9. Februar 2024
Flexible Pay
Arbeitsrecht

Gehalt schon vor Monatsende durch Flexible Pay

Mit „Flexible Pay“-Modellen sind flexiblere Gehaltszahlungen möglich, die sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber Vorteile bringen können.

Die Energiekrise und Inflation haben die Lebenshaltungskosten vieler Menschen in Deutschland deutlich erhöht und führen bei einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung zunehmend zu finanziellen Engpässen. Geldsorgen und finanzieller Druck haben auch einen Einfluss auf das Arbeitsleben. Laut einer 2023 durchgeführten Studie (2023 Employee Financial Wellness Survey) wirken sich finanzielle Sorgen erheblich auf das allgemeine Wohlbefinden von Arbeitnehmern* aus und sind sogar geeignet, dadurch die Arbeitsleistung negativ zu beeinflussen. 

Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitenden in dieser Situation „unter die Arme greifen wollen“, sehen sich oftmals in einer Zwickmühle: Da auch sie mit steigenden Kosten zu kämpfen haben und Einsparungen vornehmen müssen, sind Gehaltserhöhungen oftmals nicht ohne Weiteres möglich. In dieser Situation kann die Einführung sog. Flexible Pay-Modelle interessant sein. 

Verschiedene Flexible Pay-Modelle denkbar

Flexible Pay ist ein im angloamerikanischen Raum verbreiteter Trend, der es Arbeitnehmern ermöglicht, bereits vor dem Monatsende auf Teile ihres monatlichen Gehalts zuzugreifen. 

Die konkreten Ausgestaltungsmöglichkeiten sind dabei vielfältig: So ist es denkbar, den Arbeitnehmern die Möglichkeit einzuräumen, sich zu jedem Zeitpunkt im Monat das bis dato verdiente Geld auszahlen zu lassen (sog. „Earned Wage Access“). Oder es wird in der Mitte des Monats die Hälfte des Gehalts ausgezahlt und die andere Hälfte am Ende des Monats zur „gewöhnlichen Zeit“. Auch ist es denkbar, die flexible Verfügbarkeit des Lohns nur auf einen bestimmten Teil des monatlichen Zahlungsanspruchs zu beschränken (etwa dergestalt, dass ein Drittel des Gehalts frei verfügbar ist und die restlichen zwei Drittel fest zum Monatsende ausgezahlt werden.) Dem Grunde nach können die Modelle ganz nach Belieben gestaltet werden. 

Vertragliche Regelung zu flexiblen Gehaltszahlungen notwendig

Allen Modellen dürfte jedoch eines gemein sein: Die Einführung von Flexible Pay-Modellen wird es notwendig machen, die bestehenden vertraglichen Regelungen zur Gehaltszahlung zu ergänzen und anzupassen. Denn die meisten Arbeitsverträge folgen dem gesetzlichen Leitbild des § 614 BGB und sehen eine Regelung vor, wonach die Festvergütung jeweils nachträglich zum Monatsende ausgezahlt wird. Auch wenn der Arbeitsvertrag hierzu keine explizite Regelung enthält, gilt – vorbehaltlich gesetzlicher Sonderreglungen – § 614 BGB mit der Folge, dass die Vergütung in Zeitabschnitten nach Leistung der Dienste, d.h. in der Regel am Monatsende, zu entrichten ist. 

Die hierdurch entstehende (monatliche) Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers kann jedoch durch eine vertragliche Vereinbarung abbedungen werden. Rechtsdogmatisch ist hierin in der Regel eine Vorschusszahlung zu sehen, die voraussetzt, dass beide Vertragsparteien sich darüber einig sind, dass es sich um eine vorschussweise Zahlung handelt, die bei Fälligkeit der Forderung verrechnet wird. Um etwaige Zweifel zu vermeiden, sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Einführung von Flexible Pay deshalb ausdrücklich vertraglich vereinbaren, dass eine Zahlung der Vergütung bereits vor Fälligkeit (im Regelfall zum Monatsende) möglich ist. Auch im Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes steht es Arbeitnehmer und Arbeitgeber frei, die Vergütung, abweichend von den dortigen Fälligkeitsregelungen, bereits vor Fälligkeit auszubezahlen. Um auch in dieser Konstellation sicherzustellen, dass die Vorschusszahlung am Ende des Monats auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet wird, sollte vertraglich ausdrücklich klargestellt werden, dass beide Seiten sich einig sind, dass die Zahlung vorschussweise erfolgt.  

