Entgelttransparenz-Richtlinie schafft weitreichende Vorgaben zur Verwirklichung von Entgeltgleichheit in Europa.
Die kürzlich verabschiedete Entgelttransparenz-Richtlinie (EntgTranspRL) der Europäischen Union (EU) sieht weitreichende Verpflichtungen zur Durchsetzung der Lohntransparenz vor, die vielfach über die bisherigen Regelungen des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) hinausgehen. Die nationalen Rechtsgrundlagen werden daher zu bearbeiten sein.
Ob der tatsächliche Nutzen die bürokratischen Zusatzbelastungen überwiegt, hängt nicht zuletzt von der Umsetzung der Richtlinie auf nationaler Ebene ab und bleibt abzuwarten. Der deutsche Gesetzgeber hat hierfür ab Veröffentlichung der Richtlinie im EU-Amtsblatt drei Jahre Zeit. Diese Übergangszeit sollten Unternehmen zur Vorbereitung auf mehr Lohntransparenz nutzen.
Gender Pay Gap in Europa bei ca. 14 %
Europaweit verdienen Frauen und Männer bei gleicher Arbeit noch immer nicht das Gleiche. Der Begriff „Gender Pay Gap“ beschreibt dabei diese geschlechtsspezifische Lohnlücke und gibt die Differenz zwischen dem durchschnittlichen Bruttostundenverdienst männlicher und weiblicher Beschäftigter als Prozentsatz des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes männlicher Beschäftigter an.
In der Europäischen Union liegt der Gender Pay Gap derzeit bei etwa 14 %. Nach Auswertungen des Statistischen Bundesamtes verdienten Frauen in Deutschland 2022 durchschnittlich 18 % weniger als ihre männlichen Kollegen. Berücksichtigt man strukturelle Faktoren wie u.a. die Unterschiede bei Berufen, Beschäftigungsumfang, Bildungsstand und die Tatsache, dass Frauen seltener Führungspositionen innehaben als Männer, beträgt die sog. „bereinigte Lohnlücke“ in Deutschland immerhin noch 7 % (bereinigter Gender Pay Gap).
Als ein Haupthindernis bei der Verwirklichung von Equal Pay (Lohngleichheit) beobachtete u.a. die Europäische Kommission die mangelnde Lohntransparenz. Die Entgelttransparenz-Richtlinie soll hier anknüpfen und die europaweite geschlechtsspezifische Lohnlücke durch mehr Transparenz- und Rechtsdurchsetzungsinstrumente verringern. Am 24. April 2023 hat der Rat der Europäischen Union die Richtlinie final angenommen. Das Europäische Parlament hatte dem Richtlinienentwurf zuvor bereits am 30. März 2023 zugestimmt.
Grundsatz der Lohngleichheit – ein alter Hut?
Historisch betrachtet ist der Equal-Pay-Grundsatz für Männer und Frauen in der Theorie nicht neu. Seit 1957 stellt er eines der Grundprinzipien der Europäischen Union dar. Arbeitgeber in Deutschland wie in der gesamten EU sind insoweit grds. bereits seit langem verpflichtet, Frauen und Männern für gleiche und gleichwertige Arbeit das gleiche Entgelt zu zahlen.
Entgegenwirken des Gender Pay Gap durch mehr Entgelttransparenz?
In Deutschland gilt seit 2017 das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG), das darauf abzielt, Lohngleichheit in der Praxis durchzusetzen (vgl. hierzu Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz, Details zum Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz).
Bereits in mehreren Urteilen hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) diesem Grundsatz Konturen verliehen. Erst kürzlich betonte der Achte Senat des BAG, dass Verhandlungsgeschick allein kein geeignetes objektives Kriterium zur Rechtfertigung einer Entgeltungleichheit zwischen Männern und Frauen darstellt (vgl. BAG, Urteil v. 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21), und setzt hierdurch der Privatautonomie Grenzen.
Neue Vorschriften zur Durchsetzung der Lohntransparenz auf EU-Ebene
Mit der neuen EU-Richtlinie soll der Grundsatz der Lohngleichheit durch verbindliche Maßnahmen weitgehender durchgesetzt werden können. Zum einen sollen Arbeitgeber verpflichtet werden, ihre Entgeltpolitik transparenter zu gestalten. Zum anderen sollen Arbeitnehmer* und Arbeitsuchende mehr Rechte erhalten, gleiches Entgelt einzufordern und durchzusetzen. Dabei soll die Richtlinie sowohl für Arbeitgeber im privaten als auch für solche des öffentlichen Sektors gelten.
Die Richtlinie legt vielfache Verpflichtungen für Arbeitgeber fest, die über die derzeitigen nationalen Regelungen (EntgTranspG, AGG etc.) hinausgehen. Ein besonderes Augenmerk ist vor allem auf die folgenden Regelungen zu legen:
- Transparenz bezüglich Einstiegsgehalt oder dessen Spanne bereits im Bewerbungsgespräch (Art. 5 EntgTranspRL): Stellenbewerber haben das Recht, vom künftigen Arbeitgeber durch die Stellenausschreibung oder vor dem Vorstellungsgespräch über das Einstiegsgehalt für die betreffende Stelle oder dessen Spanne sowie ggf. einschlägige tarifvertragliche Regelungen informiert zu werden. Hierdurch sollen Gehaltsverhandlungen transparent erfolgen können. Eine entsprechende Verpflichtung ist im EntgTranspG bislang nicht enthalten. Umgekehrt dürfen Arbeitgeber Bewerber nicht nach ihrer Entgeltentwicklung in ihren laufenden oder früheren Beschäftigungsverhältnissen fragen (Art. 5 Abs. 2 EntgTranspRL). Es bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die Reichweite der Mitteilungspflicht in Bezug auf unternehmensinterne Entlohnungsgrundsätze und -policys bei der Umsetzung der Richtlinie gestalten wird.
- Transparenz bei der Festlegung des Entgelts und der Politik der Entgeltentwicklung (Art. 6 EntgTranspRL): Arbeitgeber mit mehr als 50 Arbeitnehmern sind verpflichtet, diesen Informationen über verwendete objektive und geschlechtsneutrale Kriterien für die Entgeltfestlegung und ‑entwicklung zur Verfügung zu stellen.
- Weitreichendes Auskunftsrecht (Art. 7 EntgTranspRL): Arbeitnehmer können von ihrem Arbeitgeber verlangen, dass er sie über ihr individuelles Einkommen und über die durchschnittlichen Entgelthöhen informiert, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für Gruppen von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten. Im Vergleich zu dem derzeitigen Auskunftsanspruch nach dem EntgTranspG ist unerheblich, wie groß das Unternehmen ist oder wie viele Arbeitnehmer der Vergleichsgruppe angehören. Außerdem wird nicht mehr auf den bislang in Deutschland zugrunde gelegten statistischen Median abgestellt, sondern auf die „durchschnittlichen Entgelthöhen“. Das Auskunftsrecht kann außerdem über die Arbeitnehmervertretung geltend gemacht werden, was zugleich zu einer Ausweitung der Informationsrechte der Betriebsräte führen kann. Die Frist für Arbeitgeber zur Reaktion auf das Auskunftsverlangen beträgt zukünftig nur noch zwei Monate, statt wie bisher nach dem EntgTranspG drei Monate. Zudem müssen Arbeitgeber Arbeitnehmer zukünftig jährlich über ihr Auskunftsrecht informieren. Vertragliche Regelungen, die Arbeitnehmern untersagen, Informationen über ihre Entgelthöhe kundzutun (Geheimhaltungsklauseln), sollen ebenfalls verboten sein.
- Berichterstattungspflicht: Durchschnitt und Median (Art. 9 EntgTranspRL): Arbeitgeber mit mind. 100 Arbeitnehmern werden umfassende Informationspflichten auferlegt. Arbeitgeber müssen zukünftig insbesondere Informationen „zu ihrer Organisation“, u.a. die Differenz zwischen den durchschnittlichen Entgelthöhen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern („geschlechtsspezifisches Entgeltgefälle“, vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. c EntgTranspRL) und die Differenz zwischen der Median-Entgelthöhe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eines Arbeitgebers („mittleres geschlechtsspezifisches Entgeltgefälle“, vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. e EntgTranspRL), vorlegen. Die Häufigkeit der Berichterstattung hängt dabei von der jeweiligen Unternehmensgröße ab.
- Gemeinsame Entgeltbewertung mit Arbeitnehmervertretern (Art. 10 EntgTranspRL): Besteht ein geschlechtsspezifisches Lohngefälle von mind. 5 % in einer Gruppe von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, und kann der Arbeitgeber dieses nicht mithilfe objektiver geschlechtsneutraler Kriterien rechtfertigen, muss der Arbeitgeber „in Zusammenarbeit mit“ seinen Arbeitnehmervertretern eine Lohnbeurteilung durchführen. Die Bildung dieser Vergleichsgruppen dürfte mit praktischen Schwierigkeiten verbunden sein. Mit welcher Reichweite der deutsche Gesetzgeber diese Regelung umsetzen wird und ob diese auch konkrete Ausstrahlungswirkung in Bezug auf die allgemeinen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats haben wird, bleibt ebenfalls abzuwarten. Bereits jetzt deutet die Vorgabe jedoch darauf hin, dass die Steuerungsmöglichkeiten für Arbeitgeber aufgrund der vorzunehmenden gemeinsamen Entgeltbewertung weiter eingeschränkt werden.
- Schadensersatz (Art. 16 EntgTranspRL): Hinsichtlich der Folgen bei Verletzungen von Rechten oder Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts eröffnet der Richtlinienentwurf einen Gestaltungsspielraum für die Mitgliedstaaten. Allerdings muss sichergestellt werden, dass die Arbeitnehmer vollständigen Schadensersatz oder vollständige Entschädigung inklusive der Nachzahlung des entgangenen Entgelts (mit Boni und Sachleistungen) verlangen können. Der Richtlinienentwurf sieht einen weiten Umfang des Schadensersatzes vor. So sollen neben der vollständigen Nachzahlung des entgangenen Lohns mitunter auch ein immaterieller Schaden sowie „jeglicher Schaden, der durch andere relevante Faktoren verursacht wurde“, umfasst werden. Wie insbesondere Letzterer greifbar gemacht werden soll, bleibt offen. Jedenfalls kann in Bezug auf die bislang in der deutschen Praxis zugesprochenen Summen für immaterielle Schäden festgehalten werden, dass diese im internationalen Vergleich als eher gering einzustufen sind. Daneben sollen die von den Mitgliedstaaten einzuführenden Regelungen auch einen Unterlassungsanspruch und die Möglichkeit der Anordnung von Zwangsgeldern vorsehen.
- Beweislastumkehr für fehlende Diskriminierung (Art. 18 EntgTranspRL): Die Richtlinie setzt Arbeitgeber einer beachtlichen Beweislastumkehr aus. In einem möglichen gerichtlichen Verfahren muss der Arbeitgeber beweisen, dass er den klagenden Arbeitnehmer in Bezug auf das Entgelt nicht (un-)mittelbar diskriminiert hat (Art. 18 EntgTranspRL).
- Sanktionen bei Pflichtverstößen (Art. 23 EntgTranspRL): Zur Durchsetzung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Sanktionen festzulegen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind, wozu auch Geldbußen gehören können. In welcher Form der deutsche Gesetzgeber das EntgTranspG erstmals mit Sanktionen ausstatten wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt offen.
Fazit: EntgTranspRL bringt keinen akuten Handlungsbedarf, aber Tendenz zu mehr Transparenz
Die neue EntgTranspRL sieht umfangreiche Verpflichtungen vor, die für Arbeitgeber einen beachtlichen bürokratischen Mehraufwand bedeuten. Derzeit besteht allein aufgrund der neuen Richtlinie unmittelbar kein akuter Handlungsbedarf für Arbeitgeber.
Für die Umsetzung hat der deutsche Gesetzgeber ab Veröffentlichung der Richtlinie im EU-Amtsblatt drei Jahre Zeit. Ob der von der EU bezweckte Nutzen den bürokratischen Aufwand überwiegt, hängt nicht zuletzt von der konkreten Umsetzung in das nationale Recht ab und wird sich zeigen.
Auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt offen ist, wie die EntgTranspRL in Deutschland umgesetzt wird, sollten Arbeitgeber die Übergangszeit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Denn die Tendenz steht bereits fest: Gehälter werden in den nächsten Jahren transparenter. Arbeitgebern ist daher zu empfehlen, die weitere Entwicklung aufmerksam zu verfolgen und sich bereits jetzt auf mehr Entgelttransparenz vorzubereiten. Ohnehin gebietet das im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verankerte Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, etwaige bestehende geschlechtsspezifische Lohnungleichheiten bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit zu ermitteln und diesen bereits jetzt entgegenzuwirken.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.