11. Juli 2023
EBR-Vereinbarungen
Arbeitsrecht

EBR-Vereinbarungen

Der Europäische Betriebsrat gewinnt für Unternehmensgruppen an Bedeutung – wir teilen praktische Erfahrungen aus der Analyse von 120 EBR-Vereinbarungen.

Für Unternehmen und Unternehmensgruppen gewinnt der Umgang mit ihrem Europäischen Betriebsrat (EBR) weiter an Bedeutung. Einerseits, weil die Anzahl der Europäischen Betriebsräte steigt und andererseits, weil die geplante Revision der Richtlinie 2009/38/EG (EBR-Richtlinie) erste Züge annimmt. Im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens werden nun die Sozialpartner angehört. Der Europäische Gewerkschaftsbund (European Trade Union Confederation – ETUC) hat sich im Rahmen der ersten Phase der Anhörung am 26. Mai 2023 erwartungsgemäß deutlich zugunsten einer Verschärfung positioniert.

Fünf Erkenntnisse für den Entwurf von EBR-Vereinbarungen

In unserer EBR-Studie haben wir rund 120 EBR-Vereinbarungen und aktuelle Trends analysiert. Hier sind fünf Erkenntnisse:

  • Brexit: Seit dem Brexit haben wir eine erhebliche Zunahme von EBR in Irland festgestellt. Dies beruht auf der Tatsache, dass das Vereinigte Königreich nun als Drittland betrachtet wird und der EBR daher aus dem Vereinigten Königreich verlagert werden muss. Daneben müssen Unternehmen entscheiden, ob britische Arbeitnehmervertreter weiterhin Mitglieder in den EBR entsenden können oder nicht. Unserer Erfahrung nach scheuen Unternehmen den vollständigen Ausschluss britischer Arbeitnehmervertreter und wählen daher einen anderen Ansatz: Sie erlauben den britischen Arbeitnehmervertretern, an den Sitzungen teilzunehmen, jedoch ohne Stimmrecht.
  • Größe des EBR: Die Größe des EBR kann insbesondere durch Schwellenwerte, durch eine Höchstanzahl von Delegierten pro Land oder durch die maximale Größe des EBR begrenzt werden. Die meisten Vereinbarungen haben irgendeine Art von einschränkenden Bestimmungen (etwa 60 %). Ein Schwellenwert von 50 Arbeitnehmern pro Land und eine maximale Größe des EBR werden empfohlen, da dies die Kosten des EBR begrenzt und ein gut funktionsfähiges Gremium gewährleistet. In neueren Vereinbarungen wird dies immer mehr zum Standard.
  • Übersetzung: Vor allem neuere EBR-Vereinbarungen legen Englisch als verbindliche Sprache fest (insgesamt etwa 40 %). Unserer Erfahrung nach sind die Übersetzungskosten einer der Hauptkostenfaktoren für EBRs. Zur Einordnung: Je nach EBR-Größe, Übersetzungsumfang und Veranstaltungsort fallen für ein EBR-Meeting schnell EUR 20.000 bis EUR 30.000 an. Das erklärt, warum Unternehmen versuchen, sich auf eine verbindliche Sprache zu einigen. Im Gegenzug werden den Arbeitnehmervertretern Englischkurse angeboten. Letztlich dient dies auch der Förderung eines funktionsfähigen Gremiums.
  • Virtuelle Sitzungen: Neuere EBR-Vereinbarungen sehen immer häufiger ausdrücklich virtuelle Sitzungen vor (etwa 30 %). Nach unserer Erfahrung werden immer mehr Sitzungen mit dem engeren Ausschuss virtuell abgehalten (insbesondere in den letzten Jahren). Da die Arbeitsweise des EBR weitgehend vereinbart werden kann, ist eine solche vertragliche Regelung zulässig und findet sich auch in neueren Vereinbarungen. 
  • Transnationale Angelegenheiten: Etwa 30 % der untersuchten EBR-Vereinbarungen regeln explizit den Begriff der transnationalen Angelegenheiten. Die Frage, was als „transnational“ qualifizierbar ist, beeinflusst den Umfang der Informationsrechte des EBR. In der Praxis stellt sich immer wieder die Frage, worüber der EBR informiert werden muss. Die Schließung eines Werkes in einem einzigen Land? Wahrscheinlich nicht. Aber was ist, wenn diese Schließung auch ein Werk in einem anderen Land betrifft? Vielleicht ja. Es ist ratsam, dies genauer zu regeln – z.B. durch Schwellenwerte. 

