Das Arbeitsgericht Stuttgart stärkt die Arbeitgeberrechte im Zusammenhang mit Annahmeverzugslohnansprüchen des Arbeitnehmers nach unwirksamer Kündigung.
Nach dem Ausspruch einer Kündigung sieht sich der Arbeitgeber oftmals mit einer Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers* konfrontiert. Stellt sich am Ende des Kündigungsschutzverfahrens heraus, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht wirksam beendet wurde, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer i.d.R. für die Dauer des Prozesses die gesamte Vergütung zahlen, die der Arbeitnehmer ohne Kündigung verdient hätte (sog. Annahmeverzugslohn). Da sich Kündigungsschutzprozesse auch über mehrere Jahre ziehen können und damit erhebliche Nachzahlungen drohen, steigt für den Arbeitgeber i.d.R. der Druck, sich mit dem Arbeitnehmer gütlich zu einigen.
Eine aktuelle Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23. Februar 2023 (Az.: 25 Ca 956/22) zeigt jedoch, dass Arbeitgeber Annahmeverzugslohnansprüche (endgültig) abwehren können, wenn Arbeitnehmer ihrer Auskunftspflicht über anderweitigen Erwerb im Verzugszeitraum nicht nachkommen.
Hintergrund: Anrechnung anderweitigen Erwerbs und Auskunftsanspruch des Arbeitgebers
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn besteht nicht unbeschränkt. Vielmehr muss sich der Arbeitnehmer den Erwerb anrechnen lassen, den er tatsächlich erzielt hat oder den er zumutbar hätte erzielen können (§ 11 Nr. 1 u. 2 KSchG). Insoweit reduziert sich der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers. Da der grds. darlegungs- und beweisbelastete Arbeitgeber regelmäßig keine Kenntnis über zumutbare Erwerbsmöglichkeiten des Arbeitnehmers hat, entschied das BAG bereits im Jahr 2020, dass der Arbeitgeber von dem Arbeitnehmer Auskunft über die von der Arbeitsverwaltung unterbreiteten Vermittlungsvorschläge verlangen kann (BAG, Urteil v. 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19).
Anknüpfend hieran zeigte das LAG Berlin-Brandenburg auf, welche Indizien für ein unzureichendes Bemühen um anderweitigen Erwerb sprechen können, mit der Folge, den Annahmeverzugslohnanspruch der Höhe nach auf „null“ zu reduzieren (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 30. September 2022 – 6 Sa 280/22).
Neues vom Arbeitsgericht Stuttgart: Endgültige Klageabweisung bei fehlender Auskunftserteilung
Erteilt der Arbeitnehmer die verlangte Auskunft nicht oder nicht vollständig, kann der Arbeitgeber die Zahlung von Annahmeverzugslohn verweigern. Nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung wird die Zahlungsklage des Arbeitnehmers in diesem Fall als „zurzeit“ unbegründet abgewiesen; der Arbeitnehmer kann die Auskunftserteilung somit nachholen (BAG, Urteil v. 19. März 2002 – 9 AZR 16/01; BAG, Urteil v. 29. Juli 1993 – 2 AZR 110/93). Das Arbeitsgericht Stuttgart sieht dies anders: Abweichend von der Rechtsprechung des BAG wies das Gericht in seiner Entscheidung vom 23. Februar 2023 die Annahmeverzugslohnklage des Arbeitnehmers aufgrund der fehlenden Auskunft nicht nur als zurzeit unbegründet, sondern als „endgültig“ unbegründet ab. Dem Arbeitnehmer ist es damit verwehrt, den Lohnanspruch bei Nachholung der Auskunft nochmals geltend zu machen.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23. Februar 2023 im Einzelnen
Anlass der Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart war die Klage eines Arbeitnehmers, der nach Obsiegen in einem vorangegangenen Kündigungsschutzprozess gegen die Arbeitgeberin für die Dauer des Gerichtsverfahrens die Zahlung von Annahmeverzugslohn geltend machte. Im Rahmen des Verfahrens forderte die Beklagte den Kläger auf, Auskunft über die Höhe seiner anderweitigen Einkünfte und die Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit zu geben. Dieser Aufforderung ist der Kläger bis zuletzt nicht nachgekommen. Die Beklagte stellte daher die Behauptung auf, dem Kläger sei es möglich gewesen, einer anderweitigen und höher dotierten Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Das Arbeitsgericht Stuttgart wies die Klage als unbegründet ab. Zwar hätten die Voraussetzungen des Annahmeverzugslohns ab dem Zeitpunkt des Zugangs der unwirksamen Kündigung vorgelegen. Der Kläger müsse sich jedoch in voller Höhe einen hypothetischen Erwerb gem. § 11 Nr. 2 KSchG anrechnen lassen, da er seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen sei.
