26. Juli 2011
Das haben wir uns verdient
Arbeitsrecht Europarecht

Mir geht es schon besser, ich bin dann mal weg…

Vor rund zweieinhalb Jahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der „Schultz-Hoff-Entscheidung″ vom 20.01.2009 (Az.: C-520/06) entschieden, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub auch bei langandauernder Erkrankung nicht verfällt – der Arbeitnehmer behält den Urlaubsanspruch, bis er wieder gesund ist. Dauert die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit mehrere Jahre, sammelt er den Urlaub über diese Jahre hinweg an. Endet das Arbeitsverhältnis, bevor er den Urlaub nehmen konnte, kann er vom Arbeitgeber eine Auszahlung des Urlaubs verlangen („Urlaubsabgeltung″).

Damit trat der EuGH der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entgegen, wonach  der Urlaubs- oder Urlaubsabgeltungsanspruch erlischt, wenn der Urlaubsanspruch aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zum 31.3. des dem Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres nicht genommen wird.

Bereits mit Urteil vom 24.03.2009 (Az.: 9 AZR 983/07) hat das BAG seine Rechtsprechung in der Folge der EuGH-Entscheidung geändert und angenommen, dass Ansprüche auf Urlaub oder Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig erkrankt ist. Diese Rechtsprechung gelte auch für Altfälle. Konsequenz war, dass Arbeitgeber damit rechnen mussten, Urlaubsansprüche rückwirkend ab 1996 abgelten zu müssen, falls Arbeitnehmer seit diesem Jahr erkrankt waren.

Dass dem Arbeitgeber damit einseitig die wirtschaftlichen Risiken einer Erkrankung übertragen werden, kann nicht überzeugen. Denn mit dem gesetzlichen Urlaub soll eine bezahlte Erholung des Mitarbeiters von der Belastung seiner Arbeit bewirkt werden. Dieser Zweck rechtfertigt auch, dass er nicht ohne weiteres verfällt, wenn er wegen Krankheit noch nicht genommen werden kann. Allerdings erscheint es geboten, eine Begrenzung des Zeitraums vorzunehmen, für den bei längerer Krankheit noch eine Übertragung erfolgt. Denn der Zweck – die Erholung des Mitarbeiters – macht keine uferlose Verlängerung des Urlaubs bei längerer Krankheit erforderlich. 

Diesem Gedanken einer Begrenzung der arbeitgeberseitigen Lasten trägt eine Vorlage des LAG Hamm Rechnung, über die der EuGH jetzt entscheiden muss. In dem Verfahren (Az.: C-214/10) klagt ein Arbeitnehmer (Winfried Schulte) auf finanzielle Abgeltung seines krankheitsbedingt nicht genommenen Urlaubs, nachdem sein Arbeitsverhältnis noch vor Inanspruchnahme des Urlaubs beendet wurde. In ihren Schlussanträgen vom 07.07.2011 hat die Generalanwältin Verica Trstenjak insoweit erfreulicherweise ausgeführt, dass das Unionsrecht keine unbegrenzte Ansammlung von Ansprüchen auf Urlaubsabgeltung gebiete. In Übereinstimmung mit den Grundsätzen aus der „Schultz-Hoff-Entscheidung″ bestätigt sie zwar noch einmal die Bedeutung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, geregelt in Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG. Entscheidend für die Interpretation der gesetzlichen Regelungen in Deutschland ist aber die Annahme der Generalanwältin, dass die Mitgliedstaaten gerade bei mehrjährigen Fehlzeiten eine zeitliche Begrenzung des Abgeltungsanspruchs vorsehen könnten, sofern ein angemessener Übertragungszeitraum bemessen werde. 

Nun bleibt abzuwarten, ob der EuGH – was wünschenswert wäre – gemäß den Schlussanträgen der Generalanwältin vom 07.06.2011 entscheidet. Nimmt auch der EuGH die Berechtigung zu einer solchen Begrenzung an, muss nicht nur das BAG seine Rechtsprechungsänderung überprüfen. Denn in diesem Fall ist es europarechtlich nicht mehr geboten, den Anspruch auf Urlaub und Urlaubsabgeltung ohne zeitliche Schranke von dem Verfall nach § 7 Abs. 3, 4 BUrlG auszunehmen. Vielmehr wäre es denkbar, die Übertragung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit in Übereinstimmung mit dem LAG Hamm auf die letzten 18 Monate zu begrenzen. Unabhängig davon könnte der Gesetzgeber festlegen, dass eine Übertragung auf die letzten 18 Monate begrenzt wird, wenn der Urlaub bis zum 31.3. des Folgejahres wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht genommen wird.

Daher ist zu wünschen, dass der EuGH eine schnelle Entscheidung trifft. So oder so trägt dies zur Rechtssicherheit bei. Schränkt er den Übertragungszweitraum ein, bleiben BAG und Gesetzgeber aufgefordert, die notwendige Einschränkung der Arbeitgeberlasten zu gewährleisten. Eine gegenteilige Interpretation des geltenden Rechts wäre dann jedenfalls aus europarechtlichen Gründen nicht mehr geboten.

Tags: C-214/10 EuGH Krankheit Schultz-Hoff Urlaubsabgeltung Urlaubsanspruch Verfall