Die Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts ist regelmäßig einfach. Schwierigkeiten können in der Praxis aber entstehen, wenn Arbeitsgerichte die dafür maßgeblichen Regelungen offensichtlich rechtsfehlerhaft anwenden.
Die Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts kann bei Klagen eines Zeitarbeitnehmers* gegen den Verleiher als dessen Arbeitgeber durchaus herausfordernd sein, wenn dieser – der Natur des Zeitarbeitsverhältnisses entsprechend – flexibel bei verschiedenen Entleihern an unterschiedlichen Arbeitsorten eingesetzt wird oder – wie die nachfolgend besprochene Entscheidung aufzeigt – ein Gericht die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen zur örtlichen Zuständigkeit (hier: § 48 Abs. 1a ArbGG) offensichtlich rechtsfehlerhaft anwendet.
Streitfall vor Gericht: Gerichtsstand am Ort des tatsächlichen Einsatzes des Arbeitnehmers oder entsprechend der arbeitsvertraglichen Gestaltung?
Der Entscheidung des LAG Niedersachsen (Beschluss v. 8. April 2023 – 9 SHa 284/25) lag zusammengefasst folgender Sachverhalt zugrunde:
Der klagende Zeitarbeitnehmer erhob beim ArbG Nienburg Klage gegen eine von dem Personaldienstleister ausgesprochene Kündigung vom 5. Februar 2025. In dem maßgeblichen Arbeitsvertrag ist u.a. vereinbart, dass die Arbeitsleistung bei verschiedenen Kunden/Projekten und an verschiedenen Einsatzorten regional zu erbringen ist. Seit April 2013 wird der Kläger ausschließlich beim Kunden X in L im Zuständigkeitsbereich des ArbG Nienburg eingesetzt.
Dieses verwies den Rechtsstreit mit Beschluss vom 11. März 2025 an das ArbG Frankfurt a.M. und führte dazu aus, dass sich bei einer Arbeitnehmerüberlassung ein inhaltlicher Schwerpunkt und damit ein gewöhnlicher Arbeitsort im Bezirk des ArbG Nienburg nicht feststellen lasse. Der Arbeitsvertrag sehe vor, dass die geschuldete Tätigkeit an verschiedenen Orten zu erbringen sei.
Das ArbG Frankfurt a.M. lehnte dessen Zuständigkeit mit Beschluss vom 17. März 2025 ab und legte die Sache dem LAG Niedersachsen zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vor. Das ArbG Nienburg verkenne, dass es auf den tatsächlichen Mittelpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers ankomme. Die arbeitsvertragliche Gestaltung habe nur indizielle Bedeutung. Dies habe das ArbG Nienburg ignoriert – mit der Folge, dass die Verweisung nicht nur fehlerhaft sei, sondern jeder rechtlichen Grundlage entbehre.
Das LAG Niedersachsen bestimmte als örtlich zuständiges Gericht das ArbG Nienburg (§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG). Es lägen – als Voraussetzung für die Durchführung dieses Bestimmungsverfahrens – zwei sich widersprechende Verweisungsbeschlüsse vor. Zuständig für die Festlegung des örtlich zuständigen Gerichts sei das Landesarbeitsgericht, in dessen Zuständigkeitsbereich das zuerst abgebende Arbeitsgericht falle (§ 36 Abs. 2 ZPO) – hiesig das LAG Niedersachsen.
Beschlüsse über die örtliche Zuständigkeit von Arbeitsgerichten seien unanfechtbar (§ 17a Abs. 2, 3 GVG i.V.m. § 48 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG). Diese Bindungswirkung sei auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss, der nicht hätte ergehen dürfen, sei grundsätzlich einer weiteren Überprüfung entzogen. Lediglich eine offensichtlich gesetzeswidrige Verweisung könne diese Bindungswirkung nicht entfalten.
Der hiesige Beschluss des ArbG Nienburg entspreche offensichtlich nicht der gesetzlichen Regelung, so dass die Rechtskraft ausnahmsweise zu durchbrechen sei. § 48a Abs. 1a S. 1 ArbGG stelle maßgeblich auf den tatsächlichen Einsatz des Arbeitnehmers an einem Arbeitsort und nicht auf die arbeitsvertragliche Gestaltung ab.
