Ein Blick auf die neuen Berichtspflichten der EU-Entgelttransparenzrichtlinie aus Praktikersicht.
Die europäische Entgelttransparenzrichtlinie (RL (EU) 2023/970 – EntgTranspRL) soll die praktische Durchsetzung der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern fördern. Als Instrumente sieht die Richtlinie unter anderem einen (erweiterten) Auskunftsanspruch für Beschäftigte und Transparenzpflichten bereits im Bewerbungsverfahren vor. Ein weiterer Grundpfeiler der Richtlinie ist eine umfassende Berichtspflicht für Arbeitgeber*, die in jeglicher Hinsicht weit über die bisherigen Pflichten nach §§ 21 f. EntgTranspG hinausgeht.
Erforderlich sind umfangreiche statistische Angaben über die prozentuale Entgeltdifferenz zwischen Frauen und Männern im Unternehmen – und dies bereits bezogen auf das Jahr 2026. Zudem haben Arbeitgeber bei Überschreitung einer Entgeltdifferenz von 5 Prozent in mindestens einer Arbeitnehmergruppe weitergehende Maßnahmen zur Korrektur der Differenz zu unternehmen.
Alle Arbeitgeber mit 100 oder mehr Arbeitnehmern sind berichtspflichtig
Bereits der Adressatenkreis der neuen Berichtspflichten ist deutlich weiter gefasst als nach der derzeitigen Rechtslage. Derzeit erfasst die Pflicht zur Berichterstattung nur Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern, die zur Erstellung eines Lageberichts nach den §§ 264 und 289 HGB verpflichtet sind. Dies betrifft im Wesentlichen große und mittelgroße Kapitalgesellschaften (AG, GmbH, SE etc.). Nach der EntgTranspRL müssen hingegen alle Arbeitgeber mit 100 und oder mehr Arbeitnehmern – unabhängig von der Lageberichtspflicht – einen Entgelttransparenzbericht erstellen.
Arbeitgeber mit 150 oder mehr Arbeitnehmern müssen bereits über das Jahr 2026 berichten
Hinsichtlich der erstmaligen Berichtspflicht und des darauffolgenden Berichtsturnus enthält die EntgTranspRL eine abgestufte Regelung. Maßgeblich ist auch hier die Anzahl der Arbeitnehmer:
- Arbeitgeber mit 250 oder mehr Arbeitnehmern haben erstmals zum 7. Juni 2027 und in jedem darauffolgenden Jahr einen Entgeltbericht zu erstellen.
- Arbeitgeber mit 150 bis 249 Arbeitnehmern haben ebenfalls erstmals zum 7. Juni 2027 und danach alle drei Jahre einen Entgeltbericht zu erstellen.
- Arbeitgeber mit 100 bis 149 Arbeitnehmern haben etwas mehr Zeit. Sie haben bis zum 7. Juni 2031 und danach alle drei Jahre einen Entgeltbericht zu erstellen.
Der Bezugspunkt des Entgelttransparenzberichts ist dabei jeweils das vorangehende Kalenderjahr. Dies gilt auch für den ersten Entgelttransparenzbericht. Arbeitgeber ab 150 Arbeitnehmern sind also verpflichtet, in ihrem ersten Bericht über die Entgeltverhältnisse im Jahr 2026 zu berichten.
Praxishinweis: Jedenfalls Arbeitgebern mit 150 oder mehr Arbeitnehmern ist zu raten, ihre Entgeltstrukturen im Lichte der neuen Vorgaben zu prüfen und etwaige Unstimmigkeiten (aller-)spätestens im Jahr 2026 auszuräumen.Andernfalls werden bestehende Unstimmigkeiten nicht nur öffentlich. Wird in nur einer Arbeitnehmergruppe eine (ungerechtfertigte) Entgeltlücke von mindestens 5 Prozent festgestellt, muss zudem eine aufwändige Entgeltbewertung mit der Arbeitnehmervertretung durchgeführt werden.
Erforderlich sind umfangreiche Angaben zum Entgeltgefälle (= Gender Pay Gap)
Der Entgeltbericht muss derzeit in statistischer Hinsicht lediglich die durchschnittliche Gesamtzahl der Beschäftigten sowie die durchschnittliche Zahl der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten enthalten. Die Vorgaben der EntgTranspRL gehen darüber weit hinaus. Es sind insbesondere Angaben zum Entgeltgefälle zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Allgemeinen und in den einzelnen Arbeitnehmergruppen erforderlich. Unter Entgeltgefälle ist die prozentuale Differenz zwischen den Entgelthöhen von Frauen und Männern (auch Gender Pay Gap genannt) zu verstehen. Die Arbeitnehmergruppen setzen sich aus den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zusammen, die eine gleiche oder gleichwertige Arbeit ausüben.
Konkret sieht die Richtlinie folgende Pflichtangaben vor:
Zum Durchschnittsentgelt:
- das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle;
- das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle bei ergänzenden oder variablen Bestandteilen;
- das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle innerhalb der Arbeitnehmergruppen (aufgeschlüsselt nach dem Grundgehalt sowie ergänzenden oder variablen Bestandteilen).
