Muss sich der Auftraggeber über den Umfang der Tätigkeit der durch seine Subunternehmer eingesetzten Arbeitnehmer informieren – oder kann er diese mit Nichtwissen bestreiten?
Nach §§ 13 MiLoG, 14 S.1 AEntG haftet ein Unternehmer dafür, dass ein von ihm beauftragter Subunternehmer seinen Arbeitnehmern den Mindestlohn zahlt (sog. Bürgenhaftung). Gleiches gilt wiederum für von diesem beauftragte Subunternehmer (sog. Kettenhaftung).
Unklar war bislang, ob der Auftraggeber die Darlegungen der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers* des Subunternehmers zu dem Arbeitsumfang und dem daraus folgenden Vergütungsanspruch mit Nichtwissen bestreiten kann, wenn er selbst hierzu keine Erkenntnismöglichkeiten hat – bzw. ob er bereits zu Beginn der Zusammenarbeit sicherstellen muss, hierzu qualifiziert Auskunft geben zu können. Mit dieser Frage hat sich nun das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein im Verfahren 1 Sa 386/18 auseinandergesetzt.
Hintergrund: Arbeitnehmer eines Subsubunternehmers beansprucht Arbeitsvergütung vom Generalunternehmer
Die Parteien streiten im konkreten Berufungsverfahren darüber, ob die Beklagte zu 2. und die 3. für etwaige Lohnansprüche des Klägers haften. Die Beklagte zu 2. war im Jahr 2017 Veranstalterin eines Festivals. Für dieses sollte die Beklagte zu 3. diverse Dienstleistungen erbringen. Hierzu beauftragte die Beklagten zu 3. die Beklagten zu 4. mit der Erbringung von Ordnungsdiensten.
Der Kläger hatte einen Arbeitsvertrag mit einem Subunternehmer der Beklagten zu 4., der die Erbringung von Tätigkeiten als Veranstaltungshelfer auf dem Festival zum Gegenstand hatte.
Über das Vermögen des Arbeitgebers des Klägers wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Beklagte zu 4. war untergetaucht. Der Kläger forderte daher seine Vergütung (in Höhe des Mindestlohns) von der Beklagten zu 2. und zu 3. (gemäß §§ 13 MiLoG, 14 AEntG). Beide bestritten mit Nichtwissen, ob, für wen und in welchem zeitlichen Umfang der Kläger auf dem Festival tätig gewesen sei. Weiter bestritten die Beklagten zu 2. und zu 3., dass der Arbeitgeber des Klägers ihr Nachunternehmer gewesen sei.
Grundsätze des Bestreitens mit Nichtwissen
Grundsätzlich ist ein Bestreiten mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO nur zu solchen Tatsachenbehauptungen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind und die diese auch nicht durch angemessene Nachforschungen ermitteln kann.
Verlangt der Arbeitnehmer gemäß § 611 BGB Arbeitsvergütung, hat er konkret darzulegen, dass und in welchem Umfang er wann welche Arbeit verrichtet hat. Im Wege gestufter Darlegungslast hat der Arbeitgeber dann auf den Vortrag des Arbeitnehmers zu Zeitpunkt und Umfang der Arbeitsleistung substantiiert zu erwidern. Er muss im Einzelnen vortragen, welche Tätigkeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat bzw. aufgrund welcher Tatsachen die Behauptungen des Arbeitnehmers nicht zutreffend sind.
Es reicht also grundsätzlich nicht aus, dass der Arbeitgeber behauptet, er wisse nichts davon, dass der Arbeitnehmer in dem geltend gemachten Umfang gearbeitet habe. Beschränkt sich der Arbeitgeber schlicht darauf, er wisse es nicht besser, gilt der vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsumfang als zugestanden (BAG, Urteil vom 18. April 2012 – 5 AZR 248/11). Eine Beweiserhebung muss dann nicht mehr erfolgen.
Besonderheit: Erkenntnismöglichkeiten des Generalunternehmers und Erkundigungspflicht
Im vorliegenden Fall ist die Situation für den Auftraggeber aber etwas anders als in der üblichen Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber um Vergütung. Denn hier wird der Auftraggeber in Anspruch genommen, der seinerseits einen Subunternehmer beauftragt hat, der wiederum den Arbeitgeber des Arbeitnehmers beauftragt hat.
Zwar hat das Bundesarbeitsgericht bereits entschieden, dass die Grundsätze der Erklärungspflicht des Auftraggebers bei einer Inanspruchnahme aus der Bürgenhaftung grundsätzlich anzuwenden sind (BAG, Urteil vom 17. August 2011 – 5 AZR 490/10). Das heißt, der Auftraggeber kann sich nicht schlicht auf das Bestreiten mit Nichtwissen beschränken, weil es um das Arbeitsverhältnis des Subunternehmers mit seinem Arbeitnehmer geht. Vielmehr werden auch Vorgänge im eigenen Geschäfts-/ oder Verantwortungsbereich den eigenen Handlungen oder Wahrnehmungen im Sinne von § 138 Abs. 4 ZPO gleichgestellt. Der Auftraggeber kann sich also nicht durch bloße arbeitsteilige Organisation seiner prozessualen (qualifizierten) Erklärungspflicht entziehen. Er muss innerhalb seines eigenen Organisationsbereichs Erkundigungen anstellen, um konkret zu den geltend gemachten Forderungen erwidern zu können.
