7. Juni 2022
Freistellung umgeimpft Gesundheitsamt
Arbeitsrecht

Doch keine Freistellung ungeimpfter Beschäftigter im Gesundheitswesen? – Update #1

Dürfen Arbeitgeber im Gesundheitswesen ungeimpfte Beschäftigte unbezahlt freistellen? Urteile der Arbeitsgerichte Dresden bzw. Gießen unterscheiden sich.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 19. Mai 2022 seine Entscheidung vom 27. April 2022 (Az. 1 BvR 2649/21) verkündet, wonach die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß qualifiziert wird. Offen bleibt die Frage, ob ungeimpfte Arbeitnehmer* bis zur Entscheidung des Gesundheitsamtes freigestellt werden dürfen oder nicht. 

Hierzu gibt es bereits erste Entscheidungen der Arbeitsgerichte, die aber zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Ausgestaltung der Impfpflicht: Immunitätsnachweis von Beschäftigten im Gesundheitswesen

Seit dem 15. März 2022 gilt in Einrichtungen des Gesundheitswesens in Deutschland eine sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht. § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) sieht vor, dass Personen, die in Gesundheitseinrichtungen tätig sind, bis zum Ablauf des 15. März 2022 über einen „Immunitätsnachweis gegen COVID-19“ verfügen (§ 20a Abs. 1 S. 1 IfSG) und diesen vorlegen (§ 20a Abs. 2 S. 1 IfSG) müssen. Akzeptiert wird ein Impf- oder Genesenenzertifikat. 

Ebenso ist es möglich, einen Nachweis der Kontraindikation vorzuweisen, also ein ärztliches Attest darüber, dass dem Arbeitnehmer eine Impfung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist (§ 20a Abs. 2 IfSG). 

Kein unmittelbares Tätigkeitverbot für Bestandsarbeitskräfte

Wenn Mitarbeiter dieser Pflicht nicht nachgekommen sind, muss unterschieden werden zwischen Arbeitnehmern, die in Einrichtungen des Gesundheitswesens ab dem 16. März eine (neue) Tätigkeit aufgenommen haben (Neu-Arbeitnehmer), und solchen, die bereits vor dem 16. März 2022 in einer solchen Einrichtung tätig waren (Alt-Arbeitnehmer).

Für Neu-Arbeitnehmer sieht § 20a Abs. 3 S. 4, 5 IfSG ausdrücklich ein Tätigkeits- und Beschäftigungsverbot vor; diese durften ab dem 16. März 2022 nicht in der entsprechenden Einrichtung tätig werden. 

Wenn Alt-Arbeitnehmer ihrer Nachweispflicht nicht genügten, musste die Leitung der jeweiligen Einrichtung unverzüglich das zuständige Gesundheitsamt über die fehlende Vorlage (oder die Zweifel an der Echtheit der präsentierten Dokumente) informieren und diesem die personenbezogenen Daten der betroffenen Arbeitnehmer übermitteln (§ 20a Abs. 2 S. 2 IfSG). Das Gesundheitsamt kann den betreffenden Beschäftigten dann ein Tätigkeitsverbot in der Einrichtung aussprechen (§ 20a Abs. 5 S. 3 IfSG). Klar ist: Wird ein solches Verbot ausgesprochen, darf der Arbeitnehmer nicht mehr in der Einrichtung arbeiten.

Doch was geschieht in der Zwischenzeit, bis das Gesundheitsamt eine Entscheidung über ein Tätigkeitsverbot getroffen hat? Darf der Arbeitgeber den Mitarbeiter in dieser Zeit freistellen und dabei die Zahlung der Vergütung einstellen? 

ArbG Gießen bejaht Freistellung ungeimpfter Arbeitnehmer

Die soweit erkennbar erste Entscheidung dazu erging am 12. April 2022 durch das ArbG Gießen (Az.: 5 Ga 1/22). Kläger war der Wohnbereichsleiter eines Seniorenheims, der keinen Immunitätsnachweis bzw. Nachweis der Kontraindikation vorgelegt hatte und bereits seit 2020 bei der Beklagten beschäftigt war. Er war ab dem 16. März 2022 von seinem Arbeitgeber unbezahlt freigestellt worden und wehrte sich dagegen mit einem Antrag im einstweiligen Rechtsschutz, mit dem er seine Beschäftigung geltend machte. 

Diesen lehnte das Gericht ab. Dem Beschäftigungsanspruch des Klägers stünden überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegen. Dies ergebe sich bereits aus der Regelung in § 20a Abs. 1 IfSG. Hierin komme der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass in den genannten Einrichtungen grds. keine Personen beschäftigt werden sollten, die nicht geimpft oder genesen seien. 

Zwar stellt auch das ArbG Gießen klar, dass ein Tätigkeitsverbot unmittelbar aus dem Gesetz nur für Neu-Arbeitnehmer bestehe. Dies habe allerdings nur den Sinn und Zweck, die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens aufrechtzuerhalten, was den Arbeitgeber aber nicht an einer Freistellung ungeimpfter Beschäftigter hindere. Denn dies ändere nichts an der gesetzlichen Wertung von § 20a IfSG, dass vulnerable Personen vor einer Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Virus geschützt werden sollten, was u.a. damit gewährleistet werden solle, dass grds. keine ungeimpften Personen in den Einrichtungen zum Einsatz kommen sollten. Für diese Auffassung führt das Gericht zusätzlich verschiedene Passagen aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 20/188) an.

ArbG Dresden bejaht Beschäftigungsanspruch ungeimpfter Mitarbeiter

Demgegenüber hat das ArbG Dresden in einem bislang nicht veröffentlichten Urteil vom 29. März 2022 (Az.: 9 Ga 10/22) den Beschäftigungsanspruch eines ungeimpften Mitarbeiters bejaht. Die beklagte vollstationäre Einrichtung hatte die klagende ungeimpfte Qualitätsbeauftragte und Pflegefachkraft ab dem 16. März 2022 unbezahlt freigestellt. 