Rückzahlungspflicht bei außerordentlicher Kündigung 

Je nach Wahl des konkreten Flexible Pay-Modells kann es dazu kommen, dass das Arbeitsverhältnis gekündigt wird, nachdem bereits die Vergütung für noch nicht geleistete Arbeit ausgezahlt wurde. Tatsächlich relevant werden dürfte das allerdings nur bei einer außerordentlichen Kündigung und Wahl eines Flexible Pay-Modells, das (anders etwa als sog. Earned Wage Access) einen Zugriff auf Entgelt ermöglicht, für das noch keine Gegenleistung erbracht wurde. Doch auch in dem Fall ist der Arbeitgeber nicht schutzlos, sondern kann die zu viel gezahlte Vergütung von dem gekündigten Arbeitnehmer zurückfordern. Dessen Rückzahlungspflicht umfasst die gesamte Bruttoarbeitsvergütung, das heißt auch die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung.

Sozialversicherungsbeiträge können wie gewohnt abgeführt werden

Natürlich muss bei allen Gehaltsfragen auch die Sozialversicherungspflicht berücksichtigt werden. Grundsätzlich sind alle Mitarbeitenden (sofern sie nicht nur geringfügig beschäftigt sind) sozialversicherungspflichtig. Alleiniger Beitragsschuldner ist der Arbeitgeber, d.h. er ist für die Berechnung und Abführung der Sozialversicherungsbeiträge verantwortlich. 

Bei Flexible Pay-Modellen stellt sich die Frage, ob und wenn ja, wann Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge abführen sollen. Im Hinblick auf das „Ob“ bleibt festzuhalten, dass das „Flexible Pay“ Modell keine Auswirkungen auf die Sozialversicherungspflicht an sich hat, selbst wenn die Vergütung in mehreren Teilen über den Monat verteilt ausgezahlt wird, solange das insgesamt pro Monat ausgezahlte Gehalt die Geringfügigkeitsgrenze (derzeit, d.h. im Februar 2024: EUR 538,00) überschreitet.

Die Fälligkeit der Beiträge ist gesetzlich in § 23 SGB IV geregelt: Die Beiträge sind demnach spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig, in dem der Anspruch entstanden ist (sog. Entstehungsprinzip). Insofern wird auch der Zeitpunkt, an dem der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge abführen müssen, durch Flexible Pay nicht beeinflusst. Vielmehr ist es den Arbeitgebern möglich, die Beiträge weiter regulär am Ende jedes Monats zu überweisen. 

Im Falle des Ausscheidens eines Mitarbeitenden während eines laufenden Monats kann der Arbeitgeber sich von der Beitragspflicht in Höhe der aufgrund der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu zahlenden Vergütung befreien. Durch die Möglichkeit der partiellen Auszahlung vor Monatsende entsteht also kein zusätzliches Risiko, auf den zu zahlen Sozialversicherungsbeiträgen sitzen zu bleiben, solange der Arbeitgeber im Wege des Flexible Pay-Modells nur die Vergütung ausbezahlt, für die der Mitarbeiter bereits eine Gegenleistung erbracht hat (z.B. beim Modell des Earned Wage Access). 

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Einführung von Flexible Pay-Modellen beachten

Auch betriebsverfassungsrechtlich sind bei der Einführung von Flexible Pay einige Besonderheiten zu berücksichtigen: Nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG hat der Betriebsrat ein umfassendes Mitbestimmungsrecht bezüglich der Umstände bei der Auszahlung des Arbeitsentgelts. Zu diesen Umständen zählen insbesondere auch die zeitlichen Modalitäten, nach denen das Entgelt für die geleistete Arbeit gezahlt werden soll. In Abkehr von der üblichen monatlichen Auszahlung können die Betriebsparteien z. B. die wöchentliche, tägliche oder eben flexibel auf Wunsch des Arbeitnehmers zu erfolgende Auszahlung vereinbaren. 