Ein Bestreiten mit Nichtwissen bleibt nur dort möglich, wo gerade keine arbeitsteilige Zusammenarbeit des Auftraggebers mit dem Nachunternehmer erfolgt und es damit am eigenen Organisations- und Verantwortungsbereich des Auftraggebers fehlt. Die Auftragserteilung alleine führt noch nicht zu einer Erklärungspflicht des Auftraggebers. Er bleibt aber verpflichtet, im Fall der Geltendmachung von Entgeltansprüchen durch Arbeitnehmer des Subunternehmers Erkundigungen einzuholen.
LAG: Erkundigungspflicht des Auftraggebers erst, wenn Haftungsinanspruchnahme erfolgt
Nach Auffassung des LAG kann die Erkundigungspflicht des Auftraggebers jedoch erst einsetzen, wenn er selbst von dem Arbeitnehmer des Subunternehmers in Anspruch genommen wird. Vorher habe der Auftraggeber nach den Ausführungen des Berufungsgerichts keinen Anlass, etwaige Erkundigungen zum Zeitpunkt und Umfang der Arbeitsleistung einzelner Arbeitnehmer einzuziehen.
Aus Sicht des Berufungsgerichts kann die Organisationspflicht des Veranstalters nicht so weit gezogen werden, dass er für jeden einzelnen von seinen Nachunternehmern eingesetzten Arbeitnehmer bereits im Voraus alle etwaigen Daten für eine etwaige Inanspruchnahmen nach dem AEntG erheben muss. Jedenfalls führt das LAG dies für den vorliegenden Fall eines Festivalveranstalters mit ca. 1.000 Arbeitnehmern verschiedener Nachunternehmer aus.
Die Erkundigungspflicht ende in jedem Fall, wenn dem Auftraggeber eine Erkundigung objektiv nicht (mehr) möglich sei, etwa weil – wie hier – der Nachunternehmer nicht mehr greifbar ist.
BAG: Weitergehende (vorbeugende) Erkundigungspflichten im Baugewerbe
Ausdrücklich aber weist das LAG darauf hin, dass andere Maßstäbe zur Erkundigungspflicht auf einer Baustelle gelten können. Hierzu hatte das BAG (Urteil vom 17. August 2011 – 5 AZR 490/10) bereits entschieden, dass vom Generalunternehmer im Baugewerbe erwartet werden könne, dass dieser bereits losgelöst von einer konkreten Inanspruchnahme durch Arbeitnehmer des Subunternehmers Erkundigungen zu Zeit und Umfang der Tätigkeiten der auf der Baustelle eingesetzten Arbeitnehmer einholt – also konkret sicherstellt, dass die Subunternehmer den eigenen Verpflichtungen gegenüber ihren Arbeitnehmern nachkommen.
Für die Baubranche werden also weiterhin strengere Maßstäbe angesetzt als in anderen Branchen.
Freie Beweiswürdigung der Kammer: Haftung aufgrund des AEntG auch für Arbeitszeit außerhalb des ArbZG
Im Ergebnis hat das LAG die vom Kläger geltend gemachten Stunden vollständig zugestanden, da diese nach Würdigung durch die Kammer konkretisiert und durch den Kläger in der Parteivernehmung glaubhaft dargelegt worden waren. Zudem waren die vom Kläger vorgelegten Stundenzettel von dem zuständigen Schichtleiter abgezeichnet worden.
Auch das Vorliegen der Unternehmerkette, d.h. der Beauftragung des Arbeitgebers des Klägers über die Beklagte zu 2., 3. und 4. wurde bejaht und stand nach Überzeugung des Gerichts nach erfolgter Beweisaufnahme fest. Entsprechend wurden die Beklagten als Auftraggeber für die Zahlung des Nettobetrags des Mindestentgelts an den Arbeitnehmer verurteilt.
Die Zahlungspflicht erstreckte sich auf die Vergütung für Arbeitsleistung, die der Kläger unter Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz erbracht hatte. Denn der Generalunternehmer soll durch die gesetzliche Bürgenhaftung auch dazu veranlasst werden, darauf zu achten, dass seine Sub- und Nachunternehmer die nach dem AEntG zwingenden Arbeitsbedingungen einhalten.
Fazit: Haftung für Entgeltansprüche auch in Beauftragungskette möglich, Bestreiten mit Nichtwissen zu Tätigkeitsumfang nur im Fall fehlender Erkenntnismöglichkeit
Auftraggeber aller Branchen sind aufgrund der Bürgenhaftung gut beraten dafür Sorge zu tragen, dass die eingesetzten Subunternehmer ihre Arbeitnehmer korrekt entlohnen. Der vorliegende Fall zeigt auch, dass der Auftraggeber sicherstellen muss, dass der von ihm beauftragte Subunternehmer entweder den Auftrag selbst erfüllt, oder selber wiederum bei der Beauftragung von Subunternehmern für die Einhaltung der Arbeitsbedingungen sorgt. Denn der (Haupt)Auftraggeber haftet auch für die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer in der „Beauftragungskette“. Entsprechend sollte der Auftraggeber auch die Einhaltung der Mindestbedingungen durch seine Subsubunternehmer sicherstellen.
Strengere Maßstäbe gelten weiterhin im Baugewerbe. Hier wird es nicht ausreichen, Erkundigungen bei Subunternehmern erst dann einzuholen, wenn bereits Ansprüche durch dessen Arbeitnehmer geltend gemacht werden. Vielmehr sollten Auftraggeber durch organisatorische Maßnahmen und Kontrollen sicherstellen, dass ihre Vertragspartner und die von diesen eingesetzte Subunternehmer die (Mindest)Arbeitsbedingungen einhalten.
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.