7. August 2023
Whistleblowing zentrale Meldestelle
Arbeitsrecht

Whistleblowing: Zulässigkeit der zentralen Meldestelle

Bei der Einrichtung interner Meldestellen streben viele Unternehmen eine konzernweite Lösung an. Dies ist zulässig, aber nicht ohne Risiko.

Am 2. Juli 2023 ist das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) in Kraft getreten, mit welchem der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie (EU) 2019/1937 (Hinweisgeberrichtlinie) umsetzt. Das HinSchG sieht insbesondere die Einrichtung von Meldestellen vor. Während die externen Meldestellen im Sinne der §§ 19 ff. HinSchG bei Bund und Ländern eingerichtet werden, trifft viele Arbeitgeber* die Pflicht zur Einrichtung einer internen Meldestelle ((§§ 12 ff. HinSchG) unmittelbar und erfordert ein aktives Tätigwerden. Aus Gründen der Effizienz beabsichtigen Konzerne dabei häufig, einheitliche Lösungen zu implementieren. Mitunter wollen sie dabei auch bereits bestehende und zentralisierte Meldestellen weiterhin nutzen. Diesbezüglich eröffnet das HinSchG Möglichkeiten, die allerdings nicht ohne Risiko sind. 

Einrichtung interner Meldestellen: Auf die Unternehmensgröße kommt es an

Das Erfordernis zur Einrichtung interner Meldestellen trifft alle Unternehmen, die in der Regel mindestens 50 Beschäftigte haben (§ 12 Abs. 2 HinSchG), wobei für bestimmte Unternehmen diese Pflicht auch unabhängig von ihrer Größe gilt (etwa Versicherungsunternehmen). Die Beschäftigtenanzahl bezieht sich dabei stets auf die juristische Person als Beschäftigungsgeber (vgl. § 3 Abs. 9 HinSchG). Demgegenüber kommt es nicht etwa auf den Personalbestand eines einzelnen Betriebes an. Entsprechend sind die Beschäftigtenzahlen von Betrieben desselben Arbeitgebers mit Blick auf den Schwellenwert des § 12 Abs. 2 HinSchG zusammenzuzählen.

Weitreichendes Konzernprivileg in Deutschland

Das HinSchG eröffnet Unternehmen, welche demnach zur Einrichtung einer internen Meldestelle verpflichtet sind, die Möglichkeit, einen Dritten mit den Aufgaben der internen Meldestelle zu betrauen (§ 14 Abs. 1 HinSchG). Diese Auslagerungsmöglichkeit gilt unabhängig von der Größe des Unternehmens.

Nach der Gesetzesbegründung kann „Dritter“ dabei auch eine andere Konzerngesellschaft, etwa eine Mutter-, Schwester- oder Tochtergesellschaft sein,

die auch für mehrere selbständige Unternehmen in dem Konzern tätig sein kann

(BT-Drucksache 20/3442, S. 79). Hiernach ist es Konzernunternehmen unabhängig von der Anzahl ihrer Beschäftigten möglich, eine gemeinsame interne Meldestelle bei einer Konzerngesellschaft einzurichten. Dies halten wir für zweckmäßig. Aufgrund des Wortlauts der Gesetzesbegründung ist indes davon auszugehen, dass diese Möglichkeit für bloße Unternehmensgruppen, welche keinen Konzern im Sinne von § 18 AktG bilden, nicht eröffnet ist.

Auch die Hinweisgeberrichtlinie sieht die Möglichkeit vor, bei der Entgegennahme von internen Meldungen Ressourcen zu teilen. Nach deren Art. 8 Abs. 6 soll dies allerdings nur für Arbeitgeber mit 50 bis 249 Arbeitnehmern möglich sein. Das HinSchG greift diese Erleichterung für Unternehmen mittlerer Größe lediglich in § 14 Abs. 2 HinSchG auf. Hiernach ist es privaten Beschäftigungsgebern mit in der Regel zwischen 50 und 249 Beschäftigten erlaubt, für die Entgegennahme von Meldungen eine gemeinsame Stelle einzurichten. Eine solche größenbezogene Einschränkung enthält § 14 Abs. 1 HinSchG jedoch nicht; die Möglichkeit einer Auslagerung der internen Meldestelle auf Dritte ist vielmehr größenunabhängig eröffnet. Die Einrichtung einer gemeinsamen internen Meldestelle innerhalb eines Konzerns kann nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers daher unabhängig von der Beschäftigtenanzahl auf § 14 Abs. 1 HinSchG gestützt werden.

