Die mindestlohnfreie Dauer eines Orientierungspraktikums von drei Monaten kann in mehrere Zeitabschnitte aufgeteilt werden, wenn die Parteien dies vereinbart haben.
Praktikanten, die ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten, haben keinen Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns (22 Abs, 1 S. 2 Hs. 2 Nr. 2 MiloG).
Wie aber ist der Praktikant vom Arbeitnehmer abzugrenzen? Wann liegt ein Orientierungspraktikum vor und wie ist die Dreimonatsgrenze zu bestimmen, wenn der Praktikant „Urlaub vom Praktikum″ nimmt? Mit diesen Fragen hat sich das LAG Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 25. Oktober 2017 (Az.: 7 Sa 995/16) befasst.
Sachverhalt: Ausnutzung als unbezahlte Arbeitskraft?
In der Zeit vom 06. Oktober 2015 bis zum 25. Januar 2016 war die Klägerin – mit zeitlicher Unterbrechung – bei der Beklagten tätig. Nach der Vereinbarung der Parteien sollte es sich bei der Tätigkeit der Klägerin für die Beklagte um ein Praktikum handeln. Das Praktikum sollte beiden Seiten dazu dienen, zu prüfen, ob eine Ausbildung der Klägerin in Betracht kommt. Zeitlich unterbrochen wurde die Tätigkeit der Klägerin durch einen Familienurlaub. Diesen trat die Klägerin in der Zeit vom 20. Dezember 2015 bis zum 25. Januar 2016 an. Bereits vor Beginn des Praktikums hatten sich die Klägerin und die Beklagte darauf verständigt, dass die Klägerin wegen des bereits gebuchten Familienurlaubs abwesend sein werde.
Streitig ist, in welchem Umfang die Klägerin für die Beklagte tätig war. Die Klägerin behauptet, sie habe sich an feste Arbeitszeiten halten müssen und habe an sechs Tagen der Woche durchschnittlich 10 Stunden pro Tag für die Beklagte gearbeitet. Eine Vergütung für ihre Tätigkeit hat die Klägerin von der Beklagten unstreitig nicht erhalten.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin Vergütung auf Basis des gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von (damals) EUR 8,84 pro Arbeitsstunde geltend. Die Beklagte habe sie vollständig als Arbeitskraft genutzt. Sie sei daher als Arbeitnehmerin einzuordnen und könne den gesetzlichen Mindestlohn beanspruchen. Aber selbst dann, wenn das Gericht ihre Tätigkeit als Praktikum qualifizieren sollte, habe sie einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Die Drei-Monats-Grenze des 22 Abs, 1 S. 2 Hs. 2 Nr. 2 MiloG sei überschritten worden. Die Zeit ihrer Urlaubsabwesenheit sei als Praktikumszeit zu berücksichtigen.
Das LAG Düsseldorf hat (anders als das Arbeitsgericht Mönchengladbach in erster Instanz) die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Zahlung von Mindestlohn gegen die Beklagten zu. Sie unterfalle dem Geltungsbereich des Mindestlohngesetzes weder als Arbeitnehmerin noch als Praktikantin.
Klägerin keine Arbeitnehmerin, sondern Praktikantin
Zunächst setzt sich das LAG Düsseldorf mit der Frage auseinander, ob die Klägerin als Arbeitnehmerin oder als Praktikantin für die Beklagte tätig geworden ist.
Hierzu führt das LAG Düsseldorf aus, dass es sich bei Praktikanten- und Arbeitsverhältnissen um unterschiedliche, sich gegenseitig ausschließende Vertragsverhältnisse handele. Arbeitnehmer sei, wer durch den Arbeitsvertrag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Praktikant sei demgegenüber, wer sich für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen eine bestimmte betriebliche Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit ausübt, § 22 Abs. 1 S. 3 MiLoG. Für die Einordnung als Praktikum müsse demnach der Kenntniserwerb im Vordergrund stehen. Rechtsverhältnisse, die demgegenüber nicht zur Weiterqualifizierung dienen, sondern zur Erledigung laufend anfallender Arbeiten geschlossen werden, seien Arbeitsverhältnisse.
Nach diesen Maßstäben kommt das LAG Düsseldorf zu dem Ergebnis, dass die Klägerin als Praktikantin und nicht als Arbeitnehmerin tätig gewesen sei. Bei ihrer Tätigkeit habe der Kenntniserwerb im Vordergrund gestanden. Die Klägerin habe nicht nur einfache, laufend anfallende „Hilfstätigkeiten“ übernommen, sondern sei mit zunehmender Dauer an verantwortungsvollere Aufgaben herangeführt worden. Ihr sei zudem die Möglichkeit gegeben worden, ihre Fähigkeiten zu verbessern. Die tatsächlichen Umstände der Vertragsdurchführung würden – so das LAG Düsseldorf – demnach für ein Praktikum sprechen.
Eine andere Beurteilung folge auch nicht aus dem klägerischen Vortrag, dass sie sich an feste Arbeitszeiten habe halten müssen. Eine – auch arbeitszeitmäßige – Eingliederung in den Betrieb sei für einen Praktikanten gerade erforderlich, um ihm einen möglichst realitätsgetreuen Einblick in ein bestimmtes Berufsfeld zu erlangen. Die Eingliederung als solche könne daher nicht die Annahme rechtfertigen, die Klägerin sei als Arbeitnehmerin für die Beklagte tätig gewesen.
Praktikum: Kenntniserwerb und Berufsorientierung
Nach dem LAG Düsseldorf diente das Praktikum auch der Berufsorientierung. Hiervon sei dann auszugehen, wenn das Praktikum zeitlich vor der Aufnahme der darauf bezogenen Berufsausbildung bzw. der Studiumsaufnahme liege.
