24. Juli 2020
Emittentenleitfaden
Banking & Finance

Neufassung des Emittentenleitfadens der BaFin

Wichtige Änderungen und Anpassungen durch Neufassung des Emittentenleitfadens im Hinblick auf das Insiderrecht und Ad hoc Publizitätspflichten.

Ende April 2020 hat die BaFin eine neue Auflage des Emittentenleitfadens veröffentlicht. In dessen Modul C werden erstmalig zusammenhängend die durch die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 – Marktmissbrauchs-Verordnung (MAR) geänderten Vorgaben zum Insiderrecht und den Adhoc Publizitätspflichten aus Sicht der BaFin dargestellt.

Nachdem die BaFin bereits im Sommer 2019 einen Konsultationsentwurf zur neuen Auflage des Emittentenleitfadens veröffentlicht hat, ist nun, unter Berücksichtigung von Stellungnahmen aus der Praxis, die finale Version veröffentlicht worden.

Vorliegen einer Insiderinformation

Bei den Voraussetzungen zum Vorliegen einer Insiderinformation hatten sich im Rahmen des Konsultationsentwurfs einige Unklarheiten ergeben. Diese wurden von der BaFin in der finalen Fassung nur teilweise aufgeklärt:

Nicht öffentlich bekannt – Keine klaren Vorgaben zu den Veröffentlichungsmedien

Maßgebliches Abgrenzungskriterium für die Frage, ob eine Information öffentlich bekannt ist oder nicht, ist, dass sie einem breiten Anlegerpublikum zeitgleich zugänglich ist. Unklar war und bleibt, ab wann von einem „breiten Anlegerkreis“ auszugehen ist, welche konkreten Veröffentlichungsmedien also für einen solchen breiten Zugang ausreichen und welche nicht. Die BaFin nennt folgende allgemeine Beispiele:

Zu einer öffentlichen Bekanntmachung führt die Veröffentlichung auf einem allgemein zugänglichen elektronischen Informationssystem. Neu ist hierbei der Hinweis, dass ein kostenpflichtiger Zugang zu diesem System unschädlich ist.

Nicht ausreichend sind

  • grundsätzlich die Veröffentlichung in einem nur in bestimmten Kreisen einschlägigem Informationsdienst oder Newsboard;
  • die Veröffentlichung im Handelsregister;
  • in der Regel die Veröffentlichung in der Lokalpresse;
  • die Veröffentlichung in sozialen Medien;
    Hier gilt jedoch eine Ausnahme, wenn die Information in die überregionale Presse aufgenommen und verbreitet wird.
  • die Veröffentlichung im Rahmen einer Pressekonferenz oder Hauptversammlung, auch nicht, wenn diese live im Internet übertragen wird;
  • die Veröffentlichung in gerichtlichen Verhandlungen.

Präzise Information – erfasst sind nur konkrete Informationen

Für die Frage, ob eine Information präzise ist, ist nicht nur zu berücksichtigen, ob es ein bestehender oder zu erwartender Umstand ist, es kommt ferner darauf an, ob die Information ausreichend spezifisch ist, um einen Schluss auf mögliche Auswirkungen auf die Kurse der betroffenen Finanzinstrumente zuzulassen. Diesbezüglich hat die BaFin nun klargestellt, dass “vage oder allgemeine Informationen, die keine Schlussfolgerung hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkungen auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente zulassen, nicht präzise sind.“ Dabei sei in Anknüpfung an das Lafonta-Urteil des EuGH unerheblich,

in welche Richtung die mögliche Auswirkung auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente erfolgt.

Kursbeeinflussungspotential

Eine Information ist weiter nur dann als Insiderinformation zu behandeln, wenn ihr ein sog. Kurbeeinflussungspotential zukommt (Art. 7 Abs. 1, Abs. 4 MAR). Drei Punkte erscheinen in diesem Rahmen als erwähnungsbedürftig:

Verständiger Anleger – Berücksichtigung des Kursbeeinflussungspotentials

Für die Frage, ob einer Information Kursbeeinflussungspotential zukommt, ist darauf abzustellen, ob ein „verständiger Anleger“ diese Information für seine Anlageentscheidung berücksichtigen würde, wobei die Perspektive eines „durchschnittlich börsenkundigen Anlegers“ maßgeblich sein soll. Ein verständiger Anleger berücksichtigt laut BaFin hierbei nicht nur die Besonderheiten des Einzelfalles, sondern auch

ob unter Berücksichtigung dieser aktuellen Marktsituation der in Rede stehende Umstand geeignet erscheint, den Kurs des betreffenden Finanzinstrument erheblich zu beeinflussen,

wobei er auch miteinbezieht,

wie aus seiner Erfahrung heraus andere Marktteilnehmer (d.h. Anlegerpublikum) in der Vergangenheit auf vergleichbare Sachverhalte reagiert haben.

Im Konsultationsentwurf stellte die BaFin im Gegensatz dazu, nur auf die Einbeziehung der Erwägung ein,

wie andere Marktteilnehmer auf die tatsächliche, aktuelle Situation reagieren würden.