Im Ergebnis wird dadurch ein Konzernprivileg statuiert, welches über den Inhalt der Hinweisgeberrichtlinie hinausgeht, aber zweckmäßig ist. Denn gerade in Konzernen mit einer Vielzahl an Gesellschaften und ineinander übergehender Strukturen wären Meldesysteme, welche nur das eigene Unternehmen im Blick haben, häufig zahnlose Tiger. Demgegenüber könnte eine zentrale Stelle den gesamten Konzern in den Blick nehmen, hierbei Zusammenhänge aufdecken, Abläufe einheitlich und dadurch effizient gestalten und dabei auch noch personelle Ressourcen schonen.

Vertragsverletzungsverfahren droht

Nach Auffassung der zuständigen Expertengruppe der EU-Kommission können sich zwar auch Konzerngesellschaften mit 50 bis 249 Beschäftigten Ressourcen bei der Entgegennahme von Meldungen teilen. Über diese Erleichterung für mittelgroße Unternehmen hinaus sollen aber Konzerne nicht dadurch privilegiert werden dürfen, dass lediglich ein zentraler Meldekanal eingerichtet werden kann. Daher seien nationale Gesetze, welche eben diese Möglichkeit eröffnen, nicht richtlinienkonform. Vielmehr würde ein solches Konzernprivileg das in der Richtlinie niedergelegte System der von der Beschäftigtenanzahl abhängigen Pflicht zur Einrichtung eigener interner Meldekanäle aushöhlen (vgl. S. 2 f. des Protokolls über das 5. Treffen der Expertengruppe der Europäischen Kommission zur Umsetzung der Hinweisgeberschutzrichtlinie v. 14. Juni 2021). Genau solch eine von der Beschäftigtenanzahl unabhängige Privilegierung von Konzernunternehmen eröffnet nach der Gesetzesbegründung indes § 14 Abs. 1 HinSchG.

Für die Auffassung der Kommission spricht, dass die Hinweisgeberrichtlinie lediglich in Art. 8 Abs. 6 die Möglichkeit vorsieht, bei der Entgegennahme von Meldungen Ressourcen zu teilen. Dieses Privileg steht jedoch explizit nur Unternehmen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern offen. Das Aufgreifen einer solchen größenabhängigen Erleichterung für Unternehmen kann darauf hindeuten, dass von der Richtlinie andere Privilegierungen gerade nicht gewollt sind. Dies unterstellend, würde bei richtlinienkonformer Auslegung nur Konzerngesellschaften der genannten Größe die Möglichkeit offenstehen, eine gemeinsame interne Meldestelle einzurichten.

Der Auffassung der Kommission ließe sich allerdings entgegenhalten, dass die Hinweisgeberrichtlinie ausdrücklich erlaubt, die internen Meldekanäle extern von einem Dritten bereitstellen zu lassen. Nach dem konzernrechtlichen Trennungssystem sind Konzerngesellschaften in ihrem Verhältnis zueinander „Dritte“. Gleichzeitig würde ein zentraler Meldekanal durch den ihr immanenten Erfahrungs- und Effizienzgewinn auch den von der Hinweisgeberrichtlinie verfolgten Zweck dienen, ein möglichst wirksames Hinweisgebersystem zu gewährleisten. Es ist daher fraglich, ob eine zentrale Meldestelle wirklich der Hinweisgeberrichtlinie entgegenläuft.

