17. Juni 2014
Buntes Rechengerät
Arbeitsrecht

Zeitarbeit: Update zu „Wählen, aber nicht zählen″

Nach dem Grundsatz „Wählen, aber nicht zählen″ dürfen sich Zeitarbeitnehmer im Kundenbetreib einerseits aktiv an Betriebsratswahlen beteiligen (§ 7 S. 2 BetrVG). Andererseits sind sie selbst nicht wählbar (§ 14 Abs. 2 S. 1 BetrVG) und bei betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten, wie etwa zur Bestimmung der Anzahl freigestellter Betriebsratsmitglieder (§ 38 BetrVG), nicht zu berücksichtigen. Das BAG hat diesen Grundsatz im März 2013 aufgeweicht. Die Zivilgerichte bleiben jedoch der alten Linie weitgehend treu.

Breite Mitbestimmungsrechte für Zeitarbeiter?

In seinem Beschluss vom 13. März 2013 hat das BAG entschieden, dass Zeitarbeitnehmer zumindest für die Bestimmung der Größe des Betriebsrates (§ 9 BetrVG) mitzählen. Diese Änderung regte zu neuer Diskussion an: Sollen Zeitarbeitnehmer zukünftig allgemein bei allen Schwellenwerten des BetrVG und darüber hinaus in anderen Gesetzen, wie bei der unternehmerischen Mitbestimmung, ebenfalls mitzählen?

Zeitarbeiter erfüllen Voraussetzungen nicht

Das LG Hamburg hat dies nun verneint (Urteil vom 12. August 2013 – 411 HKO 130/12). Gemäß § 3 Abs.1 MitbestG, so das Landesgericht, seien Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes die in § 5 Abs. 1 BetrVG bezeichneten Personen. Arbeitnehmer sei danach, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen in persönlicher Abhängigkeit zur Leistung fremdbestimmter Arbeit verpflichtet sei. Das heißt: wer in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber steht und in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingebunden ist.

Diese Voraussetzung erfüllten Zeitarbeitnehmer nicht, da es an einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen ihnen und dem Kundenunternehmen fehle. In diesem Sinne bestimme § 14 Abs. 1 AÜG ausdrücklich, dass Zeitarbeitnehmer auch während der Zeit des Einsatzes Angehörige des entsendenden Betriebes des Personaldienstleisters blieben.

Teilweise Eingliederung in den Kundenbetrieb

Allerdings, so das LG Hamburg, werden auch Zeitarbeitnehmer in den Kundenbetrieb eingegliedert. Ihnen stehen nach § 14 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 AÜG einzelne betriebsverfassungsrechtliche Rechte zu. Zudem haben sie bei mehr als dreimonatiger Tätigkeit ein aktives Wahlrecht.

Gerade damit werde aber eine vollständige betriebsverfassungs- und mitbestimmungsrechtliche Zugehörigkeit zum Kundenbetrieb – auch bei längerfristigen Überlassungen – nicht begründet. So seien Zeitarbeitnehmer etwa weiterhin gem. § 14 Abs. 2 AÜG im Kundenbetrieb nicht als Aufsichtsrat oder als betriebsverfassungsrechtlicher Arbeitnehmervertreter wählbar.

BAG öffnet Arbeitnehmerbegriff für Zeitarbeitnehmer

Auch aus der Entscheidung des BAG vom 13. März 2013 (Az. 7 ABR 69/11) folgt nicht, so das LG Hamburg, dass Zeitarbeiter als Arbeitnehmer des Kundenbetriebes im Rahmen von § 3 MitbestG zu berücksichtigen sind. Das BAG beschäftige sich darin vielmehr mit der Frage, ob die im Betrieb tätigen Zeitarbeitnehmer bei der Anwendung von § 9 S. 1 BetrVG mitzuzählen seien. Die Vorschrift regele die Größe des Betriebsrates in Abhängigkeit von der Zahl der Arbeitnehmer des Betriebes.

In Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung öffne das BAG den „Arbeitnehmerbegriff in § 9 BetrVG″ für Zeitarbeitnehmer. Durch die Vorschrift soll sichergestellt werden, dass die Zahl der Betriebsratsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der betriebsangehörigen Arbeitnehmer stehe, deren Interessen und Rechte der Betriebsrat zu wahren habe.

BAG-Urteil hat keine allgemeine Leitfunktion

Die Entscheidung des BAG konzentrierte sich nach Auffassung des LG Hamburg auf die Erfüllung der Aufgaben des Betriebsrates aus und hat darüber hinaus keine allgemeine Leitfunktion. Die dortigen Erwägungen seien auf die Aufgaben des Aufsichtsrates nicht anwendbar und hätten mit diesen nichts zu tun.

Deshalb sieht sich das LG Hamburg nicht veranlasst, die Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Es verbleibe vielmehr im Rahmen der Mitbestimmungsgesetze für den Aufsichtsrat bei der vom Gesetzgeber angeordneten Zuordnung der Zeitarbeitnehmer zum Personaldienstleister (§ 14 Abs. 1 AÜG).

Gerichte sind sich in der Rechtsprechung einig

Mit diesen deutlichen Worten befindet sich das LG Hamburg in guter Gesellschaft. Auch das OLG Düsseldorf (Urteil vom 12. Mai 2004 – 19 W 2/04) ist der Auffassung, dass Zeitarbeitnehmer bei der Bestimmung relevanter mitbestimmungsrechtlicher Schwellenwerte nach dem DrittelbG/MitbestG nicht mitzählen.

Das OLG Hamburg hat die obige Entscheidung des LG Hamburg inzwischen ebenfalls bestätigt (Urteil vom 31. Januar 2014 – 11 W 89/13; anhängig beim BGH – II ZB 7/14; so auch schon: Urteil vom 29. Oktober 2007 – 11 W 27/07).

Selbst unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsänderung des BAG sei kein anderes Ergebnis gerechtfertigt. Eine Übertragung der dort festgelegten Grundsätze auf die mitbestimmungsrechtlich relevanten Schwellenwerte komme nur in Betracht, wenn sich die Tätigkeit des Aufsichtsrates in maßgeblichem Umfang auch auf die Zeitarbeitnehmer auswirke, so dass diesen auch ein Einfluss auf die Mitbestimmung im Kundenbetrieb zukäme.

Hier sei aber von einer unterschiedlichen Betroffenheit der Interessen der Zeitarbeitnehmer und der Stammbelegschaft auszugehen: Das vom Aufsichtsrat zu wahrende mittel- und langfristige Gesellschaftsinteresse sei für die Zeitarbeitnehmer – gerade aufgrund der ihnen möglichen Rückkehr in den Betrieb des Personaldienstleisters – von wesentlich geringerer Bedeutung als für die Stammbelegschaft.

Rechtsunsicherheiten in der Praxis bleiben

Für die Praxis verbleibt bis zu einer höchstrichterlichen Klärung dieser Frage bedauerlicherweise eine gewisse Rechtsunsicherheit. Nicht selten führen diese zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern oder Gewerkschaften.

Die Große Koalition hat zwar angekündigt, dass Zeitarbeitnehmer hinsichtlich der Schwellenwerte im BetrVG zukünftig Stammbeschäftigten gleich gestellt werden sollen. Der Koalitionsvertrag sagt jedoch nichts darüber aus, ob dies ebenfalls für die unternehmerische Mitbestimmung gelten soll.

Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang aktiv wird. Die Frage wird vielmehr von den Gerichten zu entscheiden sein. Wann dies (höchstrichterlich) geschehen wird, ist allerdings nicht absehbar.

Tags: Arbeitnehmerbegriff Aufsichtsrat AÜG Betriebsrat BetrVG Eingliederung MitbestG Mitbestimmung Rechtsprechung wählen zählen Zeitarbeit