5. April 2024
Arbeitsrecht

Entgeltgleichheit – Auf Arbeitgeber kommen klare To Dos zu!

Die neue Entgelttransparenz-Richtlinie 2023/970/EU schafft erheblichen Handlungsbedarf für Unternehmen.

Nach der letzten staatlichen Auswertung aus dem Jahr 2021 lag das bereinigte „Gender Pay Gap“ in der EU bei 11,4 % (in DE 2022 bei 7 %). Unter Berufung auf Art. 11 der Frauenrechtskonvention der Vereinten Nationen versucht der europäische Gesetzgeber deswegen nun einmal mehr, dieses Entgeltgefälle zwischen Männern und Frauen zu verringern. Am 10. Mai 2023 hat er hierzu die Richtlinie (EU) 2023/970 „zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen“ (nachfolgend „Richtlinie“) erlassen.

Die Richtlinie bringt umfangreiche Verpflichtungen für Arbeitgeber* mit sich:

Die Entgelttransparenz-Richtlinie als Gleichbehandlungsrichtlinie 2.0?

Die Richtlinie ist ein „zweiter Aufschlag“, denn bereits 2006 hatte die EU die Gleichbehandlungsrichtlinie (RL 2006/54/EG) erlassen. Auf den darin enthaltenen Regelungen beruhen maßgeblich die Vorschriften des deutschen Entgelttransparenzgesetzes („EntgTranspG“), wonach Entgeltbenachteiligungsverbote (§ 3 Abs. 1 EntgTranspG) sowie Entgeltgleichheitsgebote (§ 7 EntgTranspG) bestehen und Arbeitnehmern individuelle Auskunftsansprüche zuerkannt wurden (§§ 10-16 EntgTranspG). Zur Erstattung eines Berichts sind nach § 21 Abs. 1 EntgTranspG derzeit Arbeitgeber verpflichtet, die in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen und zu der Erstellung eines Lageberichts nach §§ 264, 289 HGB verpflichtet sind. Dies sind in Deutschland rund 20.000Unternehmen.

Eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) und der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass im Zeitraum von 2019 bis 2021 in Deutschland nur in jedem vierten mitbestimmten Betrieb mindestens ein Auskunftsanspruch geltend gemacht wurde, im öffentlichen Dienst nur in jedem zehnten. Die Pflicht zur Erstattung des Berichts wurde nur von knapp der Hälfte aller Betriebe, denen diese Pflicht auferlegt ist, umgesetzt. Wie auch in Deutschland stagniert darüber hinaus in den meisten EU-Mitgliedstaaten die Höhe des Entgeltgefälles in den letzten Jahren. Die praktischen Auswirkungen des deutschen Entgelttransparenzgesetzes sind derzeit also überschaubar. Ähnlich scheint es in den anderen europäischen Mitgliedsstaaten auszusehen.

Erhebliche Pflichtenerweiterung für Arbeitgeber

Während die geltende Rechtslage – sowohl europarechtlich als auch nach nationalem Recht – darauf ausgelegt ist, dass Arbeitnehmer zunächst Auskünfte einholen müssen, um auf ein eventuell bestehendes Lohngefälle belegen zu können, statuiert die neue Richtlinie nun umfangreiche Informations-, Berichts- Erörterungs- und Bereitstellungspflichten für Arbeitgeber. Die Einhaltung dieser Pflichten wird dabei u.a. mit Schadensersatzverpflichtungen (Art. 16 der Richtlinie), einer Umkehr der Beweislast (Art. 18 der Richtlinie), vergaberechtlichen Einschränkungen (Art. 24 der Richtlinie) und einem Sanktionskatalog (Art. 23 der Richtlinie) abgesichert.

Gegenüber der noch geltenden Rechtslage werden die Verpflichtungen von Arbeitgebern damit erheblich ausgeweitet. Die Richtlinie ist nach Art. 2 auf alle öffentlichen und privaten Arbeitgeber sowie auf Arbeitnehmer und Stellenbewerber anwendbar.

Im Einstellungsverfahren …

… dürfen Arbeitgeber Bewerber nicht nach deren aktuellem oder vorherigem Entgeltfragen (Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie). Umgekehrt haben Stellenbewerber ein Recht, vor dem Bewerbungsgespräch von ihrem künftigen Arbeitgeber Informationen über das Einstiegsgehalt bzw. dessen Spanne zu erhalten (Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie). Außerdem müssen Arbeitgeber sicherstellen, dass Stellenausschreibungen und Berufsbezeichnungen geschlechtsneutral sind und die Einstellungsverfahren auf nichtdiskriminierende Weise geführt werden (Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie).

