Durften Arbeitgeber im Gesundheitswesen ungeimpfte Beschäftigte unbezahlt freistellen? Ja! Das hat das BAG entschieden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte am 19. Mai 2022 seine Entscheidung vom 27. April 2022 (Az. 1 BvR 2649/21) verkündet, nach der die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die von 6. März 2022 bis zum 31. Dezember 2022 im Gesundheitswesen galt, im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß qualifiziert wird. Offen blieb die Frage, ob ungeimpfte Arbeitnehmer* bis zur Entscheidung des Gesundheitsamtes unbezahlt freigestellt werden durften oder nicht.
Hierzu gab es schnell erste Entscheidungen der Arbeitsgerichte, die aber zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen.
Ausgestaltung der Impfpflicht: Immunitätsnachweis von Beschäftigten im Gesundheitswesen
Vom 15. März 2022 bis zum 31. Dezember 2022 galt in Einrichtungen des Gesundheitswesens in Deutschland eine sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht. § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) a.F. sah vor, dass Personen, die in Gesundheitseinrichtungen tätig waren, bis zum Ablauf des 15. März 2022 über einen „Immunitätsnachweis gegen COVID-19“ verfügen (§ 20a Abs. 1 S. 1 IfSG a.F.) und diesen vorlegen (§ 20a Abs. 2 S. 1 IfSG a.F.) mussten. Akzeptiert wurde ein Impf- oder Genesenenzertifikat.
Ebenso war es möglich, einen Nachweis der Kontraindikation vorzuweisen, also ein ärztliches Attest darüber, dass dem Arbeitnehmer eine Impfung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist (§ 20a Abs. 2 IfSGa.F.).
Kein unmittelbares Tätigkeitverbot für Bestandsarbeitskräfte
Wenn Mitarbeiter dieser Pflicht nicht nachgekommen sind, musste zwischen Arbeitnehmern, die in Einrichtungen des Gesundheitswesens ab dem 16. März 2022 eine (neue) Tätigkeit aufgenommen hatten (Neu-Arbeitnehmer), und solchen, die bereits vor dem 16. März 2022 in einer solchen Einrichtung tätig gewesen waren (Alt-Arbeitnehmer), unterschieden werden.
Für Neu-Arbeitnehmer sah § 20a Abs. 3 S. 4, 5 IfSG a.F. ausdrücklich ein Tätigkeits- und Beschäftigungsverbot vor; diese durften ab dem 16. März 2022 nicht mehr in entsprechenden Einrichtungen tätig werden.
Wenn Alt-Arbeitnehmer ihrer Nachweispflicht nicht genügten, musste die Leitung der jeweiligen Einrichtung unverzüglich das zuständige Gesundheitsamt über die fehlende Vorlage (oder die Zweifel an der Echtheit der präsentierten Dokumente) informieren und diesem die personenbezogenen Daten der betroffenen Arbeitnehmer übermitteln (§ 20a Abs. 2 S. 2 IfSG a.F.). Das Gesundheitsamt konnte den betreffenden Beschäftigten dann ein Tätigkeitsverbot in der Einrichtung aussprechen (§ 20a Abs. 5 S. 3 IfSG a.F.). Fest stand: Wurde ein solches Verbot ausgesprochen, durfte der Arbeitnehmer nicht mehr in der Einrichtung arbeiten.
Unklar war aber, was in der Zwischenzeit, nämlich bis das Gesundheitsamt eine Entscheidung über ein Tätigkeitsverbot getroffen hatte, mit den ungeimpften Alt-Arbeitnehmern geschehen sollte. Durfte der Arbeitgeber solche Mitarbeiter in dieser Zeit freistellen und dabei die Zahlung der Vergütung einstellen?
ArbG Gießen bejahte Freistellung ungeimpfter Arbeitnehmer
Eine der ersten Entscheidungen dazu erging am 12. April 2022 durch das ArbG Gießen (Az.: 5 Ga 1/22). Kläger war der Wohnbereichsleiter eines Seniorenheims, der keinen Immunitätsnachweis bzw. Nachweis der Kontraindikation vorgelegt hatte und bereits seit 2020 bei der Beklagten beschäftigt war. Er war ab dem 16. März 2022 von seinem Arbeitgeber unbezahlt freigestellt worden und wehrte sich dagegen mit einem Antrag im einstweiligen Rechtsschutz, mit dem er seine Beschäftigung geltend machte.
Diesen lehnte das Gericht ab. Dem Beschäftigungsanspruch des Klägers stünden überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegen. Dies ergebe sich bereits aus der Regelung in § 20a Abs. 1 IfSG a.F. Hierin komme der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass in den genannten Einrichtungen grds. keine Personen beschäftigt werden sollten, die nicht geimpft oder genesen seien.