LAG Niedersachsen: Einsatzort eines Zeitarbeitnehmers ist als gewöhnlicher Arbeitsort gem. § 48 Abs. 1a S. 1 ArbGG anzusehen
Bereits die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und der vom Gesetzgeber mit diesem zusätzlichen Gerichtsstand verfolgte Regelungszweck solle es den Arbeitnehmern ermöglichen, Klage vor dem Arbeitsgericht zu erheben, in dessen Bezirk die Arbeit verrichtet werde. Die Gesetzesbegründung hebe ausdrücklich hervor, dass dieser Gerichtsstand vor allem den Arbeitnehmern zugutekommen solle, die ihre Arbeit gewöhnlich nicht am Firmensitz oder am Ort der Niederlassung leisteten. Er solle u.a. den Beschäftigten in der Dienstleistungsbranche die Durchsetzung ihrer Ansprüche und Rechte erleichtern. Es sei ein zusätzlicher Gerichtsstand des Arbeitsortes geschaffen worden, der losgelöst von den betrieblichen Strukturen auf den Ort abstelle, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung erbringe (vgl. BT-Drucks. 16/7716, 23 f.).
Dabei sei der Ort maßgeblich, an dem der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich erbringe. Erfolge dies gewöhnlich an mehreren Orten, sei der Ort zu bestimmen, an dem die Arbeitsleistung überwiegend erbracht werde. Das könne auch der Ort sein, an dem die Arbeit – gemessen an der Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses – erst kurzzeitig geleistet worden sei, wenn auf der Grundlage des Arbeitsvertrages an diesem Ort die Arbeitsleistung bis auf Weiteres verrichtet werden solle. Auch bei vorübergehenden Anpassungen des Arbeitsortes solle sich der gewöhnliche Arbeitsort nicht ändern (BT-Drucks. 16/7716, 24).
Soweit ersichtlich, werde in der Rechtsprechung der Einsatzort eines Zeitarbeitnehmers, aber auch der eines Montagearbeiters bei längerem Einsatz bei einem Kunden bzw. an einem bestimmten Ort, als gewöhnlicher Arbeitsort gem. § 48 Abs. 1a S. 1 ArbGG angesehen (vgl. ArbG Berlin, Beschluss v. 16. Mai 2021 – 41 Ca 4405/21; LAG Hamm, Beschluss v. 27. November 2013 – 1 SHa 17/13; LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 23. Juli 2014 – 5 SHa 6/14; ArbG Koblenz, Beschluss v. 6. November 2017 – 4 Ca 2728/17). Die Literatur stelle ebenfalls auf den tatsächlichen Arbeitseinsatz ab (ErfK/Koch, § 48 ArbGG Rn. 20; vgl. GMP/Künzl, § 48 ArbGG Rn. 35; Helml/Pessinger § 48 ArbGG Rn. 4, 7).
Fazit: Für die Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes kommt es nach dem Normzweck darauf an, wo der Arbeitnehmer die Arbeit tatsächlich erbringt
Neben dem allgemeinen Gerichtsstand können (zusätzlich) besondere Gerichtsstände existieren. Der Kläger kann dabei auswählen, an welchem (zuständigen) Gericht er die Klage einreicht (vgl. § 35 ZPO). Einen solchen besonderen Gerichtsstand hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. April 2008 mit § 48 Abs. 1a ArbGG („gewöhnlicher Arbeitsort“) für die in der Vorschrift ausdrücklich bezeichneten arbeitsrechtlichen Angelegenheiten, insbesondere für Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses (u.a. nach einer Kündigung), geschaffen.