Insgesamt haben wir festgestellt, dass viele EBR-Vereinbarungen veraltet oder zumindest nicht mehr „state of the art“ sind. 

Hintergrund: Gesetzliche Auffanglösung passt häufig nicht

Hinter den Verhandlungsbemühungen von Unternehmensgruppen zum Abschluss einer EBR-Vereinbarung steckt häufig, dass die gesetzliche Auffanglösung nicht zur gewünschten Arbeitsweise des EBR passt. Zur allgemeinen Einordnung: Nach dem europarechtlich geprägten Leitbild des EBRG soll die gemeinschaftsweite Einbindung der Arbeitnehmer durch den EBR zwar in erster Linie auf einer freiwilligen Basis, also durch eine Vereinbarung, zustande kommen. Scheitert eine solche Vereinbarung, greift allerdings unter Umständen die gesetzliche Auffanglösung. Der EBR „kraft Gesetzes“ ist gemäß § 21 I EBRG in drei Fällen zu errichten:

  • wenn die zentrale Leitung die Aufnahme von Verhandlungen innerhalb von sechs Monaten ablehnt oder
  • wenn innerhalb von drei Jahren keine Verhandlungslösung erreicht wird oder
  • wenn die zentrale Leitung und das BVG das vorzeitige Scheitern ihrer Verhandlungen erklären.

Die Auffanglösung gibt die Größe, Zusammensetzung, Arbeitsweise, Rechte und Pflichten des EBR weitestgehend fest. Für viele Unternehmensgruppen sind diese Regelungen aber ungünstig – etwa, weil die Zusammensetzung des EBR im Einzelfall nicht passt, weil die Anzahl und Durchführung der Treffen zu hoch oder zu niedrig ist oder der Umfang der Informationsrechte unklar ist. Das dürfte einer der wesentlichen Gründe sein, warum die Verhandlungspartner „ihr Schicksal“ in der Regel selbst in die Hand nehmen und sich doch zu einer Vereinbarung durchringen. Doch dabei sind – wie die Analyse von 120 EBR-Vereinbarungen zeigt – die aktuellen Entwicklungen zu beachten.

Vertragsanpassungen sollten zeitnah initiiert werden

Insbesondere in den Bereichen, in denen das Europaparlament eine strengere gesetzliche Regelung anstrebt, sollte die Zeit genutzt werden, um bestehende EBR-Vereinbarungen anzupassen. Das betrifft etwa Regelungen zur Zuständigkeit des EBR, zur Anzahl und Durchführungsweise der Plenarsitzungen und der Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses (insb. virtuelle Meetings sollte möglich sein), zu Art und Umfang des Unterrichtungs- und Anhörungsverfahrens sowie zu den Folgen der Kündigung einer EBR-Vereinbarung.

Sollten einstweilige Verfügungen des EBR bei Verletzung seiner Informationsrechte in Zukunft tatsächlich gesetzlich geregelt werden (siehe Radtke-Bericht), dann halten wir eine präzise Regelung zum Umfang der Informationsrechte für unerlässlich. Auch aus diesem Grund sollten gemeinschaftsweit tätige Unternehmen und Unternehmensgruppen die Entwicklungen auf europäischer Ebene genau verfolgen.

Tags: Arbeitsrecht Auffanglösung EBR-Vereinbarungen