Zum Entgeltmedian:
- das mittlere geschlechtsspezifische Entgeltgefälle;
- das mittlere geschlechtsspezifische Entgeltgefälle bei ergänzenden oder variablen Bestandteilen.
Weitere Angaben:
- der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ergänzende oder variable Bestandteile erhalten;
- der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in jedem Entgeltquartil.
Entsprechend der Richtlinie soll diese Berichterstattung Arbeitgebern ermöglichen, ihre Entgeltstrukturen und -politik zu bewerten und zu überwachen und damit den Grundsatz des gleichen Entgelts proaktiv einzuhalten. Gleichzeitig sollen die nach dem Geschlecht aufgeschlüsselten Daten die zuständigen Behörden, Arbeitnehmervertreter und andere Interessenträger dabei unterstützen, das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle in allen Sektoren und Funktionen zu vergleichen und zu überwachen.
Veröffentlichung des Entgelttransparenzberichts
Arbeitgeber sind verpflichtet, den Entgelttransparenzbericht ihren Arbeitnehmern und deren Vertretern zur Verfügung zu stellen. Die Berichtsdaten sind zudem der staatlichen „Überwachungsstelle“ mitzuteilen, die jeder Mitgliedstaat zur Unterstützung der Umsetzung der Richtlinienvorgaben benennen muss. Die Überwachungsstelle wiederum hat die Entgelttransparenzberichte zu sammeln und die Daten auf einer leicht zugänglichen Website zu veröffentlichen.
Praxishinweis: Die Richtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten, die Berichterstattung gegenüber den Arbeitnehmern aus Datenschutzgründen einzuschränken. Es ist daher denkbar, dass der deutsche Gesetzgeber eine Regelung vorsieht, wonach nur den Arbeitnehmervertretern und der Überwachungsstelle solche Daten mitzuteilen sind, die jedenfalls zur mittelbaren Offenlegung des Entgelts eines bestimmbaren Arbeitnehmers führen würden.
Neu: Gemeinsame Entgeltbewertung bei Entgeltgefälle(n) von mindestens 5 Prozent
Anknüpfend an das Entgeltgefälle beim Durchschnittsentgelt sieht die Richtlinie zudem ein völlig neues Instrument zur Förderung der Entgeltgleichheit vor: die gemeinsame Entgeltbewertung mit der Arbeitnehmervertretung (sog. Joint Pay Assessment). Durchzuführen ist eine solche gemeinsame Bewertung, wenn die folgenden drei Voraussetzungen vorliegen:
- Der Bericht weist ein Gefälle der durchschnittlichen Entgelthöhe von mindestens 5 Prozent innerhalb einer Arbeitnehmergruppe aus,
- der Arbeitgeber kann das Gefälle nicht mittels objektiver geschlechtsneutraler Faktoren (z.B. objektive Leistungsunterschiede oder Arbeitsmarktbedingungen) rechtfertigen und
- das Gefälle wird nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Berichterstattung korrigiert.
Im Zuge der gemeinsamen Entgeltbewertung sind die Ursachen der Entgeltdifferenz in einem aufwändigen Prozess zu analysieren sowie konkrete Maßnahmen zur Beseitigung (rechtswidriger) Entgeltunterschiede zu erarbeiten. Sodann ist die Entgeltbewertung der Belegschaft sowie der staatlichen Überwachungsstelle zur Verfügung zu stellen.
Praxishinweis: Zur effizienten Umsetzung der neuen Vorgaben ist der Einsatz eines digitalen Tools zu empfehlen. Eine speziell hierfür entwickelte Lösung ist CMS Pay Gap Compliance. Mit diesem Analysetool können wir Unternehmen nicht nur dabei unterstützen, die statistischen Entgeltdifferenzen richtlinienkonform aufzubereiten und den Anpassungsbedarf zu ermitteln, der nach Prüfung sämtlicher Rechtfertigungsgründe gegebenenfalls noch verbleibt. CMS Pay Gap Compliance verbindet zudem Compliance mit Individualität: Denn mithilfe des Tools können bei der Anpassung von Unstimmigkeiten die bestehenden Wertungsspielräume auf Unternehmensseite optimal ausgeschöpft und damit Korrekturen auf ein Minimum begrenzt werden.
Die neuen Vorgaben erfordern ein zeitnahes und effizientes Handeln
Die EntgTranspRL verschärft die Berichtspflichten für Unternehmen deutlich und knüpft mit der gemeinsamen Entgeltbewertung weitgehende Folgen an ein ungerechtfertigtes Entgeltgefälle von mindestens 5 Prozent. Arbeitgeber sollten rechtzeitig ihre Entgeltstrukturen überprüfen, um Handlungsbedarf aufzudecken und (gegebenenfalls) notwendige Anpassungen vorzunehmen. Insoweit ist ein zügiges Vorgehen geboten, da es sich bei der Prüfung und gegebenenfalls Anpassung der Entgeltstrukturen um einen aufwändigen Prozess handelt. Jedenfalls Arbeitgeber mit 150 oder mehr Arbeitnehmern sollten diesen Compliance-Vorgang spätestens im Jahr 2026 abschließen, da sie in ihrem ersten Entgelttransparenzbericht über die Entgeltverhältnisse im Jahr 2026 berichten müssen.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.