Angesichts der unklaren Rechtslage müssen Arbeitgeber eine Risikoabwägung treffen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die EU-Kommission gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten wird. Sollte im Zuge dessen der EuGH die Umsetzung der Hinweisgeberrichtlinie in § 14 Abs. 1 HinSchG für europarechtswidrig erachten, müssten Arbeitgeber, die von dem Konzernprivileg größenunabhängig Gebrauch gemacht haben, ggf. erneut tätig werden. Jedenfalls dann, wenn derzeit Strukturen ohnehin neu geschaffen werden müssen, wäre daher zu erwägen, lediglich die Erleichterungen des § 14 Abs. 2 HinSchG in Anspruch zu nehmen und die Zusammenarbeit von Konzerngesellschaften auf solche mit maximal 249 Beschäftigen zu beschränken.

Der Betriebsrat ist bei der Auslagerung auf Dritte außen vor

Im Rahmen der Einrichtung einer internen Meldestelle stellen sich auch Fragen der Mitbestimmung. Die Entscheidung, eine Meldestelle einzurichten, betrifft das mitbestimmungsfreie „Ob“. Gleichzeitig besteht für Unternehmen ab 50 Beschäftigten eine dahingehende gesetzliche Pflicht, weshalb § 87 BetrVG auch bereits insoweit keine Anwendung findet. Die Ausgestaltung des Meldeverfahrens, also das „Wie“, betrifft hingegen das Ordnungsverhalten im Betrieb und ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmt. Auch die personelle Besetzung der Meldestelle sowie die Einführung einer technischen Überwachung können Mitbestimmungsrechte auslösen.

Dies dürfte indes nicht für die Entscheidung des Arbeitgebers gelten, das interne Meldesystem auf einen Dritten auszulagern. Das BAG hatte seinerzeit in Bezug auf die Beschwerdestelle nach § 13 AGG entschieden, dass hinsichtlich der Frage, wo die Beschwerdestelle eingerichtet wird, kein Mitbestimmungsrecht besteht (BAG, Urteil v. 21. Juli 2009 – 1 ABR 42/08). Diese Rechtsprechung lässt sich auf die Auslagerung einer internen Meldestelle übertragen. Auch hier ist lediglich die mitbestimmungsfreie Organisation des Arbeitgebers betroffen.

Wird die interne Meldestelle zentral bei einer Konzerngesellschaft eingerichtet und ist letztere daher „Dritter“, liegt insoweit jedoch nicht nur eine mitbestimmungsfreie Auslagerung vor. Vielmehr kommen sodann auch die mitbestimmten Fragen der Ausgestaltung der Meldestelle und deren personelle Zusammensetzung zum Tragen. Aufgrund der zentralen Einrichtung der internen Meldestelle und der damit verbundenen einheitlichen Ausgestaltung der Prozesse dürfte dabei regelmäßig der Konzernbetriebsrat zuständig sein.

Europäischer Flickenteppich für grenzüberschreitend tätige Konzerne

Für Konzerne, die in mehreren EU-Mitgliedstaaten tätig sind, stellt sich zudem die Frage, wie in diesem Kontext die Einrichtung interner Meldekanäle optimal gestaltet werden kann. Aufgrund des Umstands, dass die Hinweisgeberrichtlinie Raum für unterschiedliche Interpretationen lässt, folgen die Mitgliedstaaten bei deren Umsetzung keinem einheitlichen Weg. Einige Länder wie Österreich oder Finnland verfolgen dasselbe Konzept wie der deutsche Gesetzgeber und erlauben grundsätzlich das größenunabhängige Einrichten einer zentralen Meldestelle im Konzern. Andere Länder wiederum verlangen, dass Unternehmen mit mehr als 249 Beschäftigten zwingend einen eigenen internen Meldekanal einrichten und unterhalten müssen; dies ist etwa in Tschechien und Belgien der Fall. Erschwerend hinzu kommen die ohnehin bestehenden Unterschiede bei der Arbeitnehmerbeteiligung in den jeweiligen Mitgliedstaaten. Leider hat es daher die Hinweisgeberrichtlinie nicht bewirkt, den ohnehin schon bestehenden europäischen Flickenteppich zu verkleinern – stattdessen hat sie so manchen Knoten neu hinzugefügt.

Auf die Notwendigkeit der Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen bei der Weitergabe von Arbeitnehmerdaten sei hingewiesen; diese sind jedoch nicht Gegenstand dieses Blogbeitrags.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Christian Schneiders