Gerade bei Zeitarbeitnehmern kann die Bestimmung des „gewöhnlichen Arbeitsortes“ zur Begründung des besonderen Gerichtsstandes nach § 48 Abs. 1a ArbGG mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein (vgl. dazu: Bissels/Falter, jurisPR-ArbR 35/2021 Anm. 6); dies gilt insbesondere bei einer „klassischen“ Einsatzwechseltätigkeit (vgl. dazu: ArbG Schwerin, Beschl. v. 28.08.2015 – 6 Ca 1368/15 zu im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung offshore in der Nordsee eingesetzten Mitarbeitern).
Vorliegend bestanden solche Schwierigkeiten aber gerade nicht. Der Kläger war seit April 2013 (!) als Zeitarbeitnehmer für einen Kunden an einem bestimmten Ort im Einsatz – bis zur Kündigung im Februar 2025 damit annähernd 12 Jahre (!). Dahinstehen mag an dieser Stelle, wie dies noch mit dem Grundsatz vereinbar sein soll, dass eine Überlassung „vorübergehend“ (§ 1 Abs. 1 S. 4 AÜG) zu erfolgen hat und dass seit dem 1. April 2017 grundsätzlich eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gilt (§ 1 Abs. 1b AÜG).
Für die Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes kommt es nach dem Normzweck auf die tatsächliche Arbeit des Arbeitnehmers, hingegen nicht auf das arbeitsvertragliche Recht des Arbeitgebers – wie bei der Zeitarbeit typisch – an, den Arbeitnehmer an verschiedenen Einsatzorten bei unterschiedlichen Entleihern zu beschäftigen bzw. einzusetzen. § 48 Abs. 1a ArbGG soll es einem Arbeitnehmer, der weitab vom Sitz des Arbeitgebers seine Arbeit verrichtet, ermöglichen, an einem Ort zu klagen, mit dem dieser verbunden ist und an dem er mit relativ geringen Kosten seine Rechte wahrnehmen kann. Entscheidend ist dabei nicht, welche Rechte der Arbeitgeber laut Arbeitsvertrag ausüben kann, sondern wo der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat. Es kommt in Fällen der Arbeitnehmerüberlassung häufiger ein nur kurzfristiger tatsächlicher Einsatz an verschiedenen Einsatzorten vor; dies ist aber eine bloße Möglichkeit, die sich im vorliegenden Fall gerade nicht realisiert hat (vgl. auch: ArbG Berlin, Urteil v. 16. Mai 2021 – 41 Ca 4405/21). Der gewöhnliche Arbeitsort des Klägers lag bei dem Kunden in L – und zwar fast 12 Jahre. L war damit nicht nur ein vorübergehender oder ein wechselnder, sondern ein ausschließlicher bzw. zumindest der gewöhnliche Einsatzort des klagenden Zeitarbeitnehmers gewesen. Das LAG Niedersachsen hat vor diesem Hintergrund zu Recht das ArbG Nienburg als zuständiges Gericht bestimmt – und dabei deutlich gemacht, was es von der Verweisung an das ArbG Frankfurt gehalten hat. Nämlich überhaupt nichts, um es einmal freundlich zu formulieren.
§ 48 Abs. 1a ArbGG ist als besonderer Gerichtsstand nicht ausdrücklich für Zeitarbeitnehmer geschaffen worden, dürfte aber für selbige gerade bei längeren Kundeneinsätzen typischerweise am jeweiligen Einsatzort eine örtliche Zuständigkeit des dortigen Arbeitsgerichts begründen. Es kommt dabei auf die Ausübung der Tätigkeit vor Ort und nicht auf die vertraglich vereinbarte Möglichkeit an, den Zeitarbeitnehmer an wechselnden Tätigkeitsorten bei verschiedenen Entleihern einzusetzen – dies jedenfalls, solange und soweit der Personaldienstleister davon tatsächlich keinen Gebrauch gemacht hat.
Ärgerlich für das verklagte Zeitarbeitsunternehmer war in dem konkreten Fall, dass sich in dem Kündigungsschutzrechtsstreit zunächst drei (!) Gerichte mit der örtlichen Zuständigkeit befassen mussten, bevor es überhaupt inhaltlich um die Rechtmäßigkeit der Kündigung gehen konnte – das hätte es nun wirklich nicht bedurft!
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.