Das Gericht gab der Klägerin – ebenfalls im einstweiligen Rechtsschutz – recht und verurteilte die Beklagte. Es bestehe ein allgemeiner Beschäftigungsanspruch im bestehenden unbeendeten Arbeitsverhältnis. Dieser werde aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (§§ 611a Abs. 1, 613, 242 BGB) unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG hergeleitet.

Die Systematik des § 20a IfSG sähe für Alt-Arbeitnehmer eine einseitige unbezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht durch den Arbeitgeber nicht vor. Die in der Gesetzessystematik angelegte Unterscheidung zwischen Alt- und Neu-Arbeitnehmern finde sich auch in der Gesetzesbegründung wieder. Das Gericht zitiert dazu ebenfalls einschlägige Passagen aus selbiger (BT-Drucksache 20/188). Ein unmittelbares Tätigkeitsverbot bestehe nur für Neu-Arbeitnehmer; mithin dürften auch nur diese unbezahlt freigestellt werden. 

Auch das ArbG Bonn (Urteil v. 18. Mai 2022 – 2 Ca 2082/21) beurteilt dies offenbar ähnlich. In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit ging es an sich um die Kündigung eines Auszubildenden, der in einem Krankenhaus tätig war, und – wie immer, wenn die Kündigung sich als unwirksam herausstellt – darum, ob der Ar-beitgeber dem (unwirksam) Gekündigten Verzugslohn schuldet. Die Bonner Rich-ter stellten das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses fest und sprachen dem Azubi einen Anspruch auf seine Ausbildungsvergütung zu. Und das auch für die Zeit ab dem 15. März 2022, obwohl der Auszubildende entgegen der gesetzlichen Verpflichtung keinen Impf- oder Genesenennachweis vorgelegt hatte. Denn der Kläger sei bereits vor dem 15. März 2022 bei der Beklagten beschäftigt gewesen: ein behördliches Betretungs- und Tätigkeitsverbot für ihn habe das Gesundheits-amt (bislang) nicht ausgesprochen. Daher sei das Krankenhaus auch über den 15. März 2022 hinaus verpflichtet, Annahmeverzugslohn zu zahlen.

Freistellung ungeimpfter Beschäftigter: Nichts ist unmöglich

Ungeachtet der medizinischen Beurteilung einer Impfpflicht, lassen sich gute juristische Gründe für beide Rechtsauffassungen anführen. 

Wie das ArbG Gießen zutreffend ausführt und anhand von Zitaten der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 20/188) auch belegt, scheint der gesetzgeberische Wille zu sein, dass nicht immunisierte Mitarbeiter zum Schutz der vulnerablen Patienten und Senioren in Einrichtungen des Gesundheitswesens seit dem 16. März 2022 unter keinen Umständen mehr ihrer Tätigkeit nachgehen sollen. Diese besonders gefährdeten Gruppen bedürfen des Schutzes gleichermaßen durch Neu- wie durch Alt-Arbeitnehmer.

Auch § 15 ArbSchG ließe sich für diese Auffassung anführen. Danach sind Beschäftigte verpflichtet, beim Gesundheitsschutz mitzuwirken und vor allem auch Dritte zu schützen. Eine solche Pflicht könnte in § 20a Abs. 1 IfSG in der Immunisierung zu sehen sein. Kommen Beschäftigte dieser Pflicht nicht nach, könnte der Arbeitgeber daher zur Einleitung von Maßnahmen wie der Freistellung berechtigt sein.

Wie auch das ArbG Gießen ausführt, scheint der Gesetzgeber allerdings durchaus gesehen zu haben, dass es unter bestimmten Voraussetzungen zu Pflegenotständen kommen kann. Durch Freistellungen ungeimpfter Beschäftigter nimmt der Arbeitgeber den Ermessensspielraum des Gesundheitsamts vorweg, den der Gesetzgeber diesem gerade eingeräumt hat. Im Extremfall könnte dies dazu führen, dass die Versorgung vulnerabler Patienten vorübergehend nicht mehr sichergestellt werden kann. Dieses Risiko könnte dadurch vermieden werden, dass die betreffenden Arbeitnehmer trotz fehlenden Nachweises und abhängig von der behördlichen Entscheidung im Einzelfall vorerst weiter tätig werden, bis Ersatz geschaffen ist. Denn Versorgungsengpässe können ebenfalls zu Personenschäden führen, was der Gesetzgeber vermeiden wollte. 

Gegen ein Freistellungsrecht hinsichtlich ungeimpfter Beschäftigter spricht darüber hinaus, wie auch das ArbG Dresden ausführt, dass sich aus § 20a Abs. 2 IfSG für Alt-Arbeitnehmer gerade kein unmittelbares Tätigkeitsverbot ergibt. Damit sind auch nach Ablauf des 15. März 2022 alle Tätigkeitsvoraussetzungen in der Person des Ungeimpften gegeben, sodass eine Freistellung – zumal unbezahlt – ausscheidet.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass angesichts der Widersprüchlichkeit von Gesetzessystematik und -begründung von § 20a IfSG sowohl der Arbeitgeber, der sich für eine Freistellung entscheidet, als auch derjenige, der sich dagegen entschließt, gute Gründe dafür anführen kann. Zu einer einseitigen Freistellung ungeimpfter Arbeitnehmer ist der Arbeitgeber aber jedenfalls nicht verpflichtet. 

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitsrecht Coronavirus Freistellung Gesundheitsamt Impfpflicht