Irrationales Anlegerverhalten von anderen Marktteilnehmern ist dabei nicht zu berücksichtigen. Die BaFin trägt damit dem Hinweis des Deutschen Aktieninstituts Rechnung, dass einem durchschnittlich börsenkundigen Anleger die prognostizierende Einschätzung der Reaktionen anderer Anleger schwerfallen dürfte. Dem tatsächlichen Eintritt von Auswirkungen auf den Preis des Finanzinstruments nach Bekanntwerden der Information kommt im Übrigen nur Indizwirkung zu.

Erheblichkeit der Information

Nach Art. 7 Abs. 1 MAR liegt eine Insiderinformation nur vor, wenn sie geeignet ist, bei ihrem öffentlichen Bekanntwerden den Kurs der betroffenen Finanzinstrumente „erheblich“ zu beeinflussen. Ersatzlos gestrichen wurde der in dem Konsultationspapier enthaltene Hinweis der BaFin, die Höhe der Rendite sei irrelevant, solange die erwartbare Kursreaktion „einen kleinen, aber sicheren Gewinn“ prognostizieren lässt. Für die Prüfung favorisiert die BaFin daher eine Prüfung in zwei Schritten:

  1. Besitzt die Information für sich genommen die Eignung zu erheblicher Kursbeeinflussung im Zeitpunkt ihrer Entstehung?
  2. Erhöht oder vermindert sich das Kursbeeinflussungspotential bei Berücksichtigung der konkret vorliegenden oder absehbaren Umstände im Zeitpunkt der Entstehung der Information?

Auf diese Weise lassen sich unterschiedliche Ergebnisse für verschiedene Finanzinstrumente desselben Emittenten erzielen: Die BaFin differenziert hierbei exemplarisch zwischen Aktien und Anleihen.

Zwischenschritte als Insiderinformation

In Anknüpfung an die Geltl-Entscheidung des EuGH können nach Art. 7 Abs. 2 MAR bei gestreckten Sachverhalten bereits Zwischenschritte eine Insiderinformation darstellen. Zu unterscheiden sind laut BaFin (1) Zwischenschritte, die aus sich heraus die Qualität einer Insiderinformation ziehen und (2) solchen Zwischenschritten, deren Kursrelevanz von einem zukünftigen Ereignis abgeleitet wird.

  1. Zwischenschritte, die aus sich heraus eine Insiderinformation darstellen, sind grundsätzlich unverzüglich zu veröffentlichen.
    Die BaFin führt hierfür das Beispiel der Entscheidung Geltl an, dass ein Vorstandsvorsitzender die Absicht hat, im Einverständnis mit dem Aufsichtsrat vorzeitig sein Amt niederzulegen. Dies könne ein Hinweis darauf sein, dass der Emittent eine neue Geschäftspolitik verfolgen möchte und insofern Grundlage einer Anlageentscheidung sein, womit eine Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung bestünde.
  1. Bei Zwischenschritten, die ihre insiderrechtliche Relevanz erst im Zusammenhang mit einem künftigen Ereignis erlangen, ist zunächst zu prüfen, ob bereits ein erhebliches Kurbeeinflussungspotential vorliegt.
    Für diese Prüfung ist laut BaFin „ein Kursbeeinflussungspotential umso eher anzunehmen, je gewichtiger und wahrscheinlicher das Endereignis ist,“ (Probability/Magnitude-Test) wobei zusätzlich zu hinterfragen ist, inwiefern ein verständiger Anleger diese Information für sich nutzen wird.
    Die BaFin nennt hierzu zwei Beispiele:
    • Einigkeit über wichtige Eckpunkte bei einer Übernahme bzw. Fusion unabhängig vom Stand der Vertragsverhandlungen und der Richtung der Kursreaktion
    • Im Fall eines Übernahmeangebots oder eines Squeeze-Outs, unabhängig davon, ob der Übernahmepreis schon feststeht
    An einem Kurbeeinflussungspotential soll es dagegen fehlen, wenn das erstrebte Endereignis noch unwahrscheinlich ist.
    Hierzu nennt die BaFin folgende Beispiele:
    • Der Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung bei einem möglichen Zusammengehen zweier Unternehmen
    • Die Teilnahme an einem Bieterverfahren und der damit verbundenen Abgabe eines Angebots zusammen mit einer Vielzahl weiterer Wettbewerber und vor Durchführung einer abschließenden Due Dilligence

Prognosen und Geschäftszahlen – Keine Konkretisierungen zur Markterwartung

Prognosen können laut BaFin Insiderinformationen sein, „wenn sie aufgrund konkreter Anhaltspunkte für den weiteren Geschäftsverlauf erstellt worden sind und spezifisch genug sind, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Prognose auf den Kurs eines entsprechenden Finanzinstruments zuzulassen.“ Hierbei dient die Markterwartung als Vergleichsmaßstab, wobei die BaFin auf die Forderung der weiteren Präzisierung zur Ermittlung der Markterwartung nicht eingegangen ist. Von der noch im Konsultationsentwurf enthaltenen Aussage, dass die Beibehaltung einer Prognose trotz veränderter Markterwartung eine Insiderinformation darstellen kann, hat die BaFin jedoch wieder Abstand genommen.