Zwar stellte auch das ArbG Gießen klar, dass ein Tätigkeitsverbot unmittelbar aus dem Gesetz nur für Neu-Arbeitnehmer bestehe. Dies habe allerdings nur den Sinn und Zweck, die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens aufrechtzuerhalten, was den Arbeitgeber aber nicht an einer Freistellung ungeimpfter Beschäftigter hindere. Denn dies ändere nichts an der gesetzlichen Wertung von § 20a IfSG a.F., dass vulnerable Personen vor einer Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Virus geschützt werden sollten, was u.a. damit gewährleistet werden solle, dass grds. keine ungeimpften Personen in den Einrichtungen zum Einsatz kommen sollten. Für diese Auffassung führt das Gericht zusätzlich verschiedene Passagen aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 20/188) an.
ArbG Dresden bejahte Beschäftigungsanspruch ungeimpfter Mitarbeiter
Demgegenüber hatte das ArbG Dresden etwa zwei Wochen vor dem ArbG Gießen in seiner Entscheidung vom 29. März 2022 (Az.: 9 Ga 10/22) den Beschäftigungsanspruch eines ungeimpften Mitarbeiters bejaht. Die beklagte vollstationäre Einrichtung hatte die klagende ungeimpfte Qualitätsbeauftragte und Pflegefachkraft ab dem 16. März 2022 unbezahlt freigestellt.
Das Gericht gab der Klägerin – ebenfalls im einstweiligen Rechtsschutz – recht und verurteilte die Beklagte. Es bestehe ein allgemeiner Beschäftigungsanspruch im bestehenden unbeendeten Arbeitsverhältnis. Dieser werde aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (§§ 611a Abs. 1, 613, 242 BGB) unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG hergeleitet.
Die Systematik des § 20a IfSG a.F. habe für Alt-Arbeitnehmer eine einseitige unbezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht durch den Arbeitgeber nicht vorgesehen. Die in der Gesetzessystematik angelegte Unterscheidung zwischen Alt- und Neu-Arbeitnehmern finde sich auch in der Gesetzesbegründung wieder. Das Gericht zitierte dazu ebenfalls einschlägige Passagen aus selbiger (BT-Drucksache 20/188). Ein unmittelbares Tätigkeitsverbot habe nur für Neu-Arbeitnehmer bestanden; mithin hätten auch nur diese unbezahlt freigestellt werden dürfen.
Pro und kontra Freistellung ungeimpfter Beschäftigter Nichts ist unmöglich
Schon diese beiden frühen Entscheidungen zeigten: Ungeachtet der medizinischen Beurteilung einer Impfpflicht ließen sich gute juristische Gründe für beide Rechtsauffassungen anführen.
Wie das ArbG Gießen zutreffend ausführte und anhand von Zitaten der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 20/188) auch belegte, schien es dem gesetzgeberischen Willen zu entsprechen, dass nicht immunisierte Mitarbeiter zum Schutz der vulnerablen Patienten und Senioren in Einrichtungen des Gesundheitswesens ab dem 16. März 2022 unter keinen Umständen mehr ihrer Tätigkeit nachgehen sollten. Diese besonders gefährdeten Gruppen bedurften des Schutzes gleichermaßen vor Neu- und Alt-Arbeitnehmern.
Auch § 15 ArbSchG ließe sich für diese Auffassung anführen. Danach sind Beschäftigte verpflichtet, beim Gesundheitsschutz mitzuwirken und vor allem auch Dritte zu schützen. Eine solche Pflicht konnte in § 20a Abs. 1 IfSG a.F. in der Immunisierung zu sehen gewesen sein. Kamen Beschäftigte dieser Pflicht nicht nach, konnte der Arbeitgeber daher zur Einleitung von Maßnahmen wie der Freistellung berechtigt gewesen sein.
Wie das ArbG Gießen ausführte, schien der Gesetzgeber allerdings durchaus gesehen zu haben, dass es unter bestimmten Voraussetzungen zu Pflegenotständen kommen konnte. Durch Freistellungen ungeimpfter Beschäftigter konnte der Arbeitgeber den Ermessensspielraum des Gesundheitsamts vorwegnehmen, den der Gesetzgeber diesem gerade eingeräumt hatte. Im Extremfall hätte dies dazu führen können, dass die Versorgung vulnerabler Patienten vorübergehend nicht mehr sichergestellt werden kann. Dieses Risiko hätte dadurch vermieden werden können, dass die betreffenden Arbeitnehmer trotz eines fehlenden Nachweises und abhängig von der behördlichen Entscheidung im Einzelfall vorerst weiter tätig wurden, bis Ersatz geschaffen wurde. Denn Versorgungsengpässe können ebenfalls zu Personenschäden führen, was der Gesetzgeber vermeiden wollte.