Die Festlegung der Lohnauszahlungszeiträume, die durch Flexible Pay aufgeweicht werden, ist nicht zu verwechseln mit der Frage der Lohngestaltung, d.h. nach welchen zeitlichen Grundsätzen der Lohn zu bemessen ist. Der Arbeitgeber darf den Betriebsrat – soweit erforderlich – im Prozess über die Einführung von Flexible Pay-Lösungen deshalb darauf verweisen, dass hier kein Einfallstor für den Einstieg in Verhandlungen über die Höhe und Bemessungsgrundsätze der Gehälter im Betrieb besteht. 

Bei Flexible Pay ist die Verwendung von externen Apps sehr beliebt. Einige App-Anbieter ermöglichen es den Mitarbeitenden in Form von Prämien- bzw. Gutscheinen auf ihren Lohn frühzeitig zurückzugreifen. Bei der Frage, ob ein Unternehmen neben oder alternativ zu einer früheren Auszahlung des Gehalts ebenfalls entsprechende Leistungen anbieten möchte, ist der Betriebsrat nicht zu beteiligen. Diese Entscheidung obliegt allein dem Arbeitgeber. Zwingend mitbestimmungspflichtig gem. § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG dürften allerdings die Konditionen des Sachleistungs- bzw. des Gutscheinsystems sein. In der Praxis dürfte der Verhandlungsspielraum jedoch durch die Vorgaben des jeweiligen Appanbieters durchaus begrenzt sein. Hauptgegenstand und Diskussionsschwerpunkt der Vereinbarung mit dem Betriebsrat dürfte deshalb meist die Auswahl des passenden Anbieters für den Betrieb darstellen. Anders wäre dies nur, sofern sich der Arbeitgeber für die Implementierung von Flexible Pay mittels eines internen Gutscheinsystems entscheidet. Dies erscheint in der Umsetzung jedoch (jedenfalls für die meisten Unternehmen) wenig praktikabel.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Besteht ein Betriebsrat, ist dieser bei Fragen des „ob“ und des „wie“ der Einführung von Flexible Pay-Lösungen unbedingt einzubinden. Ist die Einführung eines „eigenen“ Auszahlungssystems beabsichtigt, sind die einzelnen Modalitäten mit dem Betriebsrat abzustimmen. Entscheiden sich die Parteien für die Zusammenarbeit mit einem Anbieter für Flexible Pay Lösungen, wird sich die Vereinbarung in der Praxis meist in der Auswahl des konkreten Anbieters und seines Produkts erschöpfen. 

Flexible Pay als Mittel zur Mitarbeiterbindung 

Insbesondere in Zeiten von Arbeitskräftemangel ist es förderlich, sich durch Zusatzangebote von anderen Arbeitgebern abzuheben. Hierbei kann sich das Einführen von Flexible Pay sicherlich positiv auf die Mitarbeitsgewinnung sowie die Bindung von Bestandsmitarbeitern auswirken. 

Für die effektive Nutzung von Flexible Pay-Systemen bietet sich der Rückgriff auf digitale Hilfsmittel an. Ohne eine digitale Umsetzung, wie eine Website oder designierte App, ist das System kaum praktikabel, da es im Zweifel mit viel Verwaltungsaufwand für die Personalabteilung verbunden wäre. Eine Inhouse-Variante eignet sich meist nur für große Unternehmen, die Prozesse für sich bündeln können. 

Im Vergleich zum englischsprachigen Raum erschöpft sich der deutsche Markt derzeit noch in einigen wenigen Anbietern für Flexible Pay-Lösungen. Angesichts der zunehmenden Attraktivität von „New Pay“ Methoden und einer stetig wachsenden Erwartungshaltung der Arbeitnehmer in Bezug auf flexible und digitale Angebote seitens ihrer Arbeitgeber ist aber davon auszugehen, dass hier in Zukunft mit einem breiteren Angebot zu rechnen ist. 

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitsrecht Flexible Pay Mitbestimmung Sozialversicherung