21. November 2017
Überwachung Belastungsstatistik
Arbeitsrecht

Unzulässige technische Überwachung durch eine „Belastungsstatistik″

BAG: Eine Statistik, die die einzelnen Arbeitsschritte erfasst, speichert und auswertet, kann eine unzulässige technische Überwachungseinrichtung darstellen.

Das BAG hat zur Überwachung durch eine Belastungsstatistik entschieden (Beschluss vom 25. April 2017 – 1 ABR 46/15), dass die Nutzung einer solchen Software auch dann unzulässig ist, wenn darüber eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde.

Selbst wenn ein Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers durch eine Betriebsvereinbarung grundsätzlich möglich ist, muss dieser Eingriff durch überwiegend schutzwürdige Belange des Arbeitgebers gedeckt sein und sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen.

Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG

IT-Applikationen, die dazu geeignet sind, die Leistung des Arbeitnehmers zu überwachen, unterliegen grundsätzlich der Mitbestimmung des Betriebsrats. Dafür müssen die verarbeiteten Daten allerdings zumindest für eine gewisse Dauer verfügbar bleiben und vom Arbeitgeber herangezogen werden können (BAG, Beschluss v. 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15). Dazu muss die IT-Applikation aufgrund ihrer technischen Natur unmittelbar, also wenigstens in ihrem Kern, die Überwachung selbst vornehmen.

Die Daten des zugrunde liegenden Falles erfassten unter anderem die Anzahl der bearbeiteten Schadensfälle, die Anzahl und Dauer von Kundengesprächen und die unerledigten Rückstände. Anschließend fand eine automatische Beurteilung der Daten (Vergleich der Verhaltens-/ Leistungsaussage mit dem Gruppendurchschnitt) statt. Unstrittig unterfällt daher die Einführung der Software § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Wegen des betriebsübergreifenden Einsatzes der IT-Applikation an allen Standorten des Arbeitgebers ist der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Nicht eröffnet ist hingegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Gesundheitsschutz), da es an der Feststellung konkreter Gefährdungen, die ggfs. im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festzustellen sind, fehlt (BAG, Beschluss vom 28. März 2017 – 1 ABR 25/15).

Grenzen der Zulässigkeit einer Betriebsvereinbarung

Die Betriebspartner sind verpflichtet, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen, § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird lediglich in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert und kann grundsätzlich durch eine Betriebsvereinbarung als sonstige Vorschrift eingeschränkt werden. Bei deren Wirksamkeit kommt es aber im Wesentlichen auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme an. Verhältnismäßig ist eine Maßnahme, wenn sie zur Erreichung des legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.

Legitimer Zweck

Grundsätzlich handelt es sich um ein legitimes Anliegen eines Arbeitgebers, unterschiedliche Belastungssituationen der Arbeitnehmer und deren Ursachen in Erfahrung zu bringen, um eine sachgerechte Arbeitsverteilung zu ermöglichen und die Effizienz der Arbeitsorganisation zu verbessern.

Geeignetheit

Das BAG hat bereits hinsichtlich der Geeignetheit der Maßnahme, also der Möglichkeit den Zweck zumindest zu fördern, Bedenken. Bei einer erheblichen Abweichung des Ist- vom Soll-Zustand findet ein Personalgespräch mit dem betroffenen Sachbearbeiter statt. In der Belastungsstatistik werden allerdings entscheidende Kriterien wie die Komplexität des zu beurteilenden Einzelfalles oder die Qualität des Arbeitsergebnisses nicht berücksichtigt.

Erforderlichkeit

Das BAG hat im vorliegenden Fall ausgeführt, dass mildere Mittel wie die Einführung einer Stichprobenanalyse ausgereicht hätten, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Eine umfassende Überwachung der Leistung sei hingegen nicht notwendig um dem an sich legitimen Zweck, die Belastungssituation festzustellen, zu genügen.

Angemessenheit

Jedenfalls sind die Regelungen der Gesamtbetriebsvereinbarung unverhältnismäßig im engeren Sinne, so das BAG. Eine Regelung ist unverhältnismäßig im engeren Sinne, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Güterabwägung außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (BAG, Urteil vom 15. April 2014 – 1 ABR 2/13).