Gegen ein Freistellungsrecht ungeimpfter Beschäftigter sprach darüber hinaus, wie das ArbG Dresden ausführte, dass sich aus § 20a Abs. 2 IfSG a.F. für Alt-Arbeitnehmer gerade kein unmittelbares Tätigkeitsverbot ergab. Damit waren nach Ablauf des 15. März 2022 alle Tätigkeitsvoraussetzungen in der Person des Ungeimpften gegeben, sodass eine Freistellung – zumal unbezahlt – ausschied.
Angesichts der Widersprüchlichkeit von Gesetzessystematik und -begründung von § 20a IfSG a.F. ließen sich gute Argumente sowohl für als auch gegen das Recht des Arbeitgebers anführen, ungeimpfte Arbeitnehmer für die Dauer der Impfpflicht im Gesundheitswesen freizustellen. Entsprechend unterschiedlich war auch die Rechtsprechung der Instanzgerichte: So bejahten das LAG Düsseldorf (Urteil vom 19.04.2023 – 12 Sa 621/22), das LAG Schleswig-Holstein (Urteil v. 4. Mai 2023 – 4 Sa 175/22) und das LAG Köln (Urteil v. 22.06.2023 – 6 Sa 823/22 und vom 14.09.2023 – 8 Sa 185/23) die Rechtmäßigkeit einer unbezahlten Freistellung. Das LAG Hamm (Urteil v. 12. Januar 2023 – 18 Sa 886/229), das LAG Baden-Württemberg (Urteil v. 3. Februar 2023 – 7 Sa 67/22), das LAG Hessen (Urteile vom 27. April 2023 – 5 Sa 1225/22 und v. 11. August 2022 – 5 SaGa 728/22) und das LAG Niedersachsen (Urteil v. 6. Juni 2023 – 11 Sa 772/22) hielten eine unbezahlte Freistellung für unzulässig.
Update vom 24. Juni 2024 – BAG schafft Klarheit zugunsten von Arbeitgebern: Freistellung war zulässig
Nun hat das BAG endlich Klarheit zugunsten der Arbeitgeber geschaffen. Mit Urteil vom 19. Juni 2024 (Az. 5 AZR 192/23), von dem bislang nur die Pressemitteilung vorliegt, hat das BAG entschieden, dass eine unbezahlte Freistellung von nicht geimpften Arbeitnehmern rechtmäßig war.
Ungeimpfte Arbeitnehmer seien außerstande gewesen, die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken (§ 297 BGB). Nach § 20a IfSG a.F. sei nicht nur das Gesundheitsamt berechtigt gewesen, einem Arbeitnehmer zu untersagen, die jeweilige Einrichtung zu betreten. Der sich aus der Gesetzesbegründung ergebende Zweck der Regelung, besonders vulnerable Gruppen zu schützen und zugleich die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens zu erhalten, habe vielmehr auch Arbeitgebern die Möglichkeit eröffnet, im Wege des Weisungsrechts die Vorlage eines Impfnachweises zur Tätigkeitsvoraussetzung zu machen. Der gesetzliche Schutzzweck hätte nicht allein durch die Gesundheitsämter gewährleistet werden können, da diese zum damaligen Zeitpunkt völlig überlastet gewesen seien. Dem stünden auch zwischenzeitlich aufgetretene Zweifel an der Wirksamkeit der Impfpflicht zum Schutz vulnerabler Personen nicht entgegen. Denn Anfang 2022 habe es der ganz überwiegenden Auffassung entsprochen, dass eine Impfung vor einer Übertragung des Virus schütze. Das BAG verneint daher einen Annahmeverzug des Arbeitgebers, der ihn zu der Zahlung von (Verzugs-)Lohn verpflichten würde und stützt dies maßgeblich auf den Schutzzeck von § 20a IfSG a.F.
Freilich war auch dem Gesetzgeber, als er im Dezember 2021 die Impfpflicht im Gesundheitswesen beschlossen hat, bekannt, dass die Gesundheitsämter aufgrund der Covid-Pandemie sehr stark belastet waren. Dennoch hat er sich entschieden, bei Bestandsarbeitnehmern zur Aufrechterhaltung der Funktionalität der Gesundheitsversorgung eine Entscheidung genau dieser Behörde zu statuieren. Dafür spricht auch, dass das Gesundheitsamt das Gesamtbild einer Kommune zuverlässig beurteilen und so besser als ein einzelner Arbeitgeber einschätzen konnte, ob Versorgungsengpasse drohten. Insofern wäre hier eine andere Einschätzung des BAG zumindest denkbar gewesen.
Aus Arbeitgebersicht ist die Entscheidung des BAG indes sehr zu begrüßen. Soweit noch Gehaltsansprüche ungeimpfter Beschäftigter streitig waren, die noch nicht durch Ausschlussfristen verfallen sind, haben Arbeitgeber nun also keine Nachzahlungen mehr zu befürchten.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.