Prozessuale Pflicht des Arbeitnehmers, zu anrechenbaren Einkünften vorzutragen
Das Arbeitsgericht Stuttgart bestätigte zunächst die oben dargestellten Grundsätze des BAG, wonach der Arbeitnehmer verpflichtet sei, der Arbeitgeberin über anrechenbaren Verdienst und die von der Bundesagentur für Arbeit unterbreiteten Vermittlungsvorschläge Auskunft zu erteilen. Die beklagte Arbeitgeberin sei, so das Arbeitsgericht Stuttgart, ihrer primären Darlegungslast ausreichend nachgekommen, indem sie eine anderweitige Verdienstmöglichkeit des Klägers behauptet und diesen zur Auskunftserteilung aufgefordert habe. Es hätte nun an dem Kläger gelegen, im Rahmen seiner sekundären Darlegungspflicht zu diesen Umständen vorzutragen. Dies habe der Kläger jedoch nicht getan.
Abweichend von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist das Arbeitsgericht Stuttgart der Auffassung, dass die Klage nicht nur als zurzeit unbegründet, sondern als insgesamt unbegründet abzuweisen sei, da der geltend gemachte Annahmeverzugslohn aufgrund der fehlenden Auskunft nicht berechenbar sei. Insoweit würden nach Auffassung des Arbeitsgerichts Stuttgart die üblichen Grundsätze zur abgestuften Darlegungslast gelten: Da der Kläger die geforderte Auskunft über anderweitigen Erwerb nicht erteilt hat, gilt das Vorbringen der Beklagten als zugestanden (§ 138 ZPO). Die Behauptung der Beklagten, wonach es dem Kläger möglich gewesen sei, einer anderweitigen und höher dotierten Erwerbstätigkeit nachzugehen, werde als wahr unterstellt und der behauptete hypothetische Erwerb demnach in voller Höhe auf den Annahmeverzugslohnanspruch angerechnet.
Arbeitgeber sollten in Kündigungsschutzverfahren diese Karte ausspielen
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart zeigt einmal mehr, dass Arbeitnehmer im Falle einer möglicherweise unwirksamen Kündigung keinesfalls schlicht „die Hände in den Schoß“ legen sollten. Zum einen müssen sich Arbeitnehmer während der Dauer eines Kündigungsschutzprozesses um eine anderweitige Tätigkeit aktiv bemühen. Zum anderen trifft sie im anschließenden Annahmeverzugslohnverfahren die prozessuale Pflicht, auf Verlangen des Arbeitgebers zu anrechenbaren Einkünften und nicht böswillig unterlassenem Zwischenverdienst vorzutragen. Untätige Arbeitnehmer werden es daher schwer haben, Annahmeverzugslohnansprüche gegen den Arbeitgeber wie in der Vergangenheit einfach durchzusetzen. Dies könnte in einigen Verfahren zu einer höheren Vergleichsbereitschaft des Arbeitnehmers führen.
Im Ergebnis hat das Arbeitsgericht Stuttgart mit dieser Entscheidung die Grundsätze des BAG aufgenommen, umgesetzt und letztlich konsequent weitergeführt. Denn das BAG hat bereits in seiner Entscheidung vom 27. Mai 2020 (Az.: 5 AZR 387/19) festgestellt, dass für die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs des Arbeitgebers die Erhebung einer Widerklage möglich, aber nicht zwingend sei. Prozessual naheliegender und dem Beschleunigungsgrundsatz eher entsprechend sei, die Auskunft in die Verteilung der Darlegungslast zu integrieren. Es ist daher konsequent, wenn – entsprechend den üblichen Grundsätzen zur abgestuften Darlegungslast – die Klage auf Annahmeverzugslohn bei fehlendem Vortrag des Arbeitnehmers endgültig abgewiesen wird. Gleichwohl bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart in den höheren Instanzen halten wird. Das Gericht hat die Berufung zugelassen.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.