Durch die IT-Applikation wird eine lückenlose, dauerhafte sowie sehr detaillierte automatisierte Erfassung der einzelnen Arbeitsschritte der Sachbearbeiter vorgenommen. Das Arbeitsverhalten und die Arbeitsleistung jedes einzelnen Sachbearbeiters unterliegen damit durch die Vorgabe von Kennzahlen einer umfassenden Kontrolle in quantitativer Hinsicht. Diese Art der Leistungskontrolle erzeugt bei den Mitarbeitern einen schwerwiegenden dauerhaften Anpassungsdruck. Dieser wird noch verstärkt, indem es keinen festen Wert gibt, anhand dessen der einzelne Arbeitnehmer erkennen kann, ob er nun im Soll ist oder nicht.

Keine ausreichende Einschränkung des Datenflusses

Die IT-Applikation sah vor, dass lediglich der jeweilige Arbeitnehmer und sein unmittelbarer Vorgesetzter Zugriff auf die Daten haben. Ferner sollten die Bewegungsdaten innerhalb der Vergleichsgruppe anonymisiert bleiben, um dem Grundsatz der Datensparsamkeit zu genügen. Lediglich im Falle einer erheblichen Abweichung des Ist- vom Sollwert sollte der Vorgesetzte per automatisierter E-Mail auf den Vorgang hingewiesen werden.

Diese Einschränkungen der Einigungsstelle reichten dem BAG nicht. Nach wie vor sei ein Rückschluss auf die Leistung jedes einzelnen Arbeitnehmers möglich gewesen und alle Arbeitnehmer, unabhängig davon, ob ihre Belastung und ihre Leistung der Vorgaben entsprechen, seien einer umfassenden Überwachung ausgesetzt.

Übersicht: Aktuelle Rechtsprechung zur Überwachung von Arbeitnehmern

Das BAG hat schon häufig zur Videoüberwachung (zuletzt mit Urteil vom 22. September 2016 – 2 AZR 848/15) und zum Einsatz von Keyloggern (Urteil vom 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16) entschieden, dass ein in der Intensität vergleichbarer massiver Grundrechtseingriff wie die hier vorgenommene Rundumüberwachung nur zulässig sei, wenn kein milderes Mittel ersichtlich sei.

Selbst wenn ein konkreter Verdacht der unterdurchschnittlichen Arbeitsleistung vorgelegen hätte, wäre als milderes Mittel eine Auswertung der E-Mails oder die Auswertung der Arbeitsergebnisse im Beisein des Arbeitnehmers in Frage gekommen. Der Einsatz einer Belastungsstatistik ist, ebenso wie der Einsatz eines Keyloggers, in seltenen Fällen erforderlich.

Was Arbeitgeber tun können, um Arbeitnehmer im Rahmen des rechtlich Möglichen zu überwachen

Selbst wenn der Betriebsrat mitzieht, müssen sich Arbeitgeber nach dieser Entscheidung damit zufrieden geben, dass nur sowohl zeitlich als auch örtlich begrenzte und stichprobenartig durchgeführte Überwachungen möglich sind. Eine nahtlose Überwachung und damit einhergehende Leistungskontrolle wird bei der Heranziehung der Grundsätze des BAG in aller Regel auch dann nicht zulässig sein, wenn der Arbeitgeber tatsächlich nur an der Überprüfung der Arbeitsbelastung interessiert ist.

Geht es alleine um die Überprüfung der durchschnittlichen Arbeitsbelastung und die Prozessoptimierung, könnten Arbeitgeber durch Anonymisierung der Daten dafür sorgen, den Rückschluss auf die Person der Arbeitnehmer auszuschließen. Stellt der Arbeitgeber dann eine wesentliche Abweichung einzelner Zielgruppen (z.B. eines Standortes) fest, kann er immer noch eine zeitlich befristete, lokale anlassbezogene Überprüfung in Erwägung ziehen. Dieses Vorgehen sollte in der Regel ausreichen, um die Mehrzahl der in Frage kommenden Überwachungsziele zu erreichen.

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