Insiderinformation bei M&A-Transaktionen

Der Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung soll nun nicht mehr zum Anlass genommen werden, das Vorliegen einer Insiderinformation zu prüfen. Ebenfalls hat die BaFin in Bezug auf den Abschluss eines Letter of Intent konkretisiert, dass dieser nur als Prüfungsanlass dienen soll,

sofern er beispielsweise Vereinbarungen über Eckpunkte des künftigen Vertrags, eine Preisspanne oder eine andere Vereinbarung enthält, in der sich der ernsthafte Einigungswille der Verhandlungspartner manifestiert

Der Nennung konkreter Beispiele entzieht sich die BaFin weiterhin.

Wann kann die Mitteilung aufgeschoben werden?

Emittenten können nach Art. 17 Abs. 4 MAR eigenverantwortlich die Veröffentlichung einer Insiderinformation aufschieben, wenn diese dazu geeignet wäre, die berechtigten Interessen des Emittenten zu beeinträchtigen. Zuständig für die Entscheidung ist grundsätzlich der Vorstand bzw. in Fällen originärer Aufsichtsratszuständigkeit der Aufsichtsrat. Die BaFin hat insoweit anerkannt, dass auch der Aufsichtsrat befugt ist, die Entscheidung über den Aufschub auf ein untergeordnetes und kontrolliertes Ad hoc-Gremium oder ein ordentliches Mitglied des Aufsichtsrats zu delegieren – dies war im Konsultationsentwurf nur dem Vorstand möglich. Gestrichen wurde ferner der Hinweis, dass es innerhalb der Grenzen des § 107 Abs. 3 AktG denkbar sei, einen Aufsichtsratsbeschluss mit der Vorbereitung der Entscheidung oder der Entscheidung selbst zu beauftragen. Der Hinweis auf die spätere Zuständigkeit des Vorstandes für die Veröffentlichung der Ad hoc-Mitteilung nach Wegfall der Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 4 MAR, insbesondere der Gewährleistung der Vertraulichkeit der Information, bleibt dagegen bestehen.

Wenn

das weitere öffentliche und wirtschaftliche Interesse am Aufschub der Offenlegung gegenüber dem Interesse des Marktes am Erhalt der Informationen, die Gegenstand des Aufschubs sind, überwiegt,

besteht für Kredit- und Finanzinstitute eine eigenständige Aufschubmöglichkeit zur Sicherung der finanziellen Stabilität des Emittenten und des Finanzsystems nach Art. 17 Abs. 5 MAR. Zur Beurteilung der finanziellen Stabilität des Finanzsystems zieht die BaFin das Kriterium der Systemrelevanz heran. Allerdings kann im Einzelfall auch bei nicht systemrelevanten Instituten aufgrund der konkreten Umstände eine Systemgefährdung vorliegen, zu deren Darlegung der betreffende Emittent allerdings höheren Anforderungen unterliegt. Wie auch sonst muss die Vertraulichkeit der Insiderinformation gewährleistet sein.

Klarstellung bei Eigengeschäften von Führungskräften (Director’s Dealings)

Die im Vergleich zu der letzten Auflage des Emittentenleitfadens wesentlich umfangreicheren Ausführungen des Konsultationsentwurfs zu Eigengeschäften von Führungskräften hat die BaFin weitgehend beibehalten. Insbesondere einen Punkt hat die BaFin klargestellt:

Nach Art. 19 Abs. 11 MAR ist es Führungskräften untersagt, innerhalb einer Frist von 30 Tagen vor der Ankündigung eines Zwischen- oder Jahresberichts, Eigengeschäfte in Zusammenhang mit den Finanzinstrumenten des Emittenten zu tätigen. Die BaFin stellt in Bezugnahme auf die ESMA nun noch einmal ausdrücklich klar, dass es nur einen einzigen Handelsverbotszeitraum gibt und die Frist am Tag der Ankündigung endet. Quartalsmitteilungen mit inhaltlichen Anforderungen (z.B. § 53 der Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse) stellen keine Zwischenberichte i.S.v. Art. 19 Abs. 11 MAR dar.

Trotz einiger Klarstellungen weiterhin einzelfallbezogene Abwägung erforderlich

Die BaFin hat ihren neuen Leitfaden genutzt, um ihre Darstellungen zu erweitern und an einigen Stellen mehr ins Detail zu gehen. Im Vergleich zum Konsultationsentwurf haben sich jedoch nur wenige wesentliche Änderungen ergeben. Es wird den Emittenten auch weiterhin nicht erspart bleiben, bei den Publizitätspflichten eine gründliche Abwägung im Einzelfall vorzunehmen und dessen Besonderheiten einzubeziehen. Vor allem im Hinblick auf die derzeitig schwierige Situation in der Corona-Pandemie, kann dies zu Herausforderungen führen.

Tags: Ad hoc BaFin Emittentenleitfaden Indsiderrecht Modul C Publizitätspflicht