Diese Voraussetzungen seien vorliegend gegeben. Nach der Vereinbarung der Parteien sollte es sich um ein Praktikum handeln, um für beide Seiten zu prüfen, ob eine Ausbildung der Klägerin bei der Beklagten in Betracht kommt. Auch habe die Klägerin tatsächlich noch keine Ausbildung auf dem Tätigkeitsgebiet abgeschlossen. Unerheblich sei, dass die Klägerin bereits Erfahrungen in dem Berufsfeld der Beklagten gesammelt habe. Praktische Erfahrungen seien einer Berufsausbildung nicht gleichzusetzen.
Keine Überschreitung der Dreimonatsgrenze auf Grund von „Urlaubsgewährung“
Nach dem LAG Düsseldorf habe das Praktikum auch die zulässige Dauer von drei Monaten nicht überschritten. Es sei vielmehr in vereinbarten Zeitabschnitten, die insgesamt die Dauer von drei Monaten nicht überschritten haben, „geleistet″ worden. Insoweit geht das LAG Düsseldorf davon aus, dass nur die Zeiten, in denen die Klägerin tatsächlich für die Beklagte tätig war, als Praktikumszeiten zu qualifizieren sind. Nicht als Praktikumszeit zu bewerten ist hingegen die Zeit der Urlaubsabwesenheit.
Zur Begründung verweist das LAG Düsseldorf auf den Gesetzeswortlaut und den Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift des § 22 Abs, 1 S. 2 Nr. 2 MiloG. Der Gesetzeswortlaut „ein Praktikum (…) leisten″ impliziere, dass der Gesetzgeber nur ein tatsächliches Tätigsein erfasst haben wollte. Hätte der Gesetzgeber auf den ununterbrochenen Bestand des Praktikumsverhältnisses abstellen wollen, hätte er eine Formulierung wie in § 1 Abs. 1 KSchG verwendet. Dort ist hinsichtlich der Wartezeit vor Beginn des Kündigungsschutzes formuliert „(…) dessen Arbeitsverhältnis ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat″.
Auch der Sinn und Zweck der Bestimmung gebiete es nicht, zeitliche Unterbrechungen der Praktikumszeit in die Berechnung der Drei-Monats-Grenze einfließen zu lassen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Aufteilung der Praktikumszeit im Interesse des Praktikanten liegt und die Parteien die Aufteilung des Praktikums in zeitliche Abschnitte vereinbart haben. Ziel des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 MiloG sei es, den Missbrauch des sinnvollen Instruments des Praktikums einzuschränken. Es könne aber nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden, wenn der Praktikant auf eigenen Wunsch das Praktikum in Zeitabschnitten leistet und diese sich über mehr als drei Monate verteilen.
Nach dieser Maßgabe sei die Drei-Monats-Grenze vorliegend nicht überschritten worden. Die Klägerin habe mit dem Beklagten im eigenen Interesse vor Beginn des Praktikums vereinbart, dass das Praktikum auf Grund ihrer Urlaubsabwesenheit zeitlich unterbrochen und nach ihrer Rückkehr fortgesetzt werden soll. Die Zeiten der Urlaubsabwesenheit seien daher nicht als Praktikumszeit zu qualifizieren.
Nach Auffassung des LAG Düsseldorf hat die Klägerin demnach ein Orientierungspraktikum im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 MiloG geleistet. Die Zahlung von Mindestlohn kann sie folglich nicht beanspruchen. Die Klägerin hat gegen das Urteil des LAG Düsseldorf Revision eingelegt. Es bleibt abzuwarten wie sich das BAG zu den aufgeworfenen Rechtsfragen positionieren wird.
Praktikant oder Arbeitnehmer: Handlungsleitfaden für den Arbeitgeber
Arbeitgeber, die ein Orientierungspraktikum mindestlohnfrei ausgestalten wollen, sollten zusammenfassend auf folgende Gesichtspunkte achten:
Der Praktikant darf noch keine Ausbildung bzw. noch kein Studium in dem Tätigkeitsgebiet abgeschlossen haben. Nach den Ausführungen des LAG Düsseldorf ist es empfehlenswert vertraglich niederzulegen, dass das Praktikum der Orientierung bzw. Entschließung des Praktikanten im Hinblick auf die von ihm beabsichtigte Aufnahme einer Berufsausbildung oder eines Studiums dient.
Wenn der Praktikant zwischenzeitlich z.B. urlaubsabwesend und deswegen eine zeitliche Aufteilung des Praktikums beabsichtigt ist, sollte die Unterbrechung des Praktikums bereits vor Beginn des Praktikums abgesprochen und schriftlich vereinbart werden.
Ein als „Orientierungspraktikum″ bezeichnetes Vertragsverhältnis ist schließlich nur dann mindestlohnfrei, wenn es sich nach dem tatsächlichen Geschäftsinhalt um ein Praktikums- und nicht um Arbeitsverhältnis handelt. Die Einordnung des Rechtsverhältnisses ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig.
Folgende Fragestellung kann dem Arbeitgeber die Abgrenzung der beiden Rechtsverhältnisse aber erleichtern: Wird der Praktikant eingesetzt, damit er sich ein Bild von der angestrebten beruflichen Tätigkeit machen kann (dann Praktikum) oder liegt seine Hauptaufgabe im Betrieb darin, einen ansonsten fehlenden Arbeitnehmer zu ersetzen (dann Arbeitsverhältnis)?