Während des Beschäftigungsverhältnisses …

… müssen Arbeitgeber:

  • ihren Arbeitnehmern Informationen darüber, welche Kriterien für die Festlegung ihres Entgelts, ihrer Entgelthöhen und ihrer Entgeltentwicklung verwendet werden, in leicht zugänglicher Weise zur Verfügung stellen (Art. 6 der Richtlinie). Diese Kriterien müssen objektiv und geschlechtsneutral sein.
  • alle Arbeitnehmer jährlich über ihr Recht (Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie) informieren, Auskünfte über ihre individuelle Entgelthöhe und über die durchschnittlichen Entgelthöhen zu verlangen und in schriftlicher Form zu erhalten. Die arbeitgeberseitige Information muss das Geschlecht der aufgeführten Arbeitnehmer sowie eine Vergleichsgruppenbildung („gleiche Arbeit oder gleichwertige Arbeit“) enthalten, (Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie).
  • Auch dürfen Arbeitnehmer nicht daran gehindert werden, ihr Gehalt offenzulegen, um den Grundsatz des gleichen Entgelts durchzusetzen (Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie).

Arbeitgeber treffen umfangreiche Erörterungs- und Bereitstellungspflichten

Arbeitgeber müssen Informationen über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle und den Anteil der Arbeitnehmer, die ergänzende oder variable Bestandteile erhalten, den zuständigen Stellen (Aufsichtsbehörden, Gleichbehandlungsstellen, Arbeitnehmervertretern) und Arbeitnehmern bereitstellen (Art. 9 der Richtlinie). Diese Anforderung wird ab dem 7. Juni 2027 schrittweise eingeführt für Arbeitgeber mit mehr als 100 Arbeitnehmern.

Besteht im Unternehmen ein Entgeltgefälle von mindestens 5 %, das nicht durch objektive, geschlechtsneutrale Kriterien gerechtfertigt werden kann und nicht innerhalb von sechs Monaten behoben wurde, sind Arbeitgeber in Zukunft verpflichtet, mit den Arbeitnehmervertretungen zusammenzuarbeiten, um diskriminierende Entgeltunterschiede festzustellen, zu korrigieren und zu verhindern (sog. „Joint Pay Assessment“, Art. 10 der Richtlinie).

Das „Joint Pay Assessment“– Eine gemeinsame Entgeltbewertung mit den Arbeitnehmervertretungen

Das „Joint Pay Assessment“(„Gemeinsame Entgeltbewertung“) umfasst nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie:

  • eine Analyse des Anteils der Arbeitnehmer in jeder Gruppe von Arbeitnehmern,
  • Informationen über die durchschnittlichen Entgelthöhen von Arbeitnehmern sowie über ergänzende oder variable Bestandteile für jede Gruppe von Arbeitnehmern,
  • etwaige Unterschiede bei den durchschnittlichen Entgelthöhen zwischen Arbeitnehmern in jeder einzelnen Gruppe von Arbeitnehmern,
  • die Gründe für solche Unterschiede bei den durchschnittlichen Entgelthöhen, gegebenenfalls auf der Grundlage objektiver und geschlechtsneutraler Kriterien – wie von den Arbeitnehmervertretern und dem Arbeitgeber gemeinsam festgelegt;
  • den Anteil der Arbeitnehmer, denen eine Verbesserung beim Entgelt nach ihrem Wiedereinstieg nach Mutterschafts- oder Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub oder Urlaub für pflegende Angehörige gewährt wurde, wenn es eine solche Verbesserung in der einschlägigen Gruppe von Arbeitnehmern während des Zeitraums gegeben hat,
  • Maßnahmen zur Beseitigung von Entgeltunterschieden, wenn diese nicht auf der Grundlage objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien gerechtfertigt sind,
  • eine Bewertung der Wirksamkeit von Maßnahmen aus früheren gemeinsamen Entgeltbewertungen

Diese erfolgten Bewertungen müssen Arbeitnehmern, den Arbeitnehmervertretungen und den Arbeitsaufsichtsbehörden zur Verfügung gestellt werden (Art. 10 Abs. 3).

Fazit und Hinweise für die unternehmerische Praxis – Je früher Unternehmen mit einer Evaluation beginnen, desto besser!

Die Richtlinie bringt einen Paradigmenwechsel mit sich. In der Vergangenheit war bei Entgeltungleichheit zunächst die Arbeitnehmerseite am Zuge, mittels eines Anspruchs auf Auskunft zunächst die Ungleichheit in Erfahrung zu bringen und anschließend eine Anpassung geltend zu machen. Nun ist die Arbeitgeberseite als erstes in der Pflicht: Ihr wird auferlegt, die Entgeltstrukturen im Unternehmen fortlaufend zu überwachen und spätestens bei Feststellen eines Gefälles von über 5 % von sich aus aktiv zu werden. Während dies durch zahlreiche Sanktionen abgesichert wird, werden die Rechte von Arbeitnehmern und ihren Vertretungen erheblich erweitert.

Den Mitgliedstaaten steht zur Umsetzung der Richtlinie eine Frist bis zum 7. Juni 2026 zu (Art. 34 Abs. 1 der Richtlinie). Die ersten Berichterstattungspflichten (für Arbeitgeber mit mindestens 250 Arbeitnehmern) beginnen am 7. Juni 2027 (Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie) Ein neuer Gesetzesentwurf zur Überarbeitung des derzeit geltenden Entgelttransparenzgesetzes liegt noch nicht vor. Das Entgelttransparenzgesetz wurde im Sommer 2023 zum zweiten Mal im Hinblick auf seine Wirksamkeit evaluiert. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) beabsichtigt, sowohl die Erkenntnisse aus dieser Bewertung in die Neugestaltung des Gesetzes einfließen zu lassen als auch die Integration der EU-Richtlinie.  Es wirkt zunächst, als ob noch jede Menge Zeit zur Verfügung stünde, um die notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Doch in der Welt der Gesetzgebung sind selbst großzügige Fristen oft knapp bemessen und mit unvorhergesehenen Verzögerungen behaftet.

Evaluation der Entgeltstrukturen, Dokumente rechtzeitig vorbereiten

Dieser Eindruck täuscht: Vielmehr sollten Arbeitgeber frühzeitig mit der Evaluation ihrer Entgeltstrukturen (einschließlich Sondervergütungsbestandteile) beginnen. Erfahrungsgemäß wird dies einige Zeit in Anspruch nehmen. Gleiches gilt für die erforderlich werdende Vergleichsgruppenbildung. So kann die verbleibende Zeit dazu genutzt werden, um notwendige – auch längerfristige – Anpassungen rechtzeitig vorzunehmen und das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen zu beseitigen. Bestenfalls sollten bereits frühzeitig folgende Dokumente vorbereitet werden:

  • Leitlinie / Policy zum „nichtdiskriminierenden Einstellungsverfahren“
  • (Muster-) Unterrichtungsschreiben an Arbeitnehmer (insb. Kriterien für die Festlegung des Entgelts/der Entgelthöhen sowie der Entgeltentwicklungen; individuelle Entgelthöhe, Vergleichsgruppenbildung)
  • (Muster-) Unterrichtungsschreiben an Aufsichtsbehörden, Gleichbehandlungsstellen und Arbeitnehmervertreter zum geschlechtsspezifische Entgeltgefälle und den Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ergänzende oder variable Bestandteile erhalten
  • (Muster-) „Joint Pay Assessment“

Dabei ist zu beachten, dass in Unternehmen, in denen ein Betriebsrat besteht, diesem ein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei der Vergütungsgestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zusteht. Daneben hat der Betriebsrat eine Reihe von weiteren Informations- und Beteiligungsrechten. Daneben kann er Einblick in die Lohn- und Gehaltslisten nehmen, § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG. Je früher hier also die Einzelheiten ausgelotet und Zukunftskonzepte entwickelt werden, umso leichter sind auch die Arbeitnehmervertreter zu Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung einzubeziehen und passgenaue Lösungen entwickelbar.

* Im Folgenden wird zur besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwandt. Ein Ausschluss von Geschlechtern oder sexuellen Identitäten ist nicht beabsichtigt.

Tags: Arbeitgeber Arbeitsrecht Entgelttransparenz