussperrungen oder eine Betriebsschließung, genutzt.
Während der bereits geführten Arbeitskampfmaßnahmen setzte das Unternehmen Zeitarbeitnehmer ein, d.h. auch während des stattfindenden Arbeitskampfes.
Die Gewerkschaft wehrt sich dagegen in einem einstweiligen Verfügungsverfahren. Im Kammertermin hat das Unternehmen noch vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung erklärt, dass man alle Zeitarbeitnehmer für den Rest des letzten von der Gewerkschaft angekündigten Streiktages nach Hause geschickt habe. Es würden daher keine Zeitarbeitnehmer mehr für den Rest dieses Tages arbeiten.
Das ArbG Köln bestätigt grundsätzlich den Unterlassungsanspruch, weist den Erlass der einstweiligen Verfügung allerdings aus formellen Gründen zurück
Das ArbG Köln stellt fest, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung im Arbeitskampf grundsätzlich möglich sei.
Vorliegend hätte – so das Gericht – grundsätzlich ein Verfügungsanspruch bestanden. Die Gewerkschaft könne einen solchen aus §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1, 2 BGB analog i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG und § 11 Abs. 5 AÜG auf Unterlassung der Beschäftigung von Zeitarbeitnehmern während konkret laufender oder beabsichtigter Arbeitskämpfe gegen den entleihenden Arbeitgeber als avisierten Tarifpartner haben. Diese Frage sei zwar umstritten. Rechtsprechung dazu liege nicht vor. Das ArbG Köln schloss sich aber der überwiegenden Auffassung der Literatur an, die einen solchen Anspruch bejaht.
Die Gesetzesbegründung sehe zudem in § 11 Abs. 5 S. 1 AÜG ein grundsätzliches Verbot des Einsatzes von Zeitarbeitnehmern während Streikmaßnahmen vor (BT-Drucks. 18/9232, S. 27). Dabei werde nicht zwischen bereits beschäftigten und extra für den Arbeitskampf eingestellten Zeitarbeitnehmern differenziert – und auch nicht danach, ob Zeitarbeitnehmer als Streikbrecher tatsächlich beschäftigt würden. Letzteres sei vielmehr erst im Rahmen der Ausnahmeregelung nach § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG zu prüfen. Soweit die Gesetzesbegründung anführe, nicht von dem Verbot erfasst seien Sachverhalte, in denen Zeitarbeitnehmer, die bereits vor Beginn des Arbeitskampfs im Betrieb des Entleihers tätig gewesen seien, während des Arbeitskampfs ihre bisherigen Tätigkeiten fortführen könnten (BT-Drucks. 18/9232, S. 28), beziehe sich dies auf § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG. Die Gesetzesbegründung sei in diesem Zusammenhang – ebenso wie die Begründung des BVerfG hierzu (BVerfG v. 19. April 2020 – 1 BvR 842/17, Rn. 30) – zugegebenermaßen nicht eindeutig. Der Gesetzeswortlaut sei es hingegen schon. § 11 Abs. 5 S. 1 AÜG lasse eine solche einschränkende Auslegung anhand des klaren und eindeutigen Wortlauts nicht zu.
Ein Unterlassungsanspruch bestünde im vorliegenden Fall – allerdings inhaltlich nur bezogen auf den aktuellen Streik, der bis zum „heutigen″ Tage (13. Dezember 2024) andauere (und zwar nur für den Rest des „heutigen″ Tages).
Die Verfügungsbeklagte verstoße gegen das Einsatzverbot des § 11 Abs. 5 S. 1 AÜG, da sie aktuell in ihrem von einem (rechtmäßig geführten) Arbeitskampf unmittelbar betroffenen Betrieb Zeitarbeitnehmer tätig werden lasse. Der Betrieb der Verfügungsbeklagten sei unmittelbar von einem Arbeitskampf betroffen.
Die Verfügungsbeklagte könne sich vorliegend nicht darauf berufen, ihr sei der Einsatz der Zeitarbeitnehmer gem. § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG ausnahmsweise gestattet. Die Verfügungsbeklagte könne ausweislich ihres Sachvortrages nicht sicherstellen, dass entweder unmittelbar (§ 11 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 AÜG) oder mittelbar (§ 11 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 AÜG) durch die Zeitarbeitnehmer Tätigkeiten übernommen würden, die bisher von Stammbeschäftigten erbracht worden seien, die sich (nunmehr) im Arbeitskampf befänden.
Das ArbG Köln geht im Übrigen davon aus, dass auch ein Verfügungsgrund bestanden hätte. An der Dringlichkeit bestünden jedoch deshalb grundsätzlich Bedenken, weil der Einsatz von Zeitarbeitnehmern bei der Verfügungsbeklagten – auch und gerade während der Arbeitskampfmaßnahmen der Verfügungsbeklagten – bereits seit über 12 Monaten erfolge. Man könnte einwenden, die Verfügungsklägerin hätte hiergegen bereits in zumutbarer Weise Rechtsschutz in der Hauptsache herbeiführen und so ein Eilverfahren vermeiden können. Es handele sich dabei um den Vorwurf der selbstverschuldeten Eilbedürftigkeit. Auf Seiten der Verfügungsklägerin sei dabei aber zu berücksichtigen, dass die grundrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit in jedem Arbeitskampf neu durch den Einsatz von Zeitarbeitnehmern und damit einem Verstoß der Verfügungsbeklagten gegen § 11 Abs. 5 AÜG angegriffen werde. Dieser Verstoß werde jedes Mal von neuem verwirklicht und beeinträchtige eine Grundrechtsposition der Verfügungsbeklagten. Ohne Eilrechtsschutz könnten dieser Verstoß und die Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit in der konkreten Streikmaßnahme nicht verhindert werden. Es sei anzuerkennen, dass für jede zeitlich abgrenzbare und aktuelle Streikmaßnahme eine isoliert zu betrachtende Rechtsgutverletzung bestehe und insofern eine besondere Eilbedürftigkeit geltend gemacht werden könne, da ohne einstweiligen Rechtsschutz die Koalitionsfreiheit in dieser Streikmaßnahme nicht voll verwirklicht werden könne und das Rechtsschutzbegehren durch Zeitablauf erledigt werde.
Allerdings sei der Verfügungsanspruch am Tag der mündlichen Verhandlung durch die Freistellung der Zeitarbeitnehmer für den Rest des Tages tatsächlich erfüllt worden und damit erloschen. Die Freistellung habe der Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten unbestritten vorgetragen und damit zugleich glaubhaft gemacht. Die einstweilige Verfügung konnte aus diesem Grund und aus anderen formellen Erwägungen nicht ergehen.
Zeitarbeitnehmer als „Streikbrecher“: ein rechtlich-tatsächlicher Balanceakt!
Die Entscheidung des ArbG Köln zum Streikeinsatz von Zeitarbeitnehmern ist von besonderer Bedeutung – gerade mit Blick darauf, dass der Personaldienstleister gerade nicht „zurückgezogen“ hat, sondern tatsächlich Zeitarbeitnehmer bereitgestellt hat. Dies dürfte nur so zu erklären sein, dass dieser nicht tarifgebunden gewesen sein bzw. die Tarifverträge der Zeitarbeit auch nicht arbeitsvertraglich in Bezug genommen haben dürfte, da die dort vorgesehenen Streikeinsatzklauseln umfänglicher formuliert sind als die gesetzlichen Bestimmungen. Dort ist nämlich klar geregelt, dass Zeitarbeitnehmer während eines Arbeitskampfes im bestreikten Betrieb nicht eingesetzt werden dürfen. Es scheint so zu sein, dass man versucht hat, außerhalb des tariflichen Regelungsgefüges über einen „tariflosen“ Personaldienstleister mit Blick auf die gesetzlichen Bestimmungen nach § 11 Abs. 5 AÜG ein „Schlupfloch“ zu finden, um den Einsatz von Zeitarbeitnehmern während des Arbeitskampfes rechtmäßig durchführen zu können – insbesondere mit der Begründung, dass sich § 11 Abs. 5 S. 1 AÜG nicht auf bereits vor dem Streik überlassene Zeitarbeitnehmer erstreckt bzw. die Ausnahme nach § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG einschlägig gewesen sein soll. Zumindest kann man den auf Arbeitgeberseite beteiligten Unternehmen (in rechtlicher Hinsicht) einen gewissen „Mut“ und eine „Risikobereitschaft“ nicht absprechen.
Letztlich wurde das Einsatzunternehmen jedoch nicht „belohnt“, auch wenn es formaljuristisch in dem Verfahren obsiegt hat; dies lag allerdings nicht zuletzt daran, dass dieses noch in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass der Einsatz der Zeitarbeitnehmer abgebrochen worden sei. Damit hat sich gleichzeitig die von der Gewerkschaft beantragte einstweilige Verfügung auf Unterlassung erledigt; der Antrag wurde folglich aus prozessualen Gründen abgelehnt.
Ob Zeitarbeitnehmer im Arbeitskampf eingesetzt werden sollen, sollte aufgrund der bestehenden rechtlichen Unwägbarkeiten und des tatsächlichen Eskalationspotenzials immer sehr gut überlegt sein. Für solche Zeitarbeitsunternehmen, die tarifgebunden sind bzw. die Tarifverträge der Zeitarbeit arbeitsvertraglich in Bezug nehmen, stellt sich diese Frage aufgrund der umfänglich ausgestalteten tariflichen Streikeinsatzklauseln in der Regel bereits nicht.
Sollten Zeitarbeitnehmer als „Streikbrecher“ eingesetzt werden, geht dies grundsätzlich nur mit nicht tarifgebundenen Personaldienstleistern, die auch im Übrigen die Tarifverträge der Zeitarbeit nicht auf die mit ihren externen Mitarbeitern bestehenden Arbeitsverhältnisse aufgrund von entsprechenden Bezugnahmeklauseln anwenden. Dieser Umstand schränkt – rein faktisch – die Möglichkeiten, Zeitarbeitnehmer während eines Arbeitskampfes einzusetzen, aufgrund des hohen Organisationsgrads von Personaldienstleistern im zuständigen Arbeitgeberverband erheblich ein. Dennoch scheinen sich – wie der Fall des ArbG Köln zeigt – Personaldienstleister zu finden, die bereit sind, die rechtlichen Grenzen des Streikeinsatzverbotes